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Regress des Polizeibeamten für eine Einsatzfahrt, oder: 92 km/h innerorts, mit Blaulicht, ohne Martinshorn

Ein Polizeibeamter, der auf dem Weg zu einem Einsatz ein bisschen „zu tief geflogen “ ist und einen Verkehrsunfall verursacht hat, verstößt grob fahrlässig gegen dienstliche Sorgfaltspflichten, wenn es nur um einen Einbruch gegangen ist. So das VG Berlin im VG Berlin, Urt. v. 18.03.2024 – 5 K 65/21. Folge: Der Dienstherr kann Regress nehmen:

„2. Auch materiell ist der Bescheid rechtmäßig. Der Kläger hat ihm obliegende Pflichten grob fahrlässig verletzt und so an einem Dienstfahrzeug einen Schaden verursacht, den er zumindest in der geltend gemachten Höhe ersetzen muss.

Der Kläger hat die ihm nach der Straßenverkehrsordnung obliegenden Pflichten verletzt.

Er hat, obwohl er eine entsprechende Freigabe erhalten hatte, keine Wegerechte im Sinne von § 38 Abs. 1 StVO in Anspruch genommen; dafür hätte er blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn verwenden müssen; dies hätte die Anordnung bedeutet: „Alle übrigen Verkehrsteilnehmer haben sofort freie Bahn zu schaffen“ (§ 38 Abs. 1 Satz 2 StVO). Vielmehr hat er nur blaues Blinklicht eingeschaltet und damit lediglich Sonderrechte im Sinne von § 35 StVO genutzt. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift ist (unter anderem) die Polizei von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung befreit, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist. Abs. 8 bestimmt, dass Sonderrechte nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden.

Hieran gemessen durfte der Kläger, der sich auf einer Einsatzfahrt zu einem gegenwärtig stattfindenden Einbruch befand, die allgemeinen Verkehrsregeln, insbesondere auch die Vorschriften über die zulässige Höchstgeschwindigkeit, missachten. Dies jedoch nur in einem Umfang, der in einem angemessenen Verhältnis zur dadurch verursachten Gefährdung der öffentlichen Sicherheit steht.

Das hat der Kläger nicht beachtet, indem er an einem Freitagabend um kurz nach 18:00 Uhr innerorts sein Dienstfahrzeug mit 95 km/h bzw. (kurz vor Einleitung der Vollbremsung) mit 92 km/h geführt hat. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um rund 90 % war weder geboten noch gerechtfertigt.

Die Verhältnisse am Unfallort verlangen vom Kläger größere Vorsicht und damit eine niedrigere Geschwindigkeit: Der Eichborndamm ist zwar eine Durchgangsstraße im Bezirk Reinickendorf; sie liegt jedoch im innerörtlichen Bebauungszusammenhang und ist rechts und links von Wohnhäusern gesäumt; der Unfallort liegt in Fahrtrichtung gesehen hinter einer leichten Rechtskurve, wie das vom Kläger vorgelegte Luftbild deutlich macht. Zum Unfallzeitpunkt, einem Freitagabend kurz nach 18:00 Uhr, war es bereits dunkel (Sonnenuntergang ca. 16:30 Uhr, Dämmerungsende ca. 17:10 Uhr).

Unter diesen Umständen musste der Kläger mit der Möglichkeit rechnen, auf ein Hindernis zu treffen. Das konnte ein anderes Kraftfahrzeug sein, das vom rechten Fahrbahnrand anfährt, aus einer Grundstücksausfahrt (von links oder rechts) herausfährt oder das (wie offenbar geschehen) auf der Fahrbahn wendet. Das hätte aber auch ein die Fahrbahn überquerender Fußgänger, ein Rollstuhlfahrer oder ein Radfahrer sein können.

Diesem jederzeit zu erwartenden Hindernis hätte der Kläger seine Geschwindigkeit anpassen müssen, um rechtzeitig bremsen und eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer vermeiden zu können. Die Datenauswertung des konkreten Bremsvorgangs hat gezeigt, dass bei einer Geschwindigkeit von 92 km/h auch eine 50 m (2,7 Sekunden) vor der Kollision eingeleitete Vollbremsung den Zusammenprall nicht verhindern konnte. Vielmehr hatte der Kläger 13,5 m (1,1 Sekunden) vor der Kollision noch eine Geschwindigkeit von 61 km/h und traf mit einer Geschwindigkeit von 30-35 km/h auf das Fahrzeug des Unfallgegners.

Dabei ist im Übrigen zu berücksichtigen, dass der Bremsweg exponentiell mit der Geschwindigkeit wächst. Bei einer Geschwindigkeit von 75 km/h (also einer Reduzierung gegenüber der gefahrenen Geschwindigkeit von 92 km/h um knapp ein Fünftel) hätte sich der Bremsweg rechnerisch (s = v2 ./. 2a, das heißt Bremsweg = Quadrat der Geschwindigkeit in m/s, geteilt durch das Doppelte der Bremsverzögerung in m/s2, hier laut Unfalldatenschreiber 7,2 m/sec2) um mehr als ein Drittel (von 45,5 auf 30,1 m) reduziert.

Der Einsatzzweck rechtfertigte nicht die Inkaufnahme der Gefährdung Dritter. Es handelte sich zwar um einen Einsatz im Zusammenhang mit einem gegenwärtigen Einbruch; eine akute Gefährdung von Personen, gar Lebensgefahr, stand jedoch nicht in Rede.

Durch diese Pflichtverletzung hat der Kläger den Schaden auch verursacht. Wäre er (pflichtgemäß) langsamer gefahren, wäre sein Bremsweg kürzer gewesen, und er hätte den Zusammenprall vermeiden können.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob und wie es sich auf die Entstehung des Unfalls ausgewirkt hat, dass der Kläger kein Signalhorn eingeschaltet hatte. Zwar ist es naheliegend, dass das Signalhorn die (akustische) Wahrnehmbarkeit des Einsatzfahrzeuges erhöht und damit die Gefahr der Kollision verringert hätte. Allerdings haben die beteiligten Polizeibeamten angegeben, dass bei dem zweiten Einsatzfahrzeug, das dem des Klägers folgte, das Signalhorn eingeschaltet war. Es bedürfte gegebenenfalls weiterer Aufklärung, in welchem Abstand das zweite Einsatzfahrzeug von dem des Klägers gefahren ist und wie sich dieser Abstand auf die Lautstärke des Signals im bzw. bei dem unfallgegnerischen Fahrzeug ausgewirkt hat. Auch wenn man unterstellt, dass das Unterlassen, das Signalhorn einzuschalten, die Gefahr des Zusammenpralls in diesem konkreten Einzelfall nicht erhöht hat, bleibt es bei dem (für den Unfall jedenfalls kausalen) Verstoß gegen die Pflicht, auch bei der Inanspruchnahme von Sonderrechten mit angemessener Geschwindigkeit zu fahren.

Dem Kläger ist auch grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Ein Beamter verhält sich grob fahrlässig im Sinne des § 48 BeamtStG, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss, oder die einfachsten, ganz naheliegenden Überlegungen nicht anstellt. Dieser Fahrlässigkeitsbegriff bezieht sich auf ein individuelles Verhalten; er enthält einen subjektiven Vorwurf. Daher muss stets unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände, der individuellen Kenntnisse und Erfahrungen des Handelnden beurteilt werden, ob und in welchem Maß sein Verhalten fahrlässig war. Welchen Grad der Fahrlässigkeitsvorwurf erreicht, hängt von einer Abwägung aller objektiven und subjektiven Tatumstände im Einzelfall ab (vgl. OVG Bautzen, Beschluss vom 28. Juli 2023 – 2 A 411/22 -, juris Rn. 8 m.w.N.).

Daran gemessen ist das Verhalten des Klägers als grob fahrlässig zu bewerten. Ihm musste sich aufdrängen, dass unter den konkreten örtlichen Verhältnissen (innerörtliche Straße mit Wohnbebauung, leichte Rechtskurve, Werktag kurz nach 18:00 Uhr) eine Geschwindigkeit von 92 km/h zu hoch ist, um Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmern, Schäden am Fahrzeug (und damit letztlich auch die Gefährdung des Einsatzzwecks) zu verhindern.

Es kommt vorliegend nicht darauf an, ob und in welchem Umfang den Unfallgegner ein Mitverschulden an dem Unfall trifft. Insoweit bedürfte der Sachverhalt gegebenenfalls noch weiterer Aufklärung. Denn die Angaben der drei Insassen des unfallgegnerischen Fahrzeugs unterscheiden sich wesentlich von denen des Klägers und der anderen Polizeibeamten, soweit diese Angaben gemacht haben. Während diese berichteten, der Unfallgegner sei vom rechten Fahrbahnrand losgefahren und habe (mehr oder weniger plötzlich) gewendet, schilderten jene, der Unfallgegner sei entlang des Mittelstreifens gefahren und habe dann – nach Setzen des Blinkers und dem Blick in Rück- und Seitenspiegel sowie über die Schulter – gewendet, ohne dass das Fahrzeug des Klägers wahrnehmbar gewesen sei.

Selbst dann, wenn der Unfallgegner seinerseits seine Pflichten nach der Straßenverkehrsordnung beim Wenden und/oder Anfahren vom Fahrbahnrand verletzt haben sollte, änderte das nichts daran, dass der Kläger bei einer geringeren Geschwindigkeit und einem kürzeren Bremsweg den Zusammenprall hätte verhindern können. Wegen seiner überhöhten Geschwindigkeit handelte es sich für ihn auch nicht um ein unabwendbares Ereignis; vielmehr hätte er den Unfall durch angepasste Geschwindigkeit vermeiden können.

Jedenfalls ein Mitverschuldensanteil von 50 % ist dem Kläger anzulasten; nur in dieser Höhe hat der Beklagte ihn in Anspruch genommen. Dem Kläger steht es im Übrigen frei, mögliche Ansprüche gegen den Unfallgegner wegen des behaupteten Mitverschuldensanteils von mehr als 50 % geltend zu machen. Diese Ansprüche gehen nach Zahlung des hier streitgegenständlichen Schadenersatzes gemäß § 72 Abs. 2 LBG auf den Kläger über.“

Mit dem Porsche Cabrio auf dem Nürburgring, oder: Haftungsquote und Nutzungsausfall

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zwei verkehrszivilrechtliche Entscheidungen, und zwar zwei LG-Entscheidungen.

Hier zunächst das LG Koblenz, Urt. v. 03.11.2022 – 10 O 39/20 -, das mir der Kollege Nugel aus Essen geschickt hat. Gestritten worden ist in dem Verfahren um den Schadensersatz nach einem Unfall auf dem Nürburgring. Dem urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger hatte eine sog. Touristenfahrt auf dem Nürburgring unternommen. Bei dem ihm vorausfahrenden Fahrzeug trat ein Betriebsmittelverlust auf. Aufgrund dieses Betriebsmittelbverlustes kam der Kläger mit seinem Porsche Cabrio bei der nachfolgenden Fahrt auf der Nordschleife des Nürburgrings bei der Durchfahrt einer Kurve von der Fahrbahn ab. Dadurch wurde sein Fahrzeug erheblich beschädig.

