Machen wir heute einen OWi-Tag. Nach dem OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.04.2016 – 4 Ss 212/16 – zur „Aufweichung“ des Handyverbots am Steuer (§ 23 Abs. 1a StVO) (vgl. dazu Aufweichung beim Handyverbot, wirklich?, oder: Neue „Verteidigungsansätze“?) daher den OLG Oldenburg, Beschl. v. 18.04.2016 – 2 Ss (OWi) 57/16. Für mich ein „schönes“ Beispiel dafür, dass es im Owi-Recht ähnlich wie beim Keglen ist: Ist eine Kugel nämlich dort erst mal auf der Bahn, dann kann man sie kaum noch aufhalten. Und so ist es im OWi-Recht auch: Hat erst mal ein OLG etwas „vorgebetet“, dann wird das (häufig) von den anderen OLg „nachgebetet“. Das haben wir bei der Videomessung im Straßenverkehr 2009 mit der Frage nach der Ermächtigungsgrundlage erlebt. Die hatte das OLG Bamberg im OLG Bamberg vom 16.11.2009 – 2 Ss 1215/09 – in § 100h StPO gesehen (vgl. dazu Entscheidung aus Bamberg ist da: Rechtsgrundlage für Videomessung ist § 100h StPO). Und alle OLGs haben das dann mitgemacht.
Ähnlich ist es zur Zeit bei den Geschwindigkeitsmessungen mit dem „antizipierten Sachverständigengutachten der PTB betreffend ESO ES 3.0. Das OLG Frankfurt ist diesen Blödsinndiese Rechtsprechung im OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 04.12.2014 – 2 Ss-OW i 1041/14 – angefangen (vgl. OLG Frankfurt kämpft für Poliscan Speed – wie die Römer gegen Asterix? und Munition im Kampf gegen PoliscanSpeed, oder: Das OLG Frankfurt hat keine Ahnung….), das OLG Bamberg hat es im OLG Bamberg, Beschl. v. 22. 10. 2015 – 2 Ss OWi 641/15, vgl. (OLG Bamberg: Mit „Klauen und Zähnen“ für Riegl FG21-P, oder: Die PTB als „antizipierter Sachverständiger“) „aufgegriffen“ und nun gibt es auch vom OLG Oldenburg so eine „Klauen und Zähne-Entscheidung“, in der diese Auffassung vertreten wird.
Es ist der OLG Oldenburg, Beschl.v. 18.04.2016 – 2 Ss (OWi) 57/16, von dem ich hier nur die Leitsätze einstellen möchte – Rest selbst lesen bitte:
„1. Die Geschwindigkeitsmessung mit dem Einseitensensor ES3.0 erfüllt die Anforderungen an ein sog. standardisiertes Messverfahren. Der Bauartzulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) kommt dabei die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu, mit dem die generelle Zuverlässigkeit und Geeignetheit des Messgeräts verbindlich festgestellt ist.
2. Eine nähere tatrichterliche Überprüfung des Messwertes durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ist nur dann erforderlich, wenn im Einzelfall konkrete Zweifel an der Funktionstüchtigkeit oder sachgerechten Handhabung des Messgeräts und deshalb an der Richtigkeit des Messergebnisses bestehen.
3. Die Entscheidung des Amtsgerichts Meißen vom 29.05.2015 (Az. 13 OWi 703 Js 21114/14) begründet für das Tatgericht keinen Anlass, das Geschwindigkeitsmessgerät ES3.0 sachverständig untersuchen zu lassen.“
Bemerkenswert ist an dem Beschluss für mich:
1. Die Frage/das Problem „antizipiertes Sachverständigengutachten“ wird vom OLG schon gar nicht mehr näher behandelt. Es wird nur noch auf den OLG Bamberg, Beschl. v. 22. 10. 2015 – 2 Ss OWi 641/15 verwiesen. Das nennt man dann wohl „Kettenreaktion“.
2. Und das AG Meißen, dieses böse AG, mit seinem AG Meißen, Urt. v. 29.05.2015 – 13 OWi 703 Js 21114/14 (vgl. dazu Ein Schwergewicht/Hammer aus Sachsen: 112 Seiten zu ESO ES 3.0 und Hier wird es technisch, oder. ESO ES 3.0, das AG Meißen, die PTB und eine sachverständige Gegendarstellung), das hat keine Ahnung. Denn die PTB sagt: „Wir haben Recht“. Die Kollegin Kutscher, die das Urteil „verbrochen“ hat, wird es mit Fassung tragen. Sie kann sich aber auch darin „sonnen“ – wenn sie denn mag -, dass sie es mit ihrem Urteil immerhin bis in die Leitsätze des OLG Oldenburg-Beschlusses geschafft hat. Ist für ein AG auch eher selten. 🙂 .
Fazit: Nach wie vor fragt man sich bzw. ich mich: Warum diese Klauen und Zähne-Entscheidungen? Vielleicht steckt des Pudels-Kern in dem vom OLG aus der obergerichtlichen Rechtsprechung zitierten Satz: „Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass die Obergerichte durch eine Fülle von massenhaft vorkommenden Bagatellsachen blockiert und sie so für ihre eigentliche Aufgabe funktionsuntüchtig gemacht würden“. Allerdings müsste man dann mal erst den Begriff der „Bagatellsache“ definieren. Und ob die Sicht so richtig ist, erscheint mir im Hinblick auf den Grundsatz des rechtlichen Gehörs dann doch mehr als zweifelhaft.
Ich habe übrigens die Entscheidung des OLG dann auch an die angesprochene VUT, deren Gutachten ja vom OLG verworfen ist, geschickt. Von dort kam als Kommentar: „Ist überholt und falsch. Näheres in Kürze, wenn wir einen entsprechenden Gerichtsauftrag zur Feststellung der Korrektheit der Daten haben. Unsere Gutachten sind jedenfalls eine Stufe weiter. Freue mich auf die weitere Auseinandersetzung.“
Aber wahrscheinlich kommt das Argument: Die haben (auch) keine Ahnung, denn – in Abwandlung von“Die Partei, die Partei, die hat immer recht.“ – gilt ja wohl: Die PTB, die PTB, die PTB hat immer Recht: