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Die Gerichtssprache ist deutsch, oder: Unwirksame Ladung?

© fotomek -Fotolia.com

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Auf den ersten Blick überraschend, aber leider entsprechend der h.M. in der Rechtsprechung der OLG, ist der OLG Hamm, Beschl. v. 25.10.2016 – 3 RVs 72/16. Es geht um die Revision gegen ein nach § 329 Abs. 1 StPo ergangenes Verwerfungsurteil. Der Angeklagte ist jesidischer Kurde, der nur über Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfüg. Er erscheint nicht zur Berufungshauptverhandlung und wendet dann gegen das Berufungsurteil ein: Unwirksame Ladung, denn die mit der Ladung erfolgte Belehrung über die Bedeutung und die Folgen des Fernbleibens im Berufungshauptverhandlungstermin sei nicht verständlich gewesen sei. Da die Ladung nebst Belehrung nicht in übersetzter Form an ihn zugestellt worden sei, sei sein Anspruch auf ein rechtsstaatliches faires Verfahren verletzt und habe die Strafkammer das Nichterscheinen des Angeklagten nicht als unentschuldigt ansehen und verwerfen dürfen.

Dazu die Leitsätez des OLG – so weit sie hier interessieren:

  1. Die Ladung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung – einschließlich der Belehrung gem. § 329 StPO – ist in deutscher Sprache abzufassen, weil die Gerichtssprache deutsch ist (§ 184 GVG).
  2. Die Ladung wird nicht dadurch unwirksam, dass sie einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Ausländer ohne Übersetzung zugestellt wird.
  3. Zur ordnungsgemäßen Erhebung der Rüge der Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren bedarf es in einem solchen Fall des Vortrags, dass der Angeklagte auch nicht bereits vor der Ladung bei Verkündung des amtsgerichtlichen Urteils in für ihn verständlicher Weise über die Folgen des Ausbleibens im Berufungstermin belehrt worden war.
  4. Der Protokollvermerk über eine Rechtsmittelbelehrung beweist nicht nur die Belehrung als solche, deren Richtigkeit und Vollständigkeit, sondern bei Anwesenheit eines Dolmetschers in der Hauptverhandlung auch deren korrekte Übersetzung.

Überraschend, weil man meint: Wenn die Ladung nicht ordnungsgemäß war, dann ist die Ladung doch auch unwirksam. Mitnichten, denn:

„Da die Gerichtssprache deutsch ist (§ 184 GVG) war die Ladung des Angeklagten – einschließlich der Belehrung gem. § 329 StPO – in deutscher Sprache abzufassen (vgl. BGH NJW 1984, 2050; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., GVG, § 184 Rdnr. 3). Die Ladung wird nicht dadurch unwirksam, dass sie einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Ausländer ohne Übersetzung zugestellt wird (vgl. BayObLG NStZ 1996, 248; OLG Köln NStZ-RR 2015, 317).“

Eine nähere Begründung für diese Auffassung bringt das OLG nicht, sondern es verweist einfach auf die Rechtspechung anderer OLG. Da muss man dann den OLG Köln, Beschluss lesen, um zu erfahren, dass diese Fragen über die Wiedereinsetzung gelöst werden sollen – oder auch nicht.

Im Übrigen: Das OLG legt die Hürden für die Revision mal wieder sehr hoch (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), wenn es vom Angeklagten verlangt, dass vorgetragen werden muss, „dass der Angeklagte auch nicht bereits vor der Ladung bei Verkündung des amtsgerichtlichen Urteils in für ihn verständlicher Weise über die Folgen des Ausbleibens im Berufungstermin belehrt worden war.“ Also Vortrag einer Nichttatsache.  Ein schwieriges Feld.

Verfahrensrüge II, oder: „Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts….

