Schlagwort-Archive: Verfahrensrüge

Revision II: „zu keiner Zeit darauf hingewiesen…“, oder: Doppeltes Eigentor

entnommen wikimedia.org
Urheber Josue007

Die zweite Revisionsentscheidung kommt mit dem BGH, Beschl. v. 29.01.2019 – 1 StR 509/18 – vom BGH. Der Angeklagte hatte gerügt, „er sei „zu keiner Zeit darauf hingewiesen“ worden, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c StGB) in Betracht komme“.Der BGh sagt/fragt: Und was ist mit der Zeit vor der Hauptverhandlung:

„Soweit der Beschwerdeführer mit der Verfahrensrüge beanstandet hat, der Angeklagte sei „zu keiner Zeit darauf hingewiesen“ worden, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c StGB) in Betracht komme, „wie sich aus dem diesbezüglichen Schweigen des Hauptverhandlungsprotokolls“ ergebe, ist diese Rüge nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Das Revisionsvorbringen ist dahingehend auszulegen, dass der Beschwerdeführer sich dagegen wendet, dass dem Angeklagten während der Hauptverhandlung kein förmlicher Hinweis auf eine in Betracht kommende Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen erteilt worden ist. Diese Auslegung wird durch die Stellungnahme des Beschwerdeführers zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts bestätigt, in der er ausführt, der Angeklagte sei „während der Hauptverhandlung zu keiner Zeit auf die Einziehung des Wertes von Taterträgen“ hingewiesen worden.

Die Rüge ist unzulässig, weil sich die Revisionsbegründung nicht dazu äußert, dass auch vor der Hauptverhandlung kein entsprechender Hinweis erteilt worden ist (vgl. auch BeckOK, StPO/Eschelbach, 31. Ed., Stand: 15. Oktober 2018, § 265 Rn. 78; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 265 Rn. 47).

Das nennt man dann wohl. Doppeltes Eigentor 🙂 .

Verfahrensrüge, oder: Vorsicht/Achtung vor der bloßen Protokollrüge!!

© frogarts -Fotolia.com

Und zur „Montagsmittagszeit“ kommt hier der OLG Bamberg, Beschl. v. 25.10.2018 – 3 Ss OWi 1368/18, der noch einmal einen wichtigen Punkt betreffend Begründung der Rechtsbeschwerde/Revision im Hinblick auf die Verfahrensrüge ins Gedächtnis ruft und zu dem der Ausruf passt: Achtung! Vorsicht vor der bloßen Protokollrüge. Die macht die Rechtsbeschwerde/Revision nämlich unzulässig.

Gegenstand der Rechtsbeschwerde war hier eine Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG. An das kommt man – wenn überhaupt nur „ran“, wenn man die Verfahrensrüge erhebt und bei der eben die hohe Hürde des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO beachtet bzw. überspringt. Hier ist es dem Betroffenen bzw. seinem Verteidiger nicht gelungen:

„1. Die gegen das Verwerfungsurteil gerichtete formelle Rüge, mit der eine Verletzung des § 74 III OWiG geltend gemacht wird, ist unzulässig, da sich das Rügevorbringen in der Beanstandung erschöpft, aus dem Hauptverhandlungsprotokoll […] ergebe sich trotz Protokollierungspflicht keine Protokollierung einer Belehrung nach § 74 III OWiG. Damit behauptet die Rechtsbeschwerde nicht bestimmt einen konkreten Verfahrensfehler, was Voraussetzung für eine ordnungsgemäß erhobene Verfahrensrüge i.S.d. §§ 344 II 2 StPO, 79 III 1 OWiG ist (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 61. Aufl. § 344 Rn. 25 m.w.N.). Bloße Fehler des Protokolls wiederum vermögen die Revision nicht zu begründen, weil das Urteil hierauf nicht im Sinne von § 337 I StPO beruhen kann (vgl. BGH, Beschl. v. 11.10.2010 – 1 StR 359/10 [bei juris] = NStZ-RR 2011, 170; Urt. v. 20.04.2006 – 4 StR 604/05 [bei juris] = NStZ-RR 2007, 52, 53).

2. Die zulässig erhobene allgemeine Sachrüge hat ebenfalls keinen Erfolg. Mit ihr kann nur das Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung oder das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses gerügt werden, da das Urteil nach § 74 II OWiG als reines Prozessurteil keine Feststellungen materiell-rechtlicher Art zur Schuld- und Rechtsfolgenfrage enthält (vgl. nur Göhler-Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 74 Rn. 48a f. m.w.N.; OLG Bamberg, Beschl. v. 07.09.2012 – 2 Ss OWi 834/12 [bei juris] = OLGSt OWiG § 74 Nr 22). Verfahrenshindernisse oder fehlende Verfahrensvoraussetzungen sind nicht gegeben und werden auch nicht geltend gemacht. […]“.

Also Vorsicht. Formulierungen wie z.B. „ausweislich des Protokolls…“ sind tötlich für das Rechtsmittel bzw. können es sein. Denn das ist keine bestimmte Behauptung eines Verfahrensfehlers. Wird leider immer wieder falsch gemacht. 

OWi III: Verfahrensrüge „Nichtladung des Verteidigers“, oder: Verteidiger als Hellseher?

entnommen openclipart.org

Und als letzte Entscheidung dann der OLG Hamm, Beschl. v. 23.10.2018 – 4 RBs 313/18. Er stammt aus dem schier unerschöpflichen Reservoir der Entscheidungen zur Anforderung der Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Gerügt hatte der Betroffene mit seiner Verfahrensrüge, dass die Hauptverhandlung beim AG ohne seinen Wahlverteidiger durchgeführt worden war. Ich hatte mich beim „Einsender“ der Entscheidung erkundigt, warum er nicht anwesend war. Grund: Das AG hatte schlicht vergessen, den Kollegen H. Urbanzyk aus Coesfeld zu laden. Der Kollege hatte dann mit der Verfahrensrüge geltend gemacht, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vorliege und auch darauf hingewiesen, dass ggf. Beweisanträge gestellt worden wären. Als Antwort hat er vom OLG darauf erhalten:

„Soweit der Betroffene hinsichtlich der Durchführung der Hauptverhandlung ohne den Wahlverteidiger die Verfahrensrüge erhebt, genügt diese bereits nicht den Begründungsanforderungen der §§ 344 Abs. 2 StPO, 79 Abs. 3 OWiG, weil nicht vorgetragen wird, welche Beweisanträge der Wahlverteidiger im Falle seiner Anwesenheit in der Hauptverhandlung gestellt hätte. Allein die Behauptung, dass das Urteil auf dem gerügten Fehler bestehe, da ein anderer Verfahrensgang unter Beisein des Wahlverteidigers als möglich angenommen werden könne, genügt nicht.“

Sorry „liebes“ (?) OLG: Wie soll das den bitte gehen?. Mal wieder der Verteidiger als Hellseher, der – ohne an der Hauptverhandlung teilgenommen zu haben – darlegen soll, welche Beweisanträge er, wenn er teilgenommen hätte, gestellt hätte. Wie soll der Verteidiger das denn wissen, was sich ggf. aus dem Verlauf der Hauptverhandlung ergeben hätte, wenn er zugegen gewesen wäre und Zeugen ggf. hätte befragen können?

Mir wäre es lieber gewesen, wenn sich das OLG mal mit der Frage auseinander gesetzt hätte, ob hier nicht in der Tat ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vorgelegen hat. Es geht um einen Verstoß gegen § 19 StVO – Überquerens einer Bahnübergangs unter Verstoß gegen die Wartepflicht. Der Bußgeldbescheid hatte eine Geldbuße von immerhin 240,00 € festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Das AG vergisst (!!!) dann den Wahlverteidiger zu laden und „verhandelt durch“. Der Kollege nennt es: „überrumpelt den Mandanten“, der auf seinen Wahlverteidiger verzichtet. Und das soll dann kein Verstoß gegen den Grudnsatz des fairen Verfahrens sein? Aber die Frage muss man ja nicht beantworten, wenn man die Zulässigkeitsrügen für die Verfahrensrüge (zu) hoch legt.

