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Revisionen der Staatsanwaltschaft – auch die werden verworfen

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Vor einiger Zeit ist die Diskussion über die „Revisionsverwerfungspraxis“ des BGH geführt und beklagt worden, dass beim BGH (fast) nur Angeklagtenrevisionen verworfen werden. Dass das so nicht stimmt, zeigt der BGH, Beschl. v. 01.08.2012 – 5 StR 176/12, in dem der BGH auch eine Revision der Staatsanwaltschaft verworfen hat. Und mit ebenso harschen Worten, wie er sich bei Angeklagtenrevisionen anwendet, nämlich:

„2. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind unbegründet.

a) Das Landgericht hat die Voraussetzungen des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 1 BtMG) rechtsfehlerfrei verneint. Es hat – worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist – Tatsachen nicht feststellen können, die eine Bandenabrede der Angeklagten mit weiteren beteiligten Personen hinreichend belegen könnten. Die insoweit gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts gerichteten Angriffe der Beschwerdeführerin dringen nicht durch. Sie beschränken sich mit zum Teil urteilsfremden Erwägungen auf eine eigene Bewertung der Beweise. Verfahrensrügen, die das Beweisergebnis in Frage stellen könnten, sind nicht erhoben worden.“

Auch der GBA hatte im Übrigen von der Revision der Staatsanwaltschaft nicht viel gehalten. Denn er hatte sie nur teilweise vertreten. Das ist ein sicheres Zeichen dafür, dass er ihr nur geringe Chancen eingeräumt hat. Allerdings hatte der GBA mit der Revision auch insoweit keinen Erfolg, wie er sie dann durchgeführt hat. Werden die Behördenleiter nicht gerne lesen…

Durcheinander beim AG – Rechtsschein eines Urteils

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Das OLG Celle hatte im OLG Celle, Beschl. v. 12.4. 2012 – 311 SsBs 26/12 – über folgenden – in meinen Augen kuriosen – Sachverhalt zu entscheiden:

Der Betroffene hatte gegen einen Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt. Udn – kürzer geht es leider nicht :-):

Unter dem 14. Oktober 2011 bestimmte das Amtsgericht Hannover Termin zur Hauptverhandlung auf den 27. Oktober 2011 und lud den Betroffenen hierzu. In der Sitzung erschien der Betroffene nicht. In dem Protokoll der Hauptverhandlung heißt es:
„Die ordnungsgemäße Ladung d. Betroffenen konnte noch nicht festgestellt werden. Entschuldigung lag nicht vor. Es soll ? vorbehaltlich einer ordnungsgemäßen Ladung ? verworfen werden.“
Sodann enthält das Protokoll einen Fertigstellungsvermerk vom 27. Oktober 2011 und die Unterschriften des Amtsrichters sowie der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle. Handschriftlich hat der Richter auf dem Protokoll zudem vermerkt, dass ihm der Vorgang nach Eingang der Zustellurkunde, spätestens nach drei Wochen wieder vorgelegt werden solle.
Dem Protokoll nachgeheftet befinden sich in dem Vorgang diverse Urkunden und Schriftstücke, die offenbar von der Vertreterin der Verwaltungsbehörde im Hauptverhandlungstermin am 27. Oktober 2011 überreicht worden waren. Lediglich die erste Seite dieser Unterlagen trägt das Kürzel der Urkundsbeamtin, die weiteren Seiten sind ohne entsprechenden Vermerk. Dem folgt im Vorgang ein Schreiben der Landeshauptstadt H. vom 21. Oktober 2011, das den Eingangsstempel des Amtsgerichts Hannover vom 26. Oktober 2011 trägt. Der im Anschluss daran in den Vorgang gehefteten Zustellungsurkunde über die Ladung des Betroffenen zum Termin am 27. Oktober 2011 ist zu entnehmen, dass diese dem Betroffenen erst am 24. Oktober 2011 zugestellt worden ist. Zwei weitere Seiten später findet sich ein vom Richter und der Urkundsbeamtin unterschriebener Formulartext, der üblicherweise im Fall des Ausbleibens des Betroffenen im Hauptverhandlungstermin trotz Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen verwendet wird. Hierin heißt es, dass gegen den Betroffenen ein Urteil durch Verlesen der Urteilsformel unter mündlicher Mitteilung der wesentlichen Urteilsgründe verkündet worden sei. Der Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid werde verworfen. Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Betroffene zwar rechtzeitig Einspruch gegen den Bußgeldbescheid erhoben habe, nach der bei den Akten befindlichen Zustellungsurkunde ihm die Ladung am 24. Oktober 2011 zugestellt worden und er dennoch der Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben sei. Das Schriftstück trägt einen von der Justizangestellten M. gezeichneten Stempel, wonach das Urteil zur Geschäftsstelle am 16. November 2011 gelangt sei. Auf der Rückseite der vor diesem Text im Vorgang abgehefteten Seite findet sich die Verfügung des Amtsrichters, wonach das Verwerfungsurteil an den Betroffenen gegen ZU zuzustellen sei. Diese Verfügung trägt ebenfalls das Datum 16. November. Im Anschluss daran findet sich in dem Vorgang eine Leseabschrift eines Urteils des Amtsgerichts Hannover vom „27. Oktober 2011“, das unter Ergänzung des Rubrums im Übrigen dem Text des Urteils, das am 16. November 2011 zur Geschäftsstelle gelangt ist, entspricht. Eine entsprechende Ausfertigung ist dem Betroffenen am 26. November 2011 zugestellt worden.“

