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Urteil II: Abweichen vom Sachverständigengutachten, oder: Das muss man begründen…

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Die zweite Entscheidung des Tages, der BGH, Beschl. v. 10.04.2019 – 2 StR 338/18 – behandelt aus dem Bereich „Urteilsgründe/Beweiswürdigung“ einen Dauerbrenner, der den BGH, aber auch die OLG, immer wieder beschäftigt. Nämlich: Wie müssen die Urteilsgründe beschaffen sein, wenn das Tatgericht einem Sachverständigen, der in der Hauptverhandlung von einem ursprünglichen Gutachten abweicht, nicht (mehr) folgen will.

Hier hatte das LG den Angeklagten u.a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen verurteilt. Der Angeklagte hatte die Taten bestritten. Das LG hat sich seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten vor allem auf Grund der Angaben der Nebenklägerin verschafft. Die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage werde durch eine Tagebucheintragung vom 26. Januar 2014 und einen Brief an ihre Großmutter aus dem Jahre 2016 gestützt. Der BGH beanstandet die Beweiswürdigung der Strafkammer:

„b) Gemessen daran erweist sich die Beweiswürdigung des Landgerichts als rechtsfehlerhaft. Sie weist Lücken auf.

aa) Das Landgericht hat es versäumt, nachvollziehbar darzulegen, warum es der Sachverständigen T., die in ihrem mündlichen Gutachten in der Hauptverhandlung – abweichend von ihrem schriftlichen Gutachten – nicht mehr von der Erlebnisbasiertheit der Angaben der Nebenklägerin ausgegangen ist, nicht gefolgt ist.

(1) Zwar ist das Tatgericht nicht gehalten, einem Sachverständigen zu folgen. Kommt es aber zu einem anderen Ergebnis, so muss es sich konkret mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinander setzen, um zu belegen, dass es über das bessere Fachwissen verfügt. Es muss insbesondere auch dessen Stellungnahme zu den Gesichtspunkten wiedergeben, auf die es seine abweichende Auffassung stützt und unter Auseinandersetzung mit diesen seine Gegenansicht begründen, damit dem Revisionsgericht eine Nachprüfung möglich ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2017 – 2 StR 323/16, NStZ-RR 2017, 222; vom 14. September 2017 – 4 StR 45/17, juris Rn. 10 mwN).

(2) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht teilt zwar mit, dass die Sachverständige in ihrem schriftlichen Gutachten zunächst von der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin ausgegangen sei und dass sie ihre Meinung in der Hauptverhandlung geändert habe. Auch legt es noch dar, dass sich die Sachverständige im Hinblick auf das Näheverhältnis zwischen Mutter und Tochter und die erst im Rahmen der Hauptverhandlung erkennbar gewordene Intensität, mit der die Nebenklägerin in die Beziehung ihrer Mutter zu dem Angeklagten einbezogen gewesen sei, zu einer Überprüfung der im schriftlichen Gutachten angestellten Hypothesen veranlasst gesehen habe. Dabei erläutert das Landgericht weiter, dass es nach Ansicht der Gutachterin zu einer „Art Rollenumkehr“ zwischen Mutter und Tochter gekommen sein könne und die Nebenklägerin möglicherweise das Gefühl gehabt habe, die Mutter zu beschützen. In diesem Zusammenhang könnten die von ihr geschilderten „Kuschelsituationen“, die jeweils Ausgangspunkt der sexuellen Übergriffe durch den Angeklagten gewesen sein sollen, in sexuelle Handlungen umgedeutet worden sein (sog. Umdeutungshypothese), wofür die wenig detailreichen Angaben der Nebenklägerin, die alles nur angerissen hätte, ein Beleg seien. Schließlich teilt die Strafkammer noch mit, warum sie sich der Einschätzung der Sachverständigen nicht anschließt, indem sie sich vor allem darauf beruft, dass die Angaben der Nebenklägerin durch die Tagebucheintragung und den Brief an die Großmutter gestützt würden und sich deshalb der Rückschluss auf eine Falschbelastung als nicht tragfähig erweise, zumal der Gutachterin schon bei Erstellung des vorläufigen Gutachtens bekannt gewesen sei, dass die Nebenklägerin Zeugin von Gewalttätigkeiten des Angeklagten gegenüber der Mutter gewesen sei und daraufhin zu ihrem Schutz die Polizei gerufen habe.

