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Judex non calculat – gilt nicht beim Sozialleistungsbetrug

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Wer kennt ihn nicht, den Spruch: Judex non calculat? Nun, er gilt jedenfalls dann nicht, wenn es um einen Sozialleistungsbetrug (§ 263 StGB) geht. Dann muss der (Tat)Richter selbst – zumindest ein wenig – rechnen und prüfen, ob ein Anspruch auf Sozialleistungen bestand. So die Rechtsprechung der OLG (vgl. dazu z.B. den OLG Hamm, Beschl. v. 17.08.2015 – 5 RVs 65/15) und dann jetzt auch der BGH im BGH, Beschl. v. 22.03.2016 – 3 StR 517/16:

b) Diese Ausführungen tragen die Verurteilungen der Angeklagten S. und Ro. B. jeweils wegen Betruges zum Nachteil der ARGE nicht. In Fällen des sogenannten Sozialleistungsbetrugs hat das Tatgericht nach den Grundsätzen der für die Leistungsbewilligung geltenden Vorschriften selbständig zu prüfen, ob und inwieweit tatsächlich kein Anspruch auf die beantragten Leistungen bestand (OLG Hamm, Beschlüsse vom 17. August 2015 – 5 RVs 65/15, NStZ 2016, 183; vom 16. Februar 2012 – 5 RVs 113/11, NStZ-RR 2013, 13, 14; OLG Koblenz, Beschluss vom 1. Dezember 2014 – 1 Ss 21/13, juris Rn. 10; KG, Urteil vom 18. Februar 2013 – (4) 1 Ss 281/12 (341/12), juris Rn. 12; OLG Nürnberg, Urteil vom 14. September 2011 – 2 St OLG Ss 192/11, juris Rn. 24). Um den Eintritt eines Schadens zu belegen, muss aus den Feststellungen in nachvollziehbarer Weise hervorgehen, dass und inwieweit nach den tatsächlichen Gegebenheiten auf die sozialrechtliche Leistung kein Anspruch bestand; mit einer allgemeinen Verweisung auf behördliche Schadensaufstellungen darf sich das Urteil nicht begnügen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. November 2000 – 2a Ss 271/00 – 62/00 II, juris Rn. 4; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 263 Rn. 141).

Diesen Anforderungen genügen die Darlegungen des Landgerichts nicht. Dabei kann der Senat offen lassen, ob seitens des erkennenden Gerichts stets eine eigene – gegebenenfalls auch ins Einzelne gehende – Berechnung der dem Angeklagten zustehenden öffentlichen Leistungen notwendig ist (vgl. insoweit OLG Hamm, Beschluss vom 17. August 2015 – 5 RVs 65/15, aaO mwN). In Fällen wie dem vorliegenden, in denen die – nach den Feststellungen wohl im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 SGB II einmaligen (vgl. Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl., § 11 Rn. 65) – Einnahmen eines Beziehers von Sozialleistungen stark differieren (nach den „Schätzungen“ der Strafkammer erlangten die Angeklagten jeweils aus den Taten im Mai 2010 über 1.200 €, aus denen im Juni 2010 hingegen nur 675 € bzw. 562,50 €, aus denen im Juli 2010 nur 165 €, aus denen im August 2010 hingegen fast 1.750 € und aus denen im September 2010 wiederum nur etwa 85 €) hätte es insbesondere mit Blick auf die Regelungen zur Berücksichtigung und gegebenenfalls Aufteilung von Zuflüssen in § 11 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB II konkreter Darlegungen bedurft, wie sich das zu berücksichtigende Einkommen in den jeweili-gen Monaten darstellte. Betreffend den Angeklagten S. B. kommt hinzu, dass die Einkünfte, die er aus weiteren, über die abgeurteilten Taten hinausge-henden Teppichverkäufen erzielte, mangels entsprechender Angaben des Landgerichts zeitlich nicht zugeordnet werden können, so dass auch insoweit unklar bleibt, in welchen Monaten und in welchem Umfang diese zu berücksich-tigen waren. Betreffend den Angeklagten Ro. B. errechnet sich selbst nach der von der Strafkammer angewandten Methode ein durchschnittliches Monatseinkommen von nur 761,44 €.

Angesichts dessen entbehrt die Schätzung der Strafkammer, die Angeklagten hätten monatlich „im Durchschnitt“ jedenfalls 1.100 € bzw. 850 € eingenommen, einer tragfähigen Grundlage. Dies entzieht den Schadensberechnungen der Sachbearbeiter der ARGE den Boden, ohne dass es noch darauf an-kommt, dass der Senat diese nicht mitgeteilten Berechnungen ohnehin nicht überprüfen kann.

Klassiker II: Wir prüfen dann mal den Tatbestand des Raubes, oder: Fortbildung beim BGH

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Aus der „Raubserie“ dann die zweite Entscheidung des BGH, nämlich der BGH, Beschl. v. 04.08.2015 – 5 StR 295/15. Für mich ebenso erschreckend wie der BGH, Beschl. v. 02.07.2015 – 2 StR 134/15, über den ich ja vorhin schon berichtet habe (vgl. Klassiker I: Raub ist doch an sich ganz einfach). Auch hier eine ganz einfache Konstellation/Sachverhalt, wie er sich nach den vom BGH mitgeteilten Feststellungen des LG darstellt:

Nach den Feststellungen begegnete der Angeklagte Ende Februar 2014 im Stadtgebiet von Chemnitz dem Geschädigten, mit dem er flüchtig bekannt war. Über den Geschädigten, der bis zu seiner Inhaftierung am 27. Mai 2014 in Chemnitz mit Rauschgift handelte, kursierte das Gerücht, er habe Drogen an Minderjährige, darunter die Schwester des Angeklagten, abge-geben. Als der Angeklagte, der sich in Begleitung von fünf anderen Personen befand, den Geschädigten erblickte, forderte er ihn zum Stehenbleiben auf, weil er mit ihm reden wollte. Der Geschädigte kam dieser Aufforderung nach. Der Angeklagte versetzte ihm nun unvermittelt einen wuchtigen Ellenbogenschlag gegen die Nase, wodurch diese gebrochen wurde, sowie Faustschläge gegen den Kopf. Als der Geschädigte fliehen wollte, zog der Angeklagte einen Teleskopschlagstock und versetzte hiermit dem Geschädigten zwei weitere Schläge gegen den Oberkörper und das Knie. Im Anschluss hieran riss der Angeklagte dem Geschädigten „gewaltsam dessen Rucksack von dessen Körper weg“ (UA S. 9), in dem sich unter anderem zwei Mobiltelefone und ein Bargeldbetrag von mindestens 600 € befanden. Nunmehr ließ der Angeklagte auf Aufforderung eines seiner Begleiter, es „gut sein zu lassen“, von dem Geschädigten ab und verließ den Tatort.

Das war es. Das LG macht daraus u.a. einen schweren Raub. Der BGH hebt auf und betreibt ein wenig Fortbildung:

„Diese Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen (besonders) schweren Raubes gemäß § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht. Schon die Voraussetzungen des Grundtatbestandes eines Raubes nach § 249 Abs. 1 StGB sind nicht hinreichend festgestellt.

a) Zunächst ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht das Vorliegen einer Wegnahme des Rucksacks durch den Angeklagten. Eine Wegnahme im Sinne des § 249 Abs. 1 StGB erfordert neben dem – unter Einsatz eines qualifizierten Nötigungsmittels erfolgenden – Bruch fremden Gewahrsams die Begründung neuen Gewahrsams des Täters oder eines Dritten. Hierzu teilt das Urteil lediglich mit, der Angeklagte habe dem Geschädigten dessen Rucksack vom Körper gerissen. Was sodann mit dem Rucksack und dessen Inhalt geschah, insbesondere ob der Angeklagte selbst oder einer seiner Begleiter den Rucksack oder dessen Inhalt an sich genommen hat, ist nicht festgestellt.

b) Die Feststellungen des Landgerichts verhalten sich ebenfalls nicht zu der für eine Straftat nach § 249 Abs. 1 StGB erforderlichen Zueignungsabsicht des Angeklagten. Zwar findet sich in der rechtlichen Würdigung des Tatgesche-hens die kurze Erwähnung, dem Angeklagten sei es darum gegangen, „sich zu  Unrecht am Rucksack und dessen Inhalt zu bereichern“ (UA S. 14). Als Feststellung der Zueignungsabsicht reicht diese – nicht näher begründete – Erwähnung indes nicht aus, zumal sich weder aus der Beweiswürdigung des Urteils noch sonst aus dem Urteil ergibt, worauf die Strafkammer diese Annahme stützt. Angesichts der im Urteil mitgeteilten Umstände – der Angeklagte wollte den Geschädigten wegen der vermuteten Abgabe von Drogen an Minderjährige zur Rede stellen, woraufhin dieser in einer den Angeklagten provozierenden Weise reagierte – versteht sich auch nicht von selbst, dass der Angeklagte über eine Körperverletzung des Geschädigten hinaus auch beabsichtigte, sich oder einem Dritten den Rucksack oder dessen Inhalt zuzueignen.“

Ich gehe davon aus, dass die Strafkammer beim LG Chemnitz die Voraussetzungen des „Grundtatbestandes“ (!!) des Raubes kennt. Ich frage mich nur, warum stellt man sie dann nicht fest – wenn man sie kennt – und warum „checkt“ man nicht das abgefasste Urteil darauf, ob sich nun alle Voraussetzungen des Raubes (§ 249 StGB) aus ihm ergeben. Das ist beim Raub nun wahrlich nicht schwer.

Immer wieder dieselben Lücken im Urteil –> Aufhebung

 © lassedesignen Fotolia.com

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Zwei in amtsgerichtlichen Urteilen immer wieder vorkommende Fehler führten beim OLG Bamberg zur Aufhebung einer Verurteilung eines Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Der OLG Bamberg, Beschl. v. 02.04.2015 – 2 Ss OWi 251/15 – legt den Finger noch einmal in die Wunde, wenn es in den beiden Leitsätzen zum Inhalt der Urteilsgründe dort heißt:

  1. Auch dann, wenn die Feststellung eines Geschwindigkeitsverstoßes auf einem standardisierten Messverfahren beruht, muss sich aus den Urteilsgründen regelmäßig ergeben, wie sich der Betroffene eingelassen hat und ob der Tatrichter der Einlassung gefolgt ist oder ob und inwieweit er sie für widerlegt angesehen hat.
  2. Hat das Amtsgericht – auch bei Vorliegen eines standardisierten Messverfahrens zur Ordnungsgemäßheit der Geschwindigkeitsmessung einen Sachverständigen beauftragt, um sich der Korrektheit der Messung im konkreten Einzelfall zu versichern, und sich dessen Gutachten angeschlossen, so müssen in den Urteilsgründen die Ausführungen des Sachverständigen in einer (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergegeben werden, um dem Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen.

Grund für die Aufhebung: Auch im Bußgeldverfahren sind die Urteilsgründe alleinige Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin. Sie müssen daher so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird. Vor allem muss dann, wenn der Betroffene die Tat bestreitet, das Urteil erkennen lassen, aufgrund welcher Tatsachenfeststellungen das AG diese Einlassung für widerlegt hält.

Als Verteidiger muss man solche Fehler mit der Sachrüge geltend machen (§ 267 StPO). Und der ein oder andere wird sich fragen: Was bringt es? Nun, es bringt Zeit und die kann man bei der Fahrverbotsentscheidung ggf. gut gebrauchen.

Der BTM-Scheinankauf – drei Stufen im Urteil

CannabisAuch, wenn heute Feiertag ist: Ein bisschen gearbeitet werden kann/muss/soll schon 🙂 . Also:

In der Praxis basieren Verurteilungen  wegen eines BtM-Geschäfts nicht selten auf den Angaben von sog. Scheinan- oder verkäufern der Polizei. So auch in Verfahren, das jetzt zunächst mal nach dem OLG Bamberg, Beschl. v. 21.07. 2014 – 3 Ss 86/14 – in die zweite Runde beim LG geht. Grund: Dem OLG haben die Urteilsfeststellungen des LG zu dem dem Angeklagten zur Last gelegten Handeltreiben nicht gereicht. Der Beschluss des OLG zeigt sehr schön, worauf es in diesen Fällen der so. Tatprovokation ankommt, nämlich auf drei Punkte/Stufen:

1. Stufe

a) In Fällen der vorliegenden Art stellt sich zunächst die Frage, ob eine Tatprovokation seitens der Strafverfolgungsbehörden vorangegangen war. Dabei ist […] zu differenzieren, ob es sich um eine wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens gemäß Art. 6 I 1 MRK unzulässige, weil konventionswidrige Tatprovokation handelte oder nicht….“

aa) Eine konventionswidrige Provokation ist dann anzunehmen, wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person seitens der Strafverfolgungsbehörde, sei es durch einen verdeckten Ermittler, einen nicht offen ermittelnden Polizeibeamten oder eine Vertrauensperson der Polizei, zu der Straftat verleitet wird (vgl. hierzu grundlegend BGHSt 45, 321; ferner: BGHSt 47, 44; BGH StV 1995, 247; 2014, 321). Liegt eine derartige unzulässige Provokation vor, so handelt es sich hierbei um einen besonderen, gewichtigen und schuldunabhängigen Strafmilderungsgrund, der zur Unterschreitung der sonst schuldangemessenen Strafe führen muss (BGHSt 45, 321). Deshalb genügt es nicht, dies lediglich als gewöhnlichen Strafzumessungsgrund zugunsten des Angekl. zu berücksichtigen. Vielmehr ist – wie in Fällen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen – der Verstoß in den Urteilsgründen ausdrücklich festzustellen und bei der Festsetzung der Rechtsfolgen zu kompensieren, wobei das Maß der Kompensation für das konventionswidrige Handeln exakt zum Ausdruck gebracht werden muss (BGH a.a.O. vgl. auch Fischer StGB 61. Aufl. § 46 Rn. 68; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl. Rn. 856 f.). „

2. Stufe:

bb) Aber auch in Fällen, in denen eine zulässige, weil nicht gegen das Gebot des fairen Verfahrens verstoßende Provokation der Tat vorangegangen war, stellt dieser Umstand einen gewichtigen zugunsten des Angekl. zu wertenden Strafzumessungsgrund dar, dem nicht lediglich mit dem bloßen Hinweis darauf, dass die BtM an einen Scheinaufkäufer veräußert wurden, hinreichend Rechnung getragen werden darf. Denn staatliche Beteiligungshandlungen an Drogengeschäften, insbesondere bei einer staatlichen Initiative zu einem konkreten Drogengeschäft, stellen gewichtige Strafzumessungsgründe dar (vgl. BGH NStZ 2013, 99).

3. Stufe

„b) Schließlich ist auch jenseits einer Tatprovokation die Mitverursachung durch die Strafverfolgungsbehörde ein bestimmender Strafmilderungsgrund (Schäfer/Sander/van Gemmeren Rn. 860). Hierbei sind die Besonderheiten des Einzelfalls für den Grad der Berücksichtigung im Rahmen der konkreten Strafzumessung von ausschlaggebender Relevanz. Deshalb bedarf es der konkreten Feststellung und Wiedergabe im tatrichterlichen Urteil, wie es zum Erstkontakt kam, ob von den Ermittlungsbehörden oder etwa dem Angekl. die Initiative für die BtM-Geschäfte ausgegangen ist und wie die Einzelheiten der weiteren Verabredungen waren. Von besonderem Gewicht ist es regelmäßig auch, welche Vorgespräche im Einzelnen geführt wurden, auf wessen Veranlassung dies jeweils geschah, wie stark die Intensität einer eventuellen Einwirkung auf den Angekl. war und wie sich dieser zu einem etwaigen Ansinnen der Ermittlungsbehörden jeweils verhielt. Denn es besteht ein nicht nur marginaler Unterschied in Bezug auf das Ausmaß der Schuld, ob bei einem Angekl. das Tatinteresse bereits vorhanden war oder dessen Tatentschluss erst mehr oder weniger geweckt werden musste. Ferner wird in diesem Zusammenhang von maßgeblicher Bedeutung sein, wer die Art und den Umfang der BtM-Geschäfte ins Spiel gebracht hatte. Demzufolge wären diese Umstände auch jenseits einer etwaigen, gegebenenfalls rechtmäßigen Tatprovokation, aufzuklären und im Urteil im Einzelnen darzulegen gewesen, um dem Revisionsgericht eine Nachprüfung zu ermöglichen.“

Nicht über sieben Brücken, aber über drei Stufen muss der Tatrichter also gehen…

Nach Genuss (?) von einem 1/2 Liter Wodka kann man schon mal berauscht sein

entnommen wikimedia.org Urheber: Hoodrat

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Da hatte der Angeklagte am Abend bis 19.30 Uhr etwa eine 2/3-Flasche Wodka (0,7l) getrunken und sodann eine Schlaftablette mit dem Wirkstoff Zoplicon sowie zwei Tabletten eines Antidepressivums mit dem Wirkstoff Citalopram eingenommen. Gegen 22:06 Uhr befuhr er sodann eine öffentliche Straße und verursachte einen Unfall. Bei der um 23:32 Uhr entnommenen Blutprobe wurde ein BAK-Wert (zum Entnahmezeitpunkt) von 1,53 Promille festgestellt. Das AG verurteilte den Angeklagten wegen Vollrausches nach § 323a StGB.

Grundsätzlich richtig sagt der OLG Hamm, Beschl. v. 14.11.2013 – 1 RVs 88/13, denn:

a) Die Feststellungen belegen zwar hinreichend das Vorliegen des objektiven und subjektiven Tatbestands des § 323a StGB. Der Angeklagte hat sich schon durch die Einnahme von knapp einem halben Liter Wodka in vergleichsweise kurzer Zeit am Abend des Tattages bis 19.30 Uhr in einen Rauschzustand versetzt. Ein Rausch liegt vor, wenn der Zustand des Täters nach seinem ganzen Erscheinungsbild als durch den Genuss von Rauschmitteln hervorgerufen anzusehen ist. Dabei muss der Alkohol oder das Rauschmittel nicht die einzige Ursache für diesen Zustand sein, sondern es können auch andere Ursachen mitwirken (BGHSt 26, 363, 364). Ein solcher Zustand war bei dem Angeklagten bei der Fahrt mit dem PKW gegeben. Zeugen haben ihn als „deutlich alkoholisiert“ beschrieben. Seine Sprache sei verwaschen und lallend gewesen. Ob dieser Zustand allein auf den genossenen Alkohol oder auch auf die eingenommenen Medikamente zurückzuführen ist, ist unerheblich. Dass das Amtsgericht lediglich einen fahrlässigen Vollrausch angenommen hat, obwohl ein Vorsatz bzgl. des objektiven Tatbestandsmerkmals der Herbeiführung eines Rauschzustandes (nur hierauf kommt es insoweit an) bei Konsumierung von rund 0,5l Wodka in so kurzer Zeit nahe liegt, beschwert den Angeklagten nicht. Nicht zur Erfüllung des Tatbestands des § 323a StGB erforderlich ist es – anders als die Revision meint – dass der Angeklagte im Hinblick auf die Rauschtat vorsätzlich oder fahrlässig handelte. In der älteren obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung wurde dies zwar vereinzelt vertreten (vgl. z. B. BGH NJW 1957, 996 [BGH 07.05.1957 – 5 StR 127/57]). Schon damals wurde aber ausgeführt, dass jedenfalls Fahrlässigkeit bzgl. der Rauschtat i.d.R. vorliegen wird und keiner besonderen Urteilsfeststellungen bedürfe (BGH a.a.O.). In der neueren Rechtsprechung wird hingegen Vorsatz oder Fahrlässigkeit bzgl. der Rauschtat für die Erfüllung des Tatbestands des § 323a StGB – da es sich bei der Rauschtat lediglich um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit handelt – zutreffenderweise nicht mehr verlangt (BGHSt 16, 124; OLG Hamm, Beschl. v. 30.09.2010 – III- 3 RVs 46/10 m.w.N.). Es kommt also nicht darauf an, dass der Angeklagte sich nach dem Alkoholgenuss zu Bett begeben hat und insoweit in gewisser Weise zunächst Vorkehrungen getroffen hat, um keine Straftaten im Rauschzustand zu begehen (ebenso: OLG Celle NJW 1969, 1588, 1589 [OLG Celle 12.12.1968 – 1 Ss 438/68]; a.A. Sternberg-Lieben/Hecker in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 323a Rdn. 10).
Aber: Aufgehoben hat das OLG dann doch. Denn der Amtsrichter hatte nicht – wie erforderlich – in seinem Urteil die Tatbestandsmerkmale der Rauschtat dargelegt, und zwar entweder § 316 StGB oder 315c Abs. 1 Nr. 1  StGB.  Insoweit müssen
„die objektiven und subjektiven Merkmale der Rauschtat festgestellt werden, wobei nur die Schuldfähigkeit außer Betracht bleibt (BGH NJW 1953, 1442; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 323a Rdn. 7). Das Amtsgericht hat weder festgestellt, dass der Angeklagte vorsätzlich (im Sinne eines sog. „natürlichen Vorsatzes“) im Rausch den Tatbestand des § 316 StGB oder des § 315 Abs. 1 Nr. 1 StGB verwirklicht hat, noch dass insoweit Fahrlässigkeit bzw. eine Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination vorliegt. …. Bei der Fahrlässigkeit, die hier jedenfalls nicht fern liegt, kommt es insoweit nicht auf die Sorgfaltsfähigkeit des Täters im Rauschzustand an, sondern darauf, dass der Täter die ihm im nüchternen Zustand mögliche Sorgfalt nicht beachtet hat (Fischer a.a.O.; Sternberg-Lieben/Hecker a.a.O. Rdn. 16). Dies versteht sich vor dem Hintergrund, dass die von § 323a StGB zu schließende Strafbarkeitslücke verbliebe, wollte man gerade auf die Sorgfaltsfähigkeiten des Täters im Rauschzustand abstellen, die regelmäßig aber eine subjektive Sorgfaltspflichtverletzung gerade ausschlössen. Derartige Feststellungen fehlen, worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift zu Recht hingewiesen hat.