Bild von TheToonCompany auf Pixabay
Heute dann ein Tag mit StPO-Entscheidungen betreffend das Ermittlungsverfahren. Also nichts vom BGH, sondern aus der landgerichtlichen Rechtsprechung.
Ich starte mit dem LG Halle, Urt. v. 14.12.2022 – 16 KLs 540 Js 17049121 (16/21) – ja, schon etwas älter. Aber: Das Urteil behandelt mal eine interessante Konstellation, zu der es – m.E. – recht wenig „positive“ Entscheidungen gibt, nämöich die Frage der Folgen der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation.
Das LG hat zu dem fraglichen „Tatkomplex“ folgende Feststellungen getroffen:
„Der Angeklagte erwarb in der Vergangenheit kleinere Mengen Methamphetamin zwischen 10 bis 15 g, wobei er stets einen Teil der Betäubungsmittel (etwa 6 g) zum gewinnbringenden Weiterverkauf und den restlichen Teil zum Eigenkonsum bestimmte. Durch den gewinnbringenden Weiterkauf an im Einzelnen unbekannt gebliebene Abnehmer wollte er sich eine dauerhafte, zusätzliche Einnahmequelle verschaffen, um insbesondere seinen Eigenkonsum von Betäubungsmitteln zu finanzieren.
In Kenntnis des Umstands, dass er nicht über die zum Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte verfügte, kam es im Mai 2021 zu folgendem Betäubungsmittelgeschäft mit der bei der KPI Jena geführten Vertrauensperson „Maik“, die der Angeklagte für einen Betäubungsmittelabnehmer hielt:
Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im März 2021 fragte pp, ein Bekannter des Angeklagten, bei diesem nach, ob er Methamphetamin besorgen könne. An dem Methamphetamin habe ein Bekannter (des pp.) namens „Maik“ Interesse.
Daraufhin vermittelte pp ein Treffen, an welchem der Angeklagte, „Maik“ und pp. teilnahmen. Das Treffen fand an einem nicht mehr genau feststellbaren Tag im März 2021 in der Lengefelder Straße in Sangerhausen unweit einer Spielothek statt. Bei dem Treffen erklärte „Maik“ dem Angeklagten unvermittelt, dass er mit Drogen Geld verdienen wolle und er deshalb daran interessiert sei, dass der Angeklagte ihm ein Kilogramm Methamphetamin besorge. Daraufhin erwiderte der Angeklagte, dass das „nicht seine Preisklasse bzw. Liga“ sei und er eine so große Menge Methamphetamin nicht besorgen könne. Aufgrund der ablehnenden Reaktion des Angeklagten war das Treffen bereits nach wenigen Minuten beendet und „Maik“, pp. sowie der Angeklagte gingen ohne Vereinbarung auseinander.
Da sich pp. eine Provision für die Vermittlung des Geschäfts zwischen dem Angeklagten und „Maik“ erhofft hatte, fragte er in der Folgezeit wiederholt mit Nachdruck beim Angeklagten wegen des Geschäfts nach, der aber stets ablehnend reagierte. An einem ebenfalls nicht mehr genau feststellbaren Tag im März 2021 suchte pp. den Angeklagten in dessen Gartenlaube auf, insistierte abermals und erklärte aber nunmehr, dass „Maik“ auch mit einer Lieferung von „nur“ 300 g Methamphetamin einverstanden sei. Dieses Mal ließ sich der Angeklagte von pp. überreden und gab diesem zu verstehen, dass er 300 g Methamphetamin für „Maik“ besorgen könne.
Am 19.05.2021 rief „Maik“ um 17:30 Uhr beim Angeklagten an und teilte diesem mit, dass er dessen Telefonnummer kurz zuvor von pp. erhalten habe. Außerdem fragte er den Angeklagten, ob dieser noch am selben Abend die 300 g Methamphetamin besorgen und ihm übergeben könne. Daraufhin kontaktierte der Angeklagte den inzwischen rechtskräftig verurteilten pp. aus Halle, der dem Angeklagten noch am selben Abend gegen 22:00 Uhr 300 g Methamphetamin lieferte. Um 22:14 Uhr rief „Maik“ beim Angeklagten an und vereinbarte mit diesem als Übergabeort den Bahnhof in Sangerhausen. Nachdem der Angeklagte den Parkplatz am Bahnhof in Sangerhausen erreicht hatte, stieg er zwischen 22:15 Uhr und 22:30 Uhr in das dort abgestellte Auto des „Maik“, setzte sich auf den Beifahrersitz und holte aus seiner Unterhose eine bunte Papiertüte, in welcher sich drei Folientüten mit jeweils 99,5 g, 99, 4 g und 99,3 g Methamphetamin mit einer Gesamtmasse von 243 g reiner Methamphetamin-Base befanden. Beim Verwiegen der einzelnen Folientüten durch „Maik“ erfolgte der Zugriff durch die Polizeibeamten.“
Das LG hat das Verfahren insoweit wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt:
„Hinsichtlich der Tat II. 1. der Urteilsgründe sowie der Anklage war das Verfahren gemäß §§ 206a, 260 Abs. 3 StPO einzustellen. Insoweit stand dem Verfahren wegen Verletzung von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK ein — von Amts wegen zu beachtendes — Verfahrenshindernis entgegen, da das Tatgeschehen von einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation geprägt war.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Gebot des fairen Verfahrens gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK durch eine polizeiliche Tatprovokation verletzt, wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person durch einen Amtsträger oder eine von diesem geführte Vertrauensperson in einer dem Staat zurechenbaren Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt. Ein in diesem Sinne tatprovozierendes Verhalten ist anzunehmen, wenn ein Verdeckter Ermittler oder eine polizeiliche Vertrauensperson mit dem Ziel, eine Tatbereitschaft zu wecken oder die Tatplanung zu intensivieren, über das bloße „Mitmachen“ hinaus mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt. Auch bei bereits bestehendem Anfangsverdacht kann die Rechtsstaatswidrigkeit einer Tatprovokation dadurch begründet sein, dass die Einwirkung im Verhältnis zum Anfangsverdacht „unvertretbar übergewichtig“ ist. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung sind insbesondere Grundlage und Ausmaß des gegen den Betroffenen bestehenden Verdachts, aber auch Art, Intensität und Zweck der Einflussnahme sowie die eigenen, nicht fremdgesteuerten Aktivitäten des Betroffenen in den Blick zu nehmen (BGH, Urteil vorn 16.12.2021 —1 StR 197/21 m. w. N. juris).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verletzt eine polizeiliche Provokation Art. 6 Abs. 1 EMRK, wenn sich die Ermittlungsperson nicht auf eine „weitgehend passive“ Strafermittlung beschränkt hat (EGMR, Urteile vom 15.10.2020 —40495/15, 40913/15, 37273/15 — und vom 23.10.2014 — 54648/09 —, jeweils juris). Dabei ist zu prüfen, ob es objektive Anhaltspunkte für den Verdacht gab, dass der Täter an kriminellen Aktivitäten beteiligt oder tatgeneigt war (EGMR, Urteile vom 15.10.2020 — 40495/15, 40913/15, 37273/15 — und vom 23.10.2014 — 54648/09 —, jeweils juris). Für die Frage, ob eine Person tatgeneigt war, sind im Einzelfall u. a. die erwiesene Vertrautheit des Betroffenen mit aktuellen Preisen von Betäubungsmitteln, dessen Fähigkeit, solche kurzfristig zu beschaffen, sowie seine Gewinnbeteiligung bedeutsam (EGMR, Urteile vom 23.10.2014 — 54648/09 — und vom 15.10.2020 —40495/15, 40913/15, 37273/15 —, jeweils juris). Bei der Differenzierung zwischen einer rechtmäßigen Infiltrierung durch eine Ermittlungsperson und der (konventionswidrigen) Provokation einer Straftat ist weiterhin maßgeblich, ob auf den Angeklagten Druck ausgeübt wurde, die Straftat zu begehen. Dabei ist unter anderem darauf abzustellen, ob die Ermittlungsperson von sich aus Kontakt zu dem Täter aufgenommen, ihr Angebot trotz anfänglicher Ablehnung erneuert oder den Täter mit den Marktwert übersteigenden Preisen geködert hat (EGMR, Urteile vom 23.10.2014 — 54648/09 — und vom 15.10.2020 — 40495/15, 40913/15, 37273/15 —, jeweils juris).
Eine Straftat kann auch dann auf einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation beruhen, wenn sich der Täter aufgrund der Einwirkung des Verdeckten Ermittlers auf die ihm angesonnene Intensivierung der Tatplanung einlässt oder hierdurch seine Bereitschaft wecken lässt, eine Tat mit einem erheblich höheren Unrechtsgehalt zu begehen („Aufstiftung“). In einem solchen Fall kommt es darauf an, ob der Täter auf die ihm angesonnene Intensivierung der Tatplanung ohne Weiteres eingeht, beziehungsweise sich geneigt zeigt, die Tat mit dem höheren Unrechtsgehalt zu begehen oder an ihr mitzuwirken, Geht die qualitative Steigerung der Verstrickung des Täters mit einer Einwirkung durch die Ermittlungsperson einher, die von einiger Erheblichkeit ist, so liegt ein Fall der unzulässigen Tatprovokation vor (BGH, Urteil vom 16.12.2021 —1 StR 197/21 m. w. N. juris).
An diesen Maßstäben gemessen überschritt die der KPI Jena zuzurechnende Einflussnahme der Vertrauensperson „Maik“ auf das als Tat 1 angeklagte Geschehen die durch den Grundsatz des fairen Verfahrens und das Rechtsstaatsprinzip gezogenen Grenzen.
Der wegen Betäubungsmitteldelikten polizeibekannte, allerdings nicht wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz vorbestrafte Angeklagte handelte zwar bereits vor dem als Tat 1 angeklagten Verkaufsvorgang mit Methamphetamin, dies aber nur in Mengen, die den Grenzwert der nicht geringen Menge nicht überstiegen. Er war damit zwar bereits auf unterer Ebene des Vertriebsgeschehens in den Betäubungsmittelhandel verstrickt, weshalb insoweit auch ein Anfangsverdacht weiterer Tatneigung bestand, dies aber bis zum Eingreifen der Vertrauensperson „Maik“ nur bezüglich überschaubarer Betäubungsmittelmengen im untersten zweistelligen Grammbereich, wobei ein Teil dieser geringen Mengen auch noch zum Eigenkonsum bestimmt war. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte auch hinsichtlich deutlich oberhalb der geltenden Grenzwerte für nicht geringe Mengen, insbesondere um einen „Quantensprung“ über den bisher gehandelten Mengen liegender und damit qualitativ gänzlich anders einzuordnender Geschäfte tatgeneigt gewesen sein könnte, als die Vertrauensperson „Maik“ ihn erstmals darauf ansprach, ob er auch ein Kilogramm Methamphetamin verkaufen könne, hat die Kammer nicht festzustellen vermocht. Im Gegenteil zeigt die sehr deutliche ablehnende Reaktion des Angeklagten auf die erste Anfrage der Vertrauensperson „Maik“, wonach das Geschäft „nie im Leben“ zustande komme, weil das nicht seine „Preisklasse“ bzw. „Liga“ sei, dass der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt hinsichtlich einer ganz erheblich über dem Grenzwert der nicht geringen Menge liegenden Lieferung von mehreren Hundert Gramm Methamphetamin nicht tatgeneigt war. Der Angeklagte kam nach dem Scheitern des Geschäfts über ein Kilogramm Methamphetamin auch nicht etwa selbst auf das von der Vertrauensperson „Maik“ bekundete Erwerbsinteresse größeren Umfangs zurück und schlug diesem ein Geschäft über eine deutlich geringere, aber immer noch erheblich über der bisher von ihm gehandelte Menge vor. Vielmehr war es die Vertrauensperson „Maik“, die den Angeklagten vermittels des gemeinsamen Bekannten pp. auf die Möglichkeit der Abwicklung eines größeren Betäubungsmittelgeschäfts in der Größenordnung von 300 g Methamphetamin ansprach, woraufhin sich der Angeklagte im Ergebnis erst nach mehrfachem Drängen zur Verschaffung dieser Menge Methamphetamin bereit erklärte.
In der Gesamtschau stellt sich die Einwirkung der Vertrauensperson „Maik“ als „Aufstiftung“ des Angeklagten zur Begehung einer Drogenstraftat, die dieser sonst nicht begangen hätte, und nicht mehr als „weitgehend passive Ermittlungstätigkeit“ im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesgerichtshofs dar.“