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Klassischer (Anfänger)Fehler XXXIII: Fehlender rechtlicher Hinweis, oder: Nichts mehr zu retten

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Für den BGH, Beschl. v. 14.06.2016 – 3 StR 196/16 – muss man m.E. an sich eine neue Rubrik aufmachen. Denn das was sich eine Strafkammer des LG Trier da geleistet hat, ist m.E allein mit dem Begriff  „Klassischer Fehler“ nicht mehr ausreichend umschrieben. Es ist zumindest ein „klassischer Anfängerfehler“, wenn nicht mehr, wenn von einer Strafkammer, die ja immerhin zumindest mit einem Vorsitzenden Richter am LG und einem Richter am LG besetzt ist, uralte Rechtsprechung des BGH, die ständige Rechtsprechung des BGH ist, negiert.

Der Sachverhalt ist ganz einfach: Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage legte dem Angeklagten zur Last, einen ihm vorgeworfenen schweren Raub gemeinschaftlich mit einem Mitangeklagten A. begangen zu haben (§ 25 Abs. 2 StGB). Verurteilt hat das LG dann nur den Angeklagten, während A. freigesprochen worden ist. Die Strafkammer hielt es für möglich, dass der Angeklagte die Tat allein begangen hatte. Einen Hinweis hierauf hat sie ihm nicht erteilt. Und das war es dann:

„Diese Verfahrensweise verletzt § 265 Abs. 1 StPO. Will das Gericht im Urteil von einer anderen Teilnahmeform ausgehen als die unverändert zugelassene Anklage, so muss es den Angeklagten gemäß § 265 Abs. 1 StPO zuvor darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, seine Verteidigung darauf einzu-richten; das gilt auch bei einer Verurteilung wegen Alleintäterschaft statt Mittäterschaft (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1957 – 1 StR 318/57, BGHSt 11, 18, 19; Beschlüsse vom 7. September 1977 – 3 StR 299/77, juris Rn. 1; vom 16. Februar 1989 – 1 StR 24/89, BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 5; vom 17. Mai 1990 – 1 StR 157/90, NStZ 1990, 449; Urteil vom 24. Oktober 1995 – 1 StR 474/95, StV 1997, 64; Beschlüsse vom 17. Januar 2001 – 2 StR 438/00, juris Rn. 3; vom 14. Oktober 2008 – 4 StR 260/08, juris Rn. 8; vom 22. März 2012 – 4 StR 651/11, juris Rn. 3; vom 30. Juli 2013 – 2 StR 150/13, juris Rn. 1).“

Da war dann nichts mehr zu retten, auch wenn der GBA es über die Beruhensfrage versucht hat:

„Entgegen der vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vertretenen Auffassung beruht das Urteil auf diesem Verstoß. Zwar ging schon der mit der zugelassenen Anklage erhobene Tatvorwurf dahin, dass der Angeklagte die Tathandlung als solche allein ausführte, während der dem Mitangeklagten A. zur Last gelegte Tatbeitrag im Wesentlichen darin bestand, den Tatplan entwickelt und den Angeklagten für die Ausführung der Tat angeworben zu haben. Abgesehen davon, dass der Anklagevorwurf – wie sich aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen ergibt – außerdem auf der Annahme gründete, dass A. dem Angeklagten während der Tatausführung telefonisch Anweisungen erteilte, kommt es für die Beruhensfrage nicht darauf an, ob die Möglichkeit einer anderen Verteidigung nahe liegt; es genügt vielmehr, dass sie nicht mit Sicherheit auszuschließen ist (BGH, Beschlüsse vom 7. September 1977 – 3 StR 299/77, juris Rn. 2; vom 16. Februar 1989 – 1 StR 24/89, BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 5); das ist hier der Fall.“

Das war es also…..

Vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung?, oder: Belehrt wird nicht durch Akteneinsicht des Verteidigers

© pedrolieb -Fotolia.com

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Auf den ersten Blick nichts Besonderes scheint der KG, Beschl. v. 13.04.2016 – 3 Ws (B) 140/16 zu enthalten. Aber beim zweiten Hinschauen entdeckt man dann doch eine (kleine) Besonderheit, die ein Posting hier lohnt. Es geht um eine Geschwindigkeitsüberschreitung. Zur Last gelegt wird dem Betroffenen zunächst Fahrlässigkeit, die Amtsrichterin möchte aber wegen Vorsatz verurteilen und hat das dann auch getan. Dagegen die – erfolgreiche – Verfahrensrüge, mit der der Betroffene folgende geltend gemacht hatte:

„Nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers ergibt sich folgender Verfahrensablauf: Nach rechtzeitiger Einspruchseinlegung beraumte die zuständige Richterin eine Termin zur Hauptverhandlung für den 26. August 2015 an und verfügte, dass der Ladung an den Betroffenen und dem Verteidiger folgender Zusatz beizufügen ist: „Es wird gemäß § 265 StPO darauf hingewiesen, dass bei der gemessenen Geschwindigkeitsüberschreitung von über 50% auch eine Ahndung als vorsätzliche Ordnungswidrigkeit in Betracht kommt. Die Buße könnte also ggf. deutlich erhöht werden.“

Des Weiteren ordnete sie die Ladung von zwei Zeugen an.

Die Verfügung der Richterin wurde nicht ordnungsgemäß ausgeführt. Der Ladung des Betroffenen und des Verteidigers fehlte der förmliche Hinweis auf eine Ahndung wegen Vorsatzes. Auch zu einem späteren Zeitpunkt des gerichtlichen Verfahrens erfolgte ein solcher rechtlicher Hinweis nicht.

Die eingeholten dienstlichen Stellungnahmen der Richterin und der Justizbeschäftigten ergaben nicht das Gegenteil. Vielmehr wurde der Vortrag des Betroffenen im Grundsatz bestätigt.

Das KG sieht einen Verstoß gegen § 265 Abs. 1 StPO, und zwar:

„Hat das Gericht seiner Entscheidung eine vom Bußgeldbescheid abweichende rechtliche Beurteilung der Ordnungswidrigkeit — wie im vorliegenden Fall — zugrunde gelegt, ist es erforderlich, dem Betroffenen während des gerichtlichen Verfahrens besonders auf die Veränderung dieses rechtlichen Gesichtspunktes nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 265 Abs. 1 StPO hinzuweisen, so dass er Gelegenheit hat, seine Verteidigung darauf einzustellen. Dies ist durch ein im Bereich des Gerichtes liegendes Missverständnis nicht geschehen. Der von der Richterin verfügte Zusatz ist versehentlich in die Ladung der beiden Zeugen aufgenommen worden, wie sich aus dem Vordruck StP 22 (Aktenvermerk bei Ladungen u.a. in Bußgeldsachen) ergibt. Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft ist dieses Kanzleiversehen auch nicht durch die Akteneinsicht des Verteidigers geheilt worden. Denn Adressat dieses förmlichen Hinweises ist der Betroffene, der persönlich und individuelle zu informieren ist (BGH NStZ 2013, 248). Es kann dahinstehen und muss hier nicht entschieden werden, ob die durch den Verteidiger genommene Akteneinsicht dieses Versäumnis kompensieren kann, wenn der Verteidiger als schriftlich Bevollmächtigter für den vom persönlichen Erscheinen entbundenen Betroffenen auftritt. Denn der Betroffene hat an der Hauptverhandlung teilgenommen.

Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht. Der Rechtsmittelführer hat nachvollziehbar ausgeführt, dass er sich im Falle eines rechtlichen Hinweises des Gerichts, dass auch eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung in Betracht kommt, anders verteidigt hätte. Er hätte den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 29. April 2015 zurückgenommen.“

Recht hat das KG 🙂 .

Beim AG Dessau-Roßlau wird den Betroffenen dauernd das rechtliche Gehör verweigert, oder: Wir sind stinksauer

entnommen wikimedia.org Urheber: Olaf Meister (Olaf2)

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Der Kollege Gratz hat am Montag schon auf den OLG Naumburg, Beschl. v. 05.11.2015 – 2 Ws 215/15 – hingewiesen (vgl. hier: OLG Naumburg: Rechtlicher Hinweis auf Fahrverbot, Betroffener ab­we­send – Verfahren ist aus­zu­set­zen). In dem Beschluss ging es u.a. um die Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen, der im Termin nicht anwesend war. Aber der Verteidiger, dem das AG einen rechtlichen Hinweis erteilt, dass es wohl ggf. ein im Bußgeldbescheid nicht vorgesehenes Fahrverbot festsetzen will. Dem daraufhin vom Verteidiger gestellten Aussetzungsantrag – § 265 Abs. 3 StPO lässt ein wenig grüßen – wird nicht statt gegeben.

Klar, dass die Verfahrensrüge des Betroffenen, die er auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gestützt hat, Erfolg hat. Sie ist ein Selbstläufer. Dazu das OLG: „Für das Gericht besteht aber aus dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens die Verpflichtung, von Amts wegen oder auf Antrag des Verteidigers, wie hier gestellt, die Hauptverhandlung auszusetzen, wenn sie wegen der veränderten Sach- oder Rechtslage die sachgerechte Verteidigung eine Besprechung des Verteidigers mit dem Mandanten erfordert (KK-OWi/Senge, § 74 Rn. 16).“

Und das OLG moniert noch eine weitere Verletzung des rechtlichen Gehörs, nämlich die Nichtbescheidung eines Beweisantrages auf Einholung eines Sachverständigengutachtens durch den Amtsrichter in der Hauptverhandlung.

Schon alles ein wenig merkwürdig, wie da die Rechte des Betroffenen missachtet, um nicht zu sagen, mit den Füßen getreten werden. Einfach mal eben so in einem Verfahren zwei Gehörsverletzungen. Nun, das sieht das OLG auch wohl so. Denn es führt aus:

„Der Senat sieht sich zum wiederholten Male veranlasst, die Sache gemäß § 79 Abs. 6 OWiG an ein anderes Amtsgericht zu verweisen, weil er bereits mehrfach feststellen musste, dass den Betroffenen in Bußgeldsachen beim Amtsgericht Dessau-Roßlau das rechtliche Gehör verweigert wird, und deswegen Anlass zu der Befürchtung hat, dass sich eine solche Grundrechtsverletzung bei Zurückverweisung an das Amtsgericht Dessau-Roßlau wiederholen wird.“

Wer mit Formulierungen von OLGs umgehen kann, weiß, dass das eine mehr als deutliche Rüge darstellt. Das ist nicht nur „we are not amusde“, sondern: Wir sind stinksauer. Und das mit Recht.

Sollte an sich nicht so schwer sein, oder: Die Negativtatsache in der Revision

© Dan Race Fotolia .com

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Ebenso wie Verstöße gegen §§ 258 Abs. 2 und 3 StPO (vgl. dazu gerade den BGH, Beschl. v. 16.09.2015 – 5 StR 289/15 – und dazu Mal wieder letztes Wort nicht gewährt, aber: Ausnahmsweise kein Beruhen) sind Verstöße gegen die Hinweispflicht des § 265 StPO meist „Selbstläufer“ in der Revision. Das setzt aber voraus, dass die insoweit zu erhebenden Verfahrensrüge ausreichend begründet wird. Es gilt § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass dies eine der Stellen ist, in denen sog. Negativtatsachen vorgetragen werden müssen. Das zeigt – für den Angeklagten „schmerzhaft“, weil seine Revision an der Stelle nicht ausreichend begründet war – der BGH, Beschl. v. 21.10.2015 – 4 StR 332/15:

„Die Verfahrensrüge, mit welcher der Beschwerdeführer beanstandet, das Landgericht habe der Verurteilung eine von der Anklage abweichende Tatzeit zugrunde gelegt, ohne in der Hauptverhandlung einen entsprechenden Hinweis zu erteilen, ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil die Revision verschweigt, dass in der Hauptverhandlung am 16. Dezember 2014 ein Haftfortdauerbeschluss verkündet worden ist, in dessen Gründen die Strafkammer bei der Darle-gung des dringenden Tatverdachts einen gegenüber dem Anklagevorwurf erweiterten, die im Urteil festgestellte Tatzeit umfassenden Tatzeitraum angenommen hat. Dieser Mitteilung hätte es bedurft, um dem Senat die Prüfung zu ermöglichen, ob der Beschwerdeführer über die Veränderung der Sachlage hinsichtlich der Tatzeit durch den Gang der Hauptverhandlung unterrichtet worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2014 – 4 StR 234/14, NStZ 2015, 233; Beschluss vom 8. November 2005 – 2 StR 296/05, StV 2006, 121; Urteile vom 17. November 1998 – 1 StR 450/98, NJW 1999, 802; vom 22. Januar 1991 – 5 StR 498/90, BGHR StPO § 265 Abs. 4 Hinweispflicht 12).“

Sollte an sich nicht so schwer sein.

Immer wieder Hinweispflicht, oder: Auch das mildere Gesetz ist ein anderes….

© Blackosaka - Fotolia.com

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Ich habe hier ja schon häufig/immer wieder über die mit einem (unterlassenen) rechtlichen Hinweis nach § 265 StPO berichtet; zuletzt u.a. über den dem KG, Beschl. v. 14.07.2015, (3) 121 Ss 96/15 (75/15) und dazu Schmankerl im Verkehrsrecht: Der vergessene rechtliche Hinweis auf die (isolierte) Sperrfrist). Die damit zusammenhängenden Fragen spielen auch in der Rechtsprechung des BGH immer wieder eine Rolle, Revisionen, die die Verfahrensrüge auf einen unterlassenen Hinweis stützen, sind meist auch „Selbstläufer“. Das zeigt dann auch der BGH, Beschl. v. 02.09.2015 – 2 StR 242/15 mit der Variante: Verurteilung wegen eines milderen Gesetzes, nämlich Verurteilung wegen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung statt des angeklagten schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Aber auch da bedarf es aber eines rechtlichen Hinweises:

„Die in zulässiger Weise ausgeführte Verfahrensrüge einer Verletzung des § 265 StPO hat in vollem Umfang Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils im Ganzen.

Die Strafkammer hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, die Angeklagte auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts einer möglichen – und dann später erfolgten – Verurteilung wegen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung statt des ange-klagten schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen hinzuweisen. Wie der Revisionsführer zutreffend ausgeführt hat, ist auch das mildere Strafgesetz regelmäßig ein anderes Gesetz im Sinne von § 265 Abs. 1 StPO (Meyer-Goßner/Schmitt – Meyer-Goßner, StPO, 58. Auflage 2015, § 265 StPO, Rn 9 mwN). Ein entsprechender – unter Umständen auch konkludent möglicher – Hinweis insbesondere auf die Möglichkeit einer tateinheitlichen Verurteilung wegen Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) ist nicht protokolliert und damit auch nicht erteilt worden. Bei den Schlussvorträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung ist lediglich die offensichtlich in der Hauptverhandlung erörterte – von der Anklage abweichende – Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen in Tatmehrheit mit (einfachem) Diebstahl vermerkt (SA Bd. II, Bl. 356). Dass auch die (vom Gericht schließlich auch angenommene) tateinheitlich verwirklichte Nötigung erörtert worden wäre, lässt sich daraus nicht herleiten.

Dass das Urteil auf diesem Verfahrensverstoß beruht, hat der Revisionsführer weiter zutreffend damit begründet, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die Angeklagte in Kenntnis dieser Veränderung der rechtlichen Bewertung des Tatgeschehens anders und möglicher-weise wirkungsvoller, nämlich im Sinne des Ablegens eines (Teil-)Ge-ständnisses, verteidigt hätte.“

Dem schließt sich der Senat an.“

Und ich mich auch.