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Verständigung – ja oder nein? Frage: Was sagt das Protokoll?

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Folgender Sachverhalt: Der Angeklagte wird vom AG verurteilt. Er legt Berufung ein. Das LG verwirft die Berufung als unzulässig, weil der Angeklagte auf Rechtsmittel verzichtet habe. Der Angeklagte wendet dagegen ein, dass eine Verständigung stattgefunden habe. Daher sei ein Rechtsmittelverzicht unwirksam. In dem Protokoll der Hauptverhandlung ist u. a. vermerkt, dass eine Erörterung i. S. d. §§ 202 a, 212 StPO mit dem Ziel einer Verständigung über Fortgang und/oder Ergebnis des Verfahrens nie stattgefunden habe. Ferner ist darin festgehalten, dass nach Urteilsverkündung der Angeklagte, die Verteidigerin und der Vertreter der Staatsanwaltschaft auf Rechtsmittel verzichtet haben.

Das OLG Zweibrücken hebt im OLG Zweibrücken, Beschl. v. 31.o7. 2012 – 1 Ws 169/12 – auf und verweist zur Sachaufklärung zurück mit der Begründung:.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts wird durch das Protokoll der Hauptverhandlung des Amtsgerichts Germersheim vom 14. März 2012 nicht bewiesen, dass eine solche Verständigung nicht stattgefunden hat. Das Verhandlungsprotokoll enthält weder die Erklärung nach § 273 Abs. 1 a Satz 1 StPO noch das Negativattest nach § 273 Abs. 1 a Satz 3 StPO. Damit entfällt insoweit die dem Verhandlungsprotokoll gemäß § 274 StPO zukommende Beweiskraft. Das Verhandlungsprotokoll enthält ausschließlich Erklärungen gemäß §§ 202 a, 212 StPO. Diese Erklärungen schließen nicht aus, dass eine Verständigung in der Hauptverhandlung i. S. v. § 257 c StPO stattgefunden hat. Insofern hätte das Landgericht im Freibeweisverfahren und in freier Beweiswürdigung den wirklichen Verfahrensablauf klären müssen. Diese Sachaufklärung ist nunmehr u. a. durch Einholung dienstlicher Erklärungen der Verfahrensbeteiligten erster Instanz nachzuholen.

Tja, auf das Ergebnis darf man gespannt sein.

Was denn nun? Verständigung ja oder nein – Widerspruch im Protokoll?

Aufgrund der die Protollfragen in Zusammenhang mit einer Verständigung regelnden neuen Vorschrift des § 273 Abs. 1a StPO muss sich aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergeben, dass entweder eines Verständigung zustandegekommen ist (Abs. 1a Satz 1 und 2) oder, dass eine Verständigung nicht getroffen worden ist (sog. Negativattest in Abs. 1a S. 3). Sagt das Protokoll weder das eine noch das andere, ist es widersprüchlich und lückenhaft und verliert insoweit seine Beweiskraft. Diese zu erwartende Entscheidung kommt heute vom BGH in dem Beschl. v. 29.09.2010 – 2 StR 371/10, der, was die Bedeutung unterstreicht, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen ist.

In der Sache ging es (mal wieder) um einen Rechtsmittelverzicht, dessen Unwirksamkeit geltend gemacht worden ist. Wir befinden uns, wenn das Protokoll keine ausreichende Beweiskraft hat, im Freibeweisverfahren mit der Folge, dass – so auch der BGH – der Angeklagte, der sich auf die Unwirksamkeit eines von ihm erklärten Rechtsmittelverzichts wegen einer vorausgegangenen Verständigung beruft, wenn das Protokoll dazu schweigt, um dem Revisionsgericht eine Überprüfung im Freibeweisverfahren zu ermöglichen, im einzelnen darlegen muss, in welchem Verfahrensstadium, in welcher Form und mit welchem Inhalt die von ihm behauptete Verständigung zustande gekommen ist.

Teileinstellung, aber dennoch Strafschärfung – Hinweis in der HV wesentliche Förmlichkeit? Ja oder nein?

In der Praxis nicht selten ist die Konstellation, dass Taten nach § 154a StPO eingestellt werden. So auch in dem der Entscheidung des BGH v. 29.06.2010 – 1 StR 157/10 zugrundeliegenden Verfahren. Es ging um Diebstahl, die zugleich auch verwirklichten Sachbeschädigungen werden nach § 154a StPO eingestellt, dann aber dennoch im Urteil strafschärfend berücksichtigt. Der Angeklagte macht geltend, dass er darauf nach dem HV-Protokoll in der HV nicht hingewiesen worden sei. Der BGH führt zum Nachweis des in der HV erteilten Hinweises aus:

„Die Rüge bliebe aber auch sonst erfolglos. Aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergibt sich zu dem Hinweis nichts, im Urteil heißt es, der Vorsitzende habe den Hinweis erteilt. Die Revision ist im Kern darauf gestützt, ein solcher Hinweis sei als wesentliche Verfahrensförmlichkeit gemäß § 274 StPO nur durch das Hauptverhandlungsprotokoll beweisbar (so ohne nähere Begründung auch OLG München NJW 2010, 1826, 1827; OLG Hamm NStZ-RR 2003, 368; Beulke in Löwe/Rosenberg StPO 26. Aufl. § 154 Rdn. 59), nicht aber durch die Urteilsgründe (BGH NJW 1976, 977, 978; Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 274 Rdn. 3 m.w.N.). Der Senat teilt diese Auffassung nicht. Ein nach Maßgabe des Einzelfalls erforderlicher (vgl. BGH NStZ 2004, 277, 278 m.w.N.) Hinweis auf die beabsichtigte Verwertung von gemäß §§ 154, 154a StPO ausgeschiedenem Verfahrensstoff bei der Beweiswürdigung oder Strafzumessung ist keine wesentliche Verfahrensförmlichkeit. Er betrifft die Tatsachengrundlage des Urteils. Bei einem anderweit erforderlichen Hinweis auf wesentliche Änderungen in tatsächlicher Hinsicht (§ 265 StPO) handelt es sich regelmäßig nicht um eine wesentliche Verfahrensförmlichkeit (vgl. zusammenfassend Stuckenberg in KMR § 265 StPO Rdn. 57, 61 ff. m.w.N.). Für den hier in Rede stehenden, ebenfalls Tatsachen betreffenden Hinweis kann nichts anderes gelten (vgl. Rieß NStZ 1987, 134, 135 <Anm. zu BGH aaO 134>; Schimansky MDR 1986, 283; im Ergebnis ebenso Pelchen JR 1986, 166, 167). Auch wenn die Aufnahme eines solchen Hinweises in das – zur Dokumentation von Verfahrensgeschehen eher als das Urteil geeignete – Hauptverhandlungsprotokoll dennoch zweckmäßig ist (vgl. Schimansky aaO 284), ist dieses also nicht das einzig zulässige Beweismittel. Angesichts der Urteilsgründe ist auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens nicht zweifelhaft, dass der Hinweis hier erteilt wurde.“

Na ja :-). Im Übrigen: Obiter dictum, da die Verfahrensrüge schon unzulässig war, da der Verteidiger widersprüchlichen Sachvortrag geliefert hatte.

Loveparade – na, nach dem Protokoll wird es aber für den ein oder anderen enger

Bisher hatte ich ja noch nie so auf Twitter geachtet (das auch noch). Gerade fällt mir aber der Hinweis beim Kollegen Vetter und bei „hansjagnow“ auf auf ein Protokoll vom 18.06.2010. Zu Recht meint Hans Jagnow, dass es „eng“ wird. M.E. sogar noch enger. Wenn man es liest und damit das Geschehene in Verbindung bringt: Man fasst es nicht…

Ein-/Ansichten eines ehemaligen Revisionsrichters, oder: Die Hoffnung im Revisionsverfahren ist bereits gestorben

Mit Interesse verfolge ich als ehemaliger Revisionsrichter die derzeit entbrannte Diskussion in der Frage: Revision, ja oder nein. Während der Kollege Vetter auch „Das vergessene letzte Wort“ nicht unbedingt als Anlass sieht, Revision einzulegen, plädiert der Kollege Hoenig unter der Überschrift: Kritischer Verzicht auf die Hoffnung“ dafür, i.d.R. immer, wenn Hoffnung auf Urteilsaufhebung besteht, Revision einzulegen, auch wenn das erstinstanzliche Urteil „passt“. Es gibt sicherlich eine ganz Reihe guter Gründe, die für die eher abwägende Auffassung des Kollegen Vetter sprechen, aber auch ebenso gute, die für die etwas forsche Ansicht des Kollegen Hoenig ins Feld geführt werden können. Die Entscheidung wird im Zweifel – jetzt kommt eine Platidüde – von dem sog. Umständen den Einzelfalls abhängen. Dazu gehören die vom Kollegen Hoenig ins Feld geführten Umstände: Zeitgewinn, Verfahrensverzögerung, § 331 StPO (wenn die Staatsanwaltschaft nicht auch ins Rechtsmittel geht), aber auch die Frage, wie risikofreudig der Mandant ist, der im Falle der endgültigen Verurteilung die gesamten Kosten des Verfahrens, also auch die des erfolgreichen Rechtsmittels tragen muss.

Eins ist aber – und dazu habe ich bereits beim Kollegen Hoenig kurz kommentiert – zu bedenken. Den – wie der Kollege Hoenig meint – faktisch absoluten Revisionsgrund (im Beitrag des Kollegen Vetter den des vergessenen letzten Wortes) gibt es m.E. nicht mehr. Über allen Verfahrensrügen schwebt seit der Entscheidung des großen Senats für Strafsachen vom 23.04.2007 (BGHSt 51, 298) das Damoklesschwert der nachträglichen Änderung des Protokolls der Hauptverhandlung, die der BGH ja jetzt auch zulässt, wenn dadurch einer Verfahrensrüge der Boden entzogen wird. Man mag über die Rechtsprechung denken was man will (ich denke nichts Gutes); aber man darf nicht übersehen, dass sie bei den Tatsacheninstanzen angekommen ist. Das zeigt nicht zuletzt die Rechtsprechung des BGH, wo immer wieder auch diese Frage behandelt wird (oder auch nicht).

Exkurs: Das habe ich vor kurzem selbst erlebt: Ausschluss des Angeklagten in der Hauptverhandlung nach § 247 StPO, nach dem Hauptverhandlungsprotokoll und den Aufzeichnungen/Erinnerungen des Instanzverteidigers ohne begründeten Beschluss. Damit auch ein faktisch absoluter Revisionsgrund, der auch geltend gemacht wird. 3 Wochen später Nachricht der Kammer mit dienstlichen Äußerungen, dass ein Beschluss ergangen sei (und einer m.E. technisch nicht möglichen Erklärung, warum er nicht im Protokoll ist), dann Berichtigung und der BGH verwirft die Revision, ohne ein Wort zu der zumindest aus unserer Sicht nicht nachvollziehbaren Protokollberichtigung zu sagen (er hat auch sonst nichts gesagt; auch das muss man erst mal lernen :-)). Über die Weiterungen, die das Revisionsverfahren hatte, demnächst mehr…

Zur Sache: Die Frage des „faktisch absoluten Revisionsgrundes“ und seiner „Beseitigung“ darf man bei der Beratung des Mandanten neben allen anderen bedenkwerten Umständen nicht aus dem Auge verlieren. Den sog. Selbstläufer im Revisionsverfahren gibt es nicht mehr. Übersieht man das, kann es ein böses Erwachen geben (vgl. aber auch den „positiven Spielbericht“ des Kollegen Feltus).