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Unterschrift unter dem Urteil fehlt, oder: Da hilft dann wenig

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In einer FB-Gruppe, der ich angehöre, ist gerade gefragt worden: „Urteil Strafkammer von drei Richtern unterzeichnet, eine „Unterschrift“ nicht individualisierbar. (Würde sagen es ist eine Welle und kein Buchstabe). Sach- oder Verfahrensrüge?“ Das erinnert mich an den OLG München, Beschl. v. 26.08.2018 – 5 OLG 15 Ss 89/18. Da fehlte unter einem nach § 329 StPO ergangenen Verwerfungsurteil die Unterschrift der Berufungsrichterin. Das OLG hebt auf und verweist zurück:

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Das zu den Akten gelangte Urteil des Landgerichts München Il ist nicht von der Vorsitzenden Richterin des Landgerichts unterschrieben und trägt auch keinen Verhinderungsvermerk.

Gemäß § 275 Abs. 2 S. 1 StPO ist das Urteil von den Richtern, die bei der Entscheidung mit gewirkt haben, zu unterschreiben. S. 2 sieht vor, dass für den Fall, in dem ein Richter verhindert ist, seine Unterschrift beizufügen, dies unter der Angabe des Verhinderungsgrundes von dem Vorsitzenden und bei dessen Verhinderung von dem ältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt wird

Gegenstand der Überprüfung eines Urteils durch das Revisionsgericht in sachlichrechtlicher Hinsicht sind allein die schriftlichen Urteilsgründe, wie sie sich aus der gemäß § 275 StPO mit der Unterschrift des Richters bzw. der Richter zu den Akten gebrachten Urteilsurkunde ergeben. Trägt ein Urteil überhaupt keine Unterschrift, ist dieser Mangel auf Sachrüge hin zu beachten. Das Fehlen jedweder Unterschrift der erkennenden und entscheidenden Richter ist dem völligen Fehlen der Urteilsgründe gleich zustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 21.11.2000, NJW 2001, 838, 839, der den Unterschied zu einem mit der Verfahrensrüge geltend zu machenden Verfahrensfehler nach § 338 Nr. 7 StPO herausstellt, der in Betracht kommt, wenn bei der Entscheidung durch ein Kollegialgericht (nur) ein Richter keine Unterschrift leistet; OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.02.2010, NStZ-RR 2010, 250, 251; OLG Hamm, Beschluss vom 19.08.2010, NStZ 2011, 238; OLG Bamberg, Beschluss vom 30.04. 2018, Az.: 3 Ss OWi 602/18 zitiert über juris, Rdn. 3).

In Ermangelung der Unterschrift der Vorsitzenden Richterin am Landgericht als alleiniger Berufsrichterin (§ 275 Abs. 2 S. 3 StPO) ist der Inhalt der schriftlich fixierten Urteilsgründe nicht gedeckt, d.h. es fehlt das Zeugnis, dass es sich bei den schriftlich niedergelegten Gründen um die Gründe des Gerichts handelt, die als Ergebnis der Hauptverhandlung in der Beratung gewonnen wurden. Dem Senat ist damit eine Entscheidung, ob das Landgericht München Il das sachliche Recht zutreffend angewandt hat, nicht möglich.

Der Mangel wird nicht durch den maschinenschriftlich abgedruckten Namen der Vorsitzenden Richterin am Landgericht und auch nicht durch die Bestätigung der Geschäftsstelle: „Unterschriebenes Urteil zur Geschäftsstelle gelangt am 23.11.2017“ ausgeglichen. Diese Zusätze vermögen die vom Gesetz geforderte Unterzeichnung nach § 275 Abs. 2 S. 1 StPO nicht zu ersetzen (vgl. OLG Bamberg a.a.O. Rdn. 4).

Gleiches gilt für die Unterschrift der Vorsitzenden Richterin am Landgericht, mit der sie die Zustellung des nicht unterschriebenen Urteils angeordnet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 01.04.2010, StV 2010, 618).

Ein nach § 275 Abs. 2 S. 2 StPO durch den zuständigen Vertreter angebrachter Verhinderungsvermerk fehlt ebenso.

Nach Ablauf der in § 275 Abs. 1 StPO bestimmten Frist können weder die Unterschrift der Vorsitzenden Richterin am Landgericht noch der Verhinderungsvermerk nachgeholt werden (vgl. BGH NStZ-RR 200, 237, 238, MG Schmitt StPO 61. Aufl. § 275 R n. 4).“

Wie immer in der Juristerei, heißt die Antwort auf die o.a. Frage: Es kommt darauf an. Fausregel: Fehlen die Urteilsgründe vollständig oder fehlt überhaupt eine individualisierende richterliche Unterschrift führt bereits die Sachrüge zur Aufhebung. Fehlt eine einzelne Unterschrift ist die Verfahrensrüge zu erheben.

Hilferuf des BGH, oder: Bitte keine „überfrachteten Urteilsgründe“

Manchmal tun Tatrichter mir auch ein wenig Leid, wenn es um die Rechtsprechung des BGH geht 🙂 . Denn in dem ein oder anderen Fall, werden sie denken (können): Was will er denn nun eigentlich? Mal meckert er, dass zu wenig geschrieben wird, mal wird – wie im BGH, Beschl. 25.01.2018 – 5 StR 582/17 – dort ganz am Ende – „ergänzend bemerkt“:

„2. Zum Inhalt der Urteilsgründe bemerkt der Senat ergänzend: Verfahrensvorgänge sind im Urteil grundsätzlich nicht zu erörtern. Insbesondere sind Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln von Rechts wegen nicht geboten; zur Vermeidung der Überfrachtung der schriftlichen Urteilsgründe sind sie regelmäßig sogar tunlichst zu unterlassen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 – 4 StR 623/11, BGHSt 57, 273 Rn. 17; Beschluss vom 8. Mai 2007 – 1 StR 202/07; MüKo-StPO/Wenske, § 267 Rn. 79 ff.). „

Nun ja, was er will (?), wird m.E. deutlich: Keine überfrachteten Urteilsgründe = er will nicht so viel lesen müssen. Kann man ja auch verstehen.

Und für die LG ist der „Hilferuf“ des BGh letztlich ja auch hilfreich. Denn es gilt ja nicht unbedingt der Satz: Wer schreibt, der bleibt. Denn, wer viel schreibt, kann auch viel Falsches schreiben. 🙂

Das anthropologische Identitätsgutachten, oder: Der „schwierige“ Sachverständige „Dr. CS“

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Und als zweite Lichtbildentscheidung dann der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 22.01.2018 – 1 OWi 2 Ss Bs 92/17. Der nimmt noch einmal Stellung zu den an die Urteilsgründe bei anthropologischen Identitätsgutachten im Bußgeldverfahren. Das AG hatte schon einiges geschreiben – im Vergleich zu anderen Urteilen, die man so liest, m.E. eine ganze Menge. Dem OLG hat das aber immer noch nicht gereicht:

„cc) Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Tatrichter – wie hier – ein anthropologisches Identitätsgutachten eingeholt und verwertet hat (Gübner aaO., Rn. 1774 und 2543 mwN.). Misst das Tatgericht einem solchen Sachverständigengutachten Beweisbedeutsamkeit bei, so muss es die Ausführungen des Sachverständigen in einer (wenn auch gerade in Bußgeldsachen nur gedrängt) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen wenigstens insoweit wiedergeben, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist (OLG Bamberg, Beschluss vom 20.02.2008 – 3 Ss OWi 180/08, juris Rn. 10; Beschluss vom 29.12.2016 – 3 Ss OWi 1566/16, juris Rn. 7). Der Umfang der Darlegungspflicht hängt dabei von der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, der der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt, ab (BGH, Urteil vom 27.10.1999 – 3 StR 241/99, NStZ 2000, 106). Weil es sich bei einem anthropologischen Identitätsgutachten nicht um eine standardisierte Untersuchungsmethode handelt (vgl. Rösin/Quarch/Danner, Zur Wahrscheinlichkeitsaussage im morphologischen Identitätsgutachten, NStZ 2012, 548), bei der sich die Darstellung im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränken kann (BGH, Beschluss vom 19.08.1993 – 4 StR 627/92, NStZ 1993, 592; Urteil vom 15.02.2005 – 1 StR 91/04, NStZ 2005, 458; KG, Beschluss vom 10.08.2017 – 3 Ws (B) 202/17, VRS 132, 58, 59), muss den Urteilsgründen eine verständliche und in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen sowie der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung zu entnehmen sein. Dies erfordert insbesondere eine Benennung der vom Sachverständigen aus dem Messbild herausgearbeiteten morphologischen Merkmale. Sind diese Merkmale der bei der Bußgeldakte befindlichen Aufnahme nicht ohne weiteres zu entnehmen, ist zur Verständlichkeit des Gutachtens zudem in den Urteilsgründen die Methodik nachvollziehbar zu machen, mit der der Sachverständige gleichwohl die von ihm zugrunde gelegten Merkmale extrahiert und mit dem Betroffenen abgeglichen hat (OLG Celle, Beschluss vom 06.11.2012 – 311 SsBs 136/12, NZV 2013, 47, 48). Fehlt es an entsprechenden Ausführungen, kann dies die Besorgnis begründen, dass für maßgeblich gehaltene Merkmale nicht an dem Lichtbild und dem darauf abgebildeten Fahrer ausgerichtet worden sind, sondern anhand der Physionomie des Betroffenen ermittelt wurden. Ein solches Vorgehen wäre fehlerhaft. Denn es beinhaltet die Gefahr, dass das Tatgericht von ihm für maßgeblich gehaltenen Merkmale des in Augenschein genommenen Betroffenen in die vorhandene Aufnahme „hineininterpretiert“, obgleich diese wegen ihrer schlechten Qualität auch anderen Deutungen zugänglich ist. Neben der Mitteilung der anhand des Lichtbilds ermittelten Kriterien ist anzugeben, in welchem Maße der Sachverständige diesbezügliche Übereinstimmungen mit dem Betroffenen festgestellt hat. Ferner sind Angaben erforderlich, welche Aussagekraft er diesen einzelnen Merkmalen jeweils zugemessen und mit welchem Gewicht er sie jeweils in seine Gesamtbewertung eingestellt hat (BGH, Urteil vom 20.03.1991 – 2 StR 610/90, NStZ 1991, 596, 597; OLG Bamberg, Beschluss vom 29.12.2016 – 3 Ss OWi 1566/16, juris Rn. 7). Dies erfordert regelmäßig eine Gewichtung der herangezogenen einzelnen Merkmalsausprägungen in Bezug auf ihre Häufigkeit in der jeweiligen ethnischen Gruppe (Gübner aaO. Rn. 2545), die sinnvollerweise durch eine Einteilung in Wichtungsklassen transparent zu machen ist. Konkreter Angaben zum statistischen Verbreitungsgrad einzelner Merkmale in der Gesamtbevölkerung bedarf es dagegen allenfalls dann, wenn der Sachverständige seine Bewertung auf eine Wahrscheinlichkeitsberechnung gestützt hat (Thüringer OLG, Beschluss vom 20.10.2011 – 1 Ss Bs 31/11 (109), juris Rn. 16 [unter Bezugnahme auf ein von ihm eingeholtes Gutachten zum Stand der anthropologischen Wissenschaft bei Aufgabe früherer Rechtsprechung]; OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2007 – Ss (OWi) 4/07, NStZ 2008, 652; OLG Bamberg, Beschluss vom 06.04.2010 – 3 Ss OWi 378/10, zfs 2010, 469; Beschluss vom 29.12.2016 – 3 Ss OWi 1566/16, juris Rn. 7 [jew. zur Wahrscheinlichkeitsberechnung]; OLG Celle, Beschluss vom 06.11.2012 – 311 SsBs 136/12, NZV 2013, 47, 48; KG Berlin, Beschluss vom 10.08.2017 – 3 Ws (B) 202/17, VRS 132, 58, 60; vgl. insoweit auch BGH, Urteil vom 27.10.1999 – 3 StR 241/99, NJW 2000, 1350, 1351; Gabriel/Huckenbeck/Kürpiers, Über die Fragwürdigkeit der Berechnung einer Identitätswahrscheinlichkeit in anthropologischen Gutachten, NZV 2014, 346). In den übrigen Fällen unterliegen die Beurteilung der Häufigkeit des Auftretens bestimmter Merkmalsausprägungen und damit die Einschätzung der Wichtigkeit der Merkmalsausprägung der Schätzung eines erfahrenen, morphologisch geschulten Sachverständigen (BGH, Urteil vom 15.02.2005 – 1 StR 91/04, NStZ 2005, 458, 549; Thüringer OLG aaO. Rn. 17 f.). Auch diese Einschätzung ist, um dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung ihrer Schlüssigkeit zu ermöglichen, in den Urteilsgründen wiederzugeben um erkennbar zu machen, inwieweit die Häufigkeit des einzelnen Merkmals in der Bevölkerung zutreffend wiedergespiegelt werden kann oder ob es sich nur um mehr oder weniger genaue Anhaltswerte handelt. (OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2007 – Ss (OWi) 4/07, NStZ 2008, 652, 653).“

Aber vielleicht hat es ja auch daran gelegen, dass es ein „umstrittener“ Sachverständiger war:

Eine besonders kritische und in den Urteilsgründen auch nachvollziehbar gemachte Würdigung der Einschätzung des Sachverständigen durch den Tatrichter ist in diesem Zusammenhang insbesondere dann veranlasst, wenn – wie hier, vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 02.10.2007 – 19 U 8/07, juris sowie https://www.merkur.de/bayern/…html und https://www.waz.de/staedte/bochum/…html – belastbare Hinweise darauf vorliegen, dass sich gutachterliche Äußerungen des gewählten Sachverständigen in früheren Verfahren als nicht nachvollziehbar oder gar unrichtig erwiesen haben (OLG Braunschweig aaO. zum Sachverständigen „Dr. CS“). Es kann sich aus diesem Grund auch die Heranziehung eines weiteren Sachverständigen anbieten.“

Ich frage mich: Warum nimmt man den Sachverständigen eigentlich?

Strafzumessung III, oder: Tatbeute 22,99 € – drei Monate Knast?

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Und die dritte Strafzumessungsentscheidung ist „taufrisch“, nämlich erst gestern bei mir eingegangen. Sie behandelt (mal wieder) die Problematik der Verhängung einer (kurzen) Freiheitsstrafe bei einer Bagatellstraftat. Das AG hat die Angeklagte wegen Ladendiebstähle verurteilt, bei welchen die Angeklagte Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände im Werte von 15,99 € bzw. 7,– € an sich nahm. Dagegen die Strafmaßberufung der Staatsanwaltschaft. Das LG hat das Urteil des AG aufgehoben und gegen die Angeklagte auf eine nicht mehr zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten – bei Einzelstrafen von je zwei Monaten – erkannt. Dagegen die Revision. Das OLG Köln sagt im OLG Köln, Beschl. v. 23.03.2018 – 1 RVs 54/18: So nicht, die Urteilsgründe sind unvollständig:

„Das Tatgericht führt – wenn auch im Kontext mit der Verhängung kurzer Freiheitsstrafen im Sinne von § 47 Abs. 1 StGB – mit Recht aus, dass gerade bei Bagatelltaten das Übermaßverbot besonderer Beachtung bedürfe und geht zutreffend davon aus, dass dann, wenn schon geringfügige Straftaten ohne erschwerende Besonderheiten den Ausspruch einer Freiheitsstrafe erfordern, es die Anforderung an einen gerechten Schuldausgleich und die Beachtung des Übermaßverbots gebieten können, auf die Mindeststrafe zu erkennen (st. Senatsrechtsprechung vgl. beispielhaft zu Ladendiebstählen SenE v. 03.03.2009 – 81 Ss 8/09 – [Beutewert 9,20 € und 9,99 €]; SenE v. 20.07.2010 – III-1 RVs 125/10 – [9,95 €]; SenE v. 08.02.2011 – III-1 RVs 23/11 – [11,10 €]; SenE v. 28.04.2017 – III-1 RVs 87/17 – [9,75 €]; vgl. weiter OLG Celle NStZ-RR 2004, 142; OLG Oldenburg StRR 2008, 323). Dieser Umstand musste das Tatgericht zu einer besonders gründlichen und umfassenden Abwägung namentlich der strafmildernden Gesichtspunkte drängen; dem genügen die Urteilsgründe nicht zur Gänze:

Das Amtsgericht hat der Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung zugute gebracht, dass die entwendeten Waren „letztlich auch bei den Geschädigte verblieben“ seien. Feststellungen zum Verbleib der Tatbeute sind mit Blick auf den Schuldumfang stets geboten (SenE v. 12.07.2013 – III-1 RVs 135/13 -; SenE v. 29.09.2017 – III-1 RVs 228/17; SenE v. 20.10.2017 – III-1 RVs 258/17 -). Sie nehmen als diesen (mit-)bestimmend und als Umstand, der geeignet ist, die Tat als einen geschichtlichen Vorgang näher zu beschreiben (hierzu vgl. jüngst SenE v. 02.03.2018 – III-1 RVs 14/18 m. zahlr. Nachw.) an der durch die erklärte Beschränkung bewirkten Bindung der Berufungsstrafkammer an die amtsgerichtliche Feststellungen teil (so auch KG StraFo 2016, 83 – bei Juris Tz. 18). Im Rahmen ihrer Ausführungen zur Strafbemessung hat die diesen Umstand an keiner Stelle der Urteilsgründe erwähnende Berufungsstrafkammer aber nicht erkennbar in ihre Überlegungen mit einbezogen, dass sich selbst der potentiell geringe Schaden hier nicht realisiert hat. Das wäre aber nach dem zuvor Dargestellten im Sinne einer umfassenden Abwägung und erschöpfenden Würdigung der strafzumessungsrelevanten Umstände in einem Bereich geboten gewesen, der im Hinblick auf die Höhe zu verhängender Freiheitsstrafe einen Grenzfall darstellt (vgl. auch KG a.a.O. – bei Juris Tz. 16). Der Senat vermag letztlich nicht auszuschließen, dass  die erkannten Einzelstrafen niedriger ausgefallen wären, hätte das Tatgericht sich den Umstand bewusst gemacht, dass die Tat letztlich ohne Realschaden geblieben ist.“

Vermögensabschöpfung neu, oder: Rechtsmittelbeschränkung und Rückwirkung

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Die zweite Entscheidung, die ich heute vorstelle, kommt vom OLG Köln. Das OLG Köln, Urt. v. 23.01.2018 – 1 RVs 274/17 – betrifft Fragen, die mit dem seit dem 1.7.2017 neuen Recht der Vermögensabschöpfung (§§ 73 ff. StGB) zu tun haben.

Das AG hat die Angeklagte wegen Betruges in 17 Fällen verurteilt. Dem lagen in allen Fällen Warenangebote auf Internetplattformen zugrunde, zu deren Erfüllung die Angeklagte weder willens noch in der Lage war. Sie erzielte auf diese Weise insgesamt einen gegenleistungsfreien Betrag von 2.485,– EUR wovon sie einen – allerdings von ihr nicht bezifferbaren – Teil bereits zurückgezahlt hatte. Das AG hat in seinem Urteil keine Entscheidung über Anordnung der Einziehung des (Wertes des) Tatertrags getroffen hat. Dagegen richtet sich die Sprungrevision der Staatsanwaltschaft, die sie auf die Frage der unterbliebenen Einziehungsentscheidung beschränkt hat. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.

Das OLG hat zunächst die Beschränkung der Revision der StA als wirksam angesehen:

„Wirksam ist aber auch die erklärte Beschränkung auf die unterbliebene Einziehungsentscheidung. Für den Verfall gemäß § 73 StGB in der bis zum 30. Juni 2017 geltenden Fassung war in der Rechtsprechung anerkannt, dass dessen Anordnung und die Verhängung der Strafe grundsätzlich unabhängig voneinander sind und nicht in einer inneren Wechselwirkung stehen. Strafe und Verfallsanordnung können jeweils isoliert mit Rechtsmitteln angefochten werden (BGH NJW 2002, 2257 [2258 f.]; BGH NStZ-RR 2005, 104; Fischer, StGB, 64. Auflage 2017, § 73 Rz. 41). Da sich – worauf zurückzukommen sein wird – am fehlenden Strafcharakter der an die Stelle des Verfalls getretenen Einziehung (des Wertes) des Tatertrags gemäß §§ 73, 73c StGB in der aufgrund des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872 ff.) seit dem 1. Juli 2017 geltenden Fassung nichts geändert hat, ist auch für den neuen Rechtszustand grundsätzlich von einer Trennbarkeit auszugehen (s. insoweit auch BGH NStZ-RR 2017, 342 [343 f.])…..“

Das AG-Urteil leidet zudem an einem „Erörterungsmangel“

„…..Das Tatgericht hat rechtsfehlerhaft von einer Prüfung der Voraussetzungen einer Einziehung des (Wertes des) Tatertrags gemäß §§ 73, 73c StGB n. F. abgesehen.

Durch das bereits genannte Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung ist dieses Rechtsinstitut grundlegend umgestaltet worden. Gemäß § 73 Abs. 1 StGB n. F. ordnet das Gericht die Einziehung dessen an, was der Täter aus einer rechtswidrigen Tat erlangt hat. Mit dieser Neuregelung ist namentlich die vorherige Einschränkung in § 73 Abs. 1 S. 2 StGB in Fortfall gekommen, wonach eine Verfallanordnung unterblieb, wenn und soweit dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen war, welcher dem Täter im Erfüllungsfall den Wert des aus der Tat Erlangten entzog (vgl. dazu Trüg NJW 2017, 1913). Die Opferentschädigung ist nunmehr in das Vollstreckungs- oder das Insolvenzverfahren verlagert (Köhler/Burkhard, NStZ 2017, 665 [680]). Gemäß § 73c S. 1 StGB n. F. (entsprechend § 73a StGB S. 1 a. F.) ordnet das Gericht die Einziehung eines dem Wert des Erlangten entsprechenden Geldbetrages an, wenn dessen (physische, vgl. Köhler NStZ 2017, 497 [498 f,]) Einziehung wegen dessen Beschaffenheit oder aus einem anderen Grund nicht möglich ist. Letzteres kommt namentlich im Falle des Verbrauchs des Erlangten in Betracht (zum neuen Recht: Fischer, StGB, 65. Auflage 2018, § 73c Rz. 5; zum alten Recht: Schönke/Schröder-Eser, StGB, 29. Auflage 2014, § 73a Rz. 5).

Hier hat die Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen einen Gesamtschaden von 2.485,– € verursacht; dieser Betrag ist im Grundsatz (vgl. § 73d StGB n. F.) mit dem (Wert des) Erlangten identisch. Ausgehend von dieser Feststellung hätte sich das Tatgericht zu einer Erörterung der Voraussetzungen der §§ 73 ff. StGB n. F. gedrängt sehen müssen. Soweit Rückzahlungen erfolgt sind, wäre hierbei § 73e Abs. 1 StGB n. F. zu beachten gewesen (vgl. dazu Köhler a.a.O. S. 500). Eine Entscheidung über den Verfall nach altem Recht (vgl. § 316h S. 2 EGStGB) ist nicht getroffen.“

Und: Kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot:

§§ 73, 73c StGB n. F. sind auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar, obwohl die Anlasstaten im Zeitraum bis Oktober 2016 begangen worden sind, das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung aber erst mit Wirkung ab dem 1. Juli 2017 in Kraft getreten ist. Abweichend von der Regelung des § 2 Abs. 5 StGB bestimmt nämlich Art. 316h S. 1 EGStGB, dass in solchen Verfahren, in welchen nach dem 1. Juli 2017 über die Anordnung der Einziehung des Tatertrages oder des Wertes des Tatertrages wegen einer vor dem 1. Juli 2017 begangenen Tat entschieden wird, die durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 bewirkte Neuregelung anzuwenden ist. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, da das Tatgericht am 7. Juli 2017 entschieden hat.“

Mit den letzten Ausführungen schließt sich das OLG der h.M. in der Rechtsprechung an., nämlich u.a. wie das BGH, Urt. v. 05.09.2017 – 1 StR 677/16, OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.10.2017 – 1 Ws 163/17, anders: LG Kaiserslautern, Beschl. v. 20.09.2017 – 7 KLs 6052 Js 8343/16 (3). Das OLG zitiert ein paar Entscheidungen mehr, u.a. einen „KG, Beschl. v. 01.02.2017 – 161 Ss 146/17“. Den kann ich aber nicht finden. Und es zitiert: „OLG Celle NJW 2017, 3731“. Die gibt es (auch) nicht. Gemeint ist da der vorstehend angeführte „OLG Stuttgart“-Beschluss. Aber sonst ist alles ok. 🙂

Nachtrag: 28.03.2018 – 15.18 Uhr: Die o.a. Unstimmigkeiten hatte ich mit dem 1. Strafsenat des OLG Köln „erörtert“. Und die Anwtort kam fix: Bei dem Beschluss des KG handelt es sich um den „KG, Beschl. v. 01.12.2017 – 161 Ss 148/17„. Kann passieren. Besten Dank nahc Köln für die schnelle Reaktion.