Schlagwort-Archive: Verschulden

Verteidiger aufgepasst – Verteidigerverschulden wird manchmal doch zugerechnet

© Thomas Becker – Fotolia.com

An sich kann sich der Rechtsanwalt, der als Verteidiger tätig ist, insoweit ganz entspannt zurücklehnen, als sein Verschulden im Straf-/Bußgeldverfahren – anders als im Zivilrecht – dem Mandanten i.d.R. nicht zugerechnet wird. Allerdings gibt es – wie immer – auch davon Ausnahmen. Eine dieser Ausnahmen wird vom BGH bei der Anhörungsrüge angenommen (§ 356a StPO). Das begründet der BGH mit deren Nähe zur Verfassungsbeschwerde. Dazu gerade noch einmal kurz der BGH, Beschl. v. 20.06.2012 –  5 StR 134/12, der auf die grundlegende Entscheidung des BGH verweist.

Die Anhörungsrüge ist nicht innerhalb der Frist des § 356a Satz 2 StPO angebracht worden. Wiedereinsetzungsgründe liegen nicht vor. Insbesondere wäre ein etwaiges Verschulden des Verteidigers an der Nichteinhaltung der Frist, weil dieser nicht auf die Möglichkeit der Erhebung einer Anhörungsrüge hingewiesen habe, dem Verurteilten zuzurechnen. Bei fehlerhafter Erhebung der Gehörsrüge muss sich ein Verurteilter Verteidigerverschulden zurechnen lassen, weil es sich in erster Linie um die Vorstufe der Verfassungsbeschwerde handelt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. August 2008 – 1 StR 162/08, wistra 2009, 33, vom 17. Juli 2009 – 5 StR 353/08 –, vom 24. Juni 2009 – 1 StR 556/07 – und vom 20. Mai 2011 – 1 StR 381/10, wistra 2011, 315). Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass die Anhörungsrüge auch in der Sache offensichtlich erfolglos wäre.

Sich-Verbergen in der Bewährungszeit – Verschulden bei der Wiedereinsetzung

Dem bulgarischen Verurteilten wird im Bewährungsbeschluss aufgegeben, unverzüglich festen Wohnsitz zu nehmen und seine Anschrift der Kammer innerhalb von drei Tagen mitzuteilen. Dem kommt er nicht nach, sein Verteidiger teilt, als dem Verurteilten Schriftstücke nicht zugestellt werden können, mit, dass auch ihm eine ladungsfähige Anschrift nicht bekannt ist. Das LG widerruft dann die Bewährung und stellt öffentlich zu. Der Verurteilte wird festgenommen und legt (verspätet) Beschwerde ein.

Der OLG Köln, Beschl. v. 30.01.2012 – 2 Ws 76/12 – erörtert u.a. die Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (von Amts wegen) und verneint sie.

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig gestellt worden ist, da jedenfalls die sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss innerhalb der Wochenfrist zur Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die frühestens mit der Verkündung des Sicherungshaftbefehls am 26.12.2011 zu laufen begonnen hatte, beim Landgericht eingegangen ist, so dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch von Amts wegen gem. § 45 Abs. 2 S. 3 StPO gewährt werden könnte. Hierfür liegt indes die Voraussetzung fehlenden Verschuldens des Verurteilten an der Fristversäumung gem. § 44 StPO nicht vor. Wer sich in der Bewährungszeit verborgen hält, insbesondere auch entgegen einer richterlich erteilten Weisung seinen Aufenthaltsort nicht angibt, kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beanspruchen (BGHSt 26, 127; SenE vom 7.10.2009 – 2 Ws 479/09 – ; Meyer-Goßner, § 44 Rdn. 14 m.w.N.). ……

Wird man n.E. wegen des Auflagen-/Weisungsverstoßes sicherlich mittragen können. Gefragt habe ich mich nur: Musste der Verteidiger eigentlich mitteilen, dass er die ladungsfähige Anschrift auch nicht kennt?

Wiedereinsetzung: Aufgepasst bei der Adressierung von Rechtsmitteln

Aufgepasst bei der Adressierung von Rechtsmitteln. Denn: Nun sagt (auch) das KG, Beschl. v. 07.03.2011 – 4 Ws 25/11, dass ein bei einem unzuständigen Gericht eingelegtes fristgebundenes Rechtsmittel nur im normalen Geschäftsgang weitergeleitet werden muss. Das angegangene unzuständige Gericht sei nicht verpflichtet, das Rechtsmittelschreiben unter Anwendung von Eilmaßnahmen, wie die Weiterleitung per Telefax, an das zuständige Gericht zu übersenden.

Das ist in der Vergangenheit in der Rechtsprechung schon anders gesehen worden. U.A. der 2. Strafsenat hatte das unzuständige Gericht als zu eiliger Behandlung verpflichtet angesehen. Aber auch der hat inzwischen seine Rechtsprechung geändert. Also. Man muss dann schon sorgfältig bei der Versendung sein, will man nicht eine irreparable Fristversäumung riskieren. Warum das angegangene Gericht nicht verpflichtet sein soll, schnell zu handeln, erschließt sich mir zwar nicht, aber: Man muss sich eben auf solche Änderungen einstellen.

Im Übrigen: Im Beschwerdeverfahren nach den §§ 8 Abs. 3, 9 Abs. 2 StrEG doppelt aufgepasst. Denn dem  Freigesprochenen wird ein Verschulden seines Verteidigers zugerechnet. So ebenfalls der KG-Beschluss.

Wiedereinsetzung: Akten liegen lassen ist Verschulden

Wiedereinsetzungsfragen spielen, da im Straf- und Bußgeldverfahren dem Angeklagten/Betroffenen ja in der Regel ein Verschulden des Verteidigers nicht zugerechnet wird, im Straf- und Bußgeldverfahren hinsichtlich des Verteidigerverschuldens eine nicht so große Rolle. Sie haben aber in zivilrechtlichen Verfahren große praktische Bedeutung, wie die Vielzahl der vom BGH veröffentlichten Beschlüsse zu Wiedereinsetzungsfragen zeigt.

So auch im BGH-Beschl. v.29.03.2011- VI ZB 25/10. Dort war dem Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers die Sache im Rahmen einer Vorfrist ohne besondere Kenntlichmachung zur Berufungsbegründung vorgelegt worden. Er hatte dann eine Woche lang nicht in die Akte geschaut und somit die Berufungsbegründungsfrist versäumt. OLG und BGH sagen: Verschulden des Rechtsanwalts, denn denjenigen, dem aufgrund eines Büroversehens eine Fristsache als nicht fristgebunden vorgelegt wird, trifft ein eigenes Verschulden an der Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist, wenn er sich nicht in angemessener Zeit durch einen Blick in die Akten wenigstens davon überzeugt, was zu tun ist und wie lange er sich mit der Bearbeitung Zeit lassen kann.

Wenn ich sage, ich komme, aber verspätet…

darf das LG die Berufung nicht verwerfen, sondern hat eine Wartepflicht. So das OLG Brandenburg, Beschl. v. 07.03.2011 – (1) 53 Ss 19/11 (5/11).

Das OLG führt aus: Es verstößt gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens, eine Berufung zu verwerfen, obwohl der Angeklagte telefonisch zutreffend ankündigt, dass er irrtümlich vor dem erstinstanzlichen Gericht erschienen sei und deshalb um 1 Stunde und 15 Minuten verspätet bei der Berufungskammer eintreffen wird. Macht sich der Angeklagte nach Bekanntwerden des Irrtums unverzüglich auf den Weg zur Berufungskammer und spricht dort mit seinem Verteidiger bei der Geschäftsstelle vor, dann ist die Nachlässigkeit bei der Kenntnisnahme von der Terminsladung nicht als grob fahrlässig anzusehen.

Interessant auch, dass das OLG die Frage des Verschuldens des Angeklagten nicht an einer anderen Stelle prüft: Nämlich beim Irrtum darüber, wo die Berufungshauptverhandlung stattfindet.