Der Kläger hat nun die Kfz-Haftpflichtversicherung des vor ihm befindlichen Kfz auf Schadensersatz in Anspruch. Gestritten haben die Parteien über die entsprechende Haftungsquote und einen vom Kläger begehrten Nutzungsausfall. Durch ein eingeholtes Sachverständigengutachten kontte dem Kläger frei von Zweifeln ein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot nicht nachgewiesen werden.

Ich stelle hier nur die Ausführungen des LG zur Haftungsquote ein. Das LG geht dabei von 75 % zu 25 % zu Lasten des Beklagten aus:

„1. Sowohl die Beklagten als auch der Kläger haben grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17 Abs. 1, 2 StVG iVm § 115 VVG einzustehen, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Unabwendbar ist ein Ereignis nach § 17 Abs. 3 StVG nur dann, wenn es auch durch äußerste Sorgfalt – gemessen an den Anforderungen eines Idealfahrers – nicht abgewendet werden kann. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinaus (BGH, Urteil vom 18.01.2005 – VI ZR 115/04). Die besondere Sorgfalt des Idealfahrers muss sich im Übrigen nicht nur in der konkreten Gefahrensituation, sondern auch bereits im Vorfeld manifestieren. Denn der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelnde Unfall wird nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr (zu spät) „ideal“ verhält (jurisPK Straßenverkehrsrecht, § 17 StVG, Rn. 15; zu § 7 Abs. 2 StVG a.F.: BGH, Urteil vom 13.12.2005 – VI ZR 68/04). Nach diesen Maßstäben war der Unfall für keinen der Beteiligten unabwendbar. Dass der Unfall für den Beklagten zu 1) unabwendbar gewesen wäre, hat dieser nicht vorgetragen. Eine Unabwendbarkeit lässt sich auch für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs nicht darstellen. Hierzu hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2022 ausgeführt, dass eine Vermeidbarkeit für den Fahrer des klägerischen Pkws nicht festgestellt werden könne. Dennoch ergibt sich nicht, dass der Unfall für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs unabwendbar gewesen wäre. Denn ein Idealfahrer hat auf der Nordschleife des Nürburgrings immer mit Verunreinigungen der Fahrbahn durch Betriebsmittel zu rechnen. Ein vorsichtiger Fahrer hätte seine Fahrweise hierauf eingerichtet. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass ein Idealfahrer den Unfall nicht hätte vermeiden können.

2. Die nach § 17 Abs. 1, 2 StVG danach vorzunehmende Haftungsabwägung führt zu einer Haftungsverteilung von 75 % (Beklagtenseite) zu 25 % (Klägerseite). Denn aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass der Unfall des Klägerfahrzeugs durch Wegrutschen auf der vom Beklagtenfahrzeug verursachten Betriebsmittelspur allein verursacht worden ist. Jedoch ist aufgrund der Erkennbarkeit der Betriebsmittelspur auf der Strecke auf Klägerseite eine Mithaftung in Höhe von 25 % zu berücksichtigen.

Dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs allein aufgrund der – unstreitig von dem Beklagten-fahrzeug verursachten – Betriebsmittelspur von der Fahrbahn abgekommen und mit der Leitplanke kollidiert ist, steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der nachvollziehbaren und überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. pp.. Dieser hat in seinem Gutachten vom 12.08.2021 ausgeführt, dass wenn ein Fahrzeug allein infolge einer der Streckenführung nicht angepassten Geschwindigkeit zur kurvenäußeren Seite von der Fahrbahn abkommt, die Abkommensbewegung in der Regel nahe dem Kurvenende beginnt und häufig auch verbunden ist mit einer zunehmenden Querstellung der Fahrzeuglängsachse gegenüber der Schwerpunktrichtung. Im vorliegenden Fall habe die Abkommensbewegung des klägerischen Fahrzeugs von der Fahrbahn bereits nahe des Kurvenbeginns eingesetzt und das Fahrzeug habe bis zur im Wesentlichen streifenden Leitplankenberührung keine ausgeprägte Winkelstellung seiner Längsachse gegenüber der Schwerpunktrichtung eingenommen. Daher sei nicht zu bestätigen, dass das Klägerfahrzeug allein wegen einer für die Streckenführung nicht angepassten, zu hohen Geschwindigkeit von der Fahrbahn angekommen war. Weiterhin konnte der Sachverständige eine Geschwindigkeit von 120 km/h in der Abkommenssituation ausschließen und feststellen, dass als realistisch vielmehr ein Geschwindigkeitsbereich von rund 60 bis annähernd 80 km/h zum Zeitpunkt des Abkommens von der Fahrbahn in Betracht komme. Zudem hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2022 nochmals erläutert, dass es ganz untypisch für einen Kontrollverlust wegen überhöhter Geschwindigkeit sei, wenn ein Fahrzeug zum Kurveneingang von der Fahrbahn abkomme. Vielmehr handele es sich vorliegend allein um ein Abkommen von der Fahrbahn aufgrund der verunreinigten Fahrbahnoberfläche. Das Gericht schließt sich den Ausführungen des Sachverständigen an und macht sie sich vollständig zu eigen. Zur Überzeugung des Gerichts steht damit fest, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs nicht aufgrund einer überhöhten Geschwindigkeit von der Fahrbahn abgekommen ist, sondern vielmehr aufgrund der verunreinigten Fahrbahn – wobei die Verursachung der Verunreinigung an sich zwischen den Parteien unstreitig ist.

Allerdings ist eine Mithaftung des Klägers in Höhe von 25 % anzunehmen.

