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Revision III: Rechtsbeschwerde gegen Verwerfung, oder: Hatte der Vertreter Vertretungsvollmacht?

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Und als letzte Entscheidung dann noch der OLG Brandenburg, Beschl. v. 06.04.2023 – 2 ORbs 54/23. Es handelt sich zwar nicht um eine Revisionsentscheidung, also passt „Revision III“ nicht ganz, aber Rechtsbeschwerde ist ja fast dasselbe 🙂

Hier ist dann aber mal eine Verfahrensrüge ausreichend begründet. Gerügt worden ist gegen ein Verwerfungsurteil, dass das Amtsgericht entgegen einer diesbezüglichen Zusage und Absprache in einem früheren Hauptverhandlungstermin einen durch die Verteidigung zu Beginn der (neuen) Hauptverhandlung nun gestellten Antrag, ihn von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, rechtswidrig abgelehnt habe.

Dazu das OLG:

„1. Die Verfahrensrüge, mit der die Verteidigung im Einzelnen darlegt, aufgrund welcher Umstände das Amtsgericht den Betroffenen von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung gemäß § 73 Abs. 2 OWiG antragsgemäß hätte entbinden müssen, genügt den Begründungsanforderungen; die zugrunde liegenden Verfahrenstatsachen sind hinreichend vollständig mitgeteilt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).

Dies gilt auch insoweit, als sich das Beschwerdevorbringen nicht ausdrücklich darauf bezieht, dass die Verteidigerin, deren Unterbevollmächtigte für den Betroffenen zu Beginn der Hauptverhandlung den Entbindungsantrag gestellt hat, über die hierfür erforderliche besondere Vertretungsvollmacht (vgl. Göhler/Seitz/Bauer, OWiG 18. Aufl. § 73 Rn. 4) verfügte. Zwar hat sich die Rüge, das Gericht habe zu Unrecht ein Entbindungsantrag des Betroffenen abgelehnt, grundsätzlich auch dazu zu verhalten, dass der Vertreter, der den Entpflichtungsantrag gestellt hat, auch insoweit Vertretungsvollmacht hatte (vgl. Göhler aaO., § 74 Rn. 48b), wobei die Vertretungsvollmacht des Verteidigers ausreicht, wenn für diesen wie hier ein in Untervollmacht auftretender Verteidiger den Antrag stellt (Göhler aaO. § 73 Rn. 4). Das Rügevorbringen genügt gleichwohl auch im Hinblick darauf den Begründungsanforderungen, weil das Amtsgericht nicht nur die Ablehnung einer Entpflichtung nicht begründet hat (vgl. hierzu OLG Köln NZV 2005, 331, 332), sondern die Verteidigung auch substantiiert vorgetragen hat, dass mit dem Betroffenen die Antragstellung und Vertretung ausdrücklich abgesprochen war. Angesichts dieser Sachlage war ein näheres Eingehen auf das Vorliegen einer nachgewiesenen besonderen Vertretungsvollmacht ausnahmsweise entbehrlich.“

Und erfolgreich war das Rechtsmittel dann auch:

„2. Die Verfahrensrüge der Verletzung des § 73 Abs. 2 OWiG hat in der Sache bereits deshalb Erfolg, weil das Amtsgericht weder in seinem in der Hauptverhandlung ergangenen Beschluss noch in den Urteilsgründen dargelegt hat, warum es den Antrag des Betroffenen auf Entbindung abgelehnt hat.

Urteile, durch die ein Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 OWiG verworfen wird, sind so zu begründen, dass das Rechtsbeschwerdegericht die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung nachprüfen kann (ständige Rechtsprechung der Senate des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, vgl. Beschl. v. 20. Februar 2007 – 1 Ss (OWi) 45/07; Beschl. v. 26. März 2012 – 2 Ss (OWi) 24/12; Beschl. v. 17. April 2014 – [2 B] 53 Ss-OWi 176/14 [92/14]; vgl. auch OLG Düsseldorf VRS 74, 284, 285 m. w. N.). Dies gilt auch insoweit, als das Amtsgericht einen Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Erscheinenspflicht abgelehnt hat; im Falle der Ablehnung eines Antrags ohne nähere Begründung hat sich das Tatgericht jedenfalls im Urteil mit der Frage auseinanderzusetzen, warum dem Antrag nicht zu entsprechen war, weil anderenfalls das Rechtsbeschwerdegericht nicht in der Lage ist, zu prüfen, ob das Amtsgericht in rechtsfehlerfreier Weise den Entbindungsantrag des Betroffenen abgelehnt hat (OLG Dresden, Beschl. v. 8. März 2005 – Ss [OWi] 141/05, zit. nach Juris mwN.).

Auf die Gründe der Ablehnung des Entpflichtungsantrages ist das Amtsgericht jedoch weder bei der Beschlussfassung noch in den Urteilsgründen eingegangen. Auch lag es hier ausweislich der mit der Beschwerdebegründung dargelegten Umstände keinesfalls offensichtlich und eindeutig auf der Hand, dass die Voraussetzungen von § 73 Abs. 2 OWiG nicht vorlagen, so dass es einer näheren, der Überprüfung in der Rechtsbeschwerdeinstanz zugänglichen Begründung insbesondere dazu bedurft hätte, warum das Amtsgericht die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes für erforderlich erachtet hat.“

Gründe II: Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz, oder: Keine Bindung an Entscheidung des Familiengerichts

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, kommt vom KG. Das hat im KG, Beschl. v. 18.11.2021 – (2) 121 Ss 134/21 (27/21) – zu den Urteilsgründen im Fall einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das GewSchG Stellung genommen.

Das AG hat den Angeklagten u.a. wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz verurteilt. Dagegen die Berufung, die beim LG nur hinsichtlich der Strafhöhe Erfolg hatte. Und dagegen dann die Revision, die Erfolg hatte:

„1. Der Schuldspruch wegen zweier Straftaten gemäß § 4 GewSchG kann keinen Bestand haben, weil das Urteil keine Feststellungen enthält, anhand derer die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass der Gewaltschutzanordnung, deren Verletzung dem Angeklagten vorgeworfen wird, geprüft werden könnten. Eine Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG setzt voraus, dass das Strafgericht die materielle Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt, wobei es an die Entscheidung des Familiengerichts insoweit nicht gebunden ist (vgl. BGH NJW 2014, 1749-1752).

Gemäß § 4 Satz 1 Nr. 1 GewSchG macht sich strafbar, wer einer bestimmten vollstreckbaren Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder 3 GewSchG, jeweils auch in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1, zuwiderhandelt.

a) Weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der Vorschrift lässt sich eindeutig entnehmen, ob die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen Zuwiderhandlung gegen eine Gewaltschutzanordnung voraussetzt, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandlichen Voraussetzungen ohne Bindung an die Entscheidung des Familiengerichts selbst feststellt. Auch die systematische Auslegung lässt insoweit keine eindeutige Antwort zu (vgl. BGH aaO).

b) Jedoch führt die historische Auslegung der Blankettvorschrift des § 4 GewSchG zu dem eindeutigen Ergebnis, dass keine materielle Akzessorietät zur Schutzanordnung des Familiengerichts besteht. Den Gesetzesmaterialien lässt sich der dahingehende Wille des Gesetzgebers entnehmen, dass das Strafgericht nicht an die Entscheidung des die Anordnung nach § 1 GewSchG treffenden Gerichts gebunden ist. Ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung soll der Tatbestand des § 4 GewSchG nicht erfüllt sein, wenn sich bei der strafgerichtlichen Überprüfung der Anordnung herausstellt, dass die Anordnung nicht hätte ergehen dürfen, etwa weil der Täter die ihr zugrunde liegende Tat nicht begangen hat (vgl. BT-Drs. 14/5429, 32). Auf den im Hinblick auf die Praktikabilität Bedenken anmeldenden Einwand des Bundesrates, der um dahingehende Klarstellung im Gesetzgebungsverfahren bat, dass im Strafverfahren die Rechtmäßigkeit der Schutzanordnung nicht zu prüfen ist, hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung eine solche Klarstellung ausdrücklich verweigert (vgl. BT-Drs. aaO S. 39, 42). Dass seit dem Inkrafttreten des FamFG am 1. September 2019 für alle Verfahren nach §§ 1 und 2 GewSchG ausschließlich die Vorschriften des FamFG und nicht mehr die der ZPO anzuwenden sind, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn das Argument, welches der Gesetzgeber im Blick hatte, dass Entscheidungen, die nach den Vorschriften der ZPO ergangen sind, insbesondere in den Fällen möglicher Versäumnisurteile keine Gewähr für eine materielle Richtigkeit böten, ist durch die Änderung des Verfahrensrechts nicht substantiell entkräftet worden. Denn insbesondere bei den häufigen Schutzanordnungen im Wege der einstweiligen Anordnung, kommt der Antragsbegründung und Glaubhaftmachung des Antragsstellers, die bei besonderer Eilbedürftigkeit allein Grundlage der Anordnung sein können, ebenso eine herausragende Bedeutung zu (vgl. BGH aaO).“

StGB II: Die vorsätzliche Trunkenheitsfahrt, oder: Das gehört in die Urteilsgründe

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Die zweite Entscheidung kommt aus dem verkehrsrechtlichen Bereich. Das OLG Karlsruhe nimmt im OLG Karlsruhe Beschl. v. 23.04.2019 – 2 Rv 4 Ss 105/19 – noch einmal Stellung zu den Anforderungen an die Urteilsgründe bei einer Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen “ 316 StGB. Und zwar wie folgt:

b) Jedoch vermögen die Darstellungen in den Urteilsgründen den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Begehung der Trunkenheitsfahrt (§ 316 Abs. 1 StGB) nicht zu tragen. Das Amtsgericht hat eine vorsätzliche Tatbegehung angenommen und dies im Kern auf die „einschlägigen Vorstrafen“ des Angeklagten sowie darauf gestützt hat, dass ihm wegen einer Trunkenheitsfahrt am 27.11.2015 die Fahrerlaubnis entzogen und erst drei Tage vor der hier in Rede stehenden Trunkenheitsfahrt wieder erteilt worden sei. Diese Würdigung erweist sich als unzureichend.

1) Eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr setzt voraus, dass der Fahrzeugführer seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit kennt oder zumindest mit ihr rechnet. Die Feststellung der Fahruntüchtigkeit als innere Tatsache hat der Tatrichter auf der Grundlage des Ergebnisses der Hauptverhandlung und der Heranziehung und Würdigung aller Umstände zu treffen. Bei einem – wie hier – insoweit nicht geständigen Angeklagten müssen die für die Überzeugungsbildung des Tatgerichts verwendeten Beweisanzeichen lückenlos zusammengefügt und unter allen für ihre Beurteilung maßgebenden Gesichtspunkten gewürdigt werden. Nur so wird dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglicht, ob der Beweis der Schuldform (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) schlüssig erbracht ist und alle gleich naheliegenden Deutungsmöglichkeiten für und gegen den Angeklagten geprüft worden sind (OLG Hamm, Beschluss vom 16.02.2012 – III-3 RVs 8/12 – juris Rn. 7 m.w.N.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.05.2010 – 5 Ss 198/10 – juris Rn. 15 m.w.N.). Dabei kann nach wohl einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung, der auch der Senat folgt, auch bei deutlich die Grenze absoluter Fahruntüchtigkeit (1,1 Promille) übersteigenden BAK-Werten ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht allein hieraus auf ein vorsätzliches Handeln geschlossen werden; einen Erfahrungssatz, dass ein Kraftfahrer ab einer bestimmten BAK seine Fahruntüchtigkeit erkennt, gibt es nicht (OLG Hamm aaO Rn. 8; OLG Stuttgart aaO Rn. 16; Fischer, StGB, 66. Aufl. 2019, § 316 Rn. 46, jeweils m.w.N.). Bei der Beurteilung kommt es daher auf die Umstände des Einzelfalles an. Zu würdigen sind dabei insbesondere – soweit feststellbar – die Täterpersönlichkeit, der Trinkverlauf, der Zusammenhang zwischen Trinkverlauf und Fahrtantritt sowie das Verhalten des Täters vor und während der Fahrt (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 05.02.2013 – (2) 53 Ss 1/13 (4/13) -, juris Rn. 7; OLG Hamm aaO).

