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E-Scooter versus ÖPNV – der Linienbus muss ihn nicht unbedingt mitnehmen.

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Zu der Thematik, ob E-Scooter in Linienbussen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) befördert werden müssen, hatte ich vor einiger Zeit auf das dazu anhängige Einstweilige Verfügungsverfahren hingewiesen. Jetzt liegt die Entscheidung in der Haupsache, von der die Kieler Verkehrsbetriebe betroffen ist, vor. Das OLG Schleswig, hat im OLG Schleswig, Urt. v.  09.11.2017 2 U 6/16, dass, Busse müssen E-Scooter nur bei Einhaltung der Sicherheitsanforderungen mitgenommen werden müssen. Das LG hatte die Beförderungsverweigerung durch die Kieler Verkehrsbetribe abgesegnt.Das hat beim OLG gehalte – ander noch das OLG in der Eilentscheidung. Der Kläger könne nicht mehr verlangen, dass der Beklagten verboten wird, unterschiedslos alle E-Scooter von der Beförderung auszuschließen. Die Situation habe sich durch den am 15.03.2017 in Kraft getretenen Erlass grundlegend geändert. Die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Gefahr eines zukünftigen rechtswidrigen Verhaltens der Beklagten bestehe nicht. Seit dem 15.03.2017 richte sich die Frage der Rechtmäßigkeit nach den Regelungen des Erlasses. Es bestehe nicht die Befürchtung, dass die Beklagte die Beförderung von E-Scootern nicht nach Maßgabe des Erlasses vornehmen könnte. Die Beklagte habe nicht nur ausdrücklich erklärt, sie werde die E-Scooter entsprechend den Vorgaben des Erlasses befördern. Vielmehr lasse auch ihr gesamtes bisheriges Verhalten keinen Zweifel daran, dass sie sich der bundeseinheitlichen Regelung nicht widersetzen wird. Sie habe die Beförderung von E-Scootern zu keinem Zeitpunkt aus grundsätzlichen Erwägungen heraus abgelehnt, sondern stets im Hinblick auf die bestehende Rechtsunsicherheit und die drohenden Haftungsrisiken. Mit der erlassgemäßen Beförderung sei zugleich gewährleistet, dass die Beklagte die Beförderung von E-Scootern in ihren Bussen nicht unterschiedslos ausschließt.

 

Das Überholen einer Fahrzeugkolonne, und/oder: Haftungsabwägung bei Panikreaktion

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Aus dem „Kessel Buntes“ dann noch das OLG Schleswig, Urt. v. 24.03.2017 – 7 U 73/16. Es hat einen Verkehrsunfall zum Gegenstand, der m.E. gar nicht so selten sein dürfte. Die Klägerin hatte mit ihrem Pkw eine Bundesstraße befahren. Ihr kam der Beklagte mit seinem Pkw entgegen, der mehrere Fahrzeuge überholte. Er will die Klägerin zwar in einer von ihm geschätzten Entfernung von 800 bis 1000 m gesehen haben, hatte aber gedacht, dass er noch „locker“ die beiden vor ihm in einer Kolonne fahrenden Fahrzeuge überholen könnte. Als sich die Fahrzeuge näher kamen, betätigte die Klägerin die Lichthupe und wich schließlich nach rechts aus. Dabei verlor sie die Kontrolle über ihr Fahrzeug. Sie wurde schwer verletzt, der Pkw beschädigt. Das LG hat der Klägerin 40 % Mithaftung angerechnet, das OLG sieht das anders und kommt zur Alleinhaftung des Beklagten, und zwar mit folgendem Begründungsstrang:

  • Das LG hatte einen Verkehrsverstoß des Beklagten gegen § 5 Abs. 2 Satz 1 StVO (unzulässiges Überholen, obwohl Behinderung des Gegenverkehrs nicht ausgeschlossen ist) festgestellt. Das sieht das OLG aufgrund der Beweisaufnahme ebenso.
  • Außerdem hat der Beklagte „auch gegen § 5 Abs. 2 Satz 1 StVO verstoßen, weil er trotz Gegenverkehrs eine Kolonne mit mehreren Fahrzeugen überholt hat. Wer eine Fahrzeugkolonne überholen will, muss die Gewissheit haben, dass er vor Annäherung des Gegenverkehrs sich entweder vor das vorderste Fahrzeug setzen oder wenigstens in eine zum Einscheren ohne Gefährdung oder Behinderung der Rechtsfahrenden ausreichende Lücke einfahren kann (vgl. BHHJJ/Heß, 24. Aufl., 2016, StVO § 5 Rn 20). Dies war hier nicht gegeben, denn jedenfalls der Zeuge K hat bekundet, er habe dicht auf das vor ihm fahrende Fahrzeug auffahren müssen, um für den Beklagten zu 1) eine Lücke zu schaffen (vgl. Bl. 234 d. A.). Da der Beklagte zu 1) nicht damit rechnen konnte, dass der Zeuge K sich in diese für ihn gefährliche Situation begeben würde, um ein Einscheren zu ermöglichen, hätte er von einem Überholvorgang Abstand nehmen müssen.“
  • Zu Lasten der Klägerin ist „lediglich die Betriebsgefahr des Fahrzeugs in die Abwägung einzustellen. Eine Erhöhung der Betriebsgefahr aufgrund eines Verkehrsverstoßes seitens der Klägerin ist nicht bewiesen. Denn ein solcher Verkehrsverstoß (wie z.B. fehlendes Bremsen) steht nicht mit hinreichender Sicherheit fest. Dass für die Klägerin zu 1) der Unfall nach den eingeholten Rekonstruktionsgutachten je nach Unfallkonstellation durch Beibehaltung der konstanten Geschwindigkeit oder jedenfalls durch die Einleitung einer Bremsung vermeidbar gewesen wäre, steigert die Betriebsgefahr nicht. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für den Fall des berührungslosen Unfalls anerkannt, dass eine Ausweichreaktion, die in Ansehung eines überholenden Kraftfahrzeugs in Gegenrichtung vorgenommen wird, dem Überholenden zuzurechnen ist (BGH, Urteil vom 21.9.2010, VI ZR 263/09, VersR 2010,1614-1615, juris Rn. 8, zitiert nach Juris). Dies gilt auch dann, wenn es sich hierbei um eine voreilige – also objektiv nicht erforderliche – Ausweichreaktion handelt (vgl. BGH Urteil vom 26.4.2005, VI ZR 168/04, VersR 2005,992-993, Juris Rn. 12)….“
  • Eine Zurechnung der Ausweichreaktion der Klägerin „entfällt auch nicht aus dem Grund, dass der Beklagte zu 1) bereits seinen Überholvorgang, wie die Anschlussberufung unter Vornahme einer Weg-Zeit-Berechnung vorbringt, „längst“ abgeschlossen hatte und sich mindestens seit sieben Sekunden wieder auf der rechten Fahrspur befunden haben soll. Zwar hält der Sachverständige M auch eine solche Unfallkonstellation technisch für möglich, bei der der Beklagte zu 1) bereits „seit geraumer Zeit“ wieder auf die rechte Fahrspur eingeschert war. Erwiesen ist diese Konstellation allerdings nicht und kann deshalb bei der Abwägung der Verursachungsanteile auch nicht berücksichtigt werden. Die bloße Möglichkeit des von den Beklagten geschilderten Unfallablaufs genügt nicht. Die von den Beklagten vorgelegte Weg-Zeit-Berechnung kann schon deshalb nicht bei der Schadensverteilung als feststehender Sachverhalt berücksichtigt werden, weil ihr tatsächliche Annahmen zugrunde liegen, die nicht feststehen (insbesondere zum Punkt, an dem der Beklagte zu 1) mit seinem Fahrzeug zum Überholen ansetzte und zur von ihm gefahrenen Geschwindigkeit).“

Und damit galt: Die somit allein zu berücksichtigende Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Klägerin trat gegenüber dem erheblichen, grob verkehrswidrigen Verkehrsverstoß des Beklagten zurück. Er war übrigens – wie das OLG meint ist zu recht – aufgrund des Unfalls wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung gem. § 315 c StGB verurteilt worden.