Zwar kann dem Kläger kein Verstoß des Fahrers gegen das Gebot Fahren auf Sicht zur Last gelegt werden. Hierzu hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2022 ausgeführt, dass ein Verstoß gegen das Gebot Fahren auf Sicht dem klägerischen Fahrzeug nicht nachgewiesen werden kann. Hierzu führt der Sachverständige in seinem Gutachten vom 12.08.2021 überdies aus, dass wenn das klägerische Fahrzeug aus einer Geschwindigkeit von 77 km/h im Mittel mit einer Verzögerung von 7,5 m/s2 bis zum Stillstand abbremst, ein Bremsweg von 30,2 m erforderlich sei und sich selbst bei einer nur unterdurchschnittlichen Vorbremsung von 1 s ein Anhalteweg von rechnerisch rund 52 m ergebe. Zudem konnte der Sachverständige feststellen, dass sowohl die bildliche Darstellung des Streckenverlaufs im Bereich der Rechtskurve in welcher das klägerische Fahrzeug von der Fahrbahn abgekommen war, als auch das Videomaterial (vom streitgegenständlichen Unfall, insoweit wird Bezug genommen auf den zur Akte gereichten USB-Stick, Retent) abschätzen lasse, dass auch im Kurvenverlauf eine Sicht über diese Strecke auf die Fahrbahn versperrende Hindernisse zulasse. Es lasse sich daher rechnerisch nicht nachweisen, dass der Fahrer des klägerischen Pkws bis zum Abkommen von der Fahrbahn bei annähernd 80 km/h nicht auf Sicht gefahren sei.

Die von dem klägerischen Pkw ausgehende Betriebsgefahr tritt jedoch nicht vollständig hinter dem groben Verschulden des Beklagten zu 1) zurück. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs die Verunreinigung auf der Straße und die davon ausgehenden Gefahren hätte erkennen können. Zwar hat der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs glaubhaft bekundet, er habe von der Ölspur im Fahrzeug nichts mitbekommen; die Ölspur habe er im Auto nicht wahrnehmen können. Allerdings hat der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten in überzeugender und nachvollziehbarer Weise feststellen können, dass bei der abgebildeten Intensität der Fahrbahnverschmutzung diese bei sorgfältiger Beobachtung der Fahrbahnoberfläche im Abstand von einer Größenordnung von 50 m vor dem Fahrzeug – möglicherweise auch wenig abgeschwächt – wahrnehmbar gewesen sein kann.

Dies rechtfertigt eine Mithaftung des Klägers in Höhe von 25 %.“

Die Ausführungen des LG zum Nutzungsausfall überlasse ich dem Selbstleseverfahren im verlinkten Volltext. Dazu passt folgender Leitsatz:

Wird ein Porsche Cabrio nur als Sommerfahrzeug genutzt, trifft den Geschädigten eine sekundäre Darlegungslast bei dem Einwand, dass ihm ein zweites Fahrzeug zur Verfügung steht und daher ein Nutzungsausfall für den zeitweisen Gebrauchsverlust bei diesem Sportwagen ausscheidet.

Unfall in der Waschanlage, oder: Verzögerte Ausfahrt aus der Waschstraße und Bremsen des Hintermanns

entnommen wikimedia.org
Author Hydro

Im „Kessel Buntes“ heute dann zunächst das OLG Zweibrücken, Urt. v. 27.01.2021 – 1 U 63/19. Gegenstand des Urteils: Ein Verkehrsunfall in einer Autowaschanlage.

Folgender Sachverhalt:  Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz wegen der behaupteten Beschädigung eines Kraftfahrzeuges in einer automatisierten Waschstraße in Anspruch. Am 22.12.2016 nutzte der Kläger mit einem PKW die von der Fa. pp. Autowaschanlage betriebene Autowaschanlage. Vor ihm in der Waschstraße befand sich der Beklagte zu 2. mit dem bei der Beklagten zu 1. haftpflichtversicherten PKW. Nachdem der Waschvorgang abgeschlossen war, fuhr der Beklagte zu 2. – obwohl die an ihn gerichtete Lichtzeichenanlage bereits auf „grün“ gesprungen war – nicht direkt aus der Waschstraße aus, da das von ihm geführte Fahrzeug beim ersten Startversuch nicht direkt ansprang. Erst ein zweiter Startversuch nach einiger Zeit gelang. Das Klägerfahrzeug wurde zwischenzeitlich vom Schleppband der Waschstraße weiter in Richtung des Beklagtenfahrzeuges gezogen. Aus Sorge, dass es zu einer Kollision kommt, bremste der Kläger seinen PKW ab. Es kommt zu Schäden an seinem Fahrzeug, nicht aber zu einem Zusammenstoß. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte Erfolg, aber nur teilweise, das das OLG den Kläger zu 70% mithaften lässt:

„Die Beklagten haften nach §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 und 2 BGB, § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG dem Grunde nach auf Schadensersatz. Die Haftungsgemeinschaft ist nicht nur zwischen Versicherung und Halter, sondern auch zwischen Versicherung und Fahrer eine gesamtschuldnerische (OLG Saarbrücken, Urteil vom 14.11.2001, Az. 4 U 2450/01, Juris).

a) Das Beklagtenfahrzeug befand sich zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses „im Betrieb“ i.S.v. § 7 Diese Voraussetzung ist nach herkömmlicher Rechtsprechung aufgrund des Schutzzwecks der Norm weit zu fassen. Die Haftung nach § 7 StVG ist gleichsam der Preis für die Zulassung der mit dem Kraftfahrzeug verbundenen besonderen Gefahren und umfasst daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe. Es genügt, dass sich eine von dem Kfz ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kfz mitgeprägt worden ist.

Zwar entspricht es obergerichtlicher Rechtsprechung, dass sich ein Pkw, der mit ausgeschaltetem Motor auf dem Förderband einer automatischen Waschstraße transportiert wird, nicht in Betrieb befindet. Denn in dieser Situation betreibt der Fahrer nicht das Fahrzeug und es wirken auch keine Betriebseinrichtungen des Fahrzeugs; dieses ist vielmehr mit einem beliebigen Gegenstand vergleichbar, der automatisch transportiert wird (OLG Koblenz, Beschluss vom 05.08.2019, Az. 12 U 57/19; KG, Urteil vom 28.03.1977, Az. 12 U 2468/75; jeweils Juris). Der Streitfall ist mit dieser Situation indes nicht vergleichbar. Denn der Waschvorgang des Beklagtenfahrzeugs war bereits vollständig beendet, das Fahrzeug befand sich am Ende des Schleppbandes und der Beklagte zu 2. startete den PKW, um mit Motorkraft in den Verkehrsraum einzufahren. Gefahren gingen von nun an nicht mehr von der Waschanlage oder vom automatisierten Transportvorgang, sondern nur noch vom Fahrer und dem Fahrzeug aus (vgl. auch LG Kleve, Urteil vom 23.12.2016, Az. 5 S 146/15, Juris; Beck-OGK/Walter, Straßenverkehrsrecht, Stand 2020, § 7 StVG, Rdnr. 89).

b) Die Beschädigungen am klägerischen Fahrzeug wurden durch den Betrieb des Beklagtenfahrzeugs (mit-)verursacht. Dass das verzögerte Anfahren des Beklagten zu 2. die Ursache für die Bremsreaktion des Klägers gesetzt hat, steht nicht in Streit. Es bestand ein hinreichend naher örtlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen Betriebsvorgang des Beklagtenfahrzeuges und Bremsreaktion des Klägers. Der Beitrag des Beklagtenfahrzeuges zum Unfallgeschehen erschöpfte sich nicht allein darin, dass es sich in der Nähe der Unfallstelle befand. Für den Kläger zeigte sich eine kritische Situation. Aufgrund des Stehenbleibens des Beklagtenfahrzeuges vor der Waschstraßenausfahrt und des automatisierten Sichtfortbewegens des klägerischen Fahrzeugs auf dem Schleppband der Waschstraße bestand die nicht unberechtigte Besorgnis, dass es zu einer Kollision der Fahrzeuge kommt. Ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem (verzögerten) Anlassvorgang des Beklagten zu 2. und dem Abbremsen durch den Kläger bestand deshalb (vgl. auch BGH, Urteil vom 22.11.2016, Az. VI ZR 533/15, Juris).

Dieser Zurechnungszusammenhang scheitert nicht deshalb, weil es zu keinem Zusammenstoß der Fahrzeuge kam. Die Mitverursachung kann auch nicht deshalb verneint werden, weil der Geschädigte ebenfalls (im Streitfall ganz überwiegend) an der Entstehung des Schadens mitgewirkt hat. Maßgeblich bleibt, dass das verzögerte Anfahren durch den Beklagten zu 2. die (eine) Ursache dafür war, dass der Kläger abbremste. Ist – wie im Streitfall – der eingetretene Schaden vom Schutzzweck der Halterhaftung erfasst, wird der Zurechnungszusammenhang in dem einen wie dem anderen Fall grundsätzlich nicht unterbrochen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Geschädigte einen gegenüber der Kfz-Betriebsgefahr eigenständigen Gefahrenkreis geschaffen hat, dessen Risiken er selbst tragen muss. Nur wenn sich ausschließlich dieses Risiko verwirklicht, kommt eine Haftung des anderen Verkehrsteilnehmers nicht in Betracht. Hiervon ist bei Ausweich- oder Bremsreaktionen eines Fahrzeugführers regelmäßig selbst dann nicht auszugehen, wenn diese sich als voreilig oder übertrieben erweisen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 21.09.2010, Az. VI ZR 263/09 m.w.N., Juris).

c) Der Beklagte zu 2. haftet als Halter bereits verschuldensunabhängig. Im Rahmen von § 18 1 StVG hat er keinen Entlastungsbeweis geführt. Der Beklagte zu 2. war gehalten, sein Fahrzeug unmittelbar nach Abschluss des Waschvorgangs seines Fahrzeuges und dem Umschalten der Ampelanzeige auf „grün“ wegzufahren und die Ausfahrt für nachfolgende Benutzer der Waschstraße freizumachen. Diese Pflicht ergab sich sowohl nach den Regeln des Waschstraßenbetreibers als auch aufgrund der Gefährlichkeit des Stehenbleibens. Dahinstehen kann deshalb, ob sich eine entsprechende Rechtspflicht auch aus § 1 Abs. 2 StVO ergab, wenngleich auch außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums die Pflicht jedes Fahrzeugführers zu verkehrsüblicher Sorgfalt besteht (vgl. etwa OLG Rostock, Urteil vom 11.03.2011, Az. 5 U 122/10, Juris). Dass das zögerliche Anfahren des Beklagten zu 2. auf ein Versagen von Betriebseinrichtungen o.ä. zurückzuführen war, die für den Beklagten zu 2. auch bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht zu vermeiden gewesen ist, haben die Beklagten bereits nicht vorgetragen.

d) Fest steht, dass es durch den streitgegenständlichen Vorfall zu einer Beschädigung des Fahrzeugs des Klägers kam. Der vom Senat informatorisch angehörte Kläger hat glaubhaft bekundet, dass sein Fahrzeug vor dem Einfahren in die Waschstraße im Heckbereich nicht beschädigt war. Art und Umfang der durch Bilder dargestellten Beschädigungen sprechen in hinreichender Weise dafür, dass der Kläger mit einem solchermaßen beschädigten Fahrzeug nicht am allgemeinen Straßenverkehr teilgenommen, erst recht nicht eine Autowaschstraße benutzt hätte. Der vom Landgericht bestellte Sachverständige hat zudem ein signifikantes Schadensbild an der Heckklappe des Opel beschrieben, zu dem es – was die stattgehabte Höhenvermessung und Auswertung der Spurenzeichnung ergeben hat – aufgrund einer Kollision zwischen Klägerfahrzeug und dem Trockner gekommen sein muss. Eine erneute Anhörung des Sachverständigen durch das Berufungsgericht war nicht erforderlich (vgl. etwa BGH, Urteil vom 08.06.1993, Az. VI ZR 192/92, Juris). Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass die Beklagten – wenngleich insoweit widersprüchlich zu ihrem Bestreiten – behauptet haben, dass das Schadensbild am klägerischen Fahrzeug darauf hindeuten würde, dass der Kläger in der Waschstraße gebremst habe und rückwärtsgefahren und dabei gegen den Sicherheitsbügel der Waschanlage geraten sei.

2. Der Kläger hat die Schäden an seinem Fahrzeug in erheblichem Umfang mitzuverantworten. Zwar scheidet eine Mitverantwortlichkeit nach §§ 18 Abs. 2, 17 Abs. 1, 2 StVG aus, da sich sein Fahrzeug im Zeitpunkt der Beschädigung noch im automatischen Waschvorgang und damit nicht „im Betrieb“ i.S.v. § 7 StVG befand. Eine Vergleichbarkeit mit Fällen, in denen die Verwirklichung der Betriebsgefahr angenommen wird, obgleich das Fahrzeuges schon seit längerer Zeit geparkt ist, dann aber Feuer fängt (BGH, Urteil vom 21.01.2014, Az. VI ZR 253/13, Juris), liegt nicht vor. In diesen Fällen realisiert sich nach wie vor eine von einer Einrichtung des Fahrzeugs ausgehende spezifische Betriebsgefahr; im Streitfall hingegen ist das Abbremsen des Klägers mit jedwedem, beispielsweise auch von außen einwirkenden Verzögern eines automatisiert transportierten Gegenstand zu vergleichen.

Allerdings muss sich der Kläger – wie das Landgericht im Ansatz zutreffend ausgeführt hat – ein ganz erhebliches Mitverschulden nach §§ 9 StVG, 254 Abs. 1 BGB anspruchskürzend anrechnen lassen. Er hat, indem er das von ihm geführte Fahrzeug während des Waschvorgangs abgebremst hat, diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eines Schadens anzuwenden pflegt, und damit gegen eine ihn treffende Obliegenheit verstoßen. Dem Kläger hätte klar sein müssen, dass ein Abbremsen des PKW zu unterlassen ist. Das ist nicht nur allseits bekannt, sondern wurde auch durch entsprechende Warnhinweise in der Waschanlage ausdrücklich und eindeutig jedem Benutzer zur Kenntnis gebracht. Allgemeinbekannt ist auch, dass ein regelwidriges Abbremsen des automatisch in der Waschstraße transportierten Fahrzeugs dazu führen kann, dass die Vorwärtsbewegung auf dem Transportband verzögert, ggfl. auch gestoppt wird, wodurch es zu Beschädigungen des PKW durch die sich weiterbewegende Reinigungsanlage, möglicherweise auch zu Kollisionen mit nachfolgenden Fahrzeugen kommen kann. Genau dieses Abbremsen des Fahrzeuges führte im Streitfall auch zur Beschädigung des PKW.

Dass der Kläger nicht nur gebremst, sondern – wie die Beklagten behauptet haben – in der Waschstraße aktiv rückwärtsgefahren ist, lässt sich nicht feststellen. Der in erster Instanz bestellte Sachverständige hat ausgeführt, dass eine aktive Rückwärtsfahrtbewegung des Klägerfahrzeuges unwahrscheinlich ist. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat der Bremsvorgang mit Unterlaufen der Schlepprolle eine Rückwärtsbewegung des Fahrzeuges verursacht.

Den maßgeblichen Mitverschuldensanteil des Klägers am Entstehen des Schadens an seinem Fahrzeug bemisst der Senat mit 70%.“

 

Öffnen der Fahrzeugtür versus Seitenabstand des Vorbeifahrers, oder: Haftungsverteilung?

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Urheber Marcel Heller at de.wikipedia

In den engen Straßen hier in Münster auch immer wieder ein Problem. Die Frage der Haftung, wenn bei einem am Fahrbandrand abgestellten Pkw eine Tür geöffent wird und es dann zu Schäden an einem vorbeifahrenden Pkw kommt. Dann stellen sich verschiedene Frage: War der Seitenabstand groß genug oder zu eng, welche Geschwindigkeit ist gefahren worden usw.  Zu den Fragen und zur Haftungsverteilung verhält sich der LG Saarbrücken, Beschl. v. 12.09.2017 – 13 S 69/17, ein Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO, über den der Kollege Gratz ja auch schon berichtet hat. Das LG kommt in einer solchen Situation in seinem Verfahren zur Alleinhaftung. Verklagt war der „Parker“, geklagt hatte der „Vorbeifahrer, dessen Klage Erfolg gehabt hat. Die Berufung des Beklagten hatte dann keinen Erfolg:

„Insbesondere ist entgegen der Berufung nicht zu beanstanden, dass das Erstgericht eine alleinige Haftung der Beklagtenseite für das Unfallgeschehen bejaht hat.

1. Das Erstgericht ist zunächst davon ausgegangen, dass sowohl die Kläger- als auch die Beklagtenseite grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gem. §§ 7, 17, 18 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 115 VVG einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellt. Dies ist zutreffend und wird mit der Berufung auch nicht angegriffen.

2. Keinen Bedenken begegnet es, dass das Erstgericht eine Verletzung des § 14 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) durch die Erstbeklagte festgestellt hat. Nach dieser Vorschrift muss, wer ein- oder aussteigt, sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer am Verkehr Teilnehmender ausgeschlossen ist. Wird – wie hier – beim Ein- oder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- oder Aussteigenden (vgl. nur BGH, Urteil vom 6.10.2009-VI ZR 316/08, VersR 2009, 1641; OLG Köln VersR 2015, 999, jew. m.w.N.). Diesen Anscheinsbeweis hat die Beklagtenseite nicht zu entkräften vermocht. Insbesondere ist die Behauptung der Beklagten, die Tür sei lediglich einen Spalt breit geöffnet gewesen, als es zu dem Zusammenstoß mit dem vorbeifahrenden Klägerfahrzeug gekommen war, vom Erstgericht als widerlegt angesehen worden. Hiergegen wendet sich die Berufung nicht.

3. Das Erstgericht hat ferner angenommen, der Fahrerin des Klägerfahrzeuges, der Zeugin M, könne ein Geschwindigkeitsverstoß nicht beweissicher vorgeworfen werden. Auch dies ist zutreffend und wird von der Berufung nicht angegriffen.

4. Ohne Erfolg wendet sich die Berufung gegen die Annahme des Erstgerichts, wonach auch ein Mitverschulden der Zeugin M wegen der Nichteinhaltung eines ausreichenden Seitenabstands (§ 1 Abs. 2 StVO) nicht festgestellt werden kann.

a) Wer an einem stehenden Fahrzeug vorbeifährt, muss nach dem allgemeinen Gebot der Gefährdungsvermeidung ( 1 Abs. 2 StVO) einen angemessenen Seitenabstand einhalten. Für die Angemessenheit des Abstandes gibt es kein feststehendes Maß, sie ist abhängig von den jeweiligen Umständen, muss aber zumindest so bemessen sein, dass ein geringfügiges Öffnen der Wagentür noch möglich bleibt, wenn für den Vorbeifahrenden nicht mit Sicherheit erkennbar ist, dass sich im haltenden Fahrzeug und um das Fahrzeug herum keine Personen aufhalten (BGH, Urteil vom 24. Februar 1981 – VI ZR 297/79 = VersR 1981, 533; OLG Frankfurt NZV 2014, 454). Der beim Vorbeifahren einzuhaltende Seitenabstand darf nach den Umständen des Einzelfalles durchaus geringer sein als der beim Überholen und bei der Begegnung regelmäßig verlangte Mindestabstand von 1 m (vgl. etwa OLG Köln, Beschluss vom 10. Juli 2014 I-19 U 57/14 -, juris). Wie groß der Abstand zu sein hat, ist letztlich eine Frage des Einzelfalles, wobei es auf die Verkehrslage, Geschwindigkeit und die bauliche Situation, insbesondere die Breite der Straße, sowie die Art der beteiligten Fahrzeuge ankommt (zum Ganzen etwa Müther in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 14 StVO Rn. 18; Geigel/Freymann, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 27 Rn. 383, jew. m.w.N.).

b) Dass der von der Zeugin M eingehaltene Seitenabstand ausreichend war, um die Seitentür geringfügig öffnen zu können, ist nicht zweifelhaft. Ob dies allein die Einhaltung eines angemessenen Seitenabstands indiziert, zumindest wenn, wie hier, ein Seitenabstand selbst zwischen den Außenspiegeln beider Fahrzeuge von mindestens 50 cm eingehalten ist (so insbesondere KG NZV 2010, 343; a.A. offenbar OLG Frankfurt SVR 2017, 27; vgl. auch König in Hentschel u.a., Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., 14 StVO Rn. 8, jew. m.w.N.), kann hier letztlich dahinstehen. Denn zu Lasten der Beklagtenseite kann nämlich nur der Abstand als unfallursächlich zugrunde gelegt werden, der noch eingehalten worden sein muss, um eine Kollision zu vermeiden. Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen war die Tür des Beklagtenfahrzeugs im Zeitpunkt der Kollision 85-90 cm geöffnet (S. 23 des Gutachtens unter W), so dass der Seitenabstand der beiden Fahrzeuge ohne Berücksichtigung der Spiegel ausweislich der maßstabsgetreuen Skizze des Sachverständigen (S. 23 des Gutachtens) bei cirka 80 cm lag. Dem widerspricht nicht die Feststellung des Sachverständigen, der einen Fahrabstand ohne Spiegel von 60-65 cm (S. 23 des Gutachtens unter S2) ermittelte. Insoweit ist nämlich zu berücksichtigen, dass das Beklagtenfahrzeug schräg stand, so dass lediglich im Heckbereich, nicht aber in dem entscheidenden Türbereich der beiden Fahrzeuge der ermittelte Abstand bestand. Ein Abstand von rund 80 cm erscheint auch angesichts der Breite der Straße – zwischen den Randsteinen der Straße besteht ein Abstand von etwas unter 7 Metern, so dass für jede Fahrspur etwas weniger als 3,5 Meter zur Verfügung steht – umständehalber noch angemessen, zumal der Sachverständige bestätigen konnte, dass die Türöffnung in die Vorbeifahrbewegung des Klägerfahrzeuges erfolgt, mithin so geöffnet wurde, dass sich die Zeugin M nicht rechtzeitig darauf einstellen konnte.

5. Lässt sich danach ein unfallursächliches Mitverschulden der Zeugin M nicht feststellen, bestehen keine Bedenken dagegen, dass das Erstgericht angesichts des schwerwiegenden Verstoßes gegen die nach § 14 StVO gebotene äußerste Sorgfalt von einer Alleinhaftung der Klägerin ausgegangen ist (vgl. etwa KG Berlin DAR 2004, 585). Dieses Ergebnis wäre selbst dann nicht in Frage gestellt, wenn man von einem – allenfalls geringfügigen – Verstoß gegen den einzuhaltenden Seitenabstand ausgehen würde. Denn das rücksichtslose, plötzliche Türöffnen durch die Erstbeklagte, die das herannahende Fahrzeug nach den Feststellungen Sachverständigen bei einem gebotenen Schulterblick vor dem Türöffnen hätte sehen müssen, wiegt derart schwer, dass selbst ein geringes Mitverschulden auf Klägerseite hierhinter zurücktreten würde (ähnlich auch LG Stuttgart NJW 2015, 2593 m.w.N.).“

Radfahrersturz auf (stillgelegten) Bahngleisen, oder: Selbst schuld

entnommen wikimedia.org Urheber Roulex 45

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Im „Kessel Buntes“ dann heute der OLG Hamm, Beschl. v. 09.06.2016 – 6 U 35/16. Es handelt sich um einen sog. Hinweis-Beschluss nach § 522 ZPO, der dazu geführt hat, dass die beim OLG Hamm anhängige Berufung von der Klägerin zurückgenommen worden ist.

Es ging im Verfahren um Schadensersatz nach einem Fahrradsturz der Klägerin, den sie 2013 auf der Zeche Zollverein erlitten hat. Die Klägerin befuhr einen Fuß- und Radweg, auf dem alte Bahnschienen verlaufen. Diese sind auf dem Fuß- und Radweg in Asphalt eingebettet, während sie im aus Betonteilen bestehenden Kreuzungsbereich mit einer Straße ihren ursprünglichen Zustand aufweisen, so dass zwischen dem Beton und den Schienen Zwischenräume aus losem Erdreich existieren. Beim Überqueren der Kreuzung geriet die Klägerin mit dem Vorderreifen ihres Fahrrades in die Rille einer Schiene und stürzte. Sie fiel auf den Kopf und zog sich ein schweres Schädelhirntrauma zu, dass operativ versorgt werden musste. Das LG Essen hat die Klage abgewiesen, die Berufung hatte dann beim OLG auch keinen Erfolg.

Das OLG verneint eine haftungsbegründende Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten. Dazu aus der PM des OLG:

„Die Klägerin sei, so der vom Senat erteilte Hinweis, an einer Stelle gestürzt, die als Gefahrenquelle offensichtlich gewesen sei. Auf Radwegen könne ein Radfahrer nicht mit einer ebenen, schadlosen und von Hindernissen befreiten Fahrbahn rechnen. Er müsse die gegebenen Verhältnisse so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darböten und sein Fahrverhalten entsprechend anpassen. Insbesondere im Bereich von Schienen oder in die Fahrbahn eingelassenen Gleisen habe er sich auf die typischen damit verbundenen Gefahren einzustellen. Dazu gehöre auch die naheliegende Gefahr, mit Reifen in eine Schienenspur zu gelangen und dadurch die Lenkfähigkeit des Fahrrades zu verlieren. Das gelte jedenfalls dann, wenn sich die Gleisanlage vom übrigen Straßenbelag deutlich abhebe und der Schienenverlauf gut sichtbar sei. Bei der an der Unfallstelle in den Straßenbelag eingelassenen Gleisanlage handle es sich um ein schon von weitem sichtbares Hindernis, welches zudem vor dem Kreuzungsbereich durch in die Straße eingelassene, rot-weiß markierte Pfeiler als solches angekündigt werde. Die für einen Radfahrer und auch die Klägerin erkennbar auf die Kreuzung zu laufenden und im Kreuzungsbereich deutlich sichtbaren Schienen stellten eine typische Gefahrenlage dar, auf die sich die Klägerin als Radfahrerin habe einstellen können und müssen. Vor dieser Gefahrenlage habe die Beklagte nicht noch durch zusätzliche Hinweisschilder warnen müssen.

Der Umstand, dass die Schienen an anderen Stellen auf dem ehemaligen Betriebsgelände der Zeche mit Asphalt verfüllt worden seien, rechtfertige keine andere Beurteilung. Die Zeche Zollverein sei – dies stelle eine Besonderheit des Falles dar – ein Industriedenkmal. Sinn und Zweck eines solchen Denkmals sei es, den Besuchern bauliche Besonderheiten der Anlage möglichst originalgetreu nahezubringen. Zu den baulichen Besonderheiten der Zeche Zollverein gehöre u.a. der zum Rangieren von Gütern bestimmte Gleisbereich der Anlage, der im Unfallbereich im ursprünglichen Zustand belassen worden und daher nur mit losem Erdreich verfüllt gewesen sei. Aufgrund dieses Charakters der Anlage habe die Klägerin nicht davon ausgehen können, dass der Radweg an allen Stellen des ehemaligen Betriebsgeländes frei von nicht asphaltierten Schienen oder weiteren Gefahrenquellen sei, auch wenn Schienen an weniger exponierten Stellen bündig in den Asphalt eingelassen seien.“

Also – wie der Westfale sagt: Selbst in schuld 🙂 .