Die zweite Entscheidung, der schon etwas ältere LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 28.08.2024 – 18 Qs 15/24 -, äußert sich zur Frage der Entschädigung nach dem StrEG bei Teilvollstreckung zwischen dem Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung und der Aufhebung des Widerrufsbeschlusses durch das Beschwerdegericht.
Dazu sagt das LG mit dem AG: Gibt es nicht:
„2. Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.
Wer durch eine strafgerichtliche Verurteilung einen Schaden erlitten hat, wird aus der Staatskasse entschädigt, soweit die Verurteilung im Wiederaufnahmeverfahren oder sonst, nachdem sie rechtskräftig geworden ist, in einem Strafverfahren fortfällt oder gemildert wird, § 1 Abs. 1 StrEG. Unter dem Begriff der Verurteilung ist jede rechtsförmliche Feststellung einer strafrechtlichen Schuld zu verstehen (BeckOK StPO/Cornelius, 52. Ed. 1.7.2024, StrEG § 1 Rn. 1 m.w.N.).
a) Wenn das Gericht die Aussetzung einer Strafe (§ 56 StGB) oder Maßregel (§ 67b StGB) oder eines Strafrestes (§ 57 StGB) oder des Maßregelvollzugs (§ 67 Abs. 2, § 67e StGB) widerruft, die Widerrufsentscheidung aber auf sofortige Beschwerde aufgehoben wird, gibt es für eine Teilvollstreckung zwischen Widerruf und Aufhebung nach ganz herrschender Meinung keine Entschädigung nach dem StrEG (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.02.1993 – 1 Ws 92-93/93; LG Karlsruhe, Beschluss vom 23. Oktober 2023 – 11 O 19/23; MüKoStPO/Kunz, 1. Aufl. 2018, StrEG § 1 Rn. 29; Kunz, StrEG, 4. Auflage 2010, § 1 Rn. 29; a. A. OLG Köln, Beschluss vom 23. August 2002 – 2 Ws 372/02). Für Maßnahmen im Bereich der Strafvollstreckung kann nach den Regelungen des StrEG keine Entschädigung verlangt werden (vgl. KG, Beschluss vom 25. Februar 2005 – 5 Ws 67/05; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5. Juni 1981 – 3 Ws 261/81; Meyer, StrEG, 10. Auflage 2017, § 1 Rn. 15, 15a). Die nachträglichen gerichtlichen Entscheidungen ergehen vielmehr im Rahmen der kriminalpolitischen Zielsetzungen, die das materielle Strafrecht mit dem Bewährungssystem verfolgt. Sie betreffen allein die Vollstreckung, nicht das Urteil (vgl. MüKoStPO/Kunz, 1. Aufl. 2018, StrEG § 1 Rn. 27). Während die Entschädigungspflicht des Staates nach § 1 StrEG voraussetzt, dass eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung später in einem Strafverfahren wegfällt oder gemildert wird, zielt § 2 StrEG auf solche Fälle ab, in denen es trotz vorläufiger Strafverfolgungsmaßnahmen erst gar nicht zu einer Verurteilung gekommen ist. Beide Voraussetzungen liegen bei der Vollstreckung des rechtskräftigen Urteils nicht vor. Das gilt auch dann, wenn das der Strafvollstreckung entgegenstehende Hindernis der Strafaussetzung durch deren Widerruf beseitigt wird. Auch in diesem Fall handelt es sich um die Vollstreckung des rechtskräftigen auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils, das weder durch den Widerruf der Strafaussetzung noch durch die Aufhebung dieses Widerrufs in seinem materiellen Inhalt berührt wird. Hinzukommt, dass § 2 StrEG abschließend aufzählt, welche Strafverfolgungsmaßnahmen zu einer Entschädigungspflicht des Staates führen. Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe nach rechtskräftigem Widerruf der Strafaussetzung bis zu dessen späteren Wegfall zählt nicht dazu (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.02.1993 – 1 Ws 92-93/93; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.06.1981 – 3 Ws 261/81 für Sicherungshaftbefehl).
b) aa) Die Kammer hat diese Frage in ihrer Entscheidung vom 07.09.2020 (18 Qs 45/20) mangels Entscheidungserheblichkeit noch dahinstehen lassen (Bl. 48), schließt sich der herrschenden Meinung mit deren zutreffenden Argumenten aber an. § 1 Abs. 1 StrEG spricht ausdrücklich von einer strafgerichtlichen Verurteilung als schadenstiftendem Ereignis. Ein Beschluss über den Widerruf der Strafaussetzung nach den §§ 56f StGB; 453 StPO stellt aber kein Urteil im Sinne der §§ 260, 267, 268, 275 StPO und auch nicht einen diesem gleichstehenden (§ 410 Abs. 3 StPO) Strafbefehl dar.
bb) Der – umstrittene – Ansatz, § 1 Abs. 1 StrEG umfasse auch Fälle der Wiedereinsetzung und Rechtskraftdurchbrechung, rechtfertigt keine andere Betrachtung.
(A) Vertreten wird, von § 1 Abs. 1 StrEG würden alle Fälle umfasst, in denen die Rechtskraft nachträglich durchbrochen werde, weil das Gebot materieller Gerechtigkeit der Rechtskraftwirkung vorgehe (MüKoStPO/Kunz, 1. Aufl. 2018, StrEG § 1 Rn. 2). Auch bei einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei der Regelungsbereich von § 1 StrEG eröffnet (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Aufl. 2023, StrEG § 1 Rn. 2; BeckOK StPO/Cornelius, 52. Ed. 1.7.2024, StrEG § 1 Rn. 6.1; MüKoStPO/Kunz, 1. Aufl. 2018, StrEG § 1 Rn. 21; BayObLG, Beschluss vom 26. Februar 1986, RReg. 4 St 256/85; aA: Meyer, StrEG, 10. Auflage 2017, § 1 Rn. 11). Dafür, dass auch die Wiedereinsetzung in diesem Sinne umfasst sei, sprächen sowohl der Wortlaut von § 1 Abs. 1 StrEG, als auch der Sinn und Zweck des Gesetzes, den Ausgleich eines nicht gerechtfertigten Sonderopfers zu ermöglichen. Dem Beschuldigten, der einer durch das Verfahrensergebnis nicht gedeckten Strafverfolgungsmaßnahme ausgesetzt sei, werde im Allgemeininteresse, nämlich aus Gründen der Strafrechtspflege, ein Sonderopfer auferlegt. Dem Ausgleich der hierdurch verursachten Schäden diene die im StrEG normierte Staatshaftung. Hinsichtlich des dem Verurteilten auferlegten Sonderopfers bedeute es keinen Unterschied, ob die rechtskräftige Strafe nach Wiederaufnahme oder nach Wiedereinsetzung gemildert worden sei (BayObLG, Beschluss vom 26. Februar 1986, RReg. 4 St 256/85).
(B)
(I) Bei rechtlich zutreffender Würdigung der Sach- und Rechtslage lag – entgegen der Annahme des Amtsgerichts im Beschluss vom 15.07.2020 (Bl. 30) – bereits kein Fall der Wiedereinsetzung und Rechtskraftdurchbrechung in diesem Sinne vor, weil bezogen auf den Beschluss vom 11.05.2020 (Bl. 12 ff.) und das Schreiben der Verurteilten vom 18.06.2020 (Bl. 17) keine Frist versäumt wurde (§ 44 StPO).
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