Dabei kann nach obergerichtlicher Rechtsprechung, der auch der Senat folgt, zwar aus einer vorangehenden einschlägigen Bestrafung und der damit verbundenen Warnwirkung je nach den Umständen des Einzelfalles auf ein vorsätzliches Handeln des Täters bei der neuen Trunkenheitsfahrt geschlossen werden (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 09.07.1995 – 3 Ss 164/94, NStZ-RR 1996, 85; Fischer aaO Rn. 46). Dies gilt jedoch nur dann, wenn der der früheren Verurteilung zugrundeliegende Sachverhalt in einem Mindestmaß mit dem aktuell zu beurteilenden vergleichbar ist. Nur in diesem Fall ist es denkbar und auch naheliegend, dass der Täter aus seiner früheren Bestrafung und dem darin liegenden Hinweis auf seine derzeitige Fahruntüchtigkeit vor der erneuten Trunkenheitsfahrt entsprechende Schlüsse gezogen hat, die den Vorwurf vorsätzlichen Handelns rechtfertigen. Es ist deshalb jedenfalls in der Regel unerlässlich, dass der einer einschlägigen Vorverurteilung zugrundeliegende Sachverhalt, aus dem auf die vorsätzliche Tatbegehung geschlossen werden soll, in den Urteilsgründen mitgeteilt wird (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 26.09.2018 – 3 Ss 25/18, BeckRS 2018, 28087; Beschluss vom 10.07.1997 – 21 Ss 138/97, NZV 1998, 123; abweichend KG Berlin, Urteil vom 24.11.2014 – (3) 121 Ss 155/14 (115/14), NZV 2015, 403).

2) Vorliegend hat sich das Amtsgericht bei der Darstellung der „einschlägigen Vorstrafen“ darauf beschränkt, die – ersichtlich dem Bundeszentralregisterauszug entnommenen – Daten zweier Urteile festzustellen, wonach der Angeklagte am „17.12.2005“ (offenkundig gemeint war insoweit wohl der 17.12.2015) wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu 60,- Euro verurteilt und eine Sperre für die Fahrerlaubniserteilung bis zum 16.12.2016 verhängt wurde und am 21.08.2017 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu 50,- Euro verurteilt wurde. Diese bezüglich des Urteils vom 17.12.2015 noch um Angaben des Angeklagten ergänzten Ausführungen – so gab der Angeklagte offenbar an, seine Blutalkoholkonzentration habe bei der damaligen Trunkenheitsfahrt „mehr als zwei Promille Alkohol betragen“ – genügen jedenfalls vorliegend nicht.

Es erschließt sich schon nicht, aus welchem Grunde das Amtsgericht „insbesondere aufgrund seiner einschlägigen Vorstrafen“, also aufgrund von mehreren vorangegangenen Straftaten davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte vorsätzlich handelte. Sollten die ausgesprochen knapp gehaltenen Ausführungen des Amtsgerichts – was naheliegt – dahingehend zu verstehen sein, dass mit einer der „einschlägigen Vorstrafen“ die Verurteilung vom 21.08.2017 gemeint gewesen ist, lässt sich mit Blick darauf, dass der Angeklagte dortmals wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, nicht aber wegen Trunkenheit im Verkehr verurteilt wurde aus, nichts dafür herleiten, inwieweit er hieraus überhaupt Lehren für zukünftiges Trink- und Fahrverhalten hätte ziehen müssen.

Ob und inwieweit die mit Urteil vom 17.12.2015 geahndete Trunkenheitsfahrt und die verfahrensgegenständliche Sache tatsächlich vergleichbar waren, lässt sich anhand der äußerst knappen und nur nach der Erinnerung des Angeklagten referierten Darstellung zur damaligen Trunkenheitsfahrt nicht erkennen. Schon mit Blick darauf, dass sich der Angeklagte an einen mutmaßlich deutlich höheren Promillewerte erinnerte (“über zwei Promille“), versteht es sich jedenfalls nicht von selbst, inwieweit er aus der damaligen Fahrt Rückschlüsse auf seine Fahruntüchtigkeit bei der verfahrensgegenständlichen Trunkenheitsfahrt gezogen haben muss.

Zu eingehenderer Erörterung der Schuldform bestand auch im Hinblick darauf Anlass, dass nach den Ausführungen des Amtsgerichts bei der Abnahme der Blutprobe bei den entsprechenden Tests keine besonderen (alkoholtypischen) Ausfallerscheinungen zu bemerken gewesen waren, sondern vielmehr der Angeklagte „nicht merkbar“ unter Alkoholeinfluss stand, was es zumindest nicht gänzlich fernliegend erscheinen lässt, dass für den Angeklagten selbst die alkoholische Beeinflussung weniger spürbar war und er sich deshalb für fahrtüchtig gehalten haben könnte (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 27.02.2008 – 2 Ss 23/08, NZV 2008, 304).

Soweit das Amtsgericht ergänzend darauf abgehoben hat, dass der Angeklagte nach Entzug der Fahrerlaubnis in der Zwischenzeit „sogar wegen einer MPU längere Zeit abstinent“ gelebt habe, begegnet dies vorliegend ebenfalls Bedenken. Das Amtsgericht teilt nicht mit, aus welchem Grunde das wegen einer anstehenden medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) abstinent geführte Leben des Angeklagten Rückschlüsse auf sein subjektives Vorstellungsbild zu seiner Fahr(un)tüchtigkeit zulassen soll. Dies versteht sich – jedenfalls ohne jegliche nähere Erörterung – auch nicht von selbst. Denn der Umstand, dass der Angeklagte in dem Wissen einer anstehenden MPU abstinent gelebt hat, lässt naheliegende Rückschlüsse zunächst nur auf seine Fähigkeit, auf Alkoholkonsum verzichten zu können, zu, nicht aber darauf, von welchen Auswirkungen des Alkoholkonsums auf seine Fahrtüchtigkeit er selbst im Einzelnen ausging.“

Und dann gibt es gleich noch einen „ganzen Sack“ „Segelanweisungen:

3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Der neue Tatrichter wird zu prüfen haben, ob weitere Feststellungen, die den Schluss auf eine vorsätzliche Verwirklichung des Tatbestandes der Trunkenheit im Verkehr tragen könnten, getroffen werden können. In diesem Zusammenhang scheint jedenfalls die Beiziehung der den Vorverurteilungen zugrundeliegenden Verfahrensakten oder jedenfalls derer Strafbefehle unverzichtbar.

b) Der neue Tatrichter wird weiter in den Blick zu nehmen haben, dass es im Falle der Verurteilung nach § 316 StGB in aller Regel nicht genügt, neben der Höhe der Blutalkoholkonzentration und der Schuldform lediglich anzugeben, dass der Angeklagte zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort ein Fahrzeug geführt habe. Die Schuld des Täters – ebenso die Frage der Ungeeignetheit zur Führung von Kraftfahrzeugen und die Dauer der Sperrfrist (§ 69a StGB) – kann in derartigen Fällen nämlich wesentlich durch die Umstände der Alkoholaufnahme und durch die Gegebenheiten der Tat selbst bestimmt sein. Wesentliche Faktoren der Tat selbst können – unter dem Gesichtspunkt des Ausmaßes der herbeigeführten Gefahr – die Dauer und die Länge der bereits zurückgelegten und der noch beabsichtigten Fahrstrecke sowie die Verkehrsbedeutung der befahrenen Straße sein (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 29.10.2008 – 2 Ss 176/08, BeckRS 2008, 23653 m.w.N.). Der neue Tatrichter wird sich daher für eine sachgerechte Rechtsfolgenbestimmung darum zu bemühen haben, zu zumindest einigen nach Lage des Einzelfalls besonders relevanten Umständen (hierzu eingehend OLG Koblenz aaO) entsprechende Feststellungen zu treffen.

c) Bei der Bemessung der Sperrfrist für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis gemäß § 69a StGB wird neben der Schuldform auch zu berücksichtigen sein, dass der Angeklagte trotz hoher Blutalkoholkonzentration keine Ausfallerscheinungen aufwies. Die hieraus ersichtliche Trinkgewöhnung lässt möglicherweise auf das Vorliegen einer Alkoholproblematik schließen.

d) Der neue Tatrichter wird bei der Strafzumessung weiter zu prüfen haben, inwieweit die besonderen gesetzlichen Voraussetzungen der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nach § 47 Abs. 1 StGB trotz des mittlerweile eingetretenen Zeitablaufs noch vorliegen oder ob nicht die Verhängung einer Geldstrafe ausreicht.

e) Nachdem vorliegend die Revisionsbegründungsfrist bereits am 23.05.2018 abgelaufen war, die Verfahrensakten – in einer Führerscheinsache – bei der Generalstaatsanwaltschaft aber erst am 31.01.2019, mithin mehr als acht Monate später eingegangen sind, wird der neue Tatrichter eingehend zu prüfen haben, ob insoweit im Revisionsverfahren eine im Vergleich zum üblichen Verfahrensgang unangemessene Verfahrensverzögerung eingetreten und daher seitens der Justizbehörden das Gebot zügiger Verfahrenserledigung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) verletzt worden ist. Sollte der neue Tatrichter zu dem Ergebnis gelangen, dass insoweit eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung eingetreten ist, wird er weiter zu prüfen haben, ob zur Kompensation der Verzögerung die ausdrückliche Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung genügt oder in Anwendung der Grundsätze der Vollstreckungslösung die Verzögerung durch Bestimmung eines als vollstreckt geltenden Teils der Strafe zu kompensieren ist (hierzu näher Schönke/Schröder/Kinzig, 30. Aufl. 2019, StGB § 46 Rn. 57e mit zahlr. Nachw.).

