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30 Monate Verfahrensdauer sind zu viel, aber:

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Der BVerfG, Beschl. v. 13.08.2012 – 1 BvR 1098/11 – ist auch schon Gegenstand der Berichterstattung in anderen Blogs gewesen (vgl. hier). Im Verfahren hat das BVerfG das SG Bremen gerügt, weil es ein Verfahrenüber einen Zeitraum von mehr als 30 Monate nicht bearbeitet hat.

Vor diesem Hintergrund ist die Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht nicht mehr angemessen gewesen. Insbesondere ist es bei einer isolierten Betrachtung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbar, dass das Sozialgericht das Verfahren über einen Zeitraum von 30 Monaten nicht mehr bearbeitet hat, obwohl es den Beteiligten im Februar 2004 mitgeteilt hatte, dass es die Ermittlungen für abgeschlossen halte. Zwar lässt sich der Verfassung keine konkrete Vorgabe dafür entnehmen, innerhalb welchen Zeitraums nach Abschluss der gerichtlichen Ermittlungen es zu einer mündlichen Verhandlung kommen muss. Aber jedenfalls ein Abwarten von 30 Monaten genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.Ich will aber auf ihn noch einmal zurückkommen.“

Ok, das ist sicherlich zu lang. Aber darum geht es mir gar nicht, sondern es geht um die Begründung der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde durch das BVerfG.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Beschwerdeführerin hat angesichts des Umstandes, dass das fachgerichtliche Verfahren inzwischen abgeschlossen ist, kein Rechtsschutzbedürfnis mehr für das Ziel, eine überlange Verfahrensdauer durch das Bundesverfassungsgericht feststellen zu lassen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 – 1 BvR 331/10 –, juris, Rn. 16). Ein solches Rechtsschutzbedürfnis kann insbesondere nicht durch die von der Beschwerdeführerin behauptete Gefahr, dass es in zukünftigen, von ihr geführten sozialgerichtlichen Verfahren erneut zu einer überlangen Verfahrensdauer komme, begründet werden. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht unter der früheren Rechtslage ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis wegen Wiederholungsgefahr unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 – 1 BvR 331/10 –, juris, Rn. 17 ff.). Der Annahme einer Wiederholungsgefahr, die ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis für das Verfassungsbeschwerdeverfahren begründen könnte, steht jedoch mittlerweile das am 3. Dezember 2011 in Kraft getretene Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) entgegen. Aufgrund dieses Gesetzes stehen auch im sozialgerichtlichen Verfahren fachgerichtliche Rechtsbehelfe gegen überlange Gerichtsverfahren zur Verfügung (§ 202 Satz 2 SGG in Verbindung mit §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz), die den Fortbestand einer für das Verfassungsbeschwerdeverfahren relevanten Wiederholungsgefahr ausschließen.

Das bedeutet, was m.E. aber auch auf der Hand liegt: Die überlange Verfahrensdauer ist mit dem (neuen) Rechtsbehelf der Verfahrensrüge (§§ 198, 199 GVG; vgl. dazu hier) im fachgerichtlichen Verfahren geltend zu machen. Geschieht das da nicht, ist es zu spät und kann dann später nicht mir der Verfassungsbeschwerde nachgeholt werden.

Wiedereinsetzung – nicht nach bereits erfolgter Begründung

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An einer Stelle im Revisionsrecht ist es immer nicht einfach, einen Rat zu geben: Nämlich bei der Frage: Soll man die Revision- was viele Verteidiger tun – sofort bei Einlegung mit der (allgemeinen) Sachrüge begründen? Ich neige dazu, die Frage zu bejahen, weil damit die Revision ausreichend i.S. der §§ 344, 345 StPO begründet ist und man die Begründung dann nicht mehr vergessen/übersehen kann. Allerdings eins darf man nicht übersehen und muss es beachten: Wenn man so vorgeht, gibt es i.d.R. keine Wiedereinsetzung mehr, um ggf. noch Verfahrensrügen nachzuholen bzw. das wird ganz schwer. An der Stelle muss man also abwägen und überlegen, was man will. Das ergibt sich auch aus dem BGH, Beschl. v. 23.08.2012 – 1 StR 346/12:

 1. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist bereits deshalb unzulässig, weil die Revision des Angeklagten infolge der rechtzeitig erhobenen Sachrüge frist- und formgerecht begründet worden ist (vgl. BGHSt 1, 44; BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 3, 7; BGH, Beschluss vom 15. März 2001 – 3 StR 57/01). In solchen Fällen kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung von Verfahrensrügen nur ausnahmsweise bei besonderen Verfahrens-lagen in Betracht, in denen dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8; Beschluss vom 25. September 2007 – 1 StR 432/07). Eine solche Ausnahmesituation liegt nicht vor. Insbesondere genügt es hierfür nicht, dass sich für den Angeklagten nunmehr ein bislang am Verfahren nicht beteiligter Rechtsanwalt als Verteidiger gemeldet hat. Denn bei der Revision des Angeklagten handelt es sich unabhängig von der Anzahl der Verteidiger um ein einheitliches Rechtsmittel mit einer einheitlichen Begründungsfrist (§ 37 Abs. 2 StPO; vgl. BGHR StPO § 345 Abs. 1 Fristbeginn 4).

Warum kommt die Entscheidung in BGHSt? – nun einen Grund gibt es…

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Der BGH weist bei der Veröffentlichung seiner „Leitsatzentscheidungen“ ja immer darauf hin, wo diese veröffentlicht werden (sollen). Dazu gehört immer auch  der Hinweis, ob sie in die amtliche Sammlung BGHSt aufgenommen werden. Daraus kann man dann sofort die Bedeutung der Entscheidung ablesen – falls diese aufgrund der Leitsätze nicht offen liegt.

Nicht immer erschließt sich aber, warum bestimmte Entscheidungen in die amtliche Sammlung BGHSt aufgenommen werden sollen. So ist es mir bei  dem BGH, Beschl. v. 13.06.2012 – 2 StR 112/12 -, der zudem auch noch verhältnismäßig spät auf der Homepage des BGH eingestellt worden ist, ergangen. Die Leitsätze zeigen nichts wesentlich Neues auf:

1. Die Zulässigkeit der Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen § 252 StPO setzt nicht den Vortrag voraus, der zeugnisverweigerungsberechtigte Zeuge habe nicht nach qualifizierter Belehrung auf das Verwertungsverbot verzichtet.

2. Die qualifizierte Belehrung über Möglichkeit und Rechtsfolgen eines Verzichts auf das Verwertungsverbot gemäß § 252 StPO sowie die daraufhin ab-gegebene Verzichtserklärung eines zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen sind als wesentliche Förmlichkeiten des Verfahrens in das Hauptverhandlungs-protokoll aufzunehmen (§ 273 Abs. 1 StPO).

3. Ist auf das Verwertungsverbot aus § 252 StPO wirksam verzichtet worden, ist die frühere Aussage des zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen nach allgemeinen Regeln verwertbar; dies schließt eine Verlesung gemäß § 251 Abs. 2 Nr. 3 StPO ein.

Man fragt sich also warum, da die bahnbrechend Neues nicht enthält: Die mit dem Zeugnisverweigerungsrecht und der Verwertung früherer Angaben des Zeugen, der richterlich vernommen worden ist, zusammenhängenden Fragen sind geklärt (vgl. dazu (demnächst) Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 7. Aufl., 2012, Rn. 2088 m.w.N.).

Nun, ein Punkt ist allerdings doch ganz interessant und rechtfertigt vielleicht den Aufstieg in BGHSt: Das ist die Frage der Zulässigkeit der Verfahrensrüge. Insoweit setzt der BGH – allerdings ohne darauf hinzuweisen – konsequent die Rechtsprechung des BVerfG zu den sog. Negativtatsachen um (vgl. BVerfG NJW 2005, 1999) und erliegt nicht der Versuchung, die Anforderungen an die Verfahrensrüge noch weiter nach oben zu schrauben. Das BVerfG (a.a.O.) hat nämlich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Anforderungen nicht überspannt werden dürfen. Das lag für den BGH aber wohl auf der Hand, wenn er nun zur ausreichenden Begründung der Verfahrensrüge auch noch Vortrag dazu verlangt hätte, dass die (vermeintlich) geschädigten Zeuginnen auf das Beweisverwertungsverbot des § 252 StPO nicht wirksam verzichtet hatten. Das wäre dann wohl die Ausnahme von der Ausnahme gewesen.

Au Backe, unzulässige Revision – das muss/darf nicht sein. Blamabel für den Verteidiger.

