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Verwerfungsurteil/Entbindungsantrag – das hat die Rechtsbeschwerde eine Chance

Die (obergerichtliche) Rechtsprechung muss sich immer wieder mit den sich aus den §§ 73, 74 OWiG ergeben Fragen auseinandersetzen. Dabei geht es i.d.R. um die Frage, wann der Betroffene von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden ist (§ 73 Abs. 2 OWiG) und vor allem auch um die Anforderungen an das Verwerfungsurteil (§ 74 Abs. 2 OWiG). Hinzuweisen ist dazu auf folgende aktuelle Rechtsprechung (eingehend zu den Fragen Burhoff/Stephan, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 2. Aufl. 2009, Rn. 1677 ff.). Und da hier die obergrichtlichen Vorgaben recht streng sind, hat das ggf. dann eine Rechtsbeschwerde eine Chance. Das zeigen jetzt sehr schön zwei OLG-Entscheidungen, und zwar:

Zunächst OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.08.2010 – 1 (8) SsRs 366/09. Da hat das OLG zum sog. Entbinbdungsantrag Stellung genommen ausgeführt, dass dann, wenn der Betroffene seine Fahrereigenschaft zugestanden und erklärt hate, er werde in der Hauptverhandlung keine Angaben zur Sache machen, seine persönliche Anwesenheit in der Hauptverhandlung im Sinne von § 73 OWiG im Regelfall entbehrlich ist. Allerdings kann – so das OLG – die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung auch dann noch zur weiteren Sachaufklärung dienen, wenn hierfür die bloße physische Präsenz des berechtigterweise schweigenden Betroffenen genügt.

Und dann: OLG Oldenburg, Beschl. v. 31.08.2010, 2 SsRs 170/10. Das OLG Oldenburg hat zu den Anforderungen an die tatrichterliche Entscheidung Stelllung genommen und darauf hingewiesen, dass das AG grds. in den Urteilsgründen die Umstände, die nach Auffassung des Betroffenen sein Fernbleiben entschuldigen sollen, ebenso ausführlich und vollständig darlegen muss wie seine eigenen, in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen. Nur so sei dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung der Verwerfungsentscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit möglich.

Das Ganze ist aich insofrn von Bedeutung, weil über § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ggf. eine an sich „zulassungspflichtige“ Rechtsbeschwerde in den zulassungsfreien Bereich kommt, wenn der Anspruch auf das rechtliche Gehör verletzt ist.

Was häufig übersehen wird: Begründung des Rechtmittels beim Verwerfungsurteil

Gegen das die Berufung nach § 329 Abs. 2 StPO verwerfende Prozessurteil kann die Revision nur mit der Verletzung der §§ 329, 412 StPO geltend gemacht werden. Und Die Überprüfung durch das Revisionsgericht setzt hierbei i.d.R. die Erhebung einer der Vorschrift des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Verfahrensrüge voraus (s. OLG Hamm, Beschl. v. 15.0 7.2010 – III-2 RVs 34/10).

Das gilt übrigens entsprechend für die Rechtsbeschwerde gegen das nach § 74 Abs. 2 OWiG ergangene Verwerfungsurteil. An die Zulässigkeit der Rüge, das Berufungs- bzw. das Amtsgericht habe die Rechtsbegriffe des Ausbleibens oder der genügenden Entschuldigung verkannt, werden allerdings keine strengen Anforderungen gestellt (vgl. z.B. OLG Köln StV 1989, 53). Der Rüge muss aber jedenfalls zu entnehmen sein, dass der Angeklagte die Verletzung des § 329 StPO bzw. § 7 74 Abs. 2 OWiG rügen will, dass nämlich die Rechtsbegriffe des Ausbleibens oder der genügenden Entschuldigung verkannt worden sind. Im Übrigen kann die Rüge auch in einem gleichzeitig mit der Revision oder Rechtsbeschwerde erhobenen Wiedereinsetzungsantrag (vgl. § 329 Abs. 3 StPO bzw. § 74 Abs. 3 OWiG) enthalten sein. Dann muss sich aus dessen Begründung aber ergeben, dass das das Ausbleiben des Angeklagten/Betroffene  nicht  als unentschuldigt hätte angesehen dürfen.

