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Das Phänomen der Reue, oder: Die Wirksamkeit der Revisionsrücknahme

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Nicht selten bereuen Angeklagte später eine Rechtsmittelrücknahme. Dieses Phänomen kann man häufig nach einem Verteidigerwechsel feststellen. Dann wird die Wirksamkeit der vom früheren Verteidiger erklärten Rechtsmittelrücknahme bezweifelt/angefochten und versucht, das Verfahren fortzusetzen. I.d.R. geht es dann um die Frage, ob der Verteidiger eine für die Rechtsmittelrücknahme ausreichende Vollmacht hatte. So auch im BGH, Beschl. v. 05.02.2014 – 1 StR 527/13, in der sich der BGH zum wiederholten Mal mit den Fragen zu befassen hatte. Von Bedeutung insofern, weil der 1. Strafsenat noch einmal darauf hinweist, dass für die Ermächtigung des Verteidigers zur Rechtsmittelrücknahme keine bestimmte Form vorgesehen ist und der Nachweis auch noch nach Abgabe der Rücknahmeerklärung – auch durch anwaltliche Versicherung des Verteidigers – geführt werden kann.

Revision II: Ausdrückliche Vollmacht für die Rücknahme

© Dan Race - Fotolia.com

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Ich habe ja hier schon mehrfach darauf hingewiesen und auch aus den revisionsrechtlichen Entscheidungen lässt sich immer wieder der Hinweis der Revisionsgerichte auf den § 302 StPO entnehmen. Danach ist für die Rücknahme eines Rechtsmittels – und damit auch einer Revision – eine ausdrückliche Ermächtigung erforderlich, die nicht in einer ggf. in der allgemeinen Vollmacht erteilten Ermächtigung zur Rechtsmittelrücknahme erteilten Vollmacht/Ermächtigung gesehen wird. Dazu dann (noch einmal) der BGH,  Beschl. v. 02.09.2013 – 1 StR 369/13:

„2. Die Rechtsmittelrücknahme war nicht wirksam, da der (Pflicht-)Verteidiger nicht gemäß § 302 Abs. 2 StPO zur Zurücknahme ausdrücklich ermächtigt war. Die Zustimmung des Betreuers stellt hier keine aus-drückliche Ermächtigung dar; denn sein Aufgabenbereich umfasst nicht auch die Vertretung in Strafsachen (vgl. u.a. Radtke in Radtke/Hohmann, StPO, Rn. 4 zu § 298 StPO; Meyer-Goßner, aaO, Rn. 3 zu § 302 i.V.m. Rn. 1 zu § 298; vgl. auch OLG Hamm, NStZ 2008, 119).“

Hier hatten wir die Besonderheit, dass der Betreuer die Ermächtigung erteilt hatte, der jedoch insoweit nicht zuständig war. Mir ist allerdings nicht ganz klar, welches Ziel mit dem Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 346 StPO) verfolgt wurde. Offenbar sollte die Revision doch nicht durchgeführt werden……

Rücknahme der Revision – wann gibt es eine Gebühr?

© Gina Sanders - Fotolia.com

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Das 2. KostRMoG hat ja das ein oder andere gebührenrechtliche Problem in den Teilen 4 und 5 VV RVG gelöst. Das gilt insbesondere für die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG, bei der es die meisten Änderungen gegeben hat. Eine Frage ist aber nach wie vor offen und wird damit auch in Zukunft (höchst) streitig bleiben.. Nämlich die Frage, ob und wann der Verteidiger für die Rücknahme einer Revision die Nr. 4141 Anm. Nr. 3 VV RVG verdient, wenn Hauptverhandlungstermin nicht anberaumt ist. Da wird zwischen der Rechtsprechung und der Literatur hin und her gestritten. Die Rechtsprechung der OLG geht – wohl überwiegend 🙁 – davon aus, dass allein die Rücknhame nicht ausreicht, sondern, dass die Anberaumung eines HV-Termins nahe gelegen haben muss. M.E. passt das nicht zum Wortlaut.

In die Richtung geht auch der OLG Naumburg, Beschl. v. 17.06.2013 – 1 W 335/13. Nach seiner Ansicht entsteht die Gebühr nach Nr. 4141 Anm. 1 Ziff. 3 VV RVG entsteht, wenn eine zulässig eingelegte Revision zurückgenommen wurde und konkrete Anhaltspunkte – wie etwa neue rechtliche Gesichtspunkte in der Antragsschrift des Generalstaatsanwalts, die eine weitere Prüfung und ggf. Beratung durch den Verteidiger erforderlich machen – dafür vorlagen, dass im Falle der Fortführung des Revisionsverfahrens eine Hauptverhandlung durchgeführt worden wäre.