OWi I: Verfahrensrüge gegen Verwerfungsurteil, oder: Vortragen, vortragen, vortragen….

© MASP – Fotolia.com

Heute ist in Teilen der Republik wiederFeiertag, in den anderen Teilen wird aber gearbeitet. Daher gibt es auch heute drei Entscheidungen. Die kommen aus dem OWi-Bereich.

Ich starte mit dem KG, Beschl. v.21.06.2018 – 3 Ws (B) 170/18. Thematik: Anforderungen an eine ausreichende Begründung der Verfahrensrüge bei übergangenem Entbindungsantrag.

Nach Einspruch gegen den Bußgeldbescheid war der Betreoffene zu dem auf seinen Einspruch anberaumten Hauptverhandlungstermin nicht erschienen. Das Amtsgericht hat den Einspruch durch nach § 74 Abs. 2 OWiG erlassenes Urteil verworfen. Dagegen die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die nicht ausreichend begründet war:

1. Die Verfahrensrüge, das Verwerfungsurteil verstoße gegen § 74 Abs. 2 OWiG oder verletze das rechtliche Gehör, ist nicht den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechend ausgeführt.

Der Betroffene rügt, das Amtsgericht habe einen im Vorfeld der Hauptverhandlung gestellten Entbindungsantrag übergangen und ihn daher zu Unrecht als säumig behandelt. Bei dieser Sachlage muss die Rechtsbeschwerde nicht nur mitteilen, dass ein Gerichtsbeschluss unterblieben ist. Insbesondere ist der gestellte Entbindungsantrag in seinem vollständigen Wortlaut oder jedenfalls seinem wesentlichen Inhalt nach darzulegen. Ist der Entbindungsantrag durch einen Verteidiger gestellt worden, ist weiterhin dessen über die Verteidigervollmacht hinausgehende besondere Vertretungsvollmacht (vgl. Senat VRS 120, 200; BayObLG NZV 2001, 221; OLG Köln NZV 2002, 241, 466; OLG Brandenburg VRS 116, 276; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 73 Rn. 4) darzutun. 

Dies ist hier nicht in revisionsrechtlich zulässiger Weise geschehen. Dabei kann dahinstehen, ob der in der Rechtsbeschwerdeschrift kursorisch mitgeteilte Inhalt des Entbindungsantrags den Darstellungsanforderungen der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt. Offen bleiben kann auch, ob der in dem Entbindungsantrag bezeichnete Hinweis auf §§ 233, 234 StPO im Grundsatz ausreichen könnte, die Vertretungsvollmacht darzulegen, wenn er Bestandteil der Verfahrensrüge geworden wäre. Denn jedenfalls enthält die Verfahrensrüge selbst keinen Hinweis auf die über die Verteidigervollmacht hinausgehende Vertretungsvollmacht, und die Verweisung auf eine Anlage („Beweis: Entbindungsantrag vom 20.04.2018“) kann diese Darlegung nicht ersetzen. Denn es ist anerkannt, dass Verfahrensrügen ohne Bezugnahmen und Verweisungen begründet werden müssen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 61. Aufl., § 344 Rn. 21; 345 Rn. 14). Unzulässig ist demnach nicht nur die Bezugnahme auf Akten, das Sitzungsprotokoll und andere Schriftstücke, sondern namentlich auch auf Anlagen zur Rechtsbeschwerdeschrift (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO mwN). Damit fehlt es der Verfahrensrüge zumindest an der Darlegung der besonderen Vertretungsvollmacht. Die Rüge ist unzulässig.“

Also: Vortragen, vortragen, vortragen….

Einsicht in Rohmessdaten, oder: Welcher Mitarbeiter hat die Einsichtsanfrage abschlägig beschieden?