Verwerfungsurteil: Aufgepasst bei der Begründung der Revision bzw. Rechtsbeschwerde

Wird gegen ein Verwerfungsurteil (§ 329 Abs. 2 StPO bzw. § 74 Abs. 2 OWiG) Revision/Rechtsbeschwerde eingelegt, wird häufig übersehen, dass damit nur geltend gemacht werden kann, dass das Tatgericht den Begriff der „genügenden Entschuldigung“ verkannt hat. Das kann nur mit einer der Vorschrift des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Verfahrensrüge geltend gemacht werden (vgl. jetzt nochmals OLG Hamm, Beschl. v. 15.07.2010 – III-2 RVs 34/10).

An die Zulässigkeit dieser Rüge werden allerdings keine strengen Anforderungen gestellt (vgl. z.B. OLG Köln StV 89, 53). Der Rüge muss aber jedenfalls zu entnehmen sein, dass der Angeklagte die Verletzung des § 329 StPO rügen will, dass nämlich die Rechtsbegriffe des Ausbleibens oder der genügenden Entschuldigung verkannt worden sind. Im Übrigen kann die Rüge auch in einem gleichzeitig mit der Revision oder Rechtsbeschwerde erhobenen Wiedereinsetzungsantrag (vgl. § 329 Abs. 3 StPO bzw. § 74 Abs. 3 OWiG) enthalten sein. Dann muss sich aus dessen Begründung aber ergeben, dass das das Ausbleiben des Angeklagten/Betroffene  nicht als unentschuldigt hätte angesehen dürfen.

OLG Bamberg: Keine Freifahrt gegen den Entbindungsantrag (§ 73 OWiG)

Die Ablehnung eines sog. Entbindungsantrages (§ 73 OWiG) ist in der Praxis der AG nicht selten der Versuch, die Verwerfung des Einspruchs des (dann später nicht erschienen) Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG vorzubereiten. Allerdings darf an der Stelle nicht übersehen werden, dass die OLG hier eine verhältnismäßig strenge Rechtsprechung fahren, was häufig dazu führt, dass die Verwerfungsurteile aufgehoben werden. So auch das OLG Bamberg in einem Beschl. vom 17.08.2009 (3 Ss OWI 780/09).

Das OLG hat darin deutlich darauf hingewiesen, dass die dort vom AG gewählte Ablehnungsbegründung reine Spekulation ist. Das AG hatte den Entbindungsantrag nämlich u.a. damit abgelehnt:

„Die Vernehmung eines Zeugen lässt sich in Anwesenheit des Betroffenen effektiver gestalten, da die Vorhalte aus vorangegangenen Einlassungen des Betroffenen eine der Wahrheitsfindung förderliche Wirkung auf den Zeugen insbesondere dann entfalten, wenn der Betroffene hierbei selbst anwesend ist, auch wenn er sich in der Hauptverhandlung nicht mehr äußert. Da nach Aktenlage Beweiserhebungen in der Hauptverhandlung zu erwarten waren, die ihrem Inhalt nach im Widerspruch zu den Angaben des Betroffenen im Rahmen seiner Anhörung stehen, wäre darüber hinaus naheliegend gewesen, dass der Betroffene in der Hauptverhandlung seinen Entschluss zur Aussageverweigerung revidiert.“

Zutreffend weist das OLG in seiner Entscheidung zudem noch darauf hin, dass die vom AG angestellten, nicht für den Einzelfall konkret begründeten Erwägungen in ihrer Allgemeinheit auf jedes beliebige Bußgeldverfahren übertragen werden könnten und somit § 73 Abs. 2 OWiG vollständig unterlaufen werden könnte. Es gibt also keinen „Freifahrtschein“ gegen die Entbindung. Lesenswert.