Was sicher nicht geht: Revision einlegen und dann vor Begründung wieder zurücknehmen. Die Nr. 4141 VV RVG ist keine reine Rücknahmegebühr. Begründet muss die Revision schon sein, denn sonst wird sie als unzulässig verworfen.

 

Nochmal Revision, nach 18 Jahren? Nicht nach wirksamer Rücknahme

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Die dem BGH, Beschl. v. 20.08.2013 – 1 StR 305/13 – zugrundeliegenden zeitlichen Abläufe erstaunen. Der Angeklagte ist nämlich bereits im November 1995 verurteilt worden. Hiergegen haben der Angeklagte und seine Verteidigerin Revision eingelegt. Der Angeklagte hat die Revision dann später zurückgenommen. Auch die Verteidigerin hat wenige Tage darauf Rücknahme erklärt. Mit Schreiben vom 13. 04.2013 hat der Angeklagte dann erneut Revision gegen das Urteil eingelegt und Wiedereinsetzung beantragt. Zur Begründung trägt er vor, das Urteil beruhe auf einer unzulässigen Absprache. Hierzu zitiert er eine Fundstelle einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. „Man“ habe ihm im Hinblick auf eine versprochene Bewährung ein pauschales Geständnis abgenommen. Der „formlose Deal“ sei „geplatzt“, er habe deswegen Revision eingelegt. Daraufhin sei er damit „bedroht“ worden, bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Untersuchungshaft bleiben zu müssen, anstatt in den Strafvollzug zu gelangen. Wegen dieser „Drohung“ habe er die Revision zurückgenommen; die Rücknahme sei unwirksam. Die Verteidigerin habe sich damals schon geweigert, die Revision zu begründen.

Der BGH geht von einer wirksamen Rechtsmittelrücknahme aus:

„Die Zurücknahme der Revision durch den Angeklagten, die sich stets auf das Rechtsmittel des Verteidigers erstreckt – so dass es auf die Frage der ausdrücklichen Ermächtigung zur Rücknahme gemäß § 302 Abs. 2 StPO nicht mehr ankommt (BGH, Beschlüsse vom 11. März 2008 – 3 StR 562/07 und vom  3. November 2011 – 2 StR 353/11) – ist unwiderruflich und unanfechtbar (BGH, Beschluss vom 16. März 2010 – 4 StR 572/09).

Schwerwiegende Willensmängel, für die die Rechtsprechung Ausnahmen von diesem Grundsatz in besonderen Fällen (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1999 – 5 StR 714/98, BGHSt 45, 51, 53; Beschluss vom 20. April 2004 – 5 StR 11/04, NJW 2004, 1885) anerkennt, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Tatsachenvortrag des Angeklagten belegt keine Täuschung oder sonst eine Einwirkung des Gerichts mit unlauteren Mitteln auf seine Rücknahmeentscheidung. Der Hinweis des Vorsitzenden auf die bis zur Rechtskraft fortdauernde Untersuchungshaft stellt keine objektiv unrichtige Erklärung dar (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 10. Januar 2001 – 2 StR 500/00, BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 22). Da dieser Hinweis zudem schon keine Verknüpfung zwischen einer Haftentlassung und der Rücknahme herstellte, kommt es auf die Frage einer eklatant sachwidrigen Abhängigkeit nicht mehr an (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 20. April 2004 – 5 StR 11/04, NJW 2004, 1885).

Soweit der Angeklagte in seiner zweiten Eingabe zudem darauf abhebt, er sei über die Erfolgsaussichten seines Rechtsmittels getäuscht worden, behauptet er schon selbst keine Beeinflussung seiner Rücknahmeentscheidung hierdurch. Abweichend vom Schreiben vom 13. April 2013, in dem er die Rücknahme noch als alleinige Folge der Drohung mit der Fortdauer der Untersuchungshaft statt des Strafvollzugs darstellt, behauptet er nunmehr lediglich, seine Entscheidung sei auch durch die Erklärung der Verteidigerin beeinflusst gewesen, sie stehe für eine Revision nicht zur Verfügung.

