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Gründe II: Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz, oder: Keine Bindung an Entscheidung des Familiengerichts

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, kommt vom KG. Das hat im KG, Beschl. v. 18.11.2021 – (2) 121 Ss 134/21 (27/21) – zu den Urteilsgründen im Fall einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das GewSchG Stellung genommen.

Das AG hat den Angeklagten u.a. wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz verurteilt. Dagegen die Berufung, die beim LG nur hinsichtlich der Strafhöhe Erfolg hatte. Und dagegen dann die Revision, die Erfolg hatte:

„1. Der Schuldspruch wegen zweier Straftaten gemäß § 4 GewSchG kann keinen Bestand haben, weil das Urteil keine Feststellungen enthält, anhand derer die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass der Gewaltschutzanordnung, deren Verletzung dem Angeklagten vorgeworfen wird, geprüft werden könnten. Eine Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG setzt voraus, dass das Strafgericht die materielle Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt, wobei es an die Entscheidung des Familiengerichts insoweit nicht gebunden ist (vgl. BGH NJW 2014, 1749-1752).

Gemäß § 4 Satz 1 Nr. 1 GewSchG macht sich strafbar, wer einer bestimmten vollstreckbaren Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder 3 GewSchG, jeweils auch in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1, zuwiderhandelt.

a) Weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der Vorschrift lässt sich eindeutig entnehmen, ob die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen Zuwiderhandlung gegen eine Gewaltschutzanordnung voraussetzt, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandlichen Voraussetzungen ohne Bindung an die Entscheidung des Familiengerichts selbst feststellt. Auch die systematische Auslegung lässt insoweit keine eindeutige Antwort zu (vgl. BGH aaO).

b) Jedoch führt die historische Auslegung der Blankettvorschrift des § 4 GewSchG zu dem eindeutigen Ergebnis, dass keine materielle Akzessorietät zur Schutzanordnung des Familiengerichts besteht. Den Gesetzesmaterialien lässt sich der dahingehende Wille des Gesetzgebers entnehmen, dass das Strafgericht nicht an die Entscheidung des die Anordnung nach § 1 GewSchG treffenden Gerichts gebunden ist. Ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung soll der Tatbestand des § 4 GewSchG nicht erfüllt sein, wenn sich bei der strafgerichtlichen Überprüfung der Anordnung herausstellt, dass die Anordnung nicht hätte ergehen dürfen, etwa weil der Täter die ihr zugrunde liegende Tat nicht begangen hat (vgl. BT-Drs. 14/5429, 32). Auf den im Hinblick auf die Praktikabilität Bedenken anmeldenden Einwand des Bundesrates, der um dahingehende Klarstellung im Gesetzgebungsverfahren bat, dass im Strafverfahren die Rechtmäßigkeit der Schutzanordnung nicht zu prüfen ist, hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung eine solche Klarstellung ausdrücklich verweigert (vgl. BT-Drs. aaO S. 39, 42). Dass seit dem Inkrafttreten des FamFG am 1. September 2019 für alle Verfahren nach §§ 1 und 2 GewSchG ausschließlich die Vorschriften des FamFG und nicht mehr die der ZPO anzuwenden sind, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn das Argument, welches der Gesetzgeber im Blick hatte, dass Entscheidungen, die nach den Vorschriften der ZPO ergangen sind, insbesondere in den Fällen möglicher Versäumnisurteile keine Gewähr für eine materielle Richtigkeit böten, ist durch die Änderung des Verfahrensrechts nicht substantiell entkräftet worden. Denn insbesondere bei den häufigen Schutzanordnungen im Wege der einstweiligen Anordnung, kommt der Antragsbegründung und Glaubhaftmachung des Antragsstellers, die bei besonderer Eilbedürftigkeit allein Grundlage der Anordnung sein können, ebenso eine herausragende Bedeutung zu (vgl. BGH aaO).“