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Pflichti III: Rückwirkende Bestellung ist zulässig, oder: LG Düsseldorf und LG Frankfurt/Main machen es richtig

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Und dann zum Tagesschluss noch zwei – poslitive Entscheidungen zum Dauerbrenner: Rückwirkende Bestellung. Ich denke, man kann zu der Porblematik sagen, dass es inzwischen herrschende Meinung ist, dass die rückwirkende Bestellung zulässig ist. So auch diese beiden Entscheidungen. Hier die Begründung aus dem LG Düsseldorf, Beschl. v. 29.10.2021 – 17 Qs 33/21:

„2. Die Beschwerde ist auch in der Sache begründet.

Der Beiordnungsantrag wurde zu Unrecht abgelehnt. Dabei kann dahinstehen, ob eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung nach Verfahrensabschluss grundsätzlich als zulässig (so LG Frankenthal, Beschl: v. 16.06.2020 — 7 Qs 114/20; LG Mannheim, Beschl. v. 26.03.2020 — 7 Qs 11/20; LG Hamburg Beschl. v. 28.3.2018 — 632 Qs 9/18) oder grundsätzlich als unzulässig (so LG Hechingen, Beschl. v. 20.05.2020 — 3 QS 35/20; LG Osnabrück, Beschl. v. 16.11.2020 — 1 Qs 47/20; LG Wiesbaden, Beschl. v. 04.03.2020 — 1 Qs 8/20 und 10/20) erachtet wird, da eine solche auch nach Ansicht der letztgenannten Gerichte jedenfalls dann möglich sein soll, wenn — wie vorliegend — die unterlassene Beiordnung auf justizinternen Umständen beruht.

Die Kammer hält eine rückwirkende Beiordnung für zulässig, da der Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzung für eine Beiordnung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO zum damaligen Zeitpunkt vorlagen und die Entscheidung allein aufgrund justizinterner Vorgänge unterblieben ist, auf die der Beschwerdeführer keinen Einfluss hatte (so auch LG Freiburg (Breisgau), Beschl. v. 4.11.2020 — 16 Qs 62/20; LG Aurich, Beschl. v. 05.05.2020 — 12 Qs 78/20; LG Hechingen, Beschl. v. 20.05.2020 — 3 Qs 35/20; LG Magdeburg, Beschl. v. 20.02.2020 — 29 Qs 2/20).

a) Zum Zeitpunkt der Antragstellung am 13.04.2021 lag ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO vor. Der Beschwerdeführer befand sich zu diesem Zeitpunkt wegen einer Unterbringung nach § 64 StGB in der LVR Klinik Bedburg Hau und somit auf Grund richterlicher Anordnung in einer Anstalt. Dabei ist unerheblich, dass die Unterbringung aus einem anderen Verfahren herrührt (OLG Düsseldorf StV 2001, 609; BeckOK StPO/Krawczyk, 40. Ed. 1.7.2021, StPO § 140 Rn. 10).

b) Bereits mit Schriftsatz vom 13.04.2021, welcher bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf nach Weiterleitung durch das Polizeipräsidium Düsseldorf am 28.04.2021 eingegangen ist, lag der Antrag des Wahlverteidigers pp. auf Bestellung zum Pflichtverteidiger vor.

Allein aufgrund justizinterner Vorgänge unterblieb eine Entscheidung über den Beiordnungsantrag, da die Staatsanwaltschaft Düsseldorf zu Unrecht davon abgesehen hat, diesen dem Amtsgericht Düsseldorf gemäß § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO unverzüglich zur Entscheidung vorzulegen. Der Staatsanwaltschaft kommt hierbei kein Ermessensspielraum zu, vielmehr ist sie unverzüglich zur Vorlage verpflichtet. Insbesondere spielt es dabei keine Rolle, ob eine etwaige Stellungnahme des Verteidigers Einfluss auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft hätte. Dabei muss die Pflichtverteidigerbestellung zwar nicht sofort erfolgen, doch so rechtzeitig, dass die Verteidigungsrechte gewahrt werden können, was einer Prüfungs- und Überlegungsfrist von ein bis maximal zwei Wochen entspricht (LG Erfurt, Beschl. v. 11.11.2020 — 7 Qs 199/20; AG Düsseldorf, Beschl. v. 09.11.2020 — 152 Gs 1822/20).

