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Ob ein 1/6 mehr oder weniger Beute ist für die Strafzumessung egal

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Eine ganz interessante Fallgestaltung liegt dem OLG Hamm, Beschl. v. 29. 4. 2014 – 1 RVs 25/14 – zugrunde, dafür muss man aber ein wenig weiter ausholen. Der Angeklagte war als LKW-Fahrer bei einer Spedition beschäftigt. Diese war überwiegend damit befasst ist, Regalsysteme eines bestimmten Herstellers zu laden, auf ihr Speditionsgelände zu verbringen, dort zwischen zu lagern, zu kommissionieren und dann innerhalb bestimmter Fristen an Kunden auszuliefern. Die Ware wurde anhand von Lieferzetteln verbucht und zugeordnet. Für nicht mehr nachvollziehbare Ware existierte eine separate Lagerung, bis eine Zuordnung wieder möglich ist. Anfang März 2012 wandte sich der Angeklagte an einen Vorarbeiter der Regalsystemfirma und orderte bei ihm in zwei Fällen Ware, wobei klar war, dass dies nicht als reguläres Geschäft, sondern für den Angeklagten unentgeltlich erfolgen sollte. Die Ware wurde auch jeweils ohne entsprechenden Lieferschein verladen. Ein Teil der Ware kam in den LKW des Angeklagten – der Warenwert betrug 4.000,- € -, der andere Teil mit einem Warenwert von 800,- e in den LKW eines nicht eingeweihten Kollegen. Die unrechtmäßigen Bestellungen waren allerdings bereits dem Logistikleiter des Regalherstellers aufgefallen. Da dieser jedoch noch keinen hinreichenden Beweis für eine Straftat hatte und niemanden zu Unrecht bezichtigen wollte, entschied er sich zu einer Überprüfung erst nach Wareneingang in der Spedition. Die Ladungen lud der Angeklagte in die Abteilung der nicht nachzuvollziehenden Güter und erklärte auf Nachfrage nach dem fehlenden Lieferschein, dass diese Teile am Folgetag abgeholt würden und der Versand Bescheid wisse. Die Spedition sicherte aber auf Hinweis des Logistikleiters des Regalherstellers umgehend die Ware und brachte den Vorfall zur Anzeige. Der Angeklagte ist zusammen mit dem früheren Mitarbeiter des Regalherstellers wegen gemeinschaftlichen Diebstahls verurteilt worden. Seine Berufung hatte keinen Erfolg. Mit seiner Revision hat der Angeklagte dann beim OLG geltend gemacht, dass angesichts der Beobachtung der Tat schon nicht von einem Gewahrsamsbruch auszugehen sei. die Revision hatte keinen Erfolg.

Das OLG sagt:

„1. Der im Rahmen der Wegnahme nach § 242 StGB begründete neue Gewahrsam muss nicht unbedingt tätereigener Gewahrsam sein.

2. Ob bei Beobachtung des Diebstahls durch den Eigentümer oder durch andere, die zu seinen Gunsten einzuschreiten gewillt sind, die Begründung neuen Gewahrsams möglich ist, hängt von den Einzelumständen.“

So weit, so gut und so auch in Übereinstimmung mit der h.M.

Insoweit nicht überraschen und nicht neu. Was ein wenig überrascht, ist, wie das OLG mit dem „teilweisen Versuch“ umgeht. Zutreffend ist es m.E. nur einer vollendeten Tat auszugehen. Es liegt ein Tatentschluss und eine einheitliche auf eine Gesamtbeute gerichtete Tat vor. Insoweit hat das OLG Recht, wenn es eine Abänderung des Schuldspruchs als nicht erforderlich ansieht.

Aber: Das OLG hat auch den Rechtsfolgenausspruch nicht beanstandet. Der Senat könne ausschließen, dass das LG auf eine noch mildere Strafe erkannt hätte – verhängt worden war eine Freiheitsstrafe von drei Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist -, wenn ihm bewusst gewesen wäre, dass der Diebstahl nicht in Gänze vollendet worden, sondern hinsichtlich eines Teils im Versuchsstadium stecken geblieben sei. Dabei sei – so das OLG – zu berücksichtigen, dass der wertmäßig größte Teil des Diebesgutes tatsächlich entwendet wurde und es nur bei einem kleinen Teil beim Versuch blieb. Immerhin handelt es sich dabei aber um gut 1/6 der Tatbeute. Warum das nicht ggf. doch Auswirkungen auf die Strafzumessung gehabt hätte bzw. haben müssen, sagt das OLG nicht. So milde ist die Strafe ja nun auch wieder nicht.

Strafzumessung: Neue Tat nach der Tat –> Strafschärfung?

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Einen an sich auf der Hand liegenden Strafzumessungsfehler behandelt der BGH, Beschl. v. 17.04.2014 -3 StR 133/14, nämlich die (grds. unzulässige) Berücksichtigung einer nach der verfahrensgegenständlichen Tat liegenden Tat/Verurteilung:

„Der Strafausspruch hat keinen Bestand. Bei der Bemessung der Freiheitsstrafe hat das Landgericht zu Lasten der Angeklagten an erster Stelle berücksichtigt, sie sei einmal, wenn auch nicht einschlägig, vorbestraft. Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, denn festgestellt ist lediglich eine Verurteilung zu (der Höhe nach nicht mitgeteilter) Geldstrafe am 17. Oktober 2013, somit nach der verfahrensgegenständlichen, am 22. Oktober 2011 begangenen Tat. Eine nach der verfahrensgegenständlichen Tat ergan-gene Verurteilung darf daher nur dann strafschärfend berücksichtigt werden, wenn die dieser Verurteilung zugrunde liegende Straftat nach ihrer Art und nach der Persönlichkeit des Täters auf Rechtsfeindlichkeit, Gefährlichkeit und die Gefahr künftiger Rechtsbrüche schließen lässt (BGH, Beschluss vom 9. November 2006 – 5 StR 338/06, NStZ 2007, 150). Dies lässt sich den bisherigen Feststellungen nicht entnehmen.“

Sieben Monate für 19,3 g Haschisch-Besitz – „kein gerechter und angemessener Schuldausgleich“

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Mit Eingriffen in die konkrete Strafzumessung sind die Obergerichte meist zurückhaltend. Zwar werden Strafzumessungserwägungen beanstandet, aber: Konkrete Zahlen kommen dann doch nicht auf den Tisch. Ein wenig anders der OLG Hamm, Beschl. v. 06.03.2014 – 1 RVs 10/14 -, ergangen in einem BtM-Verfahren. Das ist der Angeklagte vom Amtsgericht wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt worden. Nach den Feststellungen des AG „war der bereits vielfach und unter anderem auch mehrfach wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln vorbestrafte und langjährig betäubungsmittelabhängige Angeklagte am 28. Dezember 2012 um 13:50 Uhr im Bereich der O-Parkanlage in I im Rahmen einer Polizeikontrolle im Besitz von 19,31 g Haschisch mit nicht mehr festgestellter Wirkstoffkonzentration angetroffen worden, welches zum Eigenkonsum bestimmt war.“ Das LG verwirft seine Strafmaßberufung. Das OLG hebt auf und führt u.a. aus:

b) Ungeachtet des Vorstehenden wird die mit dem angefochtenen Urteil verhängte Freiheitsstrafe von 7 Monaten den Anforderungen an einen gerechten und angemessenen Schuldausgleich nicht mehr gerecht. Sie steht zu dem Unrechtsgehalt der Tat und der Schuld des Angeklagten außer Verhältnis und verletzt mithin das verfassungsrechtlich verankerte Übermaßverbot.

Allerdings ist die Strafzumessung grundsätzlich allein Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann im allgemeinen nur dann eingreifen, wenn die Erwägungen, mit denen der Tatrichter Strafart und Strafmaß begründet hat, in sich rechtlich fehlerhaft sind, wenn anerkannte Strafzwecke außer Betracht geblieben sind oder wenn sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, d. h., wenn die Strafe in einem groben Missverhältnis zu Tatunrecht und Tatschuld steht und gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt.

Insoweit ist auch hinsichtlich des letztgenannten Aspektes die grundsätzlich dem Tatrichter vorbehaltene Strafzumessung der rechtlichen Überprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich (vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl., § 46 Rdn 146, 149 a).

In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird nahezu durchgängig die Auffassung vertreten, dass in den Fällen des Besitzes geringer Mengen Betäubungsmittel zum Eigenkonsum im Sinne der §§ 29 Abs. 5, 31 a BtMG auch bei einschlägig vorbestraften abhängigen Drogenkonsumenten die Verhängung einer Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt und sich – soweit sie sich als unerlässlich erweist – im untersten Bereich des Strafrahmens des § 29 Abs. 1 BtMG zu bewegen hat (OLG Oldenburg, Beschluss vom 11. Dezember 2009 – 1 Ss 197/09 -, juris, Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 27. September 2006 – III – 104/06 – 1 Ss 166/06, III – 104/06, 1 Ss 166/06 -; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. April 2003 – 3 Ss 54/03 -, juris; BGH, Beschluss vom 16. Februar 1998 – 5 StR 7/98 -, juris; III-2 RVs 45/11 OLG Hamm, Beschluss vom 28.12.2011).

Dem tritt der Senat zumindest für die Fälle bei, in denen über den festgestellten strafbaren Betäubungsmittelbesitz zum Eigenkonsum hinausgehend nach den getroffenen Feststellungen konkrete Anhaltspunkte für eine etwaige Fremdgefährdung – etwa durch die nahe liegende Möglichkeit der Abgabe von Betäubungsmitteln an Dritte oder durch Beschaffungskriminalität – nicht ersichtlich sind. So liegt der Fall hier; entgegenstehende Feststellungen sind zumindest bisher nicht getroffen.

Stellt man auf die Richtlinien zur Anwendung des § 31 a Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes gemäß des Runderlasses des Justizministeriums und des Ministeriums für Inneres und Kommunales in Nordrhein-Westfalen vom 19. Mai 2011 – JMBL. NRW S. 106 – ab, so ist von einer geringen Menge zum Eigenverbrauch gemäß Ziffer II. 1. der Richtlinien bei Cannabisprodukten bis zu einer Gewichtsmenge von 10 g auszugehen, welche hier allerdings ungeachtet der mangelnden Feststellung eines Wirkstoffgehalt des sichergestellten Haschisch um nahezu 100% überschritten worden ist….“

Kleine Lücke, große Wirkung: Das fehlende Geständnis in der Strafzumessung

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In der anwaltlichen Beratung in Zusammenhang mit der Strafverteidigung spielen sicherlich die mit einem Geständnis zusammenhängenden Fragen eine große Rolle. Soll der Angeklagte gestehen/sich einlassen, wenn ja wie und welche Folgen wird es haben. Auch ohne anwaltliche Beratung wird der Mandant sicherlich (schon) wissen, dass ein Geständnis ein „bestimmender Strafzumessungsgesichtspunkt“ sein kann bzw. i.d.R. sein wird. Ein Geständnis wird i.d.R. eine mehr oder weniger große Strafmilderung bringen. Deshalb hat das Geständnis in der Strafpraxis eine große Bedeutung, an die der BGH im BGH, Beschl. v. 28.01.2014 – 4 StR 502/13 – eine Strafkammer des LG Kaiserslautern erst noch mal wieder erinnern musste. Denn nach Auffassung des BGh waren deren Strafzumessungserwägungen rechtsfehlerhaft, weil die Kammer das Geständnis des Angeklagten nicht ausdrücklich erwähnt hatte.

„1. Der Strafausspruch hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand, da das Landgericht die geständige Einlassung des Angeklagten in den Strafzumessungsgründen nicht ausdrücklich erwähnt hat.

a) Das Geständnis eines Angeklagten ist ein bestimmender Strafzumessungsgrund gemäß § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 1997 – 4 StR 539/97, StV 1998, 481). Ihm kann eine straf-mildernde Bedeutung nur abgesprochen werden, wenn es ersichtlich nicht aus einem echten Reue- und Schuldgefühl heraus abgegeben worden ist, son-dern auf „erdrückenden Beweisen“ beruht (BGH, Urteil vom 28. August 1997 – 4 StR 240/97, BGHSt 43, 195, 209; Beschluss vom 3. Dezember 1998 – 4 StR 606/98, DAR 1999, 195 f.).