Diese Ausführungen in den Urteilsgründen versetzen den Senat zum einen nicht hinreichend in die Lage, das Abweichen der Strafkammer vom mündlichen Gutachten der Sachverständigen nachzuvollziehen. Denn das Landgericht versäumt es, das schriftliche Gutachten, dem sich das Landgericht der Sache nach anschließt, in den für den zugrunde liegenden Fall maßgeblichen Punkten darzulegen. Die Strafkammer beschränkt sich insoweit darauf, schlagwortartig ohne nähere Erläuterung darzutun, dass die Sachverständige unter Heranziehung verschiedener Hypothesen (Nullhypothese, Phantasiehypothese, Wahrnehmungsübertragungshypothese, Personenübertragungshypothese) zur Annahme einer erlebnisbasierten Aussage der Nebenklägerin gekommen sei. Sie teilt aber nicht mit, ob die Umdeutungshypothese, die in der Hauptverhandlung für die Gutachterin Anlass war, von ihrem schriftlichen Gutachten abzuweichen, dort schon erörtert worden ist und ob dabei gegebenenfalls das „Näheverhältnis zwischen Mutter und Tochter“ Berücksichtigung gefunden hat. Aufgrund dessen lässt sich weder nachvollziehen, ob die Gutachterin mit ihren Hinweisen auf die in der Hauptverhandlung deutlich gewordene Intensität der Mutter-Tochter-Beziehung einen tragfähigen Anlass hatte, von ihrem schriftlichen Gutachten abzuweichen, noch lässt sich erkennen, ob das Landgericht unter Berufung auf das schriftliche Gutachten eine hinreichend sachkundige Einschätzung hatte, auf die es die Annahme einer erlebnisbasierten Aussage stützten konnte.

bb) Die landgerichtliche Entscheidung ist zum anderen auch deshalb lückenhaft, weil sie die Widerlegung der Umdeutungshypothese auf die schriftliche Bestätigung von Tatgeschehen im Tagebuch der Nebenklägerin und in einem Brief an ihre Großmutter gestützt hat (vgl. UA S. 17), ohne sich mit der Frage auseinander zu setzen, ob nicht auch diese Schriftstücke schon Ausdruck einer vorangegangenen Umdeutung durch die Nebenklägerin sein könnten. …..“

OWi II: Beweisbehauptung, ein anderer war Fahrer, oder: Achtung bei der Formulierung

Die zweite Entscheidung des Tages behandelt auch eine verfahrensrechtliche Problematik aus dem Owi-Verfahren, die allerdings auch in einem Strafverfahren von Bedeutung sein kann. Der BayObLG, Beschl. v. 28.05.2019 – 201 ObOWi 758/19 – nimmt nämlich (noch einmal) zu der Beweisbehauptung in einem (Beweis)Antrag Stellung, ein anderer – als der Betroffene – habe das Fahrzeug geführt.

Dazu hat das BayObLG wie folgt ausgeführt:

„Außerhalb der durch das Rechtsmittel veranlassten Sachprüfung bemerkt der Senat ergänzend:

Soweit die Verletzung des Beweisantragsrechts bzw. insoweit die Versagung rechtlichen Gehörs beanstandet wird, ist die Rüge unbeschadet ihrer am Maßstab der §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu messenden zulässigen Erhebung unbegründet. Denn auch mit dem positiv formulierten Beweisbegehren auf Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens „zum Beweis der Tatsache, dass es sich bei dem Fahrer zur Tatzeit um eine andere Person als den Betroffenen […] handelt“, wird allenfalls das von der Beweiserhebung erhoffte Beweisziel ‚unter Beweis‘ gestellt. Dies genügt regelmäßig nicht den für einen förmlichen Beweisantrag notwendigen Anforderungen an eine hinreichend bestimmte Beweisbehauptung. Zwar ergibt sich aus dem Beweisbegehren die Minimalbehauptung, dass mit der Beweiserhebung unter Beweis gestellt werden soll, dass nicht der Betroffene, sondern eben „eine andere Person“ zur Tatzeit verantwortlicher Führer des Tatfahrzeugs gewesen ist. Diesen Schluss hätte und hat indes gerade nicht der beantragte (anthropologische) Sachverständige, sondern allein das Gericht auf der Grundlage der erhobenen Beweise zu ziehen. Es fehlen aber insoweit jegliche Angaben entweder dazu, welche bestimmte (‚verwechselungsgeeignete‘) Person anstelle des Betroffenen das Fahrzeug zur Tatzeit geführt hat bzw. auf dem Beweisfoto abgebildet ist oder aber wenigstens dazu, welche bestimmten morphologischen oder sonstigen Merkmale des Erscheinungsbilds, die eine Identität des Betroffenen mit der auf dem Messfoto abgebildeten Person ausschließen, durch das beantragte Gutachten ermittelt werden sollen (vgl. neben BGH, Beschl. v. 24.01.2017 – 2 StR 509/16 = NStZ 2017, 300 = StV 2017, 787 u.a. auch OLG Hamm, Beschl. v. 15.09.2009 – 3 Ss OWi 689/09 und 17.02.2009 – 4 Ss OWi 86/09 [jeweils bei juris] sowie OLG Bamberg, Beschluss v. 17.03.2017 – 3 Ss OWi 264/17 = StraFo 2017, 156 = OLGSt StPO § 244 Nr 25, jeweils m.w.N.).“

Wie man an den zitierten Entscheidungen sieht. Ein alter Hut, der aber die Praxis immer wieder beschäftigt. Also Augen auf bei diesen Beweisbehuaptungen. Dann kann/sollte nichts schief gehen.

Pflichti III: Bestellung im OWi-Verfahren, oder: Alles halb so schlimm, kannst du auch alleine

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In der dritten und letzten Entscheidung, dem LG Münster, Beschl. v. 24.04.2019 – 2 Qs 89 Js-OWi 1459/18 14/19 19 OWi 137/18 , den mir der Kollege H. Urbanzyk, Coesfeld, übersandt hat, geht es um die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Bußgeldverfahren. Der Betroffene hatte die Bestellung beantragt in einem Verfahren in dem ein SV-Gutachten zur Frage der Fahrereigenschaft eingeholt werden soll.

Das LG lehnt ab – wenn wundert es wirklich? Die Begründung kann man gut damit zusammenfassen: Alles nicht so schlimm oder. Du wirst ja vom AG ausreichend belehrt. Wirklich?

Im Einzelnen:

„Nach der gemäß § 46 Abs. 1 OWiG entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 140 StPO kommt eine Beiordnung vorliegend allein deshalb in Betracht, weil wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint, § 140 Abs. 2, 2 Fall StPO.

Dies ist jedoch nicht der Fall. Zwar hat die Auseinandersetzung mit einem Sachverständigengutachten zu erfolgen. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 03.12.2018 zu der Frage, ob es sich bei der auf dem dem Bußgeldverfahren zu Grunde liegenden Fahrerbild abgebildeten Person um den Betroffenen handelt, die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet. Der Inhalt eines solchen Gutachtens ist jedoch grundsätzlich leicht verständlich. Insbesondere ist die Fragestellung einfach und die inhaltliche Erfassung eines solchen Gutachtens erfordert keine Spezialkenntnisse. (vgl. LG Stuttgart, Beschluss vom 13.12.2012, Az.: 19 Qs 154/12 OWi).