Zwischen dem Eingang des Antrages bei der Polizeiinspektion und der Einstellung des Ermittlungsverfahrens sind mehr als sieben Wochen vergangen, ohne dass der Antrag beschieden wurde. Die zuständige Staatsanwältin hat in Ihrer Verfügung vom 18.10.2021 vermerkt, dass ihr die Akte nebst Beiordnungsantrag erst am 14.06.2021 und damit am Tag der Einstellungsverfügung vorlagen. Gründe dafür, warum der Antrag der zuständigen Staatsanwältin erst an diesem Tag vorgelegt wurde, obwohl der Beiordnungsantrag bereits am 28.04.2021 bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf eingegangen ist, sind nicht ersichtlich und liegen somit im Verantwortungsbereich der Staatsanwaltschaft Düsseldorf, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte (vgl. LG Aurich, Beschl. v. 05.05.2020 — 12 Qs 78/20; LG Mannheim, Beschl. V. 26.03.2020 — 7 Qs 11/20; LG Magdeburg, Beschl. v. 20.02.2020 — 29 Qs 2/20).

c) Auch § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO steht im vorliegenden Fall der Beiordnung nicht entgegen. Nach dieser gesetzlichen Regelung kann die Bestellung unterbleiben, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden sollen, Diese Regelung bezieht sich nach ihrem Wortlaut und der systematischen Stellung jedoch nicht auf den vorliegenden Fall einer Antragstellung durch den Beschwerdeführer nach § 141 Abs. 1 StPO, sondern nur auf den, vorliegend nicht einschlägigen Fall der Bestellung eines Pflichtverteidigers von Amts wegen nach § 141 Abs. 2 StPO (LG Freiburg (Breisgau), Beschl. v. 4.11.2020 — 16 Qs 62/20).“

Ähnlich hat dann das LG Frankfurt/Main im LG Frankfurt/Main, Beschl. v. 30.09.2021 – 5/31 Qs 22/21 – entschieden.

Pflichti II: Die kostenneutrale Umbeiordnung, oder: OLG Frankfurt/Main kann es mal wieder nicht

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Frankfurt am Main, Beschl.  v. 05.11.2021 – 2 Ws 84/21 -, den mir der Kollege Peter aus Frankfurt geschickt. Die Entscheidung ist – das schon mal vorab – leider falsch.

Das OLG geht von folgendem Sachverhalt aus:

Der Kollege, der zuvor als Wahlverteidiger mandatiert war, wurde dem zwischenzeitlich Verurteilten auf dessen Antrag hin durch Beschluss des AG vom 13.3.2019 als Pflicht-verteidiger beigeordnet. Im gleichen Beschluss wurde die bisherige Pflichtverteidigerin Rechtsanwältin D. entpflichtet. Das AG ist in seinem Beschluss vom 13.3.2019 von einer nachhaltigen Störung des Vertrauensverhältnisses des späteren Verurteilten zu seiner bisherigen Pflichtverteidigerin ausgegangen. Die bisherige Pflichtverteidigerin hatte im Schriftsatz vom 8.3.2019 angegeben, dass das Vertrauensverhältnis zwischen ihr und dem späteren Verurteilten aus ihrer Sicht im vollem Umfang bestehe und die Aufrechterhaltung ihrer Pflichtverteidigerbestellung beantragt.

In einem an das AG gerichteten Schriftsatz des Kollegen vom 12.2.2019 hatte sich dieser zuvor wie folgt geäußert: „Weiterhin wird dem Wunsch des Beschuldigten entsprochen und ein Antrag auf Pflichtverteidigerwechsel gestellt. Herr PP. möchte sich nicht mehr von Frau D. verteidigen lassen. Im Fall eines Wechsels wird der Unterzeichner sein Wahlmandat niederlegen und auf bereits entstandene Gebühren verzichten.“ Die Staatsanwaltschaft hatte dazu dahingehend Stellung genommen, dass zwar „die (hohen) Voraussetzungen für einen Widerruf der Beiordnung der Pflichtverteidigerin nach § 143 StPO … nach den bisherigen Darstellungen …. nicht vor[liegen]. Eine Stellungnahme der Pflichtverteidigerin hat die Staatsanwaltschaft bisher nicht erreicht. Sollte Einverständnis mit dem Widerruf der Beiordnung bei ihr bestehen, würde sich die Staatsanwaltschaft einem Pflichtverteidigerwechsel nicht entgegenstellen, da der neue Verteidiger einen Verzicht für die bereits bei der Pflichtverteidigerin entstandenen Gebühren (Grund- und Verfahrensgebühr) erklärt hat, sodass keine nennenswerten Mehrkosten zu erwarten sind.

