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Ist klar: Eine Frist versäumen kann nur der, der sie einhalten will

© Stefan Rajewski - Fotolia.com

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Schon ein paar Tage hängt in meinem „Blogordner“ der OLG Hamm, Beschl. v. 09.09.2014 – 5 RVs 67/14, der eine Wiedereinsetzungsproblematik zum Gegenstand hat, die in der Praxis häufiger auftritt und auf die ich hier dann einmal hinweisen will. Der Angeklagte hat gegen ein amtsgerichtliches Urteil – nachdem er zunächst Rechtsmittelverzicht erklärt hat – nun doch Sprungerevision eingelegt und begründet seinen Wiedereinsetzungsantrag wie folgt:

„(…) Ich habe mich insoweit auf die Angaben der Anwälte, dass es keine weiteren Folgen (außer der verhängten Gesamtgeldstrafe – Anm. des Senats) geben würde, verlassen, und habe das Urteil angenommen und auf Rechtsmittel verzichtet.
In der Zeit nach dem Urteil habe ich auch die Geldstrafe bezahlt. Ich dachte auch, dass man nun gegen das Urteil nichts mehr machen kann.
Dann erhielt ich die Mitteilung, dass die Straßenverkehrsbehörde aufgrund des Urteils 14 Punkte ins Verkehrszentralregister eingetragen hat. Wenn ich diese Folge gekannt hätte, hätte ich nie ein Geständnis angegeben und mich auf diese Absprache mit dem Gericht nicht eingelassen. Denn ich Wirklichkeit war der Sachverhalt anders als in der Anklage steht. Mein Geständnis nehme ich ausdrücklich zurück.
Ich bin bis zuletzt davon ausgegangen, dass man wegen des Rechtsmittelverzichts nicht gegen das Urteil vorgehen kann. Das hatte man mir so erklärt. Erst nachdem ich Frau Q die Akte zur Prüfung vorgelegt habe, habe ich erfahren, dass es doch noch eine Möglichkeit gibt.“

Das OLG lehnt den Antrag – nicht überraschend – ab, denn – dazu die Leitsätze der Entscheidung:

  1. Eine Frist im Sinne des § 44 StPO versäumt derjenige, der sie einhalten wollte, aber nicht eingehalten hat. Demgegenüber ist jemand, der von einem befristeten Rechtsbehelf bewusst keinen Gebrauch macht, nicht nach Satz 1 der Vorschrift an dessen Einlegung „verhindert“. Dies gilt auch dann, wenn ein Angeklagter – auch nach Beratung durch seinen Verteidiger – die Rechtsfolgen der (zunächst) nicht angegriffenen Entscheidung (hier: Eintragung von Punkten in das Verkehrszentralregister) oder die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels möglicherweise falsch einschätzt.
  1. 44 StPO stellt ausschließlich auf unverschuldete Hindernisse bei der Einhaltung einer Frist ab. Als ein solches Hindernis kommt die unverschuldete Unkenntnis von Umständen nur insoweit in Betracht, als letztere für den Beginn und Lauf einer einzuhaltenden Frist maßgeblich sind. Demgegenüber stellt eine unverschuldete Unkenntnis von Umständen, die lediglich den Beweggrund zur Wahrung einer Frist beeinflussen können (wie hier die falsche Einschätzung sämtlicher Folgen des Urteils), kein solches Hindernis dar. Die irrige Beurteilung der Folgen eines zunächst nicht angegriffenen Urteils derart, dass außer der verhängten (Gesamt-)Geldstrafe keine weiteren Konsequenzen eintreten würden, beeinflusste lediglich die Willensbildung dahin, nicht gegen das Urteil vorzugehen, also letztlich die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels nicht auszunutzen.

Also: Man muss sich schon genau überlegen, was man dem Mandanten rät bzw. wie man ihn belehrt.

