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Trunkenheitsfahrt – Vorsatz?

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Es gibt so einige Fragen/Probleme, von denen denkt man, dass sie sich erledigt haben oder haben sollten, und dann auf einmal sind sie wieder da, weil es dazu eine Entscheidung gibt. Zu den Problemen gehört die Frage nach dem erforderlichen Umfang der Feststellungen und oder Ausführungen im Urteil bei der Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB). Da ist/war auch länger Ruhe.

Die Problematik its jetzt wieder im OLG Hamm, Beschl. v. 16. 02. 2012 – III-3 RVs 8/12 – aufgetreten. Die Angeklagte ist mit 2,39‰ gefahren, das LG hat sie wegen eines Vorsätzlichen Verstoßes verurteilt. Die Berufungskammer hat zum Vorsatz zwar einiges geschrieben, nach Auffassung des OLG Hamm aber nicht genug. Das OLG vermisst – daran kranken die Urteile der AG und LG häufig eine Auseinandersetzung mit der

naheliegenden Möglichkeit auseinandergesetzt, dass die Erkenntnis- und Kritikfähigkeit der Angeklagten aufgrund ihrer fortgeschrittenen Alkoholisierung zum Zeitpunkt des Fahrtantrittes so weit herabgesetzt war, dass sie ihre Fahruntüchtigkeit tatsächlich nicht mehr erkannt hat.

Dazu der Beschluss:

aa) Hierfür spricht zunächst der hohe Grad der Alkoholisierung der Angeklagten. Für die Prüfung der Erkenntnis- und Kritikfähigkeit der Angeklagten zum Zeitpunkt des Fahrtantrittes ist bei der Bestimmung der Blutalkoholkonzentration (BAK) zu ihren Gunsten von einem maximalen BAK-Wert auszugehen. Damit sind im Falle der Entnahme und Untersuchung einer Blutprobe die gleichen Rückrechnungsgrundsätze wie bei der Prüfung der Schuldfähigkeit anzuwenden. Es sind demnach ein stündlicher Abbauwert von 0,2‰ sowie ein einmaliger Sicherheitszuschlag von 0,2‰ zu berücksichtigen (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl. [2012], § 20 Rdnr. 13). Da die Blutprobe im vorliegenden Falle etwa eineinhalb Stunden nach dem Fahrtbeginn entnommen wurde, ist von einer Tatzeit-BAK von 2,89‰ auszugehen. Dieser Wert liegt schon nahe an dem Wert von 3‰, der nach gefestigter Rechtsprechung in der Regel sogar Anlass für die Prüfung einer Aufhebung der Steuerungsfähigkeit ist (vgl. die Nachweise bei Fischer, a.a.O., Rdnr. 20).

 Weitere Indizien für eine Herabsetzung der Erkenntnis- und Kritikfähigkeit der Angeklagten zum Zeitpunkt des Fahrtantrittes sind darüber hinaus ihr Verhalten während der Polizeikontrolle, namentlich der wenig durchdacht und wenig erfolgversprechend erscheinende Versuch, der Polizei einen nicht existierenden „Bekannten“ als Fahrer zu präsentieren, sowie ihr sowohl verbal als auch physisch aggressives Verhalten gegenüber den Polizeibeamten, und schließlich auch die Feststellung des sie auf der Polizeiwache untersuchenden Arztes, ihr Denkablauf sei verworren.

 bb) Die vorbezeichneten Umstände hätten eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Möglichkeit einer der vorsätzlichen Tatbegehung entgegenstehenden Herabsetzung der Erkenntnis- und Kritikfähigkeit der Angeklagten zum Zeitpunkt des Fahrtantrittes erforderlich gemacht. Entsprechende Darlegungen finden sich in dem angefochtenen Urteil indes nicht. Der Hinweis auf die einschlägigen Vorstrafen und die Alkoholtherapien der Angeklagten vermag die erforderlichen Darlegungen zur Erkenntnis- und Kritikfähigkeit nicht entbehrlich zu machen. Warum die Therapiemaßnahmen die Angeklagte in die Lage versetzt haben, auch bei einer derart hohen BAK wie im vorliegenden Falle ihre Fahruntüchtigkeit zweifelsfrei zu erkennen, ergibt sich aus dem Urteil nicht. Gleiches gilt im Ergebnis für die einschlägigen strafrechtlichen Vorbelastungen der Angeklagten. Sie ist zwar nach den Urteilsfeststellungen schon zweimal wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr und einmal wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu Freiheitsstrafen – jeweils unter Strafaussetzung zur Bewährung – verurteilt worden. Die diesen Verurteilungen zugrundeliegenden und im angefochtenen Urteil mitgeteilten Sachverhalte sind mit der vorliegenden Fallkonstellation indes nicht vergleichbar, weil die BAK bei den früheren Taten jeweils deutlich unter dem hier festgestellten Wert lag.“

