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BAK zwischen 2,3 und 2,7 Promille – Herabsetzung der Hemmungsfähigkeit

Der BGH, Beschl. v. 10.01.2012 – 5 StR 517/11 – hebt eine Verurteilung wegen Totschlags im Rechtsfolgenausspruch auf. Begründung: Verkennung der Voraussetzungen des § 21 StGB durch die Strafkammer. Dazu der BGH:

..Das Landgericht hat eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten verneint, obgleich dieser die Taten in stark alkoholisiertem Zustand begangen hatte (maximale Blutalkoholkonzentration 2,75 ‰, wahrscheinliche Blutalkoholkonzentration von 2,33 ‰, UA S. 30). Zur Begründung führt es im Anschluss an ein mündlich erstattetes Gutachten der Sachverständigen aus, dass „der Grad der Alkoholisierung wenig aussagekräftig sei, da der Angeklagte zum Tatzeitpunkt alkoholgewöhnt gewesen sei. Der Angeklagte habe angege-ben, dass er sich angetrunken, aber nicht schwer betrunken gefühlt habe. Sein Erinnerungsvermögen habe sich nicht wesentlich eingeschränkt gezeigt, er habe betont, gewusst zu haben, was er tat.“ Überdies spreche für eine genaue Planung der Tat, dass „der Angeklagte über einen längeren Zeitraum geplant Personen zur Verteidigung um sich geschart habe und den Angreifern letztlich gezielt im Erdgeschoss zuvorgekommen sei.“ Schließlich spreche sein „gezieltes Rückzugsverhalten“, in dem er sich freiwillig gestellt und auf Notwehr beru-fen hat, gegen „eine relevante Beeinträchtigung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit“ (UA S. 30 f.).b)

Diese Begründung hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Bei einem Täter, der zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration zwischen 2,3 und 2,7 ‰ aufwies, ist die Annahme einer erheblichen Herabsetzung seiner Hemmungsfähigkeit regelmäßig in einem hohen Grad wahrscheinlich (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29, 31; Beschluss vom 31. Mai 1988 – 3 StR 203/88, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 13; vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 20 Rn. 21 mwN). Eine erheblich verminderte Hemmungsfähigkeit lässt sich bei einer solchen beträchtlichen Alkoholisierung nur ausschließen, wenn gewichtige Anzeichen für den Erhalt einer Hemmungsfähigkeit sprechen (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 1997 – 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66, 68 ff.; Beschluss vom 26. November 1997 – 2 StR 553/97, NStZ-RR 1998, 107; hierzu ferner Fischer, aaO, Rn. 22 ff.).“

Watschen für die Strafkammer und den Verteidiger – 5. Strafsenat des BGH macht seinem Unmut Luft

Wie macht ein Strafsenat des BGH seinen Unmut gegenüber einer Strafkammer und einem Verteidiger Luft? Wer es wissen will, der lese BGH, Beschl. v. 22.06.2011 – 5 StR 226/11, in dem der 5. Strafsenat die Vorgehensweise m.E. sehr deutlich macht.

In der Sache ging es um die Verurteilung eines Angeklagten wegen schweren Raubes. Der Angeklagte hatte im Ermittlungsverfahren in seiner verantwortlichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren geltend gemacht, er leide an Schizophrenie und benötige Medikamente. Damit stand eine Maßregel nach § 63 StGB im Raum. Zu deren Anordnung ist es aber nicht gekommen, wohl aufgrund der getroffenen Verständigung (§ 257c StPO). Der BGH hat diese Vorgehensweise der Strafkammer – der Angeklagte hatte die Aufklärungsrüge erhoben – mit m.E. harschen Worten kritisiert. Es heißt im Beschluss:

Die Aufklärungsrüge ist offensichtlich begründet. Die Strafkammer war nach der letztgenannten Vorschrift wegen der zweifelhaften Schuldfähigkeit des Angeklagten und einer im Raum stehenden Maßregel nach § 63 StGB an einer Verständigung – nicht anders als auch die Staatsanwaltschaft – gehindert. Es musste sich ihr aufgrund der eigenen, in die Anklageschrift aufgenommenen Hinweise des Angeklagten auf eine schwere psychische Erkrankung aufdrängen, ihn zur Frage der Schuldfähigkeit begutachten zu lassen. Dass das Tatbild der dem Angeklagten zur Last gelegten Verbrechen auf den ersten Blick eine Einschränkung seiner Schuldfähigkeit nicht nahelegt, ändert hieran angesichts des begründeten massiven Krankheitsverdachts nichts.
Die Rüge muss angesichts der alleinigen Beweisgrundlage des Geständnisses eines möglicherweise Geisteskranken zur umfassenden Aufhebung des angefochtenen Urteils führen.“

Und dem Verteidiger gibt der Senat mit auf den Weg:

Das neue Tatgericht wird zu erwägen haben, ob dem Angeklagten ein neuer Verteidiger zu bestellen ist, nachdem der bisherige sich auf die vom Gericht initiierte grob sachwidrige Verständigung eingelassen hat. Die Erwägung, dass der Verteidiger womöglich zum vermeintlich Besten seines Mandanten handeln wollte, indem er ihm einen unbefristeten Freiheitsentzug infolge einer Unterbringung nach § 63 StGB zu ersparen suchte, verbietet sich angesichts der jetzt durchgeführten Revision (vgl. § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).“

Das letzte ist dann wohl: Venire contra factum proprium. „Grob sachwidrige Verständigung“ und der Rat zur Entpflichtung: Das ist schon was.

Mehr als 3,0 Promille BAK – das ist doch schon was….

und zwingt den Tatrichter die Schuldfähigkeit unter Berücksichtigung aller wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände des Erscheinungsbildes und des Verhaltens des Täters vor, während und nach der Tat prüfen, so das OLG Naumburg im Beschl. v. 06.07.2010 – 2 Ss 85/10). Der Satz sollte an sich Allgemeingut sein, war er aber leider beim LG Halle nicht. Das hatte die Steuerungsfähigkeit beim Angeklagten angenommen und damit begründet, dass der Angeklagte zur Arbeit fahren wollte, ansprechbar war, sich ohne fremde Hilfe bewegen konnte und die Durchführung eines Blutalkoholtests möglich war (vor allem das „Bewegenkönnen“ ist schön :-)). Dem OLG hat das nicht gereicht, daher Aufhebung und Zurückverweisung, um die Sache noch mal neu zu verhandeln. In der Revision reicht bei solchen Fragen die einfache Sachrüge.

Dazu passt ganz gut: Warum tun Tatrichter das?, oder: Die geschriebene Lücke.