Frankiert musste die Rechtsmittelschrift schon sein, wenn man Wiedereinsetzung haben will

entnommen wikimedia.org Urheber Fotografie: Frank C. Müller, Baden-Baden

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Urheber Fotografie: Frank C. Müller, Baden-Baden

Manchmal habe ich bei Wiedereinsetzungsentscheidungen Zweifel, ob die Anforderungen nicht doch ein wenig hoch gesetzt werden. Aber manche Fragen sind auch für mich eindeutig. So der OLG Hamm, Beschl. v. 22.04.2014 – 5 RVs 30/14. Da hatte der Angeklagte gegen das seine Berufung verwerfende Urteil des LG mit privatschriftlichem Schreiben  „Einspruch“ (= Revision) eingelegt. Die wird nicht begründet und daher als unzulässig verworfen. Gegen den Verwerfungsbeschluss, der dem Angeklagten am 31. Januar 2014 zugestellt worden ist, richtet sich der Angeklagte mit privatschriftlichem Schreiben vom 07.02.2014, welches am 12. 02.2014 beim LG eingegangen ist. Darin führt der Angeklagte  aus, der Brief sei nach Aufgabe zur Post am 07. 02.2014 sodann am 11. Februar 2014 zurückgekommen, da er ihn versehentlich nicht frankiert habe.

Dazu das OLG unter Bezug auf den GStA

„Die gemäß § 300 StPO als Antrag auf Entscheidung des Revisionsge­richts nach § 346 Abs. 2 Satz 1 StPO auszulegende Eingabe des Angeklagten vom 07.02.2014 ist unzulässig, da sie nicht rechtzeitig innerhalb der Frist des § 346 Abs. 2 Satz 1 StPO angebracht worden ist. Der An­trag auf Entscheidung des Revisionsgerichts ist innerhalb von einer Woche ab Zustellung des angefochtenen Beschlusses zu stellen. Die Frist hierfür endete am 07.02.2014. Die fragliche Eingabe ging jedoch erst am 12.02.2014 bei Gericht ein.

Soweit der Angeklagte auf seiner Eingabe vom 07.02.2014 (Bl. 87 d. A.) am 11.02.2014 vermerkt hat, das Schreiben sei dem Landgericht nicht rechtzeitig zuge­gangen, da er vergessen gehabt habe, den Brief zu frankieren, was er zu entschuldi­gen bitte, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bereits deswegen nicht in Betracht, da sich aus dem Vorbringen des Angeklagten ergibt, dass er nicht ohne Verschul­den an der Einhaltung der Frist gehindert war.

Ungeachtet dessen wäre der Antrag auf Entscheidung des Revisionsge­richts auch unbegründet, weil das Landgericht Essen die Revision des Angeklagten zu Recht als unzulässig verworfen hat. Gemäß § 345 StPO ist eine Revision innerhalb eines Mo­nats ab Zustellung des Urteils zu begründen, wobei dies seitens des Angeklagten nur in einer von einem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle geschehen kann. Eine derartige Begrün­dung ist bei Gericht aber nicht eingegangen.“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat in vollem Umfang an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.

Darüber hinaus merkt der Senat Folgendes an:

Dem Angeklagten war auch deshalb keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er sein privatschriftliches Antragsschreiben ausweislich seiner eigenhändigen Datumsangabe erst am 07. Februar 2014, dem letzten Tag der Frist gemäß § 346 Abs. 2 Satz 1 StPO, verfasst und auf den Postweg gebracht hat. Angesichts dessen konnte er – ungeachtet der vergessenen Frankierung – nicht damit rechnen, dass der Antrag noch fristgerecht beim Landgericht Essen eingehen werde.

Da passte also gar nichts.

Aufgepasst: (Gefährliche) Fristversäumung im Strafverfahren

Manchmal hört man in Strafsachen: Ach, eine Fristversäumung ist ja nicht so schlimm, mein (Rechtsanwalts)Verschulden wird dem Mandanten ja nicht zugerechnet. Nun, das ist nur bedingt richtig, und zwar grds. nur dann, wenn es sich um den Angeklagten oder im Bußgeldverfahren um den Betroffenen handelt. In anderen Fällen ist die Fristversäumung auch im Straf-/Bußgeldverfahren „gefährlich“ und kann zum Verlust eines Rechtsmittels führen.

