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„Zu schnelle“ Einholung eines Privatgutachtens – keine Kostenerstattung

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Jeder Verteidiger kennt die Problematik, die häufig, aber nicht nur in Verfahren eine Rolle spielt, in den denen ein Glaubwürdigkeitsgutachten eingeholt wird bzw. worden ist. Zu dem  gerichtlich eingeholten (Glaubwürdigkeits)Gutachten wird ein „Gegengutachten“, z.B. eine methodenkritische Stellungnahme eines anderen Sachverständigen eingeholt. Dann wird der Angeklagte später frei gesprochen. und es steht somit die Fragen der Erstattung der durch das Gegengutachten entstandenen Kosten an.

Darum wird dann nicht selten heftig gestritten, das die wohl überwiegende Meinung in der Rechtsprechung dahin geht, dass dies nur ausnahmsweise zu erstatten sind. Der Angeklagte sei insofern nämlich zunächst gehalten, seine prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen, um das Gericht zu entsprechenden Ermittlungen zu veranlassen. Ausnahmsweise komme allerdings eine Erstattung der Kosten in Betracht, wenn das Privatgutachten zur Verteidigung trotz der bestehenden amtlichen Aufklärungspflicht erforderlich sei. Und das wird dann meist anders gesehen als es Verteidiger und Angeklagter gesehen haben. So auch der der LG Duisburg, Beschl. v.  18.01.2013 – 35 Qs 142/12 -, ergangen in einem Missbrauchsverfahren. Dort hatte der neue  Verteidiger in der Berufungsinstanz das vorliegende amtsgerichtliche Gutachten beanstandet und insofern  noch vor Beginn der Hauptverhandlung in Aussicht gestellt, mit gesondertem Schriftsatz beantragen zu wollen, ein alternatives Gutachten einzuholen. Später hat er mitgeteilt, dass er inzwischen eine methodenkritische Stellungnahme zum Gutachten der Erst-Sachverständigen eingeholt habe und beantragte nunmehr, ein neues Gutachten einzuholen. Das LG argumentiert, dass die Einholung des Zweit-Gutachtens zum Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen nicht notwendig gewesen. Denn es sei insoweit noch nicht entschieden gewesen, ob das Gericht nicht von sich aus aufgrund der vom Verteidiger dargelegten Bedenken am Gutachten der Erst-Sachverständigen ein weiteres Gutachten einholen würde. Dies hätte zunächst abgewartet werden können und müssen. Fazit: Also zu schnell.

Die Entscheidung des LG lässt mich ratlos zurück und vermittelt ein zwiespältiges Gefühl. Da werden Einwände gegen das ursprüngliche Sachverständigengutachten erhoben und es wird der Antrag auf Einholung eines alternativen Sachverständigengutachtens angekündigt. Den wartet der Verteidiger aber nicht ab, sondern holt selbst schon vorab eine methodenkritische Stellungnahme einer Gutachterin ein, die er dem Gericht auch vorlegt, das dann – der Sachverhalt schweigt sich darüber allerdings aus – offenbar ein weiteres Sachverständigengutachten einholt, das zum Freispruch des Angeklagten führt. Bei dem Ablauf sollen die Kosten der von der Verteidigung eingeholten methodenkritischen Stellungnahme dem frei gesprochen Angeklagten nicht zu erstatten sein, weil – so die kurz gefasste Begründung des LG – der Verteidiger vorschnell gehandelt hat? Er hätte abwarten müssen und können, was das Gericht macht und ob es nicht ein eigenes Sachverständigengutachten einholt. Das wird dann mit der h.M. zur Frage der Erstattung von Privatgutachten untermauert, wonach die Kosten privater Ermittlungen nicht erstattungsfähig, seien, weil ja der Angeklagte zunächst gehalten sei, seine prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen, um das Gericht zu entsprechenden Ermittlungen zu veranlassen. Was von dem „Ausschöpfen der prozessualen Möglichkeiten“ zu halten ist, wissen wir doch alle, nämlich nicht viel. Es werden an der Stelle sicherlich mehr Beweisanträge und/oder – anregungen abgelehnt als dass ihnen nachgegangen wird. Und warum dann ein Sachverständigengutachten, dass offenbar zumindest mit dazu beigetragen hat, dass vom Gericht ein neues Sachverständigengutachten eingeholt wird, nicht erstattungsfähig sein soll, bleibt offen.