Eine Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage ergibt sich auch nicht daraus, dass die Sachverständige in ihrer vorbereitenden schriftlichen Stellungnahme mitgeteilt hat, bei der Betrachtung der Bilddokumente fänden sich keine eindeutigen Hinweise auf einen Ausschluss des Betroffenen als möglicher Fahrer (u.U. eher erkennbare Hinweise auf eine zumindest wahrscheinliche Identitätswahrscheinlichkeit beider Personen). Für eine weitergehende Gutachtenaussage bzgl. der Identitätswahrscheinlichkeit beider Personen seien ggf. geeignete, digital bei der Verhandlung vor Gericht zu erstellende Vergleichsbilder des Betroffenen nötig. Soweit im Rahmen der Anfertigung von Vergleichsbildern in der Hauptverhandlung eine freiwillige Mitwirkung des Betroffenen erfolgt, erfordert dies eine besondere Belehrung über die Freiwilligkeit, sodass diese dem Betroffenen ausreichend vor Augen geführt wird, ohne dass es der Bestellung eines Pflichtverteidigers bedarf.“

Vorsätzliche Trunkenheitsfahrt und Nachtrunk, oder: Was gehört ins Urteil?

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Die zweite verkehrsrechtliche Entscheidung des Tages kommt mit dem OLG Dresden, Beschl. v. 10.10.2018 -2 OLG 22 Ss 399/18 – vom OLG Dresden. Nichts verkehrsrechtlich Dramatisches, sondern eine Entscheidung, die noch einmal an die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen bei einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt und, wenn das Tatgericht sich auf ein Sachverständigengutachten stützt, erinnert:

„1. Das Gericht gründet seine Überzeugung hinsichtlich der Tatzeit Blutalkoholkonzentration auf das in der Hauptverhandlung verlesene Begleitstoffanalysegutachten und schließt sich diesem im Ergebnis. an, was grundsätzlich keinen Bedenken unterliegt. Der Tatrichter darf sich mangels hinreichender eigener Kenntnisse auf den für die Urteilsfindung maßgeblichen Wissensgebieten darauf beschränken, sich der Beurteilung von .Sachverständigen hinsichtlich der einschlägigen Fachfragen anzuschließen: Doch ist er dann verpflichtet, die wesentlichen Grundlagen anzugeben, an die die Schlussfolgerungen des Gutachtens anknüpfen, um eine revisionsrechtliche Überprüfung zu ermöglichen (BGH Beschluss vom 06.011986 – 4 StR 48/86 juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage § 267 Rdn. 13 m.w.N.).

Vorliegend werden die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen nicht wiedergegeben. Die Mitteilung der Fundstelle des verlesenen Gutachtens im Urteil kann die unterbliebene Darstellung des wesentlichen Inhalts des Gutachtens nicht ersetzen. Die Verweisungserlaubnis in § 267 Abs. 1 Salz 3 StPO (Verweisung auf Abbildungen) und die Ermächtigung zur Bezugnahme in § 267 Abs. 4 Satz 1, 2. Halbsatz StPO schließen zugleich das Verbot sonstiger Bezugnahmen ein, soweit mit ihr notwendige Teile der schriftlichen Urteilsbegründung ersetzt werden sollen (Karlsruher Kommentar, StPO 7. Aufl. § 267 Rdnr. 3; Meyer-Goßner, a.a.O. § 267 Rdnr. 8; vgl. auch BGH, Beschluss vom 12. August 2010, 3 StR 227/10; juris).

Die Beweiswürdigung ist daher lückenhaft. Auf dem Rechtsfehler beruht das Urteil auch.

