Das Amtsgericht hat zu Recht den Antrag der Staatsanwaltschaft auf eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis des Beschuldigten abgelehnt, da die Voraussetzungen einer vorläufigen Entziehung gemäß § 111a Abs. 1 StPO nicht vorliegen. Entgegen den Ausführungen der Staatsanwaltschaft sind keine dringenden Gründe für die Annahme vorhanden, dass dem Beschuldigten im Rahmen einer Hauptverhandlung der Führerschein entzogen werden wird.
Das Gericht entzieht die Fahrerlaubnis, wenn der Angeklagte wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt wird oder nur deshalb nicht verurteilt wird, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, § 69 Abs. 1 S. 1 StGB. In § 69 Abs. 2 StGB sind dabei Regelbeispiele formuliert, nach denen ein Fahrzeugführer bei einer Verurteilung wegen bestimmter Delikte regelmäßig als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist. Vorliegend besteht ein dringender Tatverdacht (vgl. zu diesem Erfordernis etwa Huber, in: BeckOK-StPO, 35. Ed. 1.10.2019, § 111a Rn. 3) dafür, dass der Beschuldigte sich wegen einer Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB strafbar gemacht hat. Insbesondere bestehen keine Bedenken daran, dass es sich bei dem Elektroroller, den der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt geführt haben soll, um ein Elektrokleinstfahrzeug im Sinne von § 1 Abs. 1 eKFV und damit nicht nur um ein Fahrzeug im Sinne von §.316 Abs. 1 StGB, sondern um ein Kraftfahrzeug handelt (vgl. hierzu etwa BR-Drucks. 158/2019, S. 31; Huppertz, in: NZV 2019, 558), für den der Mindestwert für die unwiderlegliche Annahme der Fahruntüchtigkeit nach gefestigter Rechtsprechung bei einer BAK von 1,1 %o liegt (vgl. hierzu etwa BGH NJW 1990, 2393; Fischer, StGB, 66. Aufl. 2019, § 316 Rn. 25 mwN; Huppertz, a.a.O. (562)). Nicht entscheidend ist dabei hinsichtlich des Vorsatzes, dass der Beschuldigte angegeben hat, nicht gewusst zu haben, dass auch für Elektroroller der BAK-Grenzwert von 1,1 °/00 gilt, da es sich insoweit um ein Element einer Beweisregel handelt, das nicht vom Vorsatz umfasst sein muss (vgl. BGH NJW 2015, 1834).
Der Ermessensspielraum bei einem erfüllten Regelbeispiel nach § 69 Abs. 2 StGB ist auf die Frage begrenzt, ob im Einzelfall besonders günstige Umstände in der Person des Täters oder in den Tatumständen liegen, die der Tat die Indizwirkung nehmen oder den an sich formell zum Entzug ausreichenden Verstoß günstiger erscheinen lassen als den Regelfall (vgl. Burmann, in: Burmann/u.a., StVR, 25. Aufl. 2018, § 69 StGB Rn. 21).
Die Rechtsprechung hat teilweise bereits für Leichtmofas angenommen, dass diese unter Umständen generell wie Fahrräder einer erhöhten Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit unterliegen (vgl. etwa LG Oldenburg DAR 1990, 72; dagegen aber etwa Burmann, a.a.O., Rn. 21: „contra legem“) oder aber jedenfalls, bei kurzer Fahrstrecke und altruistischer Motivation des Täters eine Ausnahme der Regelwirkung von § 69 Abs. 2 StGB gesehen werden kann (vgl. OLG Nürnberg NZV 2007, 642). Für E-Scooter ist hierzu — soweit erkennbar — bisher kaum Rechtsprechung ergangen. Die 32. Kammer des Landgerichts Dortmund hat in einem Fall, in dem der Beschuldigte bei dem Führen eines E-Scooters eine BAK von 1,01 %o gehabt haben soll, die E-Scooter durch die fahrbare Geschwindigkeit per se eine erhebliche Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer darstellen. Hinzu komme, dass durch Gleichgewichtsbeeinträchtigungen und plötzliche Lenkbewegungen auch andere Verkehrsteilnehmer zu Ausweichmanövern veranlasst würden (Beschluss v. 08.11.2019, 32 Qs 130/19).
Die Argumentation der 32. Kammer kann so nicht überzeugen. Jedenfalls soweit es sich wie vorliegend bei dem E-Scooter um ein Elektrokleinstfahrzeug im Sinne von § 1 eKFV handelt, ist die bauartbestimmte Höchstgeschwindigkeit auf 6 bis 20km/h, die Leistung — soweit es sich nicht um selbstbalancierte Elektrokleinstfahrzeuge handelt ¬auf 500 Watt und die maximale Masse ohne Fahrer auf 55kg begrenzt.
Pedelecs mit einem elektrischen Hilfsantrieb mit einer Nennleistung von höchstens 0,25 kW, dessen Unterstützung sich mit zunehmender Geschwindigkeit progressiv verringert und beim Erreichen von 25 km/h oder früher, wenn der Fahrer nicht mehr tritt, unterbrochen wird, sind gern § 1 Abs. 3 StVG als Fahrräder und daher schon als keine Kfz einzuordnen (vgl. Hühnermann, in: Burmann/u.a.-StVR, 25. Aufl. 2018, § 1 StVG Rn. 8). Derartige Pedelecs wiegen je nach Modell, abgesehen von sehr kostspieligen Leichtmodellen, etwa 20 bis 30kg.
In Dortmund sind etwa Leih-E-Scooter der Marken Tier, Lime und Circ im Angebot, die 20 bis 25 kg wiegen und höchstens 21krn/h fahren können (vgl. https://vvww.computerbild.de/fotos/cb-Tests-Freizeit-E-Scooter-Voi-Lime-Circ-Tie r-Test-23899567.html#4, zuletzt abgerufen am 28.01.2020). Es ist insoweit in keiner Weise erkennbar, inwieweit E-Scooter „per se“ eine höhere Gefährlichkeit als Pedelecs oder auch Fahrräder ohne Elektromotor aufweisen sollen. Vielmehr wiegen E-Scooter ähnlich viel wie Pedelecs oder schwerere reguläre Fahrräder und erreichen auch keine höheren Geschwindigkeiten. Auch die übrigen Erwägungen zu Gleichgewichtsbeeinträchtigungen und plötzlichen Lenkbewegungen treffen ohne Weiteres auch auf jegliche Form von Fahrrädern zu.
Weniger überzeugen kann hingegen die Argumentation des Amtsgerichts, dass die Bürger durch die Präsenz der teilweise recht wahllos im Verkehrsraum abgestellten E-Scooter und die einfache Möglichkeit, diese zu leihen, geradezu animiert werden, diese im Rahmen einer „Schnapsidee“ zu nutzen. Vielmehr ist der 32. Kammer insoweit zuzustimmen, als von dem Nutzer eines Fahrzeugs — auch soweit es sich nicht um ein Motorrad oder einen Pkw handelt — verlangt werden kann, dass er sich vor einer Nutzung über die rechtlichen Voraussetzungen der Führung informiert. Zudem sind mittlerweile auch Leih-Pkw ähnlich wie E-Scooter sehr bedienfreundlich und ohne größere Hürden mithilfe von Apps auf dem Smartphone zu leihen, sodass auch die einfach Zugriffsmöglichkeit kaum als Argument für eine Ausnahme von dem Regelbeispiel nach § 69 StGB angebracht werden kann.
Andererseits trägt die Erwägung jedenfalls insoweit, als die Bürger vor der Zulassung der E-Scooter auch nicht über die Richtwerte zur Fahruntüchtigkeit nach einem Alkoholkonsum informiert wurden und die Einordnung den Bürgern jedenfalls deutlich schwerer fallen wird, als bei sonstigen Kraftfahrzeugen wie Pkws oder Motorrädern, bei denen die „Promillegrenzen“ nahezu Allgemeinwissen darstellen. Wenn dies auch der Strafbarkeit an sich nicht entgegensteht, erscheint auch dies als günstiger Umstand, der der Indizwirkung des § 69 Abs. 2 StGB entgegensteht.
Neben den Erwägungen zur allgemeinen Gefährlichkeit der E-Scooter, die eher mit der eines Pedelecs vergleichbar ist, als etwa mit einem — auch leichteren — Motorrad, kam vorliegend im Einzelfall hinzu, dass der Beschuldigte den E-Scooter bei einer Tatzeit von 01:10 Uhr an einem Wochentag führte, sodass trotz des Umstandes, dass sich nahe des Tatortes Gastronomie befindet, mit wenig Publikumsverkehr zu rechnen war.
Insgesamt ist so wegen der grundsätzlichen Einordnung des E-Scooters als Kraftfahrzeug zwar der Tatbestand des § 316 StGB erfüllt. Auf Grund des Umstandes, dass dieses Kraftfahrzeug jedoch angesichts des Gewichtes und der bauartbedingten Geschwindigkeit hinsichtlich der Gefährlichkeit eher mit einem Fahrrad als einem einspurigen Kraftfahrzeug gleichzusetzen ist, sowie unter ergänzender Berücksichtigung des weiteres Umstandes; dass die konkrete Gefährlichkeit der Benutzung des E-Scooters im konkreten Fall auf Grund der Tatzeit von ca. 01.10 Uhr nachts an einem Wochentag deutlich herabgesetzt war, liegen insgesamt derart günstige Faktoren in den Tatumständen vor, dass jedenfalls im vorliegenden Einzelfall der Tat nach § 316 StGB die Indizwirkung genommen ist, und die den formell zum Entzug ausreichenden Verstoß deutlich günstiger erscheinen lassen als den Regelfall.
Angesichts der Tatumstände begegnet die Entziehung der Fahrerlaubnis auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeit Bedenken; als erforderliches Mittel erscheint die Verhängung eines Fahrverbots nach § 44 StGB naheliegender.“
Tendenz danach m.E. hier: Entziehung grdunsätzlich zulässig, aber wegen der Besonderheite in diesem Fall zu verneinen.