Das OLG hat „aufgrund der aufgezeigten Unstimmigkeiten im Hauptverhandlungsprotokoll“ – sehr feinsinnig ausgedrückt –  über die Sitzung vom 27. Oktober 2011 und die Verfügungen des Amtsrichters und der Urkundsbeamtin vom 16. November 2011 t dienstliche Stellungnahmen des Amtsrichters und der Urkundsbeamtin zum Inhalt der Hauptverhandlung, zur zeitlichen Fertigung des Protokolls und zu weiteren Umständen eingeholt. Der Amtsrichter hat daraufhin erklärt, wegen der Vielzahl der seither bearbeiteten und verhandelten Verfahren nicht mehr in Erinnerung zu haben, ob ihm die Zustellungsurkunde noch im Hauptverhandlungstermin vorgelegt worden sei. Die Urkundsbeamtin hat sich in ihrer dienstlichen Stellungnahme derjenigen des Amtsrichters angeschlossen.

Das OLG hat dann das „Urteil aufgehoben:

Da auch die dienstlichen Stellungnahmen des Richters und der Urkundsbeamtin keine weiteren Erkenntnisse ergeben haben, ist davon auszugehen, dass das dem Betroffenen zugestellte „Urteil“ entgegen dessen Rubrum in der Ausfertigung nicht am 27. Oktober 2011, sondern zu einem späteren Zeitpunkt, vermutlich um den 16. November 2011 herum erlassen worden ist. Mit der Übersendung einer Ausfertigung eines gar nicht existenten Urteils hat das Amtsgericht einen Rechtsschein gesetzt, der auf die zulässig erhobene Rechtsbeschwerde des Betroffenen zu beseitigen war. Insoweit handelt es sich auch nicht um eine nur versehentlich falsch datierte Ausfertigung der tatsächlich erlassenen Entscheidung, bei der der Mangel im Rubrum keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit oder den Rechtsmittelerfolg entfalten würde (vgl. BGH NStZ 1995, 221). ….

 

Anreise aus Australien/Neuseeland? Aber nicht in Verfahren mit Geldbuße von (nur) 500 €….

Der Betroffene hatte Einspruch eingelegt gegen einen Bußgeldbescheid wegen eines Verstoßes gegen § 24a Abs StVG mit einer Geldbuße von 500 € und einem Fahrverbot von einem Monat. Es wird Hauptverhandlung anberaumt. Der Betroffene erscheint nicht. Das AG verwirft nach § 74 Abs. 2 OWiG den Einspruch. Das AG sieht das Vorbringen des Betroffenen nicht als ausreichende Entschuldigung an: und führt aus: „ein langfristiger Aufenthalt von einem Jahr Dauer in Australien/Neuseeland stellt keinen Entschuldigungsgrund dar“. Der OLG Hamm, Beschl. v. 21.02.2012 -III-3 RBs 365/11 sagt: Doch.