© Dan Race Fotolia .com

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In Verfahrensrüge I, oder: Bitte nicht selbst ein Bein stellen….  ging es um eine Verfahrensrüge, in der „nichts gepasst hat“. Der nachstehend vorgestellte BGH, Beschl. v. 27.09.2106 – 4 StR 263/16 – zeigt dann mal wieder, wie streng der BGH doch ist. Hier hatte der Verteidiger im Grunde alles vorgetragen, nur eben nicht an der richtigen Stelle:

„Die dritte Verfahrensrüge des Angeklagten A. Y. – Verstoß gegen § 67 Abs. 1 und 2 JGG – ist bezüglich der Verwertung der Vernehmung durch den Haftrichter nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Revision trägt zu dieser Rüge lediglich den in der Hauptverhandlung vom 27. April 2015 erhobenen Widerspruch gegen die Verwertung der Inhalte der polizeilichen Beschuldigtenver-nehmung durch die Zeugen T. und W. sowie die im Hauptverhandlungstermin vom 5. Oktober 2015 vorgetragene ergänzende Begründung aus dem Schriftsatz vom 1. Oktober 2015 vor. Der in der Hauptverhandlung vom 27. April 2015 erhobene Widerspruch stützte sich zudem lediglich auf die unterlassene Hinzuziehung eines Rechtsanwalts und eine fehlende erneute Belehrung über das Recht auf Verteidiger-konsultation vor der Vernehmung zur Sache, nicht aber auf eine Verletzung des § 67 Abs. 1 und 2 JGG (zur Rügepräklusion vgl. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2014 – 5 StR 176/14, BGHSt 60, 38, 43 f.). Der Schriftsatz vom 1. Oktober 2015 gibt, abgesehen davon, dass die Ausführungen auch verspätet wären, im Hinblick auf § 67 JGG lediglich die Angaben des Zeugen W. zur fehlenden „Konsultation“ des Er- ziehungsberechtigten wieder. Den in der Hauptverhandlung vom 19. Mai 2015 erhobenen Widerspruch – Schriftsatz vom 4. Mai 2015 -, der sich auch auf die Verletzung von § 67 JGG durch den Haftrichter stützt, teilt die Revision bei dieser Rüge nicht mit, sondern nur zur zweiten Verfahrensrüge. Dies reicht zur Begründung nicht aus…“

Und dann gibt es eben den Satz:

„Es kann nicht Aufgabe des Revisionsgerichts sein, den Revisionsvortrag aus anderen Unterlagen jeweils an passender Stelle zu ergänzen und dabei auch noch den Sachzusammenhang selbst herzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2005 – 5 StR 532/04, NStZ 2005, 463 mwN).“

Na ja….

Verfahrensrüge I, oder: Bitte nicht selbst ein Bein stellen….

entnommen wikimedia.org Urheber Harald Bischoff

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Urheber Harald Bischoff

Jeder Revisionsrechtler weiß, Verfahrensrügen haben häufig keinen Erfolg. Das wird allseits beklagt und darauf hingewiesen, dass die Revisionsgerichte die Hürden für die Zulässigkeit der Rügen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) zu hoch legen. Aber: Man muss natürlich als Verteidiger auch etwas dazu tun, damit man die Hürde zumindest im Zulässigkeitsbereich überspringt, man darf sich also nicht selbst ein Bein stellen. Und daran hat es an der vom BGH im BGH, Beschl. v. 10.10.2016 – 4 StR 100/16 – behandelten Revision gefehlt. Gepasst hat da fast gar nichts:

Ergänzend zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts ist hinsichtlich der Verfahrensrügen anzumerken:

„Die im Zusammenhang mit der Beschaffenheit des Hochbettes erhobenen Verfahrensrügen sind nicht ordnungsgemäß ausgeführt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil die in den Beweisanträgen jeweils in Bezug genommene und als Anlage beigefügte Abbildung von der Revision nicht vorgelegt wird. Des Weiteren teilt die Revisionsbegründung den Inhalt des Beweisantrags vom 2. Juli 2015, auf den in dem Beweisantrag auf Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens verwiesen worden ist, nicht mit. Der zu dem Beweisantrag vom 2. Juli 2015 ergangene Beschluss der Strafkammer vom 10. Juli 2015 ist in der am letzten Tag der Revisionsbegründungsfrist per Telefax übermittelten Fassung der Revisionsbegründung wegen der vom Absender vorgenommenen Verkleinerung von zehn Seiten auf eine Telefaxseite nicht lesbar. Eine Verfahrensrüge bezüglich des sich auf den Zeitpunkt des Umzugs beziehenden Beweisantrags auf Vernehmung der Zeugin F. ist der Revisi onsbegründung nicht zu entnehmen.

