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Immer wieder: Zusätzliche Gebühr Nr. 4141 VV RVG – keine reine Abrategebühr

Der Verteidiger rät dem Angeklagten, keine Revision einzulegen, obwohl die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil Revision eingelegt hat. Für diese Tätigkeit macht er dann die Nr. 4141 VV RVG geltend. Das OLG Nürnberg sagt in seinem Beschl. v. 30.09.2010 – 2 Ws 431/10:

1. Der Anfall der Gebühr Nr. 4141 Anm. 1 Ziff. 3 VV RVG setzt im Fall der Revisionsrücknahme zumindest voraus, dass die Revision begründet war.

2. Allein durch das Abraten, Revision einzulegen, entsteht die Gebühr nicht.

Zu 1: Das entspricht einem Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung.

Zu 2:  Das ist neu, man wird sich dem aber letztlich nicht verschließen können.

Verkehrte Welt: Keine Befriedungsgebühr auch noch nach einer bereits durchgeführten Hauptverhandlung, aber das führt zur Mehrbelastung der Justiz

Die Befriedungsgebühr der Nrn. 4141, 5115 Vv RVG ist den RSV m.E. ein besonderer Dorn im Auge, denn: Es handelt sich ume „zusätzliche Gebühr“, die nur ungern gezahlt wird. Das hat man bei der Frage, ob die Nr. 4141 VV RV bei Übergang vom Strafverfahren ins Bußgeldverfahren entsteht, gesehen, die übrigens vom BGH im vergangenen Jahr falsch entschieden worden ist. Das sieht man aber auch immer wieder, wenn es darum geht, ob die Gebühr auch noch entstehen kann, wenn nach einer bereits durchgeführten HV noch die Berufung oder der Einspruch zurückgenommen wird. Argumentiert wird dann damit, da ss ja eine HV statt gefunden habe. So auch im Verfahren 275 C 22738/10, das durch Urtl des AG Müncehn v. 11.10.2010 falsch entschieden worden ist. Dort hatte nach Erlass des Bußgeldbescheides und Einspruchseinlegung die erste Hauptverhandlung stattgefunden, die deshalb zu keinem Ergebnis führte, weil auch nach Auffassung des Amtgerichtes ein Sachverständi­gengutachten einzuholen war. Nach Erholung des Sachverständigengutachtens wurde erneut Haupt­verhandlungstermin anberaumt. Dieser wurde rechtzeitig innerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Zeitfensters von zwei Wochen abgesetzt, da der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid infolge eines negativen Gutachtensergebnisses mit Einverständnis des Mandanten zurückgenommen wurde. Das AG München hat die vom Verteidiger geltend gemachte Nr. 5115 Vv RVG nicht gewährt mit der Begründung: Keine Vereinfachung, Verkürzung pp. Dies widerspricht der ganz h.M. in dieser Frage, die darauf abstellt, dass es für die Frage des Entstehens der Gebühr, wenn die HV ausgesetzt wordne ist, immer auf den  nächsten Hauptverhandlungstermin ankommt (so u.a. OLG Bamberg RVGreport 2007, 150 = StraFo 2007, 130 = AGS 2007, 138 = NStZ-RR 2007, 159 = StV 2007, 481;
OLG Hamm AGS 2008, 228 m. Anm. N.Schneider). Das AG sieht das kurzerhand anders. Dabei übersieht es aber, dass seine Auffassung zu Mehraufwand führen wird. Denn aus welchem Grund sollte der Verteidiger den Einspruch nun noch vor der Hauptverhandlung zurücknehmen? Er verliert Gebühren: Also: Rücknahme des Einspruchs erst in der Hauptverhandlung. Folge: Mehrbelastung der Justiz. Und gerade das will das RVG mit den Nrn. 4141, 5115 VV RVG vermeiden.

 

Gebührenfrage zur Befriedungsgebühr – aber nicht (vorsorglich) vom Vertreter der „Verletzten“ in der causa Kachelmann gestellt

In den vergangenen Tagen erreichte mich eine gebührenrechtliche Anfrage eines Kollegen, die mich an den Fall Kachelmann denken ließ 🙂 ;-). Es ging um die die Befriedungsgebühr für den Nebenklägervertreter bzw. den Vertretes des/der Verletzten in einem Vergewaltigungsfall; allerdings denke ich, dass es dann doch nicht der Vertreter der vermeintlichen Geschädigten war, der fragte; der wird kaum nach RVG abrechnen 🙂

Es ging bei der Anfrage um Folgendes:

Meine Mandantin beschuldigte ihren Lebensgefährten der Vergewaltigung, worauf dieser in U-Haft kam. Wunschgemäß zeigte ich die Interessensvertretung der mutmaßlich Vergewaltigten an und erkläre namens und in ihrem Auftrag bereits ihren Anschluss als Nebenklägerin zum Verfahren. In den der Akteneinsicht folgenden Gesprächen mit der Mandantin kommen mir Zweifel, ob es diese Vergewaltigung tatsächlich gegeben hat und daraufhin offenbart sie mir, dass alles nicht stimme; zwischenzeitlich hat sie aber in drei weiteren „Geschädigtenvernehmungen“ bei der Polizei „nachgelegt“ und ergänzende belastende Angaben gemacht gehabt.

Nachdem die Mandantin  inzwischen aber wohl von ihrem schlechten Gewissen gequält wurde, beauftragte sie mich schließlich wenig später, ihre bisherigen, durchweg falschen, Angaben der Staatsanwaltschaft zu offenbaren. Nach ausführlicher Belehrung über die strafrechtlichen Konsequenzen, insbesondere für sie selbst, habe ich das auch getan. Das Verfahren wird dann nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden.

Meine Frage: Kann ich der Mandantin neben den Nrn. 4100, 4104 VV RVG auch die Nr. 4141 VV RVG i.V.m. Vorbemerkung 4 Abs. 1 VV RVG  in Rechnung stellen. Schließlich ist das Verfahren durch meine „Mitwirkung“ nicht nur vorläufig eingestellt worden.

Ich habe geantwortet:

M.E. ist der Ansatz der Nr. 4141 VV RVG gegenüber der Mandantin möglich. Nach Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG steht die Gebühr auch dem Beistand oder Vertreter eines Nebenklägers oder Verletzten zu. Voraussetzung ist, dass „durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich“ geworden ist. Insoweit werden an die anwaltliche Tätigkeit aber keine hohen Anforderungen gestellt. Welche Tätigkeit der Rechtsanwalt erbringt, ist also unerheblich. Ausreichend ist jede zur Förderung der Einstellung geeignete Tätigkeit (BGH VRR 2010, 38 = RVGprofessionell 2010, 25 = AnwBl 2010, 140; VRR 2008, 438 = RVGprofessionell 2008, 205 = AGS 2008, 491 = RVGreport 2008, 431; OLG Stuttgart RVGprofessionell 2010, 119 = AGS 2010, 202 = RVGreport 2010, 263 = VRR 2010, 320). Die kann auch darin liegen, wenn die Mandantin über die strafrechtlichen Konsequenzen ihres Verhaltens belehrt wird und nach Belehrung dann der Staatsanwaltschaft über die Falschangabe informiert wird. Führt das dann zur Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO, hat der Rechtsanwalt daran „mitgewirkt“. Der Fall ist vergleichbar dem, in dem der Verteidiger an der Rücknahme der Revision der Staatsanwaltschaft mitgewirkt hat (vgl. dazu OLG Köln StraFo 2009, 175 = AGS 2009, 271 = RVGreport 2009, 348 = StRR 2010, 40).

BGH: Absprache/Verständigung, Rechtsmittel, Rücknahme – ist zulässig und kein „Umgehungsgeschäft“

Nach der Neuregelung des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO werden auf einer Absprache nach § 257c StPO beruhende Urteile grds. erst nach einer Woche rechtskräftig, da ein Rechtsmittelverzicht in diesen Fällen ausdrücklich unzulässig ist. Das ist in der Praxis manchmal misslich, so z.B., wenn der Angeklagte ggf. schnell aus der U-Haft in Strafhaft überstellt werden möchte.

Aus diesem „Dilemma“ zeigt jetzt die Entscheidung des BGH v. 14.04.2010 – 1 StR 64/10 einen Ausweg. Es kann Rechtsmittel eingelegt und dieses noch vor Ablauf der Rechtmittelfrist wieder zurückgenommen werden. Das sieht der BGH nicht als eine Umgehung des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO an, die unzulässig wäre.

Aber Vorsicht: Diese Vorgehensweise kann nicht zum Gegenstand der Verständigung gemacht werden. Das wäre – so der BGH – als eine Umgehung anzusehen.