Die frühere Pflichtverteidigerin hat am 21.3.2019 ihre Tätigkeit mit 443,87 EUR gegenüber dem AG abgerechnet. Dabei sind die Gebühren Nr. 4101, 4104 VV RVG mit netto 192,00 EUR abgerechnet worden. Mit Schriftsatz vom 26.11.2020 hat er Kollege nach Verurteilung des Angeklagten seine Pflichtverteidigertätigkeit gegenüber dem LG abgerechnet. Der Rechtspfleger hat diese Gebühren abgesetzt, da sie bereits für Rechtsanwältin D. entstanden seien und mit Schreiben vom 12.2.2019 auf die bereits entstandenen Gebühren verzichtet worden sei. Auf die sofortige Beschwerde des Kollegen hat das LG diese Gebühren dann aber festgesetzt. Auf das dagegen gerichtete Rechtsmittel der Bezirksrevisorin hat das OLG die Gebührenfestsetzung des Rechtspflegers wieder hergestellt.

Begründung:

„Der Beschwerdegegner hat in seinem Schriftsatz vom 12. Februar 2019, in dem er für den inzwischen Verurteilten, den Antrag auf Pflichtverteidigerwechsel gestellt hat, erklärt, im Falle eines Wechsels sein Wahlmandat niederzulegen und auf bereits entstandene Gebühren zu verzichten. Im Hinblick hierauf hat die Staatsanwaltschaft erklärt, sich einem Pflichtverteidigerwechsel nicht entgegenzustellen. Nachdem das Amtsgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 13. März 2019 die vormalige Pflichtverteidigerin entpflichtet und den Beschwerdegegner zum Pflichtverteidiger bestellt hat, ist die Bedingung, unter der der Beschwerdegegner seinen Gebührenverzicht erklärt hat, eingetreten. Aufgrund dieses Verzichts, der nicht lediglich hilfsweise, sondern eindeutig erklärt worden ist, hat der Beschwerdegegner keinen Anspruch auf die vom Rechtspfleger abgesetzten Gebühren, die bereits bei der vormaligen Pflichtverteidigerin entstanden sind. Der Umstand, dass das Amtsgericht die Voraussetzungen für eine Entpflichtung der vormaligen Pflichtverteidigerin wegen einer Störung des Vertrauensverhältnisses zum inzwischen Verurteilten später entpflichtet hat, ist insoweit ohne Belang. Auch ist es nicht unbillig, dem Beschwerdeführer die Gebühren, auf die er zuvor wirksam verzichtet hat, gleichwohl zuzuerkennen.“

Wie gesagt: Leider – wie so vieles aus Frankfurt – falsch. Das OLG übersieht m.E., dass für einen Pflichtverteidigerwechsel unterschiedliche Gründe vorliegen können. Es kann sich um einen sog. einvernehmlichen und kostenneutralen Wechsel handeln oder um eine Entpflichtung und Umbeiordnung wegen Störung des Vertrauensverhältnisses. Legt man diese zutreffende Sicht zugrunde, hätte hier nicht auf den Verzicht des neuen Pflichtverteidigers abgestellt werden dürfen. Denn „umbeigeordnet“ worden ist wegen einer Störung des Vertrauensverhältnisses und zwar in vollem Umfang. Der Beiordnungsbeschluss des AG v. 13.03.2019 enthielt zudem auch keinerlei Einschränkungen hinsichtlich der beim neuen Pflichtverteidiger entstehenden Gebühren, so dass sich auch schon von daher die Frage stellt, ob die Gebühren Nr. 4101, 4104 VV RVG zur Recht nicht festgesetzt worden sind. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Verzicht im Antrag vom 12.02.2019. Denn der war erkennbar auf einen „einvernehmlichen“ Wechsel im Hinblick auf eine kostenneutrale Umbeiordnung erklärt und ist im Übrigen auch von der Staatsanwaltschaft, wie deren Stellungnahme zu dem Antrag vom 12.02.2019 zeigt, so verstanden worden. Alles andere macht auch keinen Sinn. Zumindest stand dieser Verzicht unter dem Vorbehalt eines „einvernehmlichen Wechsels“, zu dem es aber nicht gekommen ist. Für einen Verzicht auch für den Fall eines „gestörten Vertrauensverhältnisses“ hatte der Kollege überhaupt keinen Anlass. Die Entscheidung des OLG geht – mal wieder zu Lasten eines Verteidigers – an der Interessen- und Rechtslage vorbei.

Pflichti I: Bestellung im Strafvollstreckungsverfahren, oder: Prüfung der Prognose und Therapiemaßnahmen

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Und heute dann mal wieder ein „Pflichti“-Tag, den ich mit einer Entscheidung des LG Amberg zur Bestellung im Strafvollstreckungsverfahren beginne. Das LG hat mit dem LG Amberg, Beschl. v. 09.11.2021 – StVK 916/21 – einen Pflichtverteidiger bestellt:

„Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO entsprechend vor. Im Vollstreckungsverfahren ist ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben, wenn die Schwere der Tat oder die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, das gebietet.

Vorliegend gebietet die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers.

Der Verurteilte beantragte mit Schreiben vom 01.06.2021 die Strafaussetzung des Strafrestes zur Bewährung.

Mit Stellungnahme vom 25.06.2021 befürwortete die Justizvollzugsanstalt Amberg eine Aussetzung unter der Voraussetzung einer stationären Spielsuchttherapie, um die Sozialprognose langfristig zu verbessern.

Die Staatsanwaltschaft Hof beantragte die Aussetzung des Strafrestes, wobei die Weisung einer Sozialtherapie beantragt wurde. Sollte eine solche nicht gesichert sein, werde einer Bewährung entgegengetreten.

Auf Nachfrage der Kammer, ob eine Sozialtherapie gesichert sei, nahm der Verteidiger mit Schriftsatz vom 28.07.2021 Stellung. Auf diesen wird Bezug genommen.

Schließlich regte die Staatsanwaltschaft die Erholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage an, ob eine Sozialtherapie oder Verhaltenstherapie sinnvoll sei und wie eine solche Therapie ausgestaltet werden solle, insbesondere ob sie ambulant oder stationär stattfinden solle.

Die Kammer kam diesem Vorschlag mit Beschluss vom 01.09.2021, auf den Bezug genommen wird, nach.

Schließlich nahmen der Verteidiger und der Verurteilte den Antrag auf Aussetzung der Reststrafe zurück. Zu einer Erstattung eines Gutachtens kam es deshalb nicht mehr.

Vorliegend war im Verfahren gemäß § 57 StGB nicht nur zu beurteilen, ob beim Verurteilten eine günstige Prognose vorliegt oder nicht, vielmehr war (vorab) die Frage zu klären, ob zur Verbesserung der Sozialprognose eine Therapiemaßnahme angezeigt ist oder nicht, welche Therapiemaßnahme – Sozialtherapie, Verhaltenstherapie oder Spielsuchttherapie – sinnvoll ist, und ob eine entsprechende Therapiemaßnahme ambulant oder stationär durchzuführen ist.

Aus Sicht der Kammer ist deshalb eine besondere Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage zu bejahen. Die Mitwirkung eines Verteidigers war im Einzelfall geboten.“

Pflichti III. Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung, oder: Auch das LG Wuppertal macht es richtig

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Und zum Tagesschluss dann noch der LG Wuppertal, Beschl. v. 08.10.2021 – 26 Qs 175/21 – zur Problematik/Frage der Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung eines Pflichtverteidigers. Über die Frage habe ich ja schon häufig berichtet. Heute dann also noch einmal, und zwar mit dem LG Wuppertal-Beschluss, der es – wie die wohl überwiegende Meinung – richtig macht und rückwirkend – nach Einstellung des Verfahrens nach § 154 StPO – bestellt.