Auswertung von Kipo-Dateien, oder: 9.331,74 € muss die Staatskasse selbst tragen

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Nun, was kann man an Karfreitag noch für Entscheidungen vorstellen. Nicht alle passen ja so gut, wie der OLG Hamm, Beschl. v. 29.05.2016 – 2 RBs 59/16 – und dazu: „Das Leben des Brian“, oder: (Film)Vorführung am Krafreitag erlaubt?. Ich habe mich dann für den OLG Schleswig, Beschl. v. 10.01.2017 – 2 Ws 441/16 (165/16) – entschieden. Kein Bezug zu Ostern, aber vielleicht für den ein oder anderen Verteidiger dann doch ein schönes Osterei. Denn in der Entscheidung kann „Geld stecken“.  Sie betrifft nämlich eine Problematik, die in der Praxis häufiger auftritt und die in die Rubrik gehört: Und das dicke Ende kommt dann noch.. So auch hier. Der Angeklagte ist wegen Verbreitung kinderpornografischer Schriften in 14 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden, welche zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Er hat u.a. die Kosten des Verfahrens zu tragen. Es wird dann unter Bezugnahme auf Nr. 9005 KV-GKG eine Sachverständigenvergütung in Höhe von 9.331,74 € zu seinen Lasten festgesetzt. Zugrunde liegt dem eine auf diesen Betrag lautende Rechnung der Firma X. GmbH gegenüber der Staatsanwaltschaft über ein Gutachten zur forensischen Auswertung von sichergestellten Datenträgern. Um die Berechtigung dieses Kostenansatzes wird gestritten.

Das OLG Schleswig sagt: Der Ansatz der Sachverständigenkosten muss zwar nicht schon deshalb unterbleiben, weil es eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne des § 21 Abs. 1 GKG darstellt, dass im Rahmen der Auswertung von sichergestellten Datenträgern überhaupt ein externes Sachverständigengutachten eingeholt worden ist. Jedoch können die Sachverständigenkosten nicht gemäß Nr. 9005 KV-GKG als Auslagen dem Verurteilten weiter belastet werden, weil die abgerechneten Leistungen nicht die Leistungen eines Sachverständigen darstellen:

„2. Indessen sieht der Senat nicht, dass die von der Firma X. GmbH abgerechneten Dienstleistungen die Qualität eines Sachverständigengutachtens hätten. Mangels eines andersgearteten geeigneten Auslagentatbestands sind damit die tatsächlich entstandenen Auslagen mit der Verfahrensgebühr nach GKG abgegolten bzw. aus Haushaltsmitteln zu finanzieren.

Die Aufgabe eines Sachverständigengutachtens besteht darin, dem Richter oder Staatsanwalt die Kenntnis von Erfahrungssätzen zu übermitteln und ggf. aufgrund solcher Erfahrungssätze Tatsachen zu ermitteln (BGH, Urteil vom 18. Mai 1951 – 1 StR 149/51 -, NJW 1951, 771). Die bloße Vornahme einer organisatorischen oder technischen Dienstleistung allein reicht nicht, mag auch hierfür umfangreiches Expertenwissen erforderlich sein………….

Nicht anders liegt es aber auch im vorliegenden Fall:

Mit Auftrag der Kriminalpolizeistelle K. vom 2. Dezember 2012, wurde im Wesentlichen um eine Auflistung kinderpornografischer Dateien in einer Excel-Tabelle gebeten und im Falle eines Auffinden von Mails kinderpornografischen Inhalt um die Mitteilung von Daten von Absender, Empfänger und Datum sowie Fundstelle des Ausdrucks. Laut dem vorliegenden Gutachten der Firma X. GmbH wurden der beschlagnahmte Rechner und die beschlagnahmten Datenträger mittels einer dafür geeigneten Software auf die Existenz von kinderpornografischen Darstellungen untersucht wie auch – insoweit zum Teil überschießend – unter Verwendung von hinterlassenen Spuren das einschlägige Kommunikationsverhalten des Betreibers des Rechners. Die Ergebnisse wurden in geeigneter Weise teils tabellarisch, teils auszugsweise sichtbar gemacht.

Der Senat verkennt nicht, dass die von der Firma X. GmbH erbrachte Leistung die Anwendung einer spezifischen Software ebenso voraussetzt wie ein diese Anwendung begleitendes entsprechendes fachliches Wissen, welches dasjenige eines durchschnittlichen Computerbenutzers in den Justizbehörden übersteigen dürfte. Allerdings wurde auf diese Weise – wie es die Beschwerdekammer des Landgerichts richtig gesehen hat – nicht mehr erbracht als eine technische Sichtbarmachung von Datenmaterial und eine technisch bedingte Vorsortierung von Dateimaterial, dessen Bewertung im Übrigen selbstverständlich von den ermittelnden Polizeibeamten oder Staatsanwälten noch vorzunehmen war. Eine Beantwortung spezifischer Fragestellungen auf dem Gebiet der Informationstechnologie – allein hierfür dürfte die Firma X. GmbH auch fachlich ausgewiesen sein – war weder in Auftrag gegeben worden noch ist sie erfolgt.

So hätte es – vielleicht – liegen können bei der Erstellung eines spezifischen Kommunikationsprofils in Bezug auf wiederholtem Kontakt zu bestimmten Internet-Adressen oder bei Fragen nach der Wirksamkeit oder der Provenienz bestimmter Verschlüsselungstechnologien, wenn derartige Fragen gestellt worden wären. Dies war aber nicht der Fall und hätte zudem eine erste „Durchsicht“ des Datenmaterials erfordert, welche vor Beauftragung der Firma X. GmbH gerade noch nicht geleistet worden war. Auch liegt der Fall nicht etwa derart, dass die Firma X. GmbH eine Auswertung mittels eines allein von ihr entwickelten speziellen Verfahrens vorgenommen hätte; die laut Angaben des Gutachtens eingesetzte Software EnCase Version 6.16 ist vielmehr ein auf dem Markt erhältliches Produkt des Herstellers „Guidance Software“, welches nach Erwerb und Schulung grundsätzlich auch von anderen IT-Spezialisten angewendet werden kann. Damit verbleibt die Leistung der X. GmbH im Bereich der bloßen technischen Dienstleistung. Die – technisch qualifizierte – Erleichterung der im Ermittlungsverfahren ohnehin notwendigen Durchsicht eines Datenbestandes mittels Sichtbarmachung und Vorsortierung allein macht diese Dienstleistung aber noch nicht zu einem Sachverständigengutachten.“

Muss/sollte man sich als Verteidiger merken bzw. im Auge behalten. Und: Die Abrechnung der entsprechenden Tätigkeiten erfolgt über Vorbem. 4 Abs. 5 VV RVG i.V.m. Teil 3 VV RVG, und zwar der Nr. 3500 VV RVG.

Und immer wieder manipulierter Unfall, oder: Eine Häufung von Beweisanzeichen spricht für Manipulation

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Ich habe gerade erst in der letzten Woche im „Kessel Buntes“ eine Entscheidung zur Unfallmanipulation, und zwar das LG Bochum, Urt. v. 17.10.2016 – I 5 O 291/15 (vgl. dazu: Unfallmanipulation? – die Daten des Electronic Data Recorders sprechen (auch) dafür).  Heute weise ich zu der Problematik „Unfallmanipulation“ auf den OLG Schlewig, Beschl. v. 23.09.2016 – 7 U 58/16 – hin, der auch noch einmal zur Beweislast und Beweiswürdigung bei dem Verdacht auf ein vorgetäuschtes oder manipuliertes Unfallgeschehen Stellung nimmt. Es handelt sich um einen gem. § 522 Abs. 2 ZPO ergangenen Beschluss, in dem es zu einem „Parkplatunfall“ heißt:

Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) berechtigt das Gericht, die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse grundsätzlich nach seiner individuellen Einschätzung zu bewerten, wobei der Richter lediglich an die Denk- und Naturgesetze sowie sonstigen Erfahrungssätze gebunden ist. Ein Verstoß gegen diese Grundsätze ist nicht erkennbar. Infolge der Neuregelung in § 529 ZPO steht die Wiederholung der Beweisaufnahme außerdem nicht mehr im reinen Ermessen des Berufungsgerichts. Sie ist im Sinne eines gebundenen Ermessens vielmehr nur dann zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen begründen und eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand mehr haben werden, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (vgl. Zöller-Heßler, ZPO, 31. Aufl. § 529 Rn. 3 + 4). Solche konkreten Anhaltspunkte werden mit der Berufung jedoch nicht vorgetragen.

Die ungewöhnliche Häufung von Beweisanzeichen kann die Feststellung rechtfertigen, dass sich ein Unfall entweder überhaupt nicht ereignet oder aber es sich um ein manipuliertes Unfallgeschehen handelt. Beweisanzeichen können sich zum Beispiel ergeben aus dem Unfallhergang, der Art der Schäden, der Art der beteiligten Fahrzeuge, Anlass der Fahrt, fehlende Kompatibilität, persönliche Beziehungen oder wirtschaftliche Verhältnisse (vgl. OLG Celle, Urteil vom 8. Oktober 2015, NZV 2016, 275-276). Grundsätzlich obliegt es dem Geschädigten eines Verkehrsunfalls, die Verursachung des geltend gemachten Schadens durch das gegnerische Fahrzeug darzutun und zu beweisen. Die Haftung des Schädigers entfällt dann, wenn in ausreichendem Maße Umstände vorliegen, die die Feststellung gestatten, dass es sich bei dem Schadensereignis entweder überhaupt nicht um einen Unfall oder aber um ein manipuliertes Unfallgeschehen handelt. Im letzteren Fall scheitert ein Ersatzanspruch an der Einwilligung des Geschädigten. Den Nachweis, dass ein vorgetäuschter Unfall vorliegt, hat grundsätzlich der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung zu führen. Doch genügt für den Nachweis die „erhebliche Wahrscheinlichkeit“ für unredliches Verhalten. Eine ungewöhnliche Häufung von Beweisanzeichen, die für eine Manipulation spricht, gestattet eine entsprechende Feststellung gemäß § 286 ZPO (vgl. BGH NJW 1978, 2154; KG Berlin, Urteil vom 29. April 2002, VersR 2003, 610-613).

Bei Heranziehung der oben genannten Maßstäbe drängen sich auch dem Senat – unter Berücksichtigung der gesamten Einwendungen der Beklagten – hier hinreichend gewichtige Indizien für ein fehlendes oder aber manipuliertes Unfallgeschehen auf. Unter Ziffer a bis h (vgl.S. 5-7 des angefochtenen Urteils) hat das Landgericht entsprechende Beweisanzeichen aufgezählt, die hier für ein fehlendes oder aber manipuliertes Unfallgeschehen sprechen. Die Bekundungen des Zeugen W (Ehemann der Klägerin) vermögen der Klage nicht zum Erfolg zu verhelfen. Schließlich hat sich die Klägerin weder im ersten Rechtszug noch im Berufungsrechtszug auf das Zeugnis der vermeintlichen Schädigerin, Frau R, berufen, was in diesem Fall zur Glaubhaftmachung des behaupteten Unfallgeschehens nahe gelegen hätte. Unstreitig hatte sich der Ehemann der Klägerin – wie er selbst bekundet hat- nämlich die Daten von Frau R geben lassen und sogar notiert. Von dem Vorschaden aufgrund eines vorausgegangenen Unfalls vom 12. Dezember 2012 ( LG I, Az.: ) war zunächst keine Rede. Schließlich ist die behauptete Kollision auch nicht anhand der von dem Klägervertreter im Termin am 22. April 2016 präsentierten Unfallskizze (Bl. 99 GA) plausibel dargelegt. So soll bei dem schlichten Einparkvorgang die gesamte linke Seite des klägerischen Pkw Mercedes Kombi (amtl. Kennzeichen…, E-Klasse E 280 CDE, Erstzulassung 12. Juli 2006, Laufleistung 232.556 km) beschädigt worden sein. Ausweislich des Lichtbildes Nr. 9 des Sachverständigengutachtens W vom 6. Oktober 2014 (Bl. 19 GA) erfolgte der erste Anstoß offenbar bereits an dem hinteren linken Reifen und setzte sich dann über die gesamte linke Seite bis zum vorderen Kotflügel fort. Im Hinblick auf dieses Schadensbild muss sich die Kollision unter einem extrem flachen Anstoßwinkel, praktisch in einer parallelen Vorbeifahrt ereignet haben. Typischerweise verhalten sich Autofahrer beim Einparkvorgang in eine Parklücke jedoch stets bremsbereit, so dass ein solch ausgedehntes Schadensbild zumindest erklärungsbedürftig erscheint.“

Schönes vom OLG Schleswig, oder: Der Wahlverteidiger verdient so viel wie der Pflichti/die Nebenklage

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Die zweite gebührenrechtliche Entscheidung, die ich heute vorstellen möchte, ist der OLG Schleswig, Beschl. v. 02.02.2017 – 1 Ws 11/17 (23/17). Der ist „schön“, zumindest (viel) schöner als der OLG Rostock, Beschl. v. 18.01.2017 – 20 Ws 21/17 (vgl. dazu Die „besondere Bedeutung“ beim OLG Rostock, oder: Vielleicht doch mal einen Blick in einen Kommentar?).

Auch hier geht es um die Kostenfestsetzung nach Freispruch. Im Streit sind beim OLG noch die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG, die die Rechtspflegerin mit 110,– € (!) angesetzt hatte und die Verfahrensgebühr im Revisionsverfahren Nr. 4130 VV RVG, die mit 200,– € bemessen worden ist. Der Verteidiger hat sich damit nicht zufrieden gegeben und Rechtsmittel eingelegt und geltend gemacht, dass die Gebühren mindestens in Höhe der Gebühren für einen Pflichtverteidiger festzusetzen seien. Und das OLG gibt ihm Recht, wobei hinzuweisen ist auf folgende Punkte aus der Begründung:

„………..Die Tätigkeit des Verteidigers im vorbereitenden Verfahren erstreckte sich mitnichten lediglich auf die Anfertigung einer kurzen Stellungnahme, sondern auch auf das Betreiben des Beschwerdeverfahrens, mehrfachen Schriftwechsel mit der Staatsanwaltschaft und wiederholte Akteneinsichtnahmen. Im Übrigen war die Sache von erheblicher Bedeutung. Immerhin war der Angeklagte u. a. wegen eines Verbrechens des besonders schweren Falls der Vergewaltigung angezeigt worden, was zwar (nur) zu einer Anklage wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen, aber immerhin vor der großen Jugendkammer des Landgerichts führte. Vor diesem Hintergrund war die Gebühr Nr. 4104 jedenfalls in Höhe der Gebühren für einen Pflichtverteidiger in Höhe von 132,– € alles andere als unbillig.

Auch die geltend gemachte Revisionsgebühr in Höhe der Pflichtverteidigergebühr von 492,– € ist nicht unbillig. …………. Die Sache ist für den Angeklagten auch nicht unbedeutend. Immerhin wäre das Revisionsverfahren nicht vor dem Oberlandesgericht — wie die Rechtspflegerin irrtümlich annimmt -, sondern vor dem Bundesgerichtshof zu führen gewesen. Da es sich um eine Revision der Staatsanwaltschaft handelte, lag auch kein Verschlechterungsverbot gem. § 358 Abs. 2 StPO vor, und der Angeklagte sah sich der ganzen Strafdrohung des § 182 Abs. 3 StGB von Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren ausgesetzt.

Bei der Prüfung der Unbilligkeit der Forderung darf auch nicht unberücksichtigt gelassen werden, dass die Rechtspflegerin des Landgerichts der Nebenklägervertreterin ohne jede Beanstandungen die Revisionsgebühr Nr. 4130 VV RVG in Höhe von 492,– € zugebilligt hatte. Es erscheint als unbillig, den Verteidiger des Angeklagten, der — anders als die Nebenklägervertreