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Mir passt der Sachverständige nicht. Beschwerde?

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Nach allgemeiner Meinung in Rechtsprechung und Literatur obliegt die Auswahl des (gerichtlichen) Sachverständigen dem Gericht. Was ist aber, wenn dem Angeklagte/Beschuldigten/Verurteilten die Auswahl des Sachverständigen nicht passt? Kann er dagegen Beschwerde einlegen oder ist das nicht möglich?

Das OLG Nürnberg hat diese Frage jetzt im OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.07.2012, 1 Ws 324/12, für das Überprüfungsverfahren unter Hinweis auf § 305 Satz 1 StPO verneint und eine Parallele zu Hauptverhandlung im Erkenntnisverfahren gezogen.

 „Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Beschwerde gegen eine prozessuale Entscheidung des Gerichts innerhalb des Verfahrens und nicht gegen eine abschließende Entscheidung des Verfahrens. In derartigen Fällen ist eine Beschwerde gemäß § 305 Satz 1 StPO ausgeschlossen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 55. Aufl. § 74 Rn. 18 m.w.N.).

 Sinn der Regelung des § 305 Satz 1 StPO ist es, die reibungslose Durchführung einer Hauptverhandlung zu sichern. Die Vorschrift soll die Verfahrensverzögerungen verhindern, die eintreten würden, wenn Entscheidungen der erkennenden Gerichte sowohl aufgrund einer Beschwerde als auch auf das Rechtsmittel gegen das Urteil hin überprüft werden müssen.  Eine derartige Interessenlage ist auch in den Verfahren der Strafvollstreckungskammer – vorliegend  bei der Prüfung gemäß § 67 e StGB – gegeben. Die Durchführung derartiger Verfahren ist vergleichbar mit dem Interesse an einer reibungslosen Durchführung einer begonnenen Hauptverhandlung. Dem Erfordernis der Herbeiführung einer raschen Klärung derartiger Fragen widerspräche es, die zeitliche Verzögerung hinzunehmen, die mit einem Beschwerdeverfahren gegen die Auswahl des bestellten Sachverständigen verbunden ist (vgl. auch OLG Nürnberg Beschluss v. 30.9.2008, Az. 2 Ws 400/2008).“

Es bleibt also nur abzuwarten und die Einwände gegen den Sachverständigen mit einem Rechtsmittel gegen die abschließende gerichtliche Entscheidung geltend zu machen bzw. zu versuchen, einen eigenen Sachverständigen in das Verfahren einzuführen. In der Hauptverhandlung geht das ggf. über § 245 StPO. Bringt natürlich Unruhe ins Verfahren.

Entscheidung gegen den Sachverständigen – als Strafkammer sollte man wissen, wie man damit umgeht

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Entscheidung gegen den Sachverständigen – als Strafkammer sollte man wissen, wie man damit umgeht, so heißt es in der Überschrift – bezogen auf den BGH, Beschl. v. 19.06.2012 – 5 StR 181/12). Ausgangspunkt der Entscheidung ist folgender Verfahrensablauf: Das LG verurteilt den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs. Bei der Prüfung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten hat das LG „keinerlei Zweifel daran, dass sich die Tathandlung sowie die übrigen sexuellen Übergriffe des Angeklagten zum Nachteil der Nebenklägerin so abspielten wie im Sachverhalt festgestellt“ (UA S. 18). Es weicht damit von der Beurteilung der aussagepsychologischen Gutachterin ab, die – entgegen ihrem schriftlichen Gutachten – „im Hinblick auf das Aussagematerial der Nebenklägerin im Rahmen der Hauptverhandlung“ (UA S. 18) nicht mehr zu dem Ergebnis gelangte, dass deren Bekun-dungen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert seien. In der Hauptverhandlung habe sich die „Qualität des Aussagematerials“ reduziert.

Der BGH, Beschluss moniert das als rechtsfehlerhaft:

