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Haft III: Haftbefehl durch unzuständiges Gericht, oder: Grds. keine Nichtigkeit des Haftbefehls

Und dann als dritte Entscheidung hier eine weitere OLG-Entscheidung, nämlich der OLG Jena, Beschl. v.16.08.2024 – 1 Ws 290/24. Auch hier geht es um die Frage: Welche Auswirkungen haben Verfahrensfehler. Entschieden hatte hier nämlich ein unzuständiges Gericht. Das OLG sagt: Das führt nicht zur Nichtigkeit des Haftbefehls, es muss aber i.d.R. ein neuer Haftbefehl ergehen.

Dazu hier auch nur der Leitsatz:

1. Hat das Gericht bei der Neufassung eines Haftbefehles seine geschäftsplanmäßige Unzuständigkeit übersehen. führt das nicht zur Nichtigkeit des Haftbefehles, macht jedoch eine neue Entscheidung durch das geschäftsplanmäßig zuständige Gericht erforderlich. Eine solche neue Entscheidung liegt nicht in einem Haftfortdauerbeschluss, wenn dieser sich ausdrücklich nur mit der Verfahrensbeschleunigung befasst, jedoch keine eigene Begründung in der Sache enthält und damit den Verfahrensfehler nicht heilen kann.

2. Gleichwohl erfolgt eine Haftvollstreckung ggf. nicht rechtsgrundlos. Denn soweit ein unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ergangener Beschluss zugleich einen amtsgerichtlichen Haftbefehl aufgehoben hat, schlägt der Verfahrensmangel auch hierauf durch, sodass der amtsgerichtliche Haftbefehl nach wie vor Bestand hat.

Einziehung I: Einstellung wegen Gesetzesänderung, oder: Was ist mit der rechtskräftigen Einziehung?

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Und dann heute mal drei Entscheidungen zu „Einziehungsfragen“. Die mit der Einziehung zusammenhängende Problematik hat ja durch die Gesetzesänderungen in 2017 erheblich an Bedeutung zugenommen. Das sieht man vo allem auch an den BGH-Entscheidungen, in denen sich der BGH immer wieder zur Einziehung äußert. Ich habe hier heute aber mal keine BGH-Entscheidungen, sondern drei Entscheidungen von Instanzgerichten.

An der Spitze zunächst der KG, Beschl. v. 25.02.2022 – 2 Ws 20/22Einziehung, Einstellung nach § 206b StPO, Rechtsfolgen – mit folgendem Sachverhalt: Das LG hatte den Angeklagten am 12.01.2018 wegen vorsätzlicher Geldwäsche in 75 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 74.597,40 EUR angeordnet. Auf die Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil änderte der Bundesgerichtshof am 27.11.2018 den Schuldspruch unter Aufrechterhaltung der Feststellungen in eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Geldwäsche in 18 Fällen ab, setzte den als Wertersatz eingezogenen Betrag auf 59.024,49 EUR herab und hob den Rechtsfolgenausspruch im Übrigen auf. Die weitergehende Revision verwarf er. Die zu der neuen Verhandlung und Entscheidung berufene Strafkammer stellte das Verfahren am 02.04.2019 zunächst gemäß § 205 StPO ein.

Nachdem das Gesetz „zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche“ vom 9. März 2021 (BGBl. I S. 327), durch das der die Strafbarkeit des Angeklagten begründende § 261 Abs. 1 Satz 3 a.F. StGB ersatzlos gestrichen wurde, in Kraft getreten war, stellte das LG auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren durch Beschluss vom 20.07.2021 gemäß § 206b Satz 1 StPO ein. Da die Staatsanwaltschaft Berlin die Auffassung vertrat, dass die Einziehungsentscheidung rechtskräftig und somit vollstreckbar geworden sei, erklärte das LG Berlin durch Beschluss vom 22.12.2021 auf Antrag des früheren Angeklagten die Vollstreckung der angeordneten Einziehung von Wertersatz in Höhe von 59.024,49 EUR für unzulässig. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde. Sie ist der Ansicht, dass die rechtskräftige Einziehungsentscheidung von dem Einstellungsbeschluss nicht umfasst sei.

Das Rechtsmittel hatte beim KG keinen Erfolg:

„Das Landgericht hat die Vollstreckung der angeordneten Einziehung von Wertersatz zu Recht für unzulässig erklärt, da die von dem früheren Angeklagten erhobene Einwendung gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung berechtigt ist.

1. Durch den Beschluss der Strafkammer vom 20. Juli 2021, mit dem das Verfahren gemäß § 206b Satz 1 StPO eingestellt worden ist, ist das angefochtene Urteil gegenstandslos geworden und damit insgesamt als Vollstreckungsgrundlage entfallen. Der Beschluss ist in Bezug auf die Einstellungsentscheidung nicht angefochten und damit rechtskräftig geworden. Durch die rechtskräftige Einstellung des Verfahrens – selbst wenn diese zu Unrecht erfolgt sein sollte – ist das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Januar 2018 gegenstandslos geworden, ohne dass es einer Aufhebung bedurft hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2016 – 5 StR 525/15 – ,juris zu § 206a StPO; LR-Stuckenberg, StPO 27. Aufl., § 206b Rdn. 9; KK-StPO/Schneider, 8. Aufl., § 206b Rdn. 6).

2. Dem steht auch nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt des Einstellungsbeschlusses sowohl der Schuldspruch als auch die Anordnung der Einziehung von Wertersatz, auf die sich die durch Urteil des Bundesgerichtshofes vom 27. November 2018 erfolgte Urteilsaufhebung nicht erstreckte, in Rechtskraft erwachsen waren.

a) Für den Fall einer Einstellung nach § 206a StPO wegen eines Verfahrenshindernisses hat das OLG Köln (Beschluss vom 27. Oktober 2017 – III-2 Ws 293/17 –, juris) bereits entschieden, dass auch bei horizontaler Teilrechtskraft ein entgegenstehendes Verfahrenshindernis zur Einstellung des gesamten Verfahrens führen würde. Dies gelte selbst dann, wenn dieses – wie hier – nur noch teilweise im Rechtsfolgenausspruch anhängig gewesen sei. Da dieser Grundsatz indes nur soweit gelte, wie die Einstellungsentscheidung gemäß § 206a StPO reiche, könne im Einstellungsbeschluss angeordnet werden, worauf sich das Verfahrenshindernis ausschließlich erstrecke. Ob eine isolierte Anordnung bzw. Aufrechterhaltung einer Einziehung von Wertersatz bei gleichzeitiger Einstellung des Verfahrens (im Übrigen) rechtlich zulässig ist, konnte das OLG Köln dabei aufgrund des zur Entscheidung stehenden Sachverhalts unentschieden lassen.

b) In Bezug auf eine Einstellung nach § 206b StPO, bei der es sich um eine materiell-rechtliche Entscheidung handelt, die der Sache nach ein freisprechendes Erkenntnis ist (vgl. LR-Stuckenberg, a.a.O. Rdn. 3; MüKo/Wenske, StPO, § 206b Rdn. 1; KK-StPO/Schneider a.a.O. Rdn. 1; SK-StPO/Paeffgen, 5. Aufl., § 206b Rdn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 64. Aufl., § 206b Rdn. 2 m.w.N.; SSW-StPO/Rosenau, 4. Aufl. a.a.O. Rdn. 2; Radtke/Hohmann/Reinhart, StPO, Rdn. 1; Graf/Ritscher, StPO 4. Aufl. Rdn. 1), ist die Frage – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden worden.

Einigkeit besteht darin, dass die – zur Verfahrensvereinfachung eingeführte – Vor-schrift auch dann anwendbar ist, wenn Teilrechtskraft eingetreten ist (vgl. LR-Stuckenberg a.a.O. Rdn. 9; MüKo/Wenske a.a.O. Rdn. 10; KK-StPO/Schneider a.a.O. Rdn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rdn. 5; SSW-StPO/Rosenau a.a.O. Rdn. 4; Radtke/ Hohmann/Reinhart a.a.O., Rdn. 5; Graf/Ritscher a.a.O. Rdn. 2). Die rechtskräftige Entscheidung nach § 206b StPO beendet das Verfahren endgültig und führt zum vollständigen Verbrauch der Strafklage (vgl. LR-Stuckenberg a.a.O. Rdn. 22; MüKo/Wenske a.a.O. Rdn. 30; KK-StPO/Schneider a.a.O. Rdn. 12; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rdn. 12; SSW-StPO/Rosenau a.a.O. Rdn. 7; SK-StPO/Paeffgen a.a.O. Rdn. 15; Radtke/Hohmann/Reinhart a.a.O. Rdn. 9; Graf/Ritscher a.a.O. Rdn. 1; a.A. KMR/Seidl, StPO, § 206b Rdn. 16).

c) Dies und die freispruchersetzende Funktion des § 206b StPO sprechen dafür, in dem vorliegenden Widerstreit zwischen dem Prinzip der Rechtssicherheit und dem Anliegen der Rechtskraftwirkung auf der einen und dem Gebot der Gerechtigkeit auf der anderen Seite letzterem den Vorzug zu geben. Auch wenn die Rechtssicherheit – ebenso wie die Gerechtigkeit – ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsgrund-satzes ist und einen Eigenwert verkörpert, der nur aus zwingenden Gründen aufgegeben werden sollte, sprechen gewichtige Gründe dafür, dass die Bestandsgewähr bei Änderung der Rechtslage für ein teilrechtskräftiges Urteil geringer ist als für ein vollrechtskräftiges (vgl. BGHSt 20, 116).

Im Rechtsmittelverfahren gilt der Rechtsgedanke des § 354a StPO. Ergibt die hiernach im Rahmen des § 2 Abs. 3 StGB grundsätzlich immer anzustellende Prüfung, dass die Strafbarkeit durch eine Gesetzesänderung ganz entfallen ist, kann das Rechtsmittelgericht an dieser Erkenntnis trotz Rechtskraft des Schuldspruchs nicht vorübergehen. Die Verhängung einer Strafe ist in diesem Fall unzulässig (vgl. BGH a.a.O.; BayObLG, Urteil vom 19. Januar 1961 – Rev.Reg. 4 St 9/61 –). Ein Schuldspruch ohne Strafe ist dem geltenden Strafrecht (von hier nicht einschlägigen Sonderfällen abgesehen) jedoch grundsätzlich fremd (vgl. BayObLG, a.a.O.). § 2 Abs. 3 StGB führt in diesem Fall auch bei Rechtskraft des Schuldspruchs insgesamt zur Aufhebung der Verurteilung (vgl. OLG Köln NJW 1971, 628 zu § 2 Abs. 2 Satz 2 StGB a.F.). Gilt jedoch der Grundsatz, dass, solange ein Teil des Verfahrens noch nicht rechtkräftig abgeschlossen ist, die Wirkung eines Gesetzeswechsels im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB auch die bereits rechtskräftigen Teile des Verfahrens erfasst (vgl. OLG Frankfurt NJW 1973, 1514 zu § 2 Abs. 2 Satz 2 StGB a.F.), muss dies – im Hinblick auf § 2 Abs. 5 StGB – auch im vorliegenden Verfahren hinsichtlich der rechtkräftigen Anordnung der Wertersatzeinziehung gelten.

3. Ob es rechtlich zulässig wäre, nicht nur selbständige Verfahrensteile im Sinne der § 155, § 264 StPO (vgl. MüKo/Wenske a.a.O. Rdn. 26), sondern auch die Anordnung der Einziehung von Wertersatz von der Einstellung gemäß § 206b StPO auszunehmen, kann dahinstehen, da sich weder dem Tenor noch den Gründen des Einstellungsbeschlusses vom 20. Juli 2021 eine derartige Beschränkung, die im Übrigen von der Staatsanwaltschaft auch nicht beantragt worden ist, entnehmen lässt. Einer solchen ausdrücklichen Herausnahme hätte es aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit aber bedurft (vgl. Müko/Wenske a.a.O.) Der Umstand allein, dass mit dem Einstellungsbeschluss zwar der Haftbefehl, nicht jedoch der Arrestbeschluss vom 22. November 2017 aufgehoben worden ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn dessen Aufhebung ist – anders als diejenige des Haftbefehls – bei einer Einstellung nach § 206b Satz 1 StPO – aufgrund der Möglichkeit eines selbständigen Einziehungsverfahrens gemäß § 435 StPO nicht zwingend (vgl. LR-Stuckenberg a.a.O. Rdn. 17).“

Manchmal ist man fassungslos, oder: KG muss Tatrichter an die Auswirkungen des „nemo-tenetur-Grundsatzes“ erinnern

Gestern habe ich mal wieder einen Schwung Entscheidungen vom KG bekommen. Darunter auch eine – Beschl. v. 11.06.2010 – 3 Ws (B) 270/10 – , vor der man im Grunde fassungslos steht. Nicht wegen der Entscheidung des KG, sondern wegen der zugrunde liegenden amtsgerichtlichen Entscheidung. Da führt der Amtsrichter in seinen Urteilsgründen doch allen Ernstes zum prozessualen Verhalten des Betroffenen aus, dass sein

Versuch…, dadurch die Aufklärung des Sachverhaltes zu verhindern oder zumindest zu erschweren, dass er sich zur Sache nicht einließ, … gescheitert ist“.

Das KG dazu:

Seine Berufung auf das Schweigerecht, auf das der Tatrichter ihn zuvor hingewiesen hatte, wird damit als Mittel gewertet, dem etwas Ungehöriges anhaftet, weil es darauf abzielt, die Aufklärung des Sachverhaltes durch das Gericht zumindest zu erschweren. Diese Wertung lässt besorgen, dass der Tatrichter das dem Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare entstammende Recht zu schweigen, das zu den elementaren Wesensmerkmalen eines rechtsstaatlichen Verfahrens gehört, nicht als solches ansieht, sondern als unlauter und seine Tätigkeit unnötig erschwerend begreift. Da er zugleich die Geldbuße gegenüber der ‑ auch bei der höheren Geschwindigkeitsüberschreitung maßgeblichen ‑ Regelbuße des Bußgeldbescheides verdoppelte, liegt die Annahme nahe, dass er hierbei eben dieses prozessuale Verhalten des Betroffenen zu dessen Lasten berücksichtigt hat.“

Ergebnis: Natürlich Aufhebung. Und: Das KG hat die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen; offenbar ging es davon aus, dass bei dem Tatrichter der bloße Hinweis auf den Rechtsfehler mit der Bitte um Beachtung in zukünftigen Fällen nicht ausreichen würde.