Für die Prüfung der Möglichkeit oder Zumutbarkeit des Erscheinens in der Hauptverhandlung kommt es damit nicht – wie in den häufig vorkommenden Fällen einer Terminskollision zwischen der Hauptverhandlung und einer (kurzen) Urlaubsreise (vgl. hierzu OLG Hamm, BeckRS 2005, 07058) – primär darauf an, ob für den Betroffenen eine Verlegung seiner Reise möglich oder zumutbar gewesen wäre; entscheidend ist vielmehr, ob dem Betroffenen die kurzzeitige Unterbrechung seines Auslandsaufenthaltes und die vorübergehende Rückkehr nach Deutschland vor dem eigentlich geplanten Rückkehrtermin zum Zwecke der Teilnahme an der Hauptverhandlung hätten zugemutet werden können (OLG Celle, BeckRS 2011, 26738). Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn der – vor allem finanzielle – Aufwand für eine Rückreise außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht und weder unter dem Gesichtspunkt eines drohenden Verlustes von Beweismitteln noch unter dem Gesichtspunkt einer drohenden Verfolgungsverjährung eine Hauptverhandlung vor dem geplanten Termin der Rückkehr nach Deutschland erforderlich ist. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts, NJW 1994, 1748. Dort war der Grund für das Fernbleiben nicht – wie hier – ein von vornherein befristeter Auslandsaufenthalt, sondern ein Auslandsaufenthalt von ungewisser Dauer.

 b) Die vorstehend skizzierten Voraussetzungen für eine genügende Entschuldigung liegen vor.

 Der finanzielle Aufwand für eine kurzzeitige Rückkehr aus Australien nach Deutschland hätte in keinem Verhältnis zur Bedeutung der Sache gestanden. Gegenstand des Verfahrens ist lediglich eine Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr mit einem überschaubaren Sachverhalt und einem ebenfalls überschaubaren Sanktionsrahmen. Eine Hauptverhandlung vor der geplanten Rückkehr des Betroffenen nach Deutschland im November 2011 war auch nicht erforderlich, um dem drohenden Verlust von Beweismitteln oder dem Eintritt der Verfolgungsverjährung zu begegnen. Die Verjährungsfrist beträgt im vorliegenden Fall nach § 31 Abs. 2 Nr. 3 OWiG ein Jahr. Das Amtsgericht hätte am Tage der Hauptverhandlung ohne Weiteres eine Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 OWiG durch die vorläufige Einstellung des Verfahrens wegen der Abwesenheit des Betroffenen nach § 46 Abs. 1 OWiG iVm § 205 StPO herbeiführen können.“

 


Wenn ich sage, ich komme, aber verspätet…

darf das LG die Berufung nicht verwerfen, sondern hat eine Wartepflicht. So das OLG Brandenburg, Beschl. v. 07.03.2011 – (1) 53 Ss 19/11 (5/11).

Das OLG führt aus: Es verstößt gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens, eine Berufung zu verwerfen, obwohl der Angeklagte telefonisch zutreffend ankündigt, dass er irrtümlich vor dem erstinstanzlichen Gericht erschienen sei und deshalb um 1 Stunde und 15 Minuten verspätet bei der Berufungskammer eintreffen wird. Macht sich der Angeklagte nach Bekanntwerden des Irrtums unverzüglich auf den Weg zur Berufungskammer und spricht dort mit seinem Verteidiger bei der Geschäftsstelle vor, dann ist die Nachlässigkeit bei der Kenntnisnahme von der Terminsladung nicht als grob fahrlässig anzusehen.

Interessant auch, dass das OLG die Frage des Verschuldens des Angeklagten nicht an einer anderen Stelle prüft: Nämlich beim Irrtum darüber, wo die Berufungshauptverhandlung stattfindet.

Anhörungsrüge – mal beim BGH erfolgreich

Liest man ja selten, deshalb war ich um so überraschter, als ich BGH, Beschl. v. 13.04.2011 – 2 StR 524/10 gelesen habe. Der BGH hatte die Revision des Angeklagten nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen und sich dabei viel Mühe gemacht – vgl. hier, leider aber übersehen, dass der GBA überhaupt keinen Verwerfungsantrag nach § 349 Abs. 2 StPO gestellt hatte, so dass nicht nach dieser Vorschrift verworfen werden durfte. Die dagegen gerichtete Anhörungsrüge (§ 356a StPO) hatte Erfolg.

Und ich hatte schon gedacht, das gäbe es beim BGH gar nicht. Na, da wird aber im Zweifel der Hiwi, der das verbockt hat, was zu hören bekommen. Aber: man soll ja nicht mit Steinen werfen, wenn man selbst im Glashaus sitzt :-).

Und jetzt: Weiter geht es mit „der“ Hochzeit 🙂 🙂