Na, wann liest man dazu schon mal was in einem amtsgerichtlichen Urteil – in landgerichtlichen schon eher. Und die Frage kann ja erhebliche Bedeutung für das Strafmaß und die Fahrerlaubnissperre habe.

Das Adhäsionsurteil

Adhäsionsverfahren nehmen in der Praxis an Bedeutung zu. Das zeigt sich m.E. an der zunehmenden Zahl von Entscheidungen auch des BGH, die es zum Adhäsionsverfahren gibt. Deshalb der Hinweis auf den BGH, Beschl. v.23.02.2012 – 4 StR 602/11 – der sich noch einmal mit den Anforderungen an das Adhäsionsurteil bzw. an adhäsionsrechtlichen Teil eines Urteils befasst.

Das LG hatte den Angeklagtenauf der Grundlage von § 823 Abs. 1 i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB unter Berücksichtigung von ihm bereits gezahlter 1.000 €verurteilt, an die Nebenklägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von (noch) 5.000 € zu zahlen. Zur Begründung hatte es ausgeführt, der Angeklagte habe Leben und Gesundheit der Nebenklägerin ganz erheblich verletzt; beim Würgen habe sie Todesangst verspürt. Eine billige Entschädigung in Höhe von 6.000 Euro sei daher angemessen.

Dazu der BGH (noch einmal):

Diese Begründung trägt den Adhäsionsausspruch schon deshalb nicht, weil die Strafkammer, wie es regelmäßig erforderlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 2 StR 100/10, NStZ-RR 2010, 344), die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten und der Nebenklägerin nicht erörtert hat. Ob sich im Einzelfall eine ausreichende Begründung aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben kann (so BGH, Urteil vom 27. September 1995 – 3 StR 338/95, BGHR StPO § 404 Abs. 1 Entscheidung 4) oder ausdrückliche Feststellungen für eine gerechte Festsetzung des Schmerzensgeldes immer unabdingbar sind (so Senatsbeschluss vom 14. Mai 1996 – 4 StR 174/96, StV 1997, 302), kann hier offen bleiben. Aus dem angefochtenen Urteil ergeben sich weder die Höhe der Einkünfte des freiberuflich tätigen Angeklagten und seine sonstigen Vermögensumstände noch Näheres über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Nebenklägerin. Angesichts der Höhe des zugesprochenen Schmerzensgeldes hätte es hierzu entsprechender Feststellungen bedurft. Ohne sie lässt sich die Möglichkeit nicht ausschließen, dass die Verpflichtung zur Zahlung des zuerkannten Betrages für den Angeklagten eine unbillige Härte bedeutet.“

Sauklaue – und: Da hat es aber einer eilig gehabt

Als Kommentar zu dem OLG Köln, Beschl. v. 19.07.2011 – III 1 RVs 166/11 – zugrundeliegenden amtsgerichtlichen Urteil fiel mir spontan ein: Sauklaue, und: Da hat es aber einer eilig gehabt. Denn das OLG hat die amtsgerichtliche Entscheidung aus zwei Gründen aufgehoben.

