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Strafzumessung I: Strafzumessung hat mit Moral nichts zu tun, oder: Asylbewerber

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Machen wir heute mal wieder ein wenig Strafzumessung – ein weites Feld, wie die veröffentlichte Rechtsprechung zeigt. Und ich eröffne mit dem BGH, Beschl. v. 25.10.2016 – 2 StR 386/16. Das LG Meinigen hat den Angeklagten wegen Landfriedensbruchs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Bei der Strafzumessung hat das LG zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass er „das Ansehen der Asylbewerber in Deutschland stark beschädigt und damit einer positiven Einstellung der Bevölkerung gegenüber anwesenden Asylsuchenden und anderen Ausländern entgegengewirkt“ habe. Dazu der BGH:

Diese moralisierende Erwägung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie macht den Angeklagten zu Unrecht verantwortlich für die Vorurteile Dritter und lässt zudem besorgen, die Strafkammer habe den Umstand, dass es sich bei dem Angeklagten um einen Asylsuchenden handelt, straferschwerend berücksichtigt; das wäre nicht statthaft (vgl. BGH StV 1991, 105). Die Stellung als Asylbewerber als solche kann eine Erhöhung der Strafe grundsätzlich nicht begründen; denn aus ihr ergibt sich keine gesteigerte Pflicht, keine Gewalttaten zu begehen (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 13; BGH, Beschluss vom 7. Juli 1998 – 5 StR 297/98). Etwas anderes gilt zwar dann, wenn die Tat durch die Ausländereigenschaft des Täters oder seine Stellung als Asylbewerber in einer für die Schuldgewichtung erheblichen Weise geprägt wird (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 13). Auch wenn es sich bei der Tat um eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen Asylsuchenden in einer Flüchtlingsunterkunft handelte, liegt die Annahme eines solchen Ausnahmefalls nicht auf der Hand.

In gleicher Weise wie bei dem Angeklagten hat das Landgericht auch bei den nicht revidierenden Mitangeklagten A. und B. berücksichtigt, dass sie das Ansehen der Asylbewerber in Deutschland beschädigt haben, bei dem Angeklagten B. zudem, dass er mit seiner Tat einer positiven Einstellung der Bevölkerung gegenüber anwesenden Asylsuchenden und Ausländern entgegenwirkte. Aus diesem Grund war die Aufhebung auf diese Mitangeklagten zu erstrecken (§ 357 StPO).“

Acht oder neun Monate Freiheitsstrafe, oder: Durcheinander?

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Ein wenig durcheinander scheint es bei einer Strafkammer des LG Gießen zugegangen zu sein. Jedenfalls kann man das m.E. annehmen/ableiten, wenn man den BGH, Beschl. v. 07.09.2016 – 2 StR 71/16 – liest, mit dem das LG-Urteil, durch das der Angeklagte wegen Besitzes von Betäbungsmitteln verurteilt worden ist, dann auch aufgehoben worden ist.

Grund: Ein nicht verlesenes Gutachten zur  Bestimmung von Art und Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel, insoweit ist und konnte keine Protokollberichtigung erfolgen. Einen Fehler hat es dann aber auch bei der Strafzumessung gegeben. Auf den weist der BGH in einer „Segelanweisung“ hin:

„d) Der neue Tatrichter wird gemäß § 358 Abs. 2 StPO zu berücksichtigen haben, dass von einer Freiheitsstrafe von acht Monaten als Obergrenze der neu zu verhängenden Strafe auszugehen ist. Nach der Urteilsformel im schriftlichen Urteil, die auch der verkündeten entspricht, beträgt die verhängte Freiheitsstrafe zwar neun Monate, nach den Urteilsgründen indes nur acht Monate. Worauf der Widerspruch beruht, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Um ein offenkundiges Fassungsversehen, das einer Berichtigung zugänglich sein könnte, handelt es sich nicht, weil die Strafzumessungsgründe, die eine Strafe in der einen wie in der anderen Höhe zulassen, keine Anhaltspunkte dafür bieten, welche der beiden Strafen das Landgericht für angemessen erachtet hat. Auszuschließen ist aber, dass die Strafkammer eine niedrigere Strafe als die in den Gründen genannte verhängen wollte (BGH, Beschluss vom 11. September 2013 – 2 StR 298/13; BGH, Beschluss vom 15. Juni 2011 – 2 StR 194/11).“

Strafzumessung III: Das strafmildernde Gewicht des Geständnisses, oder: Spitzfindig?

entnommen openclipart.org

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Auf einem schmalen Grad wandelt m.E. das BGH, Urt. v. 19.10.2016 – 2 StR 549/15, in dem es auch um Strafzumessung geht. Und zwar um die Frage, welches strafmilderndes Gewicht im Rahmen der Strafzumessung eigentlich ein Geständnis des Angeklagten hat. Verurteilt worden ist der Angeklagtewegen besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten. Dagegen die Strafmaßrevision des Angeklagten, die beim BGH keinen Erfolg hat.

„Das Landgericht hat das im neuen Verfahren abgelegte Geständnis des Angeklagten strafmildernd berücksichtigt. Soweit es dem nur eingeschränkte Bedeutung beigemessen hat, liegt darin kein Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Bezieht sich – wie hier – ein Geständnis auf bereits anderweitig bewiesene, gar rechtskräftig festgestellte Tatumstände, kommt ihm nur geringes Gewicht zu (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 46 Rn. 50a). Bleibt es zudem hinter den getroffenen rechtskräftigen Feststellungen zurück, reduziert sich sei-ne strafmildernde Wirkung grundsätzlich weiter. Etwas anderes ergibt sich hier auch nicht aus der besonderen Verfahrenskonstellation, in der zwei Taten Gegenstand des (auch gegen andere Angeklagte geführten) Verfahrens sind, der Angeklagte aber nur hinsichtlich einer Tat angeklagt und auch nur insoweit geständig ist. Anders als die Revision meint, hat die Strafkammer mit ihrer Erwägung, das Geständnis sei hinter den rechtskräftigen Feststellungen zum Tatgeschehen zurückgeblieben, nicht – was unzulässig wäre – berücksichtigt, er habe auch weiterhin die nicht angeklagte Tat nicht gestanden. Sie hat damit vielmehr (nur) zu erkennen gegeben, dass der Angeklagte entgegen den getroffenen Feststellungen seine Einbindung in die Planung der zweiten eingeräumten Tat, die sich im Anschluss an die erste Tat und unter Ausnutzen der hierfür getroffe-nen Vorkehrungen ereignete, nicht zugestanden hat. Dies weist keinen Rechtsfehler auf.“

Ob das so richtig ist? Man hätte m.E. auch genauso gut anders argumentieren können (wenn man gewollt hätte): „Die Erwägung der Strafkammer, das Geständnis sei hinter den rechtskräftigen Feststellungen zum Tatgeschehen zurückgeblieben, lässt besorgen, dass die Strafkammer dem Angeklagten angelastet hat, er habe auch weiterhin die nicht angeklagte Tat nicht gestanden. Das ist unzulässig.“

Ist „spitzfindig“ die richtige Beschreibung?

Strafzumessung II: 4 + 5 Jahre = 9 Jahre, oder: Gesamtstrafübel

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Bei der zweiten vorgestellten Entscheidung zur Strafzumessung (zum „Opening“ der OLG Hamm, Beschl. v. 13.09.2016 – 4 RVs 116/16 – und dazu Strafzumessung I: „Bewährung gibt es nicht, denn die fehlt die Unrechtseinsicht“)  handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 20.09.2016 – 1 StR 347/16. Ergangen ist er in einem Verfahren wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Waffen u.a. Nach den Feststellungen war die Angeklagte bereits am 04.09.2015 vom LG Nürnberg-Fürth wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Waffen in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden; es ging um Cannabisprodukte mit einem Trockengesamtgewicht von 447,62 Gramm und einer Wirkstoffmenge von 38,7 Gramm Tetrahydrocannabinol (THC). Bei einer (weiteren) Durchsuchung am 08.09.2015 wurde in der Wohnung sowie dem (nun durchsuchten) dazugehörigen Kellerraum Haschisch mit einem Trockengesamtgewicht von 300,81 Gramm sowie Marihuana mit einem Trockengesamtgewicht von 167,98 Gramm aufgefunden. Die Gesamtmenge an THC betrug 63,0 Gramm. 90 % dieser Betäubungsmittel waren für den gewinnbringenden Verkauf und 10 % für den Eigenkonsum bestimmt. Das LG hat die Angeklagte dann zu einer (qweiteren) Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt. Der Rechtsfolgenausspruch dieses Urteils wird vom BGH aufgehoben. Begründung:

„Der Strafausspruch hält jedoch revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat es versäumt, mit Rücksicht auf die Wirkungen der Strafe, die für das künftige Leben der Angeklagten zu erwarten sind (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB), das mit der Verurteilung der Angeklagten verbundene Gesamtstrafübel ausdrücklich zu erörtern. Das Tatgericht hat grundsätzlich das gesamte Gewicht der verhängten Strafe und ihre Folgen in seine Entscheidung einzustellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. August 2011 – 4 StR 367/11, StV 2012, 15; vom 10. November 2010 – 5 StR 456/10, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Anwendungspflicht 6; vom 27. Januar 2010 – 5 StR 432/09, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 19 und vom 9. November 1995 – 4 StR 650/95, BGHSt 41, 310, 314; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1245). Einen Nachteil, der sich für eine Angeklagte dadurch ergibt, dass die Bildung mehrerer Strafen zu einem zu hohen Gesamtstrafübel führt, muss das Tatgericht gegebenenfalls ausgleichen. Diesem rechtlichen Maßstab wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung nicht bedacht, dass neben der nun verhängten Freiheitsstrafe von fünf Jahren auch die bereits durch das Landgericht Nürnberg-Fürth mit Urteil vom 4. September 2015 verhängte Freiheitsstrafe von vier Jahren vollstreckt werden muss und das daraus resultierende Gesamtstrafübel rechtsfehlerhaft nicht erkennbar berücksichtigt.“

 

Strafzumessung I: „Bewährung gibt es nicht, denn dir fehlt die Unrechtseinsicht“

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Heute dann mal wieder ein Strafzumessungstag. Das „Opening“ macht der OLG Hamm, Beschl. v. 13.09.2016 – 4 RVs 116/16 -, mit einer m.E. mehr als unglücklichen Formulierung des LG in Zusammenhang mit der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung (§§ 56 ff. StGB). Das AG hatte den Angeklagten wegen gemeinschaftlichen Wohnungseinbruchsdiebstahls in fünf Fällen, davon einmal unter Bei-sich-Führens eines gefährlichen Werkzeugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Dem Urteil war eine Verständigung vorausgegangen. Dagegen hatt der Angeklagte zunächst unbeschränkt Berufung eingelegt. Die Berufung ist dann auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt worden. Das LG hat die Berufung des Angeklagten verworfen. Das hält beim OLG Hamm nicht:

„Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Strafaussetzung zur Bewährung verneint hat, halten aber rechtlicher Überprüfung nicht stand. Sie führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache (§§ 349 Abs. 4; 354 Abs. 2 StPO).

Das Landgericht stellt dem Angeklagten zwar eine günstige Legalprognose i.S.v. § 56 Abs. 1 StGB, verneint aber das Vorliegen besonderer Umstände i.S.v. § 56 Abs. 2 StGB. Die in diesem Zusammenhang gegebene Begründung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. U.a. stützt sich das Berufungsgericht darauf, dass es ein von Unrechtseinsicht getragenes Geständnis des Angeklagten nicht habe festgestellt werden können. Ob dies für sich genommen schon ausreichen würde, angesichts der sonstigen zahlreichen (vom Landgericht auch gewürdigten) Umstände (wie: keine Vorstrafen, erlittene Untersuchungshaft, gute soziale Eingliederung des Angeklagten, untergeordnete Tatbeiträge, geringe Beteiligung an der Tatbeute, Geständnis von fünf der sieben Angeklagten Taten), mag dahinstehen. Die gegebene Begründung ist jedenfalls rechtsfehlerhaft.

Die Strafkammer lastet dem Angeklagten an, dass er im Rahmen einer Verständigung erreicht habe, dass die Verfolgung von zwei der Taten nach § 154 StPO eingestellt worden seien und ihm eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen einem Jahr und neun Monaten und zu zwei Jahren und drei Monaten in Aussicht gestellt worden sei (ohne Strafaussetzung zur Bewährung). Nunmehr verfolge er die Strafaussetzung zur  Bewährung. Das sei zwar zulässiges Verteidigungsverhalten, lasse aber den Schluss zu, dass es dem Angeklagten an „echter Unrechtseinsicht“ fehle.

Dieser Schluss ist insofern nicht nachvollziehbar, weil an keiner Stelle des Urteils festgestellt ist, dass der Angeklagte nunmehr die Strafaussetzung zur Bewährung verfolgt, weil er das Unrecht seiner Taten in Abrede stellt. Dass er von seinem Geständnis abgerückt wäre, ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil nicht. Dass er angegeben hat, er sei unter Ausnutzung seiner Verliebtheit in die Schwester des Mittäters zu den Taten verleitet worden, stellt eine Unrechtseinsicht in diese selbst nicht in Frage, sondern ist eher ein Umstand, der die Strafzumessungsschuld i.S.v. § 46 StGB bzw. die Legalprognose betrifft. Weiter lässt die Formulierung des Landgerichts auch besorgen, dass es dem Angeklagten anlastet, er habe die Einstellung von zwei der Anklagepunkte nach § 154 StPO erreicht. Hieraus den Schluss zu ziehen, es fehle ihm an Unrechtseinsicht, wäre nur nachvollziehbar, wenn man davon ausginge, er sei dieser Taten auch schuldig. Dies würde aber gegen die Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK verstoßen, denn weder ist er dieser Taten schuldig gesprochen worden, noch hat das erkennende Gericht überhaupt hierzu irgendwelche Feststellungen getroffen.“

Also: Zweiter Durchgang…..