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Hilfe, Hilfe: Schreibt nicht so viel – wir müssen es alles lesen

Eine Art Hilferuf – nicht den ersten – entdeckt man in BGH, Beschl. v. 07.09.2011 – 1 StR 343/11, wenn es dort mal wieder zum Umfang der Urteilsgründe heißt:

„Die Abfassung der Urteilsgründe gibt überdies Anlass zu dem Hinweis, dass es sich ab einem gewissen Umfang zwar empfiehlt, die abgeurteilten Taten in einer Art Vorspann zusammenzufassen, dieser aber nicht geeignet ist, die Übersichtlichkeit zu erhöhen, wenn er nur um wenige Seiten kürzer ist, als die nachfolgende Darstellung der zu den einzelnen Taten getroffenen Feststellungen oder mit diesen über ganze Absätze hinweg wortgleich ist. Die schriftlichen Urteilsgründe sollen auch nicht in der Art eines Protokolls die Einlassung des Angeklagten oder eines jeden einzelnen Zeugen referieren, zumal wenn sich diese – wie hier – hinsichtlich ihres entscheidungserheblichen Aussageinhalts unschwer zusammenfassen lassen. Denn die Urteilsgründe sollen dem Leser ermöglichen, die die Entscheidung tragenden Feststellungen ohne aufwändige eigene Bemühungen zu erkennen. Dementsprechend soll die Beweiswürdigung lediglich belegen, warum bedeutsame tatsächliche Umstände so wie geschehen festgestellt wurden. Nur soweit hierfür erforderlich, sind Angaben des Angeklagten, Zeugenaussagen und sonst angefallene Erkenntnisse heranzuziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2010 – 1 StR 423/10 mwN).“

BGH kneift :-)

In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird derzeit zwischen den OLG die Frage diskutiert, ob ein Videofilm eine Abbildung i.S. des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO ist oder nicht. Wenn man die Frage bejaht, dann könnte darauf nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug genommen werden, und zwar über § 71 OWiG auch im Bußgeldverfahren, was für die Täteridentifizierung von Bedeutung wäre. Die Frage haben das OLG Zweibrücken und das OLG Dresden bejaht, das OLG Brandenburg hat sie verneint, das OLG Hamm hat sie offen gelassen, m.E. allerdings mit einer deutlichen Tendenz zum Verneinen. Vor kurzem hatte auch der BGH mit der Frage zu tun, konnte aber die Entscheidung elegant umschiffen. Der BGH, Beschl. v. 14.09.2011 – 5 StR 355/11 – lässt die eigentliche Frage nämlich offen, weil – so der BGH – eine ordnungsgemäße Bezugnahme nicht vorgelegen hat.

Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass es sich bei den gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO in Bezug genommenen, auf CD gespeicherten Videofilmen (zwei CD „Überwachung“ und eine CD „sequenzielle Videowahlgegen-überstellung“) um Abbildungen im Sinne dieser Vorschrift handeln würde (vgl. OLG Dresden, NZV 2009, 520 mwN; aA Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 267 Rn. 9 f.; OLG Brandenburg, DAR 2005, 635, 636), läge hier eine wirksame Inbezugnahme nicht vor.

Hinsichtlich der Videowahlgegenüberstellung wird schon die Fundstelle in der Akte nicht angegeben. Bezüglich des Überwachungsvideos ist der Umfang der – hier auf den gesamten Inhalt der beiden Datenträger bezogenen – Verweisung nicht so ausreichend bestimmt, um daraus den auf dem Überwachungsvideo erkennbaren Täter zu identifizieren. Die gebotene Klarheit des Inhalts der Urteilsgründe wird bei einer solchen Fassung verfehlt (vgl. OLG Brandenburg aaO).

Es kann zudem nicht Aufgabe des Revisionsgerichts sein, anhand der Beschreibungen des Tatverdächtigen im Urteil die Körpermerkmale des auf dem Videofilm in Bezug genommenen Mannes nach wertender Betrachtung selbst an parater Stelle des Films aufzufinden. Hierbei handelte es sich nicht mehr um eine Nachvollziehung des Urteils, sondern um einen Akt der Beweiswürdigung, der dem Revisionsgericht gemäß § 337 Abs. 1 StPO versagt ist.

Indes enthalten bereits die Gründe des angefochtenen Urteils auch ohne die Verweisungen eine aus sich heraus verständliche, allein tragfähige Identifizierung des Angeklagten als Täter, die auf möglichen und nachvollziehbaren Schlussfolgerungen beruht (vgl. BGH, Urteil vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88BGHSt 36, 1, 14).“

Immerhin weiß man jetzt schon mal, wie ggf. eine ordnungsgemäße Bezugnahme in den Fällen beschaffen sein müsste.

Bezugnahme im OWi-Urteil – geht nur ausnahmsweise

Der OLG Jena, Beschl. v. 22.08.2011 – 1 Ss 68/11 – weist (noch einmal) darauf hin, dass bei einer Geschwindigkeitsmessung mit Provida 2000 sich dem tatrichterlichen Urteil entnahmen lassen muss,  in welcher Weise die Videoüberwachungsanlage ProViDa 2000 zum Einsatz gekommen ist. Insoweit aber nichts Neues, weil die Aussage h.M. ist.

Interessant ist in dem Zusammenhang aber ein Hinweis in der Entscheidung des OLG Jena. Die GStA hatte die Auffassung vertreten, dass die nicht ausreichenden tatrichterlichen Feststellungen dadurch geheilt würden, dass das AG in den Urteilsgründen auf ein von ihm eingeholtes Sachverständigengutachten, welches die verwendete Messmethode beschrieb, in Bezug genommen worden ist. Das hat dem OLG aber nicht ausgereicht, was zutreffend ist. Denn Bezugnahmen sind nur im Rahmen des § 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf Abbildungen zulässig. Pauschale Bezugnahmen auf den im Urteil nicht wiedergegebenen Inhalt in der Akte befindlicher Urkunden können dagegen das Fehlen wesentlicher Urteilsangaben nicht kompensieren.

 

 

Bei einer Geschwindigkeitsmessung mit Provida 2000 muss sich dem tatrichterlichen Urteil entnahmen lassen nämlich, in welcher Weise die Videoüberwachungsanlage ProViDa 2000 zum Einsatz gekommen ist.

Pauschale Bezugnahmen auf den im Urteil nicht wiedergegebenen Inhalt in der Akte befindlicher Urkunden können das Fehlen wesentlicher Urteilsangaben nicht kompensieren.

 

 

 

 

In der Kürze liegt die Würze, oder: Vielschreiber…

mögen die Strafsenate des BGH nicht. Das wird immer wieder deutlich, wenn der BGH die Strafkammern mahnt, nicht zu viel zu schreiben, also im Grunde den Spruch: „In der Kürze liegt die Würze“ zu beherzigen.

Sehr deutlich wird dieser Appell an die Kürze in BGH, Beschl. v. 06.07.2011 –  2 StR 75/11, in dem es heißt:

Der Senat sieht Anlass zu folgendem Hinweis:

Die Urteilsgründe umfassen 174 Seiten. Sie betreffen zwei fingierte und drei tatsächliche (gemeinschaftliche) Überfälle der vier Angeklagten auf Spielhallen und einen Supermarkt. Gegen drei der vier Angeklagten ist das Urteil vor der Absetzung der schriftlichen Urteilsgründe rechtskräftig geworden. Der Sachverhalt ist hinsichtlich Planung, Ablauf, Nachtatgeschichte und Aufklärung sehr übersichtlich. Er war in weitem Umfang unbestritten; ein Mittäter war in vollem Umfang geständig, andere waren jedenfalls teilgeständig.

Unter diesen Umständen überschreitet die Breite der Darstellung das Maß an Aufwand, welches vom Tatgericht vernünftigerweise bei der Urteilsabfassung aufzuwenden ist (vgl. Appl in: Festschrift für Rissing-van Saan, 2011, S. 35, 38 ff.). Weder war die Wiedergabe sämtlicher Einzelheiten aller Einlassungen der Beschuldigten veranlasst noch gar die erneute Wiederholung des gesamten Sachverhalts im Rahmen der rechtlichen Würdigung.

Die schriftlichen Urteilsgründe dienen nicht dazu, den Gang der Ermittlungen oder der Hauptverhandlung lückenlos nachzuerzählen. Durch ausufernde Referate darf eine eigenverantwortliche Würdigung der Beweise, insbesondere auch von Sachverständigengutachten, durch das Gericht nicht ersetzt werden. Die Wiedergabe eines Übermaßes an – hier zum Teil vom Tatgericht selbst als unerheblich bezeichneter – Einzelheiten birgt vielmehr sogar die Gefahr, dass Wesentliches übersehen wird, und sie erschwert die Überprüfung des Urteils auf Rechtsfehler durch das Revisionsgericht. Die Gerichte sind gehalten, die knappen Ressourcen an Arbeitskraft rationell einzusetzen. Dem wird das vorliegende Urteil nicht gerecht.“

Noch Fragen? Wohl kaum, denn deutlicher kann man es m.E. nicht sagen, als es der 2. Strafsenat getan hat. Nach einem solchen Aufruf/Hinweis befinden sich die Kammern natürlich in einem Dilemma, denn sie dürfen ja auch nicht so kurz schreiben, dass im Urteil nicht alles enthalten ist. Also: Selektieren, aber richtig.

Fahrverbot – Urteilsgründe – Wie müssen sie beschaffen sein?

Die letzte Station, ggf. eine Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils zu erreichen, das den Betroffenen zu einem Fahrverbot verurteilt, sind häufig fehlerhafte = lückenhafte (§ 267 StPO) Urteilsgründe. Eine besondere, für manchen Verteidiger auch überraschende Rolle, spielt dabei die Frage, wie konkret sich der Amtsrichter mit der Frage der Möglichkeit des Absehens vom Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße auseinandersetzen muss. Eine Problematik, die Anfang der 90iger Jahre eine größere Rolle gespielt hat und dann ein wenig in Vergessenheit geraten ist.

Nun hat sie das OLG Hamm, Beschl. v. 01.07.2011 – III 1 RBs 99/11 wieder hervorgeholt. Das OLG weist – wie auch schon die Rechtsprechung in der Vergangenheit – darauf hin, dass der Tatrichter bei der Anordnung eines Regelfahrverbots die Möglichkeit, vom Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße absehen zu können, nicht ausdrücklich ansprechen muss, wenn es sich bei der Tat um einen besonders schweren Verstoß handelt. Insoweit nichts Neues, aber man muss in geeigneten Fällen an diese Nuance denken und prüfen, ob das Urteil ggf. Ausführungen dazu enthalten muss. Nach Auffassung des OLG bemisst sich die Schwere des Verstoßes im Übrigen nicht nur anhand des Maßes der Geschwindigkeitsüberschreitung, sondern auch anhand der im Einzelfall gegebenen Verkehrs- und Messsituation.

Also: Nicht unbedingt der „Messsieger“ liegt vorn.