Hier nur der Leitsatz der Entscheidung:

Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist jedenfalls dann zulässig, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt, wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 Abs. 1, 2 StPO vorlagen und die Entscheidung durch behördeninterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte.

Pflichti II: Ende der Bestellung nach § 408b StPO?, oder: Nicht „per se“ mit dem Einspruch gegen Strafbefehl

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Die zweite Pflichtverteidigungsentscheidung, der LG Oldenburg, Beschl. v. 26.10.2021 – 4 Qs 424/21 – ist nichts zum Aufregen. Zum Glück. Es handelt sich vielmehr um eine sehr „schöne“ Entscheidung zu der Frage, die zum alten Recht der Pflichtverteidigung umstritten war, ob nämlich die nach § 408b StPO im Strafbefehlsverfahren erfolgte Pflichtverteidigerbestellung über die Einspruchseinlegung hinaus andauert und mit Einlegung des Einspruchs endet. Das LG Oldenburg macht es „richtig“, und zwar so wie schon die h.M. zum alten Recht. Die  Bestellunbg dauert fort:

„2. Die sofortige Beschwerde ist begründet. Die Verfügung war rechtsfehlerhaft und daher aufzuheben. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts endet eine Pflichtverteidigerbeiordnung nach § 408b StPO nicht per se mit dem Einlegen des Einspruchs.

Die Strafprozessordnung enthält keine Spezialregelung über die Dauer der Pflichtverteidigerbeiordnung im Strafbefehlsverfahren. Daher sind im Verfahren nach § 408b StPO grundsätzlich die allgemeinen Regeln über die notwendige Verteidigung anzuwenden. Dies hat der Gesetzgeber nunmehr auch bewusst dadurch deutlich gemacht, dass er die Verweisung in § 408b S. 2 StPO a. F., welche lediglich auf § 141 Abs. 3 StPO verwiesen hatte, mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung gestrichen hat. Hiermit sollte klar zum Ausdruck gebracht werden, dass die gesamten Regelungen der §§ 141 ff. StPO auch im Rahmen der Pflichtverteidigerbeiordnung nach § 408b StPO anwendbar sein sollen (vgl. BR-Drucks. 364/19, S. 53). Die früher streitige Frage über die Reichweite der notwendigen Verteidigung nach § 408b StPO ist damit durch den Gesetzgeber beantwortet worden. Aus der Neuregelung folgt, dass auch § 143 Abs. 1 und Abs. 2 StPO im Verfahren nach § 408b StPO grundsätzlich uneingeschränkt anwendbar ist und sich die Beendigung der Bestellung nach diesen Normen richtet. Danach endet die Bestellung eines Pflichtverteidigers entweder mit der Einstellung oder dem rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens oder mit der Aufhebung der Beiordnung durch das Gericht. Das Gericht kann die Bestellung dann nach § 143 Abs. 2 S. 1 StPO aufheben, wenn die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung nicht mehr vorliegen. Ein automatisches Ende für den Fall, dass die Voraussetzungen der Beiordnung nicht mehr vorliegen, sieht die Strafprozessordnung dagegen nicht vor.

Dies bedeutet für das Strafbefehlsverfahren, dass die Bestellung zweifellos endet, wenn der Strafbefehl in Rechtskraft erwächst. Legt der Angeschuldigte hingegen Einspruch ein, ist zu differenzieren. Ist eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten, hat die Bestellung schon nach § 140 Abs. 2 StPO fortzudauern. Ist hingegen, wie in diesem Fall, eine darunterliegende Freiheitsstrafe zu erwarten, so kann die Bestellung im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts nach § 143 Abs. 2 S. 1 StPO aufgehoben werden (vgl. Meyer/Goßner, § 408b, Rn. 10). § 143 Abs. 2 S. 1 StPO ist aufgrund der bereits dargestellten Grundsätze ebenfalls im Verfahren nach § 408b StPO anwendbar. Eine besondere Regelung für die Beendigung der Beiordnung nach § 408b StPO existiert nicht, es bleibt daher bei der allgemeinen Regelung.

Eine solche Regelung erscheint auch sachgerecht. ….. „

Die Frage/Entscheidung hat ggf. auch gebührenrechtliche Auswirkungen.