AusrufezeichenDas gilt vor allem auch für den Bereich der Nebenklage, wie der BGH, Beschl. v. 28.08.2013 – 4 StR 336/13 – noch einmal verdeutlicht: Die Vertreterin der Nebenklägerin hatte fristgerecht gegen das landgerichtliche Urteil Revision eingelegt. Nachdem bis zum Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 Satz 2 StPO eine Rechtsmittelbegründung nicht eingegangen war, hat das LG die Revision gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen. Hiergegen hat die Nebenklägerin auf Entscheidung des Revisionsgerichts angetragen und zugleich um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ersucht. Und hatte keinen Erfolg:

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist unzulässig; dementsprechend erweist sich der Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO als unbegründet.

1. Das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten ist dem Nebenklä-ger, der nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung beantragt, nach dem allgemeinen Verfahrensgrundsatz des § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 11. Dezember 1981 – 2 StR 221/81, BGHSt 30, 309; vom 17. März 2010 – 2 StR 27/10; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 44 Rn. 19). Deshalb erfordert die Begründung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand grundsätzlich eine genaue Darlegung und Glaubhaftmachung aller zwischen dem Beginn und Ende der versäumten Frist liegenden Umstände, die für die Frage bedeutsam sind, wie und gegebenenfalls durch wessen Verschulden es zur Versäumung gekommen ist; zu dem erforderlichen Tatsachenvortrag gehört dabei auch, dass der Antragsteller einen Sachverhalt vorträgt, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden ausschließt (BGH, Beschluss vom 17. März 2010 – 2 StR 27/10 mwN).

2. Daran fehlt es.

Nach dem Vortrag der Nebenklägervertreterin oblag es ihrer Rechtsan-waltsgehilfin, Fristen zu überwachen und ihr die Akten rechtzeitig vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist vorzulegen. Dass hier – zum ersten Mal – die Revisi-onsbegründungsfrist versäumt wurde, habe daran gelegen, dass die Rechtsan-waltsgehilfin die Frist nicht eingetragen habe.

Damit ist ein Verschulden der Nebenklägervertreterin selbst nicht ausge-schlossen. Zwar darf ein Rechtsanwalt in einfach gelagerten Fällen die Feststel-lung des Fristbeginns und die Berechnung einer Frist gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büroangestellten überlassen (BGH, Beschlüsse vom 30. Mai 2000 – 1 StR 103/00, BGHR StPO § 44 Verschulden 7; vom 6. Juli 2004 – 5 StR 204/04, jeweils mwN). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der Rechtsanwalt aber schon das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung nur unterzeichnen und zurückgeben, wenn sicher-gestellt ist, dass in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist (BGH, Beschluss vom 2. Februar 2010 – VI ZB 58/09, NJW 2010, 1080 mwN). Weist er seine Bürokraft im Einzelfall mündlich an, die Rechtsmittelfrist einzutragen, müssen ausreichende organisatorische Vorkehrungen dafür getroffen sein, dass diese Anweisung nicht in Vergessenheit gerät (BGH aaO S. 1080 f.; Beschluss vom 26. Januar 2009 – II ZB 6/08, NJW 2009, 1083).

Diesen Anforderungen genügende Maßnahmen hat die Nebenklägerver-treterin nicht vorgetragen. Insbesondere hat sie weder dargelegt, dass sie ihre Angestellte ausdrücklich angewiesen hat, die Revisionsbegründungsfrist einzu-tragen, noch waren unter Zugrundelegung ihres Vortrags in der Kanzlei Vorkeh-rungen, z.B. durch eine allgemeine Weisung, Aufträge zur Eintragung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen sofort und vorrangig zu erle-digen, dagegen getroffen, dass die Ausführung einer entsprechenden mündlich erteilten Weisung unterblieb (BGH aaO mwN). Auch zu einer Überwachung der Fristennotierung durch ihre Angestellte fehlt jeglicher Vortrag.