Alkoholfreies Weizen bestellt, mit Alkohol bekommen, oder: Das AG glaubts…..

entnommen wikimedia.org Urheber Ukko.de

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Schon etwas älter ist der KG, Beschl. v. 03.03.2016 – 3 Ws (B) 106/16, hängt also auch schon etwas länger in meinem Blogordner. Das KG behandelt in seiner Entscheidung die Anforderungen an die Darlegungen im Urteil bei einem (unechtem Teil) Freispruch vom Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG im Falle der angeblich unbewussten Alkoholaufnahme. Das ist ja eine nicht seltene Einlassung. Hier hatte der Betroffene geltend gemacht, er habe in einer Gaststätte ein alkoholfreies Weizenbier bestellt, aber offenbar ein alkoholhaltiges erhalten, und auch vor und während der Fahrt habe er nicht bemerkt, alkoholisiert gewesen zu sein. Das hatte ihm die Amtsrichterin geglaubt und vom Vorwurf eines Verstoßes gegen § 24a StVG frei gesprochen.

Das KG hat Bedenken gegen die Beweiswürdigung, da das AG „vergessen“ hat „auch die gegen den Betroffenen sprechenden Umstände in gleicher Weise darzustellen und zu erörtern (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 338, NStZ 2012, 227; Meyer-Goßner/Schmidt, StPO 58. Aufl., § 267 Rn. 33). Auch enthält das Urteil, obwohl sich der Betroffene umfassend eingelassen hat, keine Angaben zum Zeitpunkt des Trinkendes. Daneben verhält sich das Urteil auch nicht zu weiteren Parametern, die dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung der Beweiswürdigung ermöglichen könnten.“

„Das Urteil lässt eine kritische Auseinandersetzung mit der Behauptung des Betroffenen vermissen, er habe nur „ein Weizenbier“ getrunken. Einer Erörterung hätte es bedurft, weil die beim Betroffenen um 2.22 Uhr und damit 42 Minuten nach einem von Polizeibeamten beobachteten Rotlichtverstoß gemessene Atemluft eine Alkoholkonzentration von 0,35 mg/l aufwies. Auch wenn sich in der Literatur Angaben über Konversionsfaktoren mit einer Schwankungsbreite in Extremen zwischen 1 : 0,7 und 1 : 6,0 finden (vgl. Haffner/Graw, NZV 2009, 209 mwN; Haffner/Dettling, Blutalkohol 52, 233) und mithin eine exakte Konvertierung von Atemalkohol in Blutalkohol im wissenschaftlich-arithmetischen Sinn ausgeschlossen ist, so ist die Wahrscheinlichkeit doch sehr hoch, dass eine um 2.22 Uhr entnommene Blutprobe einen deutlich höheren Blutalkoholwert (in Promille) ergeben hätte. Dies gilt umso mehr, als die Urteilsfeststellungen es in zeitlicher und örtlicher Hinsicht als denkbar oder sogar naheliegend erscheinen lassen, dass der Atemalkohol nicht in der Anflutungs-, sondern in der sog. postresorptiven Eliminationsphase gemessen wurde. In diesem Abschnitt steigen die Konversionsfaktoren gegenüber der Trinkphase deutlich an, nämlich auf durchschnittlich etwas über 1 : 2 (vgl. Haffner/Graw, aaO; Haffner/Dettling, aaO: zwischen 1 : 1,99 und 1 : 2,33). Auf dieser Grundlage geht auch der Gesetzgeber von einer „normativen Entsprechung“ der Messverfahren im Verhältnis von 1 : 2 aus. Dabei will er den Betroffenen, dessen Atemalkohol gemessen wird, eher etwas günstiger stellen als jenen, dessen Blut untersucht wird, so dass die (hier nicht gemessene) Blutalkoholkonzentration des Betroffenen, zumal die Trinkphase schon länger abgeschlossen war und ggf. die Phase überwiegender Alkoholelimination begonnen hatte, mit einiger Wahrscheinlichkeit sogar noch über dem verdoppelten Atemalkoholwert gelegen hätte.

Für die hier alleine in den Blick zu nehmende Bestimmung der erforderlichen Darstellungs- und Erörterungstiefe im Urteil ergibt sich daraus, dass eine Orientierung an der – zudem auf empirisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgehenden – normativen Wertung des Gesetzgebers zulässig und geboten ist. Danach musste das Amtsgericht die Behauptung des Betroffenen, er habe nur „ein Weizenbier“ getrunken, mit der Möglichkeit abgleichen, dass um 2.22 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von ca. 0,7 Promille auf ihn wirkte. Eine Erörterung dieses Umstands lag umso näher, als allein zwischen der Gestellung des Betroffenen und der Messung 42 Minuten lagen. Die vom Betroffenen zuvor besuchte Gastwirtschaft wiederum lag mehr als 15 im innerstädtischen Verkehr zurückzulegende Kilometer vom Gestellungsort entfernt, so dass von einem noch deutlich früheren Trinkende auszugehen und gegebenenfalls in Rechnung zu stellen war, dass die mit dem Genuss von 0,5 l Weizenbier aufgenommene Alkoholmenge (ca. 20 g) bereits ganz oder zumindest teilweise abgebaut gewesen wäre.

Zwar bewertet es der nicht sachverständig beratene Senat nicht als Verstoß gegen die Denkgesetze, dass das Amtsgericht dem Betroffenen geglaubt hat, er habe nur „ein Weizenbier“ getrunken, und schon gar nicht ersetzt der Senat die Würdigung der Tatrichterin durch seine eigene. Die im Urteil geschilderten Umstände lassen die Einlassung jedoch als so überprüfungs- und klärungsbedürftig erscheinen, dass es einer vertieften Darstellung und Auseinandersetzung mit den Begleitumständen bedurft hätte. Hinzunehmen wäre die Bewertung des Amtsgerichts gegebenenfalls gewesen, wenn das Urteil ein ausgesprochen leichtes Körpergewicht des Betroffenen mitgeteilt hätte, so dass bereits geringe Mengen Alkohol zu der festgestellten, den Gefahrengrenzwert des § 24a StVG erheblich überschreitenden Alkoholisierung geführt haben könnten. Nach einer überschlägigen Berechnung des Senats und (sogar) unter Außerachtlassung möglichen Abbaus müsste der Betroffene allerdings zur Tatzeit weniger als 40 kg gewogen haben. Unter zusätzlicher Berücksichtigung begonnener Alkoholelimination dürfte die vom Betroffenen angegebene Trinkmenge indes kaum plausibel sein.

Daneben ist auch die Beweiswürdigung nicht frei von Rechtsfehlern. Eine einen Rechtsfehler im Sinn des § 79 Abs. 3 OWiG iVm § 337 Abs. 1 StPO darstellende Lücke liegt vor, wenn die Beweiswürdigung wesentliche Feststellungen nicht erörtert (vgl. etwa BGH NStZ-RR 2016, 54) oder nur eine von mehreren gleich naheliegenden Möglichkeiten prüft (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 147). Das ist hier der Fall. Der Senat versteht das Urteil so, dass es das Amtsgericht als Indiz für die Glaubhaftigkeit der Behauptung des Betroffenen, er habe eigentlich alkoholfreies Bier trinken wollen, gewertet hat, dass er an Krebs leidet und „seit ca. einem Jahr generell keinen Alkohol“ trinke. Zugleich hat das Amtsgericht dem Betroffenen geglaubt, dass er „vor Fahrtantritt sowie während der Fahrt nicht merkte, dass er unter dem Einfluss alkoholischer Getränke stand“. Es mag entfernt denkbar sein, dass ein seit einem Jahr alkoholabstinent Lebender den zu einer Atemalkoholkonzentration von 0,35 mg/l führenden Alkohol nicht spürt. Jedenfalls müsste das Urteil aber erkennen lassen, dass sich die Richterin der Besonderheit dieses Umstands bewusst war, und es wäre darzulegen gewesen, dass und warum dem Betroffenen gleichwohl geglaubt werden konnte.“

Solche Entscheidungen zeigen ja immer auch, was man als Verteidiger ggf. im Blick behalten muss. Und: Die Entscheidung passt so richtig schön zu dem heißen Wetter. Aber: Zu Fuß gehen!