„a) Zwar ist das Tatgericht nicht gehalten, einem Sachverständigen zu folgen. Kommt es aber zu einem anderen Ergebnis, so muss es sich konkret mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinandersetzen, um zu belegen, dass es über das bessere Fachwissen verfügt (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2001 – 1 StR 190/01). Es muss insbesondere auch dessen Stellungnahme zu den Gesichtspunkten wiedergeben, auf die es seine abweichende Auffassung stützt (BGH, Urteil vom 20. Juni 2000 – 5 StR 173/00, NStZ 2000, 550). Aus den im Urteil wiedergegebenen Ausführungen der Sachverständigen wird deutlich, weshalb sie von einer Reduzierung der „Qualität des Aussagematerials“ in der Hauptverhandlung ausgegangen ist, aufgrund derer sie nicht mehr an ihrer Einschätzung im schriftlichen Gutachten festhalten könne (UA S. 19). Die Mutmaßung der Sachverständigen, das Aussageverhalten der Nebenklägerin könne „aufgrund des großen Zeitinter-valls“ zwischen polizeilicher Vernehmung und Exploration einerseits und Hauptverhandlung andererseits oder mit dem schwierigen Lebensabschnitt erklärbar sein, in dem sich die Nebenklägerin befinde, ändert nichts an der – in einem unaufgelösten Widerspruch zitierten – Wertung der Sachverständigen, dass die Reduktion des Aussagematerials mit gutachterlichen Methoden nicht durch Vergessensprozesse erklärt werden könne.
Die Jugendschutzkammer stellt dieser Würdigung der Sachverständigen eine eigene Beweiswürdigung gegenüber, ohne sich dabei aber mit der von der Sachverständigen festgestellten Reduzierung der Aussagequalität der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung auseinanderzusetzen. Jedenfalls in den Fällen, in denen die Aussage des Tatopfers das einzige Beweismittel ist, hat das Tatgericht eine besonders sorgfältige Beweiswürdigung unter Berücksichtigung der aussagepsychologischen Glaubwürdigkeitskriterien vorzunehmen (Brause, NStZ 2007, 505, 506). …“

Der Sachverständige (k)ein ungeeignetes Beweismittel

Das LG Kleve hat den Angeklagten vom Vorwurf der schweren räuberischen Erpressung frei gesprochen. Dagegen die Revision der StA, die Erfolg hatte, und zwar mit der Verfahrensrüge. Die StA hatte gerügt, dass die Strafkammer einen von ihr gestellten Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens abgelehnt hat. Die StA hatte beantragt, ein anthropologisches Gutachten zu der Frage einzuholen, dass „es sich bei den zur Tatzeit mittels einer Überwachungskamera im Verkaufsraum der Tankstelle aufgezeichneten männlichen Personen um die Angeklagten handele„. Das LG hat den Antrag mit der Begründung abgelehnt, es handele sich um ein „ungeeignetes Beweismittel“ im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO, weil es nicht möglich sei, dem Sachverständigen neben dem aus den Aufzeichnungen der Überwachungskamera stammenden „Videomaterial“ das für die Begutachtung erforderliche „Vergleichsmaterial“ zu verschaffen. Entsprechendes Material könne nur mittels eines Nachstellens der Tat unter Mitwirkung der Angeklagten gewonnen werden. Dazu seien diese nicht bereit.

Der BGH hat diese Ablehnung im BGH, Urt. v. 01.12.2011 – 3 StR 284/11 – als rechtsfehlerhaft beanstandet:

„2. Diese Begründung trägt die Ablehnung des Beweisantrags nicht; sie ist mit § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO nicht vereinbar.
a) Ein Beweismittel ist völlig ungeeignet im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO, wenn ungeachtet des bisher gewonnenen Beweisergebnisses nach sicherer Lebenserfahrung feststeht, dass sich mit ihm das im Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nicht erreichen lässt und die Erhebung des Beweises sich deshalb in einer reinen Förmlichkeit erschöpfen müsste (BGH, Beschluss vom 13. März 1997 – 4 StR 45/97, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 16; Beschluss vom 15. März 2007 – 4 StR 66/07, NStZ 2007, 476, 477; Beschluss vom 7. August 2008 – 3 StR 274/08, NStZ 2009, 48 f.).
Wird eine Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt, kommt dies in Betracht, wenn es nicht möglich ist, dem Sachverständigen die tatsächlichen Grundlagen zu verschaffen, deren er für sein Gutachten bedarf. Umgekehrt ist ein Sachverständiger nicht schon dann ein völlig ungeeignetes Beweismittel, wenn er absehbar aus den Anknüpfungstatsachen keine sicheren und eindeutigen Schlüsse zu ziehen vermag. Als Beweismittel eignet er sich vielmehr schon dann, wenn seine Folgerungen die unter Beweis gestellte Behauptung als mehr oder weniger wahrscheinlich erscheinen lassen und hierdurch unter Berücksichtigung des sonstigen Beweisergebnisses Einfluss auf die Überzeugungsbildung des Gerichts erlangen können (BGH, Beschluss vom 13. März 1997 – 4 StR 45/97, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 16; Beschluss vom 7. August 2008 – 3 StR 274/08, NStZ 2009, 48, 49 mwN).
Ob eine sachverständige Begutachtung auf der verfügbaren tatsächlichen Grundlage zur Klärung der Beweisbehauptung nach diesen Maßstäben geeignet ist, kann und muss der Tatrichter in Zweifelsfällen im Wege des Freibeweises – etwa durch eine Befragung des Sachverständigen zu den von ihm für eine Begutachtung benötigten Anknüpfungstatsachen – klären (BGH, Beschluss vom 31. Mai 1994 – 1 StR 86/94, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 14; Beschluss vom 9. März 1999 – 1 StR 693/98, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 20; Beschluss vom 15. März 2007 – 4 StR 66/07, NStZ 2007, 476, 477)…..“