Tja, das war es dann :-(.

Verteidiger aufgepasst – Verteidigerverschulden wird manchmal doch zugerechnet

© Thomas Becker – Fotolia.com

An sich kann sich der Rechtsanwalt, der als Verteidiger tätig ist, insoweit ganz entspannt zurücklehnen, als sein Verschulden im Straf-/Bußgeldverfahren – anders als im Zivilrecht – dem Mandanten i.d.R. nicht zugerechnet wird. Allerdings gibt es – wie immer – auch davon Ausnahmen. Eine dieser Ausnahmen wird vom BGH bei der Anhörungsrüge angenommen (§ 356a StPO). Das begründet der BGH mit deren Nähe zur Verfassungsbeschwerde. Dazu gerade noch einmal kurz der BGH, Beschl. v. 20.06.2012 –  5 StR 134/12, der auf die grundlegende Entscheidung des BGH verweist.

Die Anhörungsrüge ist nicht innerhalb der Frist des § 356a Satz 2 StPO angebracht worden. Wiedereinsetzungsgründe liegen nicht vor. Insbesondere wäre ein etwaiges Verschulden des Verteidigers an der Nichteinhaltung der Frist, weil dieser nicht auf die Möglichkeit der Erhebung einer Anhörungsrüge hingewiesen habe, dem Verurteilten zuzurechnen. Bei fehlerhafter Erhebung der Gehörsrüge muss sich ein Verurteilter Verteidigerverschulden zurechnen lassen, weil es sich in erster Linie um die Vorstufe der Verfassungsbeschwerde handelt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. August 2008 – 1 StR 162/08, wistra 2009, 33, vom 17. Juli 2009 – 5 StR 353/08 –, vom 24. Juni 2009 – 1 StR 556/07 – und vom 20. Mai 2011 – 1 StR 381/10, wistra 2011, 315). Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass die Anhörungsrüge auch in der Sache offensichtlich erfolglos wäre.

Sich-Verbergen in der Bewährungszeit – Verschulden bei der Wiedereinsetzung

Dem bulgarischen Verurteilten wird im Bewährungsbeschluss aufgegeben, unverzüglich festen Wohnsitz zu nehmen und seine Anschrift der Kammer innerhalb von drei Tagen mitzuteilen. Dem kommt er nicht nach, sein Verteidiger teilt, als dem Verurteilten Schriftstücke nicht zugestellt werden können, mit, dass auch ihm eine ladungsfähige Anschrift nicht bekannt ist. Das LG widerruft dann die Bewährung und stellt öffentlich zu. Der Verurteilte wird festgenommen und legt (verspätet) Beschwerde ein.

Der OLG Köln, Beschl. v. 30.01.2012 – 2 Ws 76/12 – erörtert u.a. die Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (von Amts wegen) und verneint sie.

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig gestellt worden ist, da jedenfalls die sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss innerhalb der Wochenfrist zur Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die frühestens mit der Verkündung des Sicherungshaftbefehls am 26.12.2011 zu laufen begonnen hatte, beim Landgericht eingegangen ist, so dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch von Amts wegen gem. § 45 Abs. 2 S. 3 StPO gewährt werden könnte. Hierfür liegt indes die Voraussetzung fehlenden Verschuldens des Verurteilten an der Fristversäumung gem. § 44 StPO nicht vor. Wer sich in der Bewährungszeit verborgen hält, insbesondere auch entgegen einer richterlich erteilten Weisung seinen Aufenthaltsort nicht angibt, kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beanspruchen (BGHSt 26, 127; SenE vom 7.10.2009 – 2 Ws 479/09 – ; Meyer-Goßner, § 44 Rdn. 14 m.w.N.). ……

Wird man n.E. wegen des Auflagen-/Weisungsverstoßes sicherlich mittragen können. Gefragt habe ich mich nur: Musste der Verteidiger eigentlich mitteilen, dass er die ladungsfähige Anschrift auch nicht kennt?