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Es steht in allen Anleitungsbüchern zur Revision, man erzählt es auf Fortbildungen immer wieder, und doch: Immer wieder gibt es Revisionen, die der BGH als unzulässig verwirft, weil zwar die Verfahrensrüge erhoben worden ist, aber die Sachrüge nicht. Ist dann die Verfahrensrüge unzulässig, ist die Revision insgesamt unzulässig. So (noch einmal) der BGH, Beschl. v. 03.07-2012 –  5 StR 284/12:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt.
Soweit der Angeklagte beanstandet, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft Beweisanträgen der Verteidigung auf Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens und eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht stattgegeben, erhebt er zwei Verfahrensrügen (§ 344 Abs. 2 Satz 1 StPO); diese sind, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 5. Juni 2012 zutreffend ausgeführt hat, unzulässig, weil die Revision weder den vollständigen Inhalt der Beweisanträge noch den der ablehnenden Beschlüsse der Strafkammer mitteilt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Unzulässigkeit der Verfahrensrügen führt, weil die Sachrüge nicht erhoben worden ist, zur Uulässigkeit der Revision insgesamt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. August 2009 – 5 StR 323/09 mwN).

Und dass zu ordnungsgemäßen Rüge der unzulässigen Ablehnung von Beweisanträgen gehört, dass ich deren Inhalt und den Inhalt des gerichtlichen Ablehnungsbeschlusses mitteile, sollte ich als Verteidiger, der Revisionsrecht betreibt, auch wissen. Sonst lasse ich lieber, nehme einen Revisionsspezialisten und vermeide so, dass ich mich blamiere. Es ist Anfängerwissen.

 

Verteidiger aufgepasst: Wiedereinsetzungsantrag rettet keine unzulässige Verfahrensrüge

Ich habe auch während meiner Tätigkeit beim OLG Hamm immer wieder Folgendes erlebt:

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Es wird Revision eingelegt und die wird mit der Verfahrensrüge begründet. Durch die Stellungnahme des GStA erfährt der Verteidiger, dass seine Verfahrensrüge nicht ausreichend i.S. des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO begründet ist. Er stellt einen Antrag  auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Heilung der Mängel von nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Verfahrensrüge.

Aber: Das geht nicht. Dazu jetzt auch noch einmal der BGH, Beschl. v. 10.07.2012 – 1 StR 301/12. Danach dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung nicht der Heilung von Zulässigkeitsmängeln von fristgemäß erhobenen Verfahrensrügen. Es bleibt bei der Unzulässigkeit. Die lässt sich i.d.R. nicht reparieren. Dazu der BGH:

1. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist unzulässig.

a) Das Gesetz räumt die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vori-en Stand nur für den Fall ein, dass eine Frist versäumt worden ist (§ 44 Satz 1 StPO). Eine Fristversäumung liegt hier nicht vor, weil die Revision des Ange-klagten von seinem Verteidiger mit der Sachrüge und mit Verfahrensrügen innerhalb der Frist des § 345 StPO begründet worden ist (st. Rspr.; vgl. BGHSt 1, 44; BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1, 3, 7).

b) Die Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsgesuchs ergibt sich auch nicht daraus, dass geltend gemacht wird, den Angeklagten treffe an den Mängeln kein Verschulden, er sei sich des Formerfordernisses des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht einmal bewusst gewesen.

Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung dient nicht der Heilung von Zulässigkeitsmängeln von fristgemäß erhobenen Verfahrensrügen. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Wiederholung einer zunächst vom Verteidiger nicht formgerecht vorgetragenen und daher unzulässigen Verfahrensrüge widerspräche im Übrigen der Systematik des Revisionsverfahrens. Könnte ein Angeklagter, dem durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts ein formaler Mangel in der Begründung einer Verfahrensrüge aufgezeigt worden ist, diese unter Hinweis auf ein Verschulden seines Verteidigers nachbessern, würde im Ergebnis die Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO außer Kraft gesetzt. Da den Angeklagten selbst an dem Mangel regelmäßig keine Schuld trifft, wäre ihm auf einen entsprechenden Antrag hin stets Wiedereinsetzung zu gewähren (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1; BGH wistra 1992, 28). Dies würde nicht mit dem öffentlichen Interesse in Einklang stehen, einen geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und ohne Verzögerung alsbald eine klare Verfahrenslage zu schaffen (BGHSt 1, 44, 46; BGH, Beschluss vom 27. März 2008 – 3 StR 6/08).

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge kommt daher nur in besonderen Prozesssituationen ausnahmsweise in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (vgl.  BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8; BGH, Beschluss vom 15. März 2001 – 3 StR 57/01; Beschluss vom 25. September 2007 – 1 StR 432/07; BGH, Be-schluss vom 27. März 2008 – 3 StR 6/08; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 44 Rn. 7 ff.). Eine solche Ausnahmesituation liegt im vorliegenden Fall ersichtlich nicht vor.