„Unschuld? Kostet 13.000 Euro“ – II – hier ist der Volltext zur KG-Entscheidung

Ich hatte gestern zum KG, Beschl. v. 20.02.2012 – 1 Ws 72/09 – der Gegenstand eines Berichts in der SZ gewesen ist, gebloggt (vgl. hier) , mich aber allerdings eines Kommentars zu dem Beschluss enthalten, da ich ihn im Volltext nicht zur Verfügung/gelesen hatte. Die Wogen sind (natürlich) beim Inhalt der Entscheidung – Freigesprochene bleibt auf 13.000 € sitzen – hoch geschlagen; man verfolge nur mal die Kommentare bei der SZ-Meldung.

Inzwischen liegt mir der KG, Beschl. v. 20.02.2012 – 1 Ws 72/09 – im Volltext vor und ich will vor einem Kommentar nicht kneifen, obwohl wahrscheinlich nicht jeder mit meiner Auffassung einverstanden sein wird. Zudem: Alles natürlich nur in Kenntnis des Beschlusses und ohne genaue Kenntnis der Akten. So ist es nie einfach, einen Kommentar zu einer Entscheidung abzugeben. Fasst man den KG, Beschl. zusammen, lässt sich feststellen:

  • Das KG hat der freigesprochenen ehemaligen Angeklagten alle entstandenen Kosten dem Grunde nach erstattet/ersetzt.
  • Bei der Höhe hat es allerdings Abstriche gemacht, die damit zu tun haben, dass der Sachverständige gemessen an den zumindest entsprechend herangezogenen JVEG-Grundsätzen zu hoch abgerechnet hatte.
  • Dass die entstandenen Kosten nicht insgesamt oder nicht zumindest noch ein weiterer Teil erstattet worden ist, liegt u.a. auch daran, dass nicht ausreichend zur Notwendigkeit vorgetragen worden ist. Beispiel: Geltend gemacht waren auch pauschal 2.500 € für „Aufwendungen durch Beratung durch Prof. Dr. E. Universität Leipzig“. Man kann sagen: Ungeprüft ok, man kann aber auch sagen: Bitte sag mir wofür und warum die Beratung durch einen weiteren Sachverständigen erforderlich war, der im Übrigen auch selbst liquidiert hat. Da hätte ich als Richter auch wissen wollen, was dieser Sachverständige zusätzlich „beraten“ hat, zumal der eigene Sachverständige bereits 425 Arbeitsstunden abgerechnet hat (das sind bei einem Arbeitstag a 8 Stunden 7 1/2 Wochen Aufwand bei einer Sieben-Tage-Woche), die das KG allerdings ohne Abstriche anerkannt hat.

Das Ganze krankt m.E. u.a. daran, dass – in meinen Augen – der Gutachter zu hoch abgerechnet hat, und sich damit die Frage der „Notwendigkeit“ der geltend gemachten Kosten stellte. Dass das Gesetz das so regelt, das ist bei einem Justizirrtum „beschämend“, damit ist aber nicht unbedingt die Entscheidung, die das Gesetz anwendet bzw. anwenden muss, eine „beschämende Entscheidung“.  Viel beschämender finde ich, dass das LG offenbar nicht von sich aus, die Sachverständigen der Angeklagten geladen hatte, sondern sie diese nach §“ 220, 38 StPO selbst laden musste und dass man/das LG sich offenbar auch nicht  ausreichend mit den Ergebnissen der Gutachten auseinandergesetzt hat. Kostenrechtlich weiß ich allerdings auch keinen Ausweg. Denn hat man kein Regulativ wie die „Notwendigkeit“, was dann?

Ich weiß, die  frei gesprochene Angeklagte wird das alles nicht trösten. Und natürlich stellt sich die Frage, was soll der betroffene Angeklagte denn tun? Es wird wahrscheinlich schon schwierig genug gewesen sein, Sachverständige zu finden und dann soll noch um die Kosten gefeilscht werden?