Also: Auf ein neues

Bei gewalttätiger Vorgeschichte – Sachverständigengutachten erforderlich

Der BGH, Beschl. v. 06.07.2011 – 5 StR 230/11 nimmt zur Pflicht des Tatgerichts zur Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens über den Angeklagten bei einer „gewalttätiger Vorgeschichte“ Stellung.

In Kapitalstrafsachen besteht danach – wenn nicht ein länger geplantes, rational motiviertes Verbrechen vorliegt – häufig Anlass, einen psychiatrischen Sachverständigen beizuziehen. Maßgeblich seien insoweit die Umstände des Einzelfalls. Bei einer gewaltätigen Vorgeschichte der Beziehung zwischen dem Angeklagten und dem späteren Opfer und somit Verhaltensbesonderheiten des Angeklagten während der rund 20-jährigen Beziehung zum Opfer biete sich die Überprüfung möglicher  psychopathologischer Dispositionen der Persönlichkeit des Angeklagten, die nicht das Ausmaß von Persönlichkeitsstörungen erreichen müssten, durch einen Sachverständigen an. Bei Anhaltspunkten für einen die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindernden Affekt wie Erinnerungslücken könne eine Begutachtung geboten sein.

Gibt es ein Delegationsrecht des Sachverständigen?

Oder anders gefragt: Kann/Darf ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger z.B. die Exploration auf eine Hilfskraft übertragen. Der BGH, Beschl. v. 25.05.2011 – 2 StR 585/10 verneint das:

… Allerdings hat das Landgericht zu Unrecht angenommen, es sei unbedenklich, dass die unter anderem mit der Schuldfähigkeitsbegutachtung beaufragte psychiatrische Sachverständige Dr. K. die Durchführung einer Exploration des Angeklagten „einer erfahrenen Hilfskraft mit der Qualifikation einer Diplom-Psychologin übertragen“ hat. Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger hat die Pflicht zur persönlichen Gutachtenerstattung. Es besteht daher ein Delegationsverbot, soweit durch Heranziehung anderer Personen die Verantwortung des Sachverständigen für das Gutachten in Frage gestellt wird (vgl. Schmid, Krank oder böse? Die Schuldfähigkeit und die Sanktionenindikation dissozial persönlichkeitsgestörter Straftäter und delinquenter „Psychopaths“ sowie die Zusammenarbeit von Jurisprudenz und Psychiatrie bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit, 2009, S. 479; Schnoor, Beurteilung der Schuldfähigkeit – eine empirische Untersuchung zum Umgang der Justiz mit Sachverständigen, 2009, S. 125 ff.; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl., Rn. 337; s. auch § 407a Abs. 2 Satz 1 ZPO). Das Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen muss – jedenfalls soweit dies überhaupt möglich ist (vgl. BGHSt 44, 26, 32) – eine Exploration des Probanden durch den Sachverständigen einschließen. Dabei handelt es sich um die zentrale Untersuchungsmethode. Deren Ergebnisse kann der gerichtliche Sachverständige nur dann eigenverantwortlich bewerten, wenn er sie selbst durchgeführt oder zumindest insgesamt daran teilgenommen hat. Dies gilt erst recht, wenn bei der Exploration auch Mimik und Gestik des Probanden aufgefasst werden. Eine Delegation der Durchführung dieser Untersuchung an eine Hilfsperson scheidet daher aus.“

Beanstandet hat der BGH zudem die landgerichtliche Würdigung/Befassung mit dem Sachverständigengutachten. Im Ergebnis aber ohne Erfolg, da das Urteil auf den vom BGH festgestellten Rechtsfehlern nicht beruhte. Aber: Das fehlende Delegationsrecht kann ein Angriffspunkt gegen Sachverständigengutachten sein.