b) Daran gemessen waren die Angaben des Angeklagten hier nicht bedeutungslos. Das Landgericht hat seine Überzeugung an mehreren Stellen (Zweck der Scheckausstellung und -hingabe, Umstände der Einlösung, Höhe der Forderung des Angeklagten usw.) auch auf entsprechende Bekundungen des Angeklagten gestützt. Durch seine in keinem Punkt als widerlegt oder unglaubhaft bewerteten Angaben wurde die geständige Einlassung des Mitangeklagten H. bestätigt und ergänzt. Für die Annahme, dass die Angaben des Angeklagten nur auf prozesstaktischen Erwägungen beruhten und ihnen deshalb keinerlei Bedeutung zukommen konnte, findet sich in den Urteilsgründen kein Anhaltspunkt. Zwar kann aus der Tatsache, dass ein für die Strafzumessung bedeutsamer Punkt nicht ausdrücklich angeführt worden ist, nicht ohne Weiteres geschlossen werden, der Tatrichter habe ihn überhaupt nicht gesehen oder nicht gewertet (BGH, Urteil vom 17. Juli 1996 – 5 StR 121/96, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Geständnis 1). Das Landgericht hat aber die Angaben des Angeklagten lediglich als „Einlassungen“, die des Mitangeklagten H.“

Kurios II: Welche Straftat ist eigentlich nicht „häßlich“ und „sinnlos“?

entnommen wikimedia.org Urheber Bubinator

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Strafzumessung ist nicht immer einfacher. Das wissen wir alle und das beweisen auch die vielen obergerichtlichen Entscheidungen, die sich mit Strafzumessungsfragen befassen. Dazu gehört nun auch der OLG Hamm, Beschl. v. 18.02.2014 – 1 RVs 12/14 – der die Strafzumessung beim Vollrausch zum Gegenstand hat. Der Angeklagte hatte im Zustand erheblicher Alkoholisierung – die Voraussetzungen des § 20 StGB konnten nicht ausgeschlossen werden – aus einem RTW einen Kindernotfallkoffer, in dem sich medizinische Geräte sowie Medikamente wie Paracetamol, Diazepam usw.  befanden, entwendet. In der (landgerichtlichen) Strafzumessung heißt es dann u.a.:

„Außerdem stellt das Entwenden eines Baby-Notfall-Koffers eine ebenso sinnlose wie hässliche und gefährliche Tat dar, die im schlimmsten Fall zu lebensbedrohlichen Situationen hätte führen können, wenn es anschließend zu einem entsprechenden Kindernotfalleinsatz der RTW-Besatzung gekommen und der Verlust des Koffers zuvor nicht aufgefallen wäre.“

Das beanstandet das OLG:

„Auch die Strafzumessungserwägungen im angefochtenen Urteil weisen einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

Soweit das Landgericht dem Angeklagten straferschwerend anlastet, der Diebstahl des Baby-Notfall-Koffers sei eine „sinnlose“ und „hässliche“ Tat, wirft es dem Angeklagten Umstände vor, die ihm bei Bewertung der Rauschtat nicht vorgeworfen werden können. Die im Rausch begangene Tat als solche darf dem Täter nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht vorgeworfen werden, weil er insoweit ohne Schuld handelt. Deshalb dürfen seine Motive und die Gesinnung, die zu der im Rausch begangenen rechtswidrigen Tat geführt haben, bei der Strafzumessung nicht zu seinem Nachteil herangezogen werden (BGH NJW 1992, 3309, 3311 [BGH 22.09.1992 – 5 StR 379/92]; BGH NJW 1971, 203 [BGH 04.11.1970 – 2 StR 476/70]), sondern lediglich tatbezogene Merkmale der Rauschtat, wie Art, Umfang, Schwere und Gefährlichkeit (BGH a.a.O.). Trotz der anderweitigen Formulierung im angefochtenen Urteil („die Tat“) charakterisieren die Begrifflichkeiten „sinnlos“ und „hässlich“ – anders als die ebenfalls verwendete Begrifflichkeit „gefährlich“ – jedenfalls nicht nur die Tat, sondern auch die Gesinnung des Täters. Sinnlos kann eine Tat nur sein, wenn sie – auch für den Täter zumindest erkennbar – keinen Sinn macht. Mit der Formulierung im Urteil wird mithin ein Verhalten umschrieben, das die Schädigung Dritter aus bloßem Mutwillen umschreibt. Ähnlich lässt sich auch die Charakterisierung als „hässlich“ verstehen, wobei hier schon fraglich ist, ob insoweit nicht auch ein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB vorliegt, denn „hässlich“ ist an sich schon jedes zu einer Bestrafung führende Verhalten.