Die einen Belehrungsmangel im Zusammenhang mit der Untersuchung des Nebenklägers im Rahmen der aussagepsychologischen Begutachtung geltend machende Verfahrensbeanstandung dringt nicht durch. Soweit die unterbliebene Einholung des Einverständnisses des gesetzlichen Vertreters beanstandet wird, ist die Rüge mangels Vorbringens zur Verstandesreife des Nebenklägers bereits unzulässig. Soweit geltend gemacht wird, dass die für die Verwertbarkeit des Gutachtens erforderliche Belehrung des Nebenklägers über sein Recht, die Mitwirkung an der Begutachtung verweigern zu können, nicht durch die hierfür zuständige Staatsanwaltschaft erfolgt ist, ist die Verfahrensbeschwerde unbegründet. ……………..“

Wie gesagt: Man muss sich nicht selbst ein Bein stellen…

Revisionsrecht ist schwer, aber so schwer nun auch wieder nicht

 © hati - Fotolia.com

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Auf den BGH, Beschl. v. 16.08.2016 – 5 StR 182/16 – hatte ich am vergangenen Freitag ja wegen der darin behandelten materiellen Frage schon hingewiesen (vgl. Ungleichartige Wahlfeststellung – es gibt sie doch noch/wieder …). Ich greife den Beschluss noch einmal wegen der vom BGh auch angesprochenen formellen Frage auf. Es geht – mal wieder – um die Begründung einer Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), die – mal wieder – nicht ausreichend war. Gerügt worden ist, dass das LG die nochmalige Vernehmung eines Polizeibeamten abgelehnt hatte. Dazu der BGH:

„1. Die Verfahrensbeanstandung betreffend die Ablehnung der nochmaligen Einvernahme des Zeugen KOK V. ist bereits nicht in zulässiger Weise erhoben worden (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Wird mit der Revision die Ablehnung eines Antrags auf Vernehmung eines bereits angehörten Zeugen geltend gemacht, muss nach ständiger Rechtsprechung mitgeteilt werden, dass und wozu der Zeuge in der Hauptverhandlung bereits ausgesagt hat; denn nur dann kann geprüft werden, ob es sich nicht um einen bloßen Antrag auf Wiederholung einer bereits durchgeführten Beweisaufnahme oder auf Feststellung ihres Inhalts handelte und ob der Antrag als Beweisantrag zu verbescheiden war oder – wie hier geschehen und beanstandet – als Beweisanregung abgelehnt werden durfte (vgl. BGH, Urteile vom 18. Mai 2000 – 4 StR 647/99, BGHSt 46, 73, 80; vom 13. Dezember 2001 – 5 StR 322/01; vom 16. Juni 2005 – 3 StR 338/04; Beschluss vom 1. Juni 2015 – 4 StR 21/15, jeweils mwN). Die Revision teilt zwar mit, dass der Zeuge bereits zuvor vernommen worden war, versäumt es aber, den Inhalt seiner Angaben zu schildern.“

Ich weiß, ich weiß, Revisionsrecht ist schwer, aber so schwer nun auch wieder nicht….

Ich kann es nicht mehr lesen III, oder: Wenn der Verteidiger kein Revisions-Einmal-Eins kann

© Gina Sanders - Fotolia.com

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Aller „guten“ (?) Dinge sind drei. Nach dem OLG Hamm, Beschl. v. 27.07.2016 – 2 RBs 131/16 und Ich kann es nicht mehr lesen I, oder: Schon wieder Entbindungsantrag und u.a. dem BGH, Beschl. v. 02.08.2016 – 2 StR 454/15 und Ich kann es nicht mehr lesen II, oder: Schon wieder Nebenklägerrevision dann nun der Verteidiger, der sich vielleicht besser sein Lehrgeld wieder geben lassen sollte. Und zwar wegen mal wieder nicht ausreichend begründeter Verfahrensrügen, bei denen – in meinen Augen – kein Revisionsrecht am Hochreck gefordert war, sondern nur revisionsrechtliches Ein-Mal-Eins. Der BGH, Beschl. v.  23.06.2016 – 5 StR 210/16 – spricht da m.E. für sich:

Ergänzend bemerkt der Senat:

1. Die Angeklagten A. F. und S. machen in Beweisantragsrügen jeweils geltend, dass die Jugendkammer ein aussagepsychologisches Gutachten hinsichtlich der Nebenklägerin hätte einholen müssen. Zur Begründung ihrer Beweisanträge stützen sie sich zentral auf Widersprüche zwischen der Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung und ihren Angaben bei den polizeilichen Vernehmungen. Die Rügen genügen auch deswegen den Voraussetzun-gen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht, weil die diesbezüglichen Vernehmungsniederschriften nicht mitgeteilt werden.

2. Der Angeklagte A. F. hat ferner bei seiner Rüge der Verletzung des absoluten Revisionsgrundes nach § 338 Nr. 5 StPO die Anforderungen an das Rügevorbringen verfehlt. Er trägt zwar vor, die Entlassverhandlung in Bezug auf die Nebenklägerin und Hauptbelastungszeugin habe in seiner Abwesenheit (§ 247 StPO) stattgefunden. Jedoch ergibt sich aus dem Protokoll über die Sit-zung vom 9. März 2015 (Sachakten Bl. 3305), dass nach Unterrichtung des Angeklagten über den wesentlichen Inhalt der Vernehmung der Zeugin und unmittelbar vor deren Entlassung in seiner Anwesenheit zweimal „die weitere Verfahrensweise besprochen“ worden ist. Die Revision hätte sich dazu verhalten müssen, ob – was naheliegt – in diesem Rahmen die Frage der Entlassung und ein Verzicht des Angeklagten auf weitere Fragen an die Zeugin erörtert worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 1998 – 3 StR 643/97, BGHR StPO § 247 Abwesenheit 18 mwN).

3. Die Inbegriffsrügen des Angeklagten S. hinsichtlich der „Chats“ zwischen ihm und dem Angeklagten A. sowie Fotos auf dem Mobiltelefon des Zeugen M. versagen schon deswegen, weil der Angeklagte weder die gesamte Verschriftung des „Chatverlaufs“ noch die fraglichen Fotos vorgelegt hat. Oh-ne deren Kenntnis vermag der Senat die Begründetheit des Vorbringens nicht zu prüfen.

4. Die durch den Angeklagten H. F. erhobene Beweisantragsrüge betreffend ein ärztliches Attest kann nicht durchdringen. In seinem Antrag hat der Angeklagte durch Zeugnis der behandelnden Ärztin unter Beweis gestellt, dass der Zeuge H. „in der Hauptverhandlung vom 9. April 2015 gelogen hat, als er bekundete, seine Ärztin hätte ihm für sein Nichterscheinen in der hiesigen Hauptverhandlung am 26. März 2015 ein Gefälligkeitsattest ausgestellt“. Damit ist keine bestimmte Tatsache unter Beweis gestellt, die der eigenen Wahrnehmung der benannten Zeugin unterliegt, sondern lediglich ein Beweisziel benannt; zudem weist der Begriff des „Gefälligkeitsgutachtens“ wertenden Charakter auf (dazu etwa KK-StPO/Krehl, 7. Aufl., § 244 Rn. 74 f. mwN). Durch die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) war die Jugendkammer nicht gehalten, der durch den Angeklagten aufgeworfenen, in der Sache peripheren Frage näher nachzugehen.

Also: Lieber lassen, wenn man es nicht kann.

In dem Beschluss bekommt dann aber auch die Staatsanwaltschaft einen mit/ihr Fett ab:

„Im Hinblick auf die Vielzahl der Verfahrensrügen hätte eine Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft die Prüfung durch das Revisionsgericht wesentlich erleichtert (Nr. 162 Abs. 2 Satz 1 RiStBV).“