Dem steht nicht entgegen, dass das Gericht dem Angeklagten zumindest einen Teil des behaupteten Nachtrunks geglaubt und auf dieser Grundlege eigene. Berechnungen zur Tatzeit-Blutalkoholkonzentration vorgenommen hat Mangels Nachvollziehbarkeit des Ergebnisses des Begleitstoffanalysegutachtens kann das Revisionsgericht nicht überprüfen, ob die Einlassung des Angeklagten zu weitaus größeren Mengen des Nachtrunks überhaupt als widerlegt angesehen werden kann oder ob seine Behauptungen durch das Ergebnis der angestellten Untersuchung .doch ganz oder zu einem größeren als vom Gericht engenormen Teilgestützt werden.

2. Das Gericht nimmt zudem an, dass der Angeklagte aufgrund der Gesamtumstände seine Fahruntüchtigkeit erkannt, zumindest aber billigend in Kauf genommen hat.

Aus der Blutalkoholkonzentration allein kann nicht ohne Hinzutreten weiterer Umstände auf vorsätzliches Handeln in Bezug auf die Fahruntüchtigkeit geschlossen werden. Zwar liegt bei einer die Grenze absoluter Fahrunsicherheit weit übersteigenden Alkoholisierung nahe, dass der Täter seine Unfähigkeit das Fahrzeug sicher zu führen, zumindest für möglich hält und in Kauf nimmt Auf der anderen Seite nimmt die Kritik- und Erkenntnisfähigkeit mit fortschreitender Trunkenheit ab, sodass kein. Erfahrungssalz existiert, nachdem derjenige, der erhebliche Mengen Alkohol zu sich genommen hat, seine Fahrunsicherheit erkennt. Daher müssen neben der Blutalkoholkonzentration auch weitere objektive Umstande festgestellt werden, die auf einen entsprechenden Vorsatz schließen lassen. Allein eine hohe Blutalkoholkonzentration genügt nicht um eine vorsätzlich Begehungsweise einer Straßenverkehrsgefährdung oder einer Trunkenheitsfahrt zu begründen. Vielmehr müssen weitere Indizien und Umstände festgestellt werden (OLG Hamm, Beschluss vom 07.10.2004 -2 Ss 345/04 m.w.N., juris). Das ist vorliegend nicht geschehen. Kann der Schluss auf Vorsatz nicht allein auf die hohe Blutalkoholkonzentration gestützt werden, so bedarf es für eine Verurteilung wegen Vorsatzes der Feststellungen zu Trinkanlass, Trinkverlauf, Fahrtanlass, dem Zusammenhang von Trinkverhalten und Fahrbereitschaft, Fahrtverlauf und Nachtatverhalten, aus denen sich möglicherweise Schlüsse darauf ergeben, dass der Angeklagte seine Fahrunsicherheit erkannt hat (OLG Hamm, a.a.O., Fischer, StGB, 65. Auflage, § 316 Rdn. 46). Da die Umstände, auf die das Gericht neben der Blutalkoholkonzentration die Bejahung des Vorsatzes hinsichtlich der Fahruntüchtigkeit stützt, nicht mitgeteilt sind, ist die Beweiswürdigung insoweit ebenfalls lückenhaft, worauf das Urteil auch beruht.“

Grundlos Nachbesichtigung verweigert, dann trägt man beim Anerkenntnis die Kosten

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Schon etwas länger schlummert in meinem Blogordner der OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29.05.2018 – 4 W 9/18. Entschieden hat das OLG eine verfahrensrechtliche Frage, und zwar zur Kostentragungspflicht des § 93 ZPO. Grundlage war in etwa folgender Sachverhalt:

Der Kläger hatte von der Beklagten zu 2 als Fahrerin und Halterin eines unfallbeteiligten Kraftfahrzeugs und von dem Erstbeklagten auf Grund eines Verkehrsunfalls am 7. Januar 2016 mit Anwaltsschreiben vom 02.02.2016, gerichtet an die Dekra Claims Services GmbH in Aachen als Regulierungsbeauftragte, unter Vorlage des Gutachtens des Sachverständigenbüros Saarpfalz S. K., vom 26.01.2016 und Fristsetzung zum 19.02.2016 vorläufig auf 5.752,96 € bezifferten Schadensersatz nebst außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt. Mit E-Mail vom 23.03.2016 teilte die Regulierungsbeauftragte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, sie werde das Kläger-Fahrzeug nachbesichtigen lassen, und sie bat um Mitteilung, wo dies geschehen könne. Der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers lehnte eine Nachbesichtigung ab.