Zunächst: Wegen der Sauklaue – ein formeller Mangel. Das Urteil war nämlich nicht unterschrieben. Nun ja, unterschrieben war es bzw. da stand etwas, aber nicht so, wie man sich eine Unterschrift wünscht. Zur wirksamen Unterzeichnung eines Urteils ist nämlich ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender individueller Schriftzug erforderlich, der sich nicht nur als Namenskürzel (Paraphe) darstellt, sondern charakteristische Merkmale einer Unterschrift mit vollem Namen aufweist und die Nachahmung durch einen Dritten zumindest erschwert. Dazu das OLG:

„Eine diesen Anforderungen genügende Unterschrift weist das angefochtene Urteil nicht auf. Es ist handschriftlich lediglich mit Zeichen versehen, die keinerlei Ähnlichkeit mit einem einzigen Buchstaben oder mit einer Buchstabenfolge aus dem Namen „Q.“ aufweisen. Sie bestehen vielmehr lediglich aus einer Art nach rechts geneigter Sinuskurve mit einer kleinen Schlaufe am unteren linken Rand des Aufstrichs.“

Und dann: „Da hat es aber einer eilig gehabt“….denn: Das Urteil hatte keine tatsächlichen Feststellungen, sondern da hieß es nur: Die Hauptverhandlung hat zu folgenden Feststellungen geführt:<einrücken wie () AS Bl. 65 d. A.>“ Super :-(. Nein ganz schlecht. Denn der Amtsrichter hatte es wohl wirklich eilig. Er hat nicht nur die „Feststellungen eingerückt“. Das Kürzel „AS“ spricht für die Anklageschrift, also hat er offenabr keine eigenen Feststellungen in der Hauptverhandlung getroffen, oder? Und: Er hat beim Unterschreiben (s.o.) noch nicht einmal gemerkt, dass die Kanzlei seine Arbeitsanweisung „einrücken wie…2 nicht ausgeführt, sondern einfach so übernommen hat. Also ein ganz Schneller/Eiliger.

Also: „Sauklaue“ ist nicht so schlimm, das kann passieren und sollte für den Verteidiger gelegentlich Anlass sein, seine Unterschrift mal zu überprüfen. Lesbar? Schlimmer finde ich den zweiten Punkt. So eilig sollte man es nun nicht haben. Denn immerhin war eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen festgesetzt…

OLG Hamm zur Geschwindigkeitsüberschreitung und Geständnis

Das OLG Hamm, Beschl. v. 15.02.2011 – III-3 RBs 30/11 bestätigt die Rechtsprechung des 3. Senats für Bußgeldsachen, wonach bei geständiger Einlassung eines Betroffenen Feststellungen zu Messverfahren und Toleranzabzug im Urteil unterbleiben dürfen; andere Senate und Gerichte sehen das ein wenig strenger.

Eine Verurteilung wegen fahrlässiger Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit sei nicht zu beanstanden, wenn im Urteil zwar Angaben zum Messverfahren und zum Toleranzabzug nicht enthalten sind, der Betroffene sich aber vollumfänglich geständig eingelassen hat. Die fraglichen Angaben seien kein Teil der den Schuldspruch wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung tragenden Feststellungen, sondern gehören zu der ihm zugrunde liegenden Beweiswürdigung. In deren Rahmen dürfen sie durch die Bezugnahme auf das Geständnis des Betroffenen unterbleiben. Es reiche aus, wenn der Tatrichter sich Gewissheit von der Richtigkeit des Geständnisses verschafft hat und dies in den Urteilsgründen eindeutig zum Ausdruck bringt.

Verleihe nie deinen Ausweis, denn das könnte fatale Folgen haben

Na, das habe ich bisher aber auch noch nicht gelesen bzw. der Sachverhalt, der der Entscheidung des BVerfG v. 10.09.2010 – 2 BvR 2242/09 zugrunde liegt, dürfte in der Praxis nicht so häufig vorkommen. Da wendet sich ein Verurteilter gegen die Ablehnung der Berichtigung eines Strafurteils. Er macht geltend: Er sei trotz übereinstimmender Personalien nicht die in der Hauptverhandlung erschienene und verurteilte Person und habe auch mit dem der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt nichts zu tun. Der wahre Täter und Verurteilte sei ein anderer. Er habe diesem zeitweise seinen Ausweis überlassen. Nachdem er, der Verurteilte, zur Hauptverhandlung geladen worden sei, habe ihm der wahre Täter versprochen, die Sache zu regeln. Weiterlesen