Zwar behauptet der Angeklagte, dem Urteil habe eine unzulässige Absprache zugrunde gelegen. Jedoch liegt schon auf der Grundlage seines Vortrags ebenfalls keine Beeinflussung der Rechtsmittelrücknahme hierdurch vor. Vielmehr erklärt er, dass er auf das „Platzen des formlosen Deals“ hin überhaupt Revision eingelegt habe. Schon aus diesem Grund geht auch sein Hinweis auf das Fehlen einer qualifizierten Rechtsmittelbelehrung fehl (vgl. zum Erfordernis BGH, Beschluss vom 3. März 2005 – GSSt 1/04, BGHSt 50, 40, 61; zu den Folgen BGH aaO S. 62 und Beschluss vom 1. Juli 2005 – 5 StR 583/03, BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 27). Ungeachtet dessen ist darauf hinzuweisen, dass der Vortrag des Angeklagten eine unzulässige Absprache nicht trägt. So behauptet er schon nicht, dass ihm das Gericht zu irgendeinem Zeitpunkt eine Strafe bei einem bestimmten Aussageverhalten in Aussicht gestellt habe. Dass seine Verteidigerin in ihm die Erwartung geweckt haben soll, er bekomme eine Bewährungsstrafe, stellt keine Absprache dar. Soweit man seinen Ausführungen noch die Behauptung entnehmen möchte, bei der Haftbefehlsverkündung sei ihm von der Staatsanwältin zugesichert worden, bei einem Geständnis würde er entlassen, so bleibt offen, ob das Tatgericht hierüber Kenntnis hatte. Dies versteht sich nicht von selbst, da dieser Termin noch vor dem als Haftgericht zuständigen Amtsgericht Pforzheim statt-fand. Im Übrigen lässt sich den für den Senat im Freibeweis zugänglichen Akten entnehmen, dass der Angeklagte keineswegs ein bloßes „Pauschalgeständnis“ abgelegt hat. Seine geständigen Angaben bei der polizeilichen Vernehmung umfassen 32 Seiten. Auch später hat der Angeklagte immer wieder durch umfangreiche schriftliche Eingaben zum Tatvorwurf Stellung genommen. Hierbei hat er sich auch im Rahmen von Haftprüfungsanträgen bzw. -beschwerden zu den Haftverhältnissen erklärt; von der Zusicherung einer Entlassung ist in keinem der zahlreichen Schreiben die Rede. 

Ein Motivirrtum über die Aussichten des Rechtsmittels ändert an der Unwiderruflichkeit der Rechtsmittelrücknahme nichts (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2004 – 2 StR 199/04, NStZ-RR 2004, 341).“

Wie gewonnen, so zerronnen – die Auslagenerstattung in der Revision

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Mit der einen Hand gegeben, mit der anderen Hand genommen, kann man über zwei Beschlüsse des LG Verden schreiben. Hintergrund ist folgender Sachverhalt:

Die Staatsanwaltschaft legt gegen ein landgerichtliches Urteil Revision ein, die sie dann aber vor Begründung wieder zurücknimmt. Das LG übersieht, in der zu treffenden Kostenentscheidung der Landeskasse gemäß § 473 Abs. 2 Satz 1 StPO auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen. Der Verteidiger legt gegen diesen Beschluss Rechtsmittel ein.

Dazu verhält sich der LG Verden, Beschl. v. 05.06.2012 – 12 Ns 64/11, der zutreffend feststellt:

Selbständige Kostenentscheidungen im Sinne des § 473 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 StPO, die nach Zurücknahme einer Revision erlassen werden, können nicht mit der sofortigen Beschwerde angegriffen werden. Ist in einem solchen Falle aber die von Gesetzes wegen zu treffende Auslagenentscheidung unterblieben, so kann diese von Amts wegen oder auf – nicht fristgebundenen – Antrag hin gemäß § 33a S. 1 StPO unter dem Gesichtspunkt der Verletzung rechtlichen Gehörs nachgeholt werden.

So weit, so gut. Das war mit der einen Hand gegeben, denn die Entscheidung über die Auslagen brauchte der Verteidiger als Kostengrundentscheidung. Sonst hätte er mit einem Kostenfestsetzungsantrag schon aus dem Grund keinen Erfolg gehabt.

Sicherlich froh über diese Entscheidung hat der Verteidiger dann die Festsetzung der dem Angeklagten entstandenen Auslagen – seine Gebühren – beantragt. Und da erleidet er Schiffbruch bzw. wird „mit der anderen Hand genommen“. Denn der LG Verden, Beschl. v. 05.07.2012 – 1 Qs 109/12 – schließt sich der m.E. falschen Auffassung an, die im Fall der Revision der Staatsanwaltschaft vor Begründung der Revision die Beauftragung eines Verteidigers als nicht erforderlich ansieht:

Bei einer allein von der Staatsanwaltschaft eingelegten Revision besteht für den Angeklagten so lange kein rechtliche Notwendigkeit für die Einschaltung eines Verteidigers im Revisionsverfahren, wie die Staatsanwaltschaft ihre Revision nicht begründet hat. Beauftragt der Angeklagte früher einen Verteidiger, sind die dadurch entstehenden Auslagen nicht „notwendig“ und werden im Fall der Rücknahme nicht erstattet. 

Wie gewonnen, so zerronnen.