Am 11. Mai 2016 hat der Kläger die Klageschrift vom 21.04.2016 beim Landgericht Saarbrücken eingereicht u.a. mit dem Antrag, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger von 5.514,96 € zu zahlen und den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 € freizustellen. Mit Schriftsatz vom 26. Mai 2016 hat er den Antrag geändert. Die Klageschrift und der Schriftsatz vom 26.052016 sind dem Beklagten zu 1 am 10.06.2016 zugestellt worden. Die Prozessbevollmächtigten haben in der Klageerwiderung vom 08.07.2016 für den Fall, dass die Behauptungen des Klägers zu Grund und Umfang der reklamierten Schäden durch einen Gerichtssachverständigen bestätigt werden, ein sofortiges Anerkenntnis unter Verwahrung gegen die Kosten des Verfahrens angekündigt.

Das LG hat das am 15.11.2017 beim LG eingegangene Gutachten eines Sachverständigen eingeholt. Dieses Gutachten ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zur Stellungnahme von vier Wochen am 20.11.2017 zugestellt worden (Bd. I Bl. 150 d. A.). Mit Telefax vom 18.12.2017 haben die Beklagten ein sofortiges Teilanerkenntnis der Klageforderung unter Verwahrung gegen die Kosten erklärt. Der Kläger hat mit Telefax vom 03.01.2018 die Zurücknahme der Klage für den das Teilanerkenntnis übersteigenden Betrag erklärt. Mit Teilanerkenntnisurteil vom 28.02.2018 hat das LG die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 3.678,26 € zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits hat das LG dem Kläger auferlegt. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers, die keinen Erfolg hatte:

„2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das Landgericht hat dem Kläger mit Recht die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.

a) Das Landgericht hat in Bezug auf den sowohl im Rahmen des Teilanerkenntnisses als auch der infolge der übereinstimmenden Teilerledigungserklärung unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu treffenden Kostenentscheidung anwendbaren § 93 ZPO im Wesentlichen ausgeführt, es fehle an einem Klageanlass, weil die klagende Partei dem berechtigten Verlangen des gegnerischen Haftpflichtversicherers bzw. Regulierungsbeauftragten, das beschädigte Fahrzeug besichtigen zu können, nicht nachgekommen sei. Wenn der Kläger eine Nachbesichtigung schlicht deshalb verweigere, weil er sie eben nicht zulassen möchte, könne er nicht davon ausgehen, nur durch eine Klage zu seinem Recht zu kommen. Die Beklagten hätten den Anspruch auch sofort im Sinne des § 93 ZPO anerkannt, da die fehlende Möglichkeit der Nachbesichtigung des Kläger-Fahrzeugs erst durch den Zugang des Gutachtens Dipl.-Ing. E. entbehrlich geworden und das Anerkenntnis innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme erklärt worden sei.

b) Diese Erwägungen halten in jeder Hinsicht den Angriffen der Beschwerde stand…..“

Der Rest steht im Volltext zum Selbstlesen zur Verfügung/bereit. Der Leitsatz zu der Entscheidung lautet:

Erkennt der Kraftfahrt-Haftpflichtversicherer, dem die Nachbesichtigung eines Kraftfahrzeugs auf eigene Kosten trotz begründeter Zweifel an einem vom Geschädigten vorgelegten Privatgutachten verwehrt wurde, den Anspruch nach Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens innerhalb der vom Gericht gewährten Frist zur Stellungnahme an, ist im Einzelfall § 93 ZPO zu Lasten des Klägers anzuwenden.