© Alex White – Fotolia.com

Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den KG, Beschl. v. 06.08.2018 – 3 Ws (B) 168/18. Beantragt war im Bußgeldverfahren die Einsicht in die Rohmessdaten nach einer Messung mit einem standardisierten Messverfahren. Die wird nicht gewährt. Das wird dann in der Rechtsbeschwerde gerügt.

Das KG sieht die (Verfahrens)Rüge des Verteidigers als unzulässig an:

„2. Soweit der Rechtsbeschwerdebegründung die Rüge der Beschränkung der Verteidigung in einem wesentlichen Punkt (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 338 Nr. 8 StPO) zu entnehmen ist, versäumt sie es, substantiiert vorzutragen, welche Tatsachen sich aus welchen (genau zu bezeichnenden Stellen der beizuziehenden bzw. anzufordernden) Unterlagen ergeben hätten und welche Konsequenzen für die Verteidigung daraus folgten. Sollte dem Verteidiger, was hier nicht nur naheliegt, sondern auch vorgetragen wird, eine solche konkrete Bezeichnung vorenthaltenen Materials (hier: die sog. Lebensakte und die – über die aktenkundigen Rohmessdaten zur in Rede stehenden Messung hinausgehenden – digitalen Falldaten der gesamten Messserie) nicht möglich sein, weil ihm dieses noch immer nicht vorliegt, so muss er sich bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge weiter um die Einsicht bemüht haben und die entsprechenden Anstrengungen gegenüber dem Rechtsbeschwerdegericht auch dartun (vgl. BGH NStZ 2010, 530; Senat DAR 2017, 593 und 2013, 211; OLG Bamberg DAR 2016, 337; OLG Celle NZV 2013, 307; OLG Hamm NStZ-RR 2013, 53).

An entsprechendem Vortrag fehlt es hier. Die Verfahrensrüge ist daher bereits unzulässig.

Zwar trägt der Verteidiger vor, telefonisch bei der Bußgeldstelle angefragt zu haben, ob sie ihm die Lebensakte zum Zwecke der Rechtsbeschwerdebegründung übersenden würde, was die Behörde abgelehnt habe. Jedoch genügt dieser Vortrag nicht den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG. Darzulegen wäre gewesen, wann diese Anfrage erfolgt war und insbesondere, welcher Mitarbeiter der Bußgeldstelle sie abschlägig beschied. Dieses Darlegungserfordernis stellt – anders als der Verteidiger meint – keine Überspannung der Anforderungen an das notwendige Vorbringen dar. Abgesehen davon, dass sich bereits aus den genannten Vorschriften ergibt, dass die den gerügten Mangel begründenden Tatsachen vollständig, klar und umfassend vorzutragen sind, ist es dem Senat hier in Ermangelung entsprechenden Vortrags nicht möglich, eine dienstliche Stellungnahme des betreffenden Mitarbeiters der Bußgeldstelle einzuholen.“

Also: Die Hürden für die Begründung der Rüge mal wieder noch höher gelegt. Jetzt muss auch noch der Name des Beamten angegeben werden, der die Anfrage abschlägig beschieden hat, um es dem Senat zu ermöglichen „eine dienstliche Stellungnahme des betreffenden Mitarbeiters der Bußgeldstelle einzuholen.“ Warum eigentlich eine dienstliche Stellungnahme? Glaubt man dem Verteidiger den entsprechenden Vortrag nicht? Und warum misstraut man ihm? Und was ist, wenn der „betreffende Mitarbeiter der Bußgeldstelle“ sich nicht mehr erinnert und er keinen Vermerk pp. gemacht hat? Hat der Verteidiger dann gelogen?

Die Frage, ob Einsicht in „die digitalen Falldaten der gesamten Messserie“ zu gewähren gewesen wäre, hat das KG dann offen gelassen. Die dazu gegebene Begründung ist nicht neu, kann man sich hier also sparen. Zum VerfG Saarland übrigens kein Wort. Man hätte sich ja gefreut, wenn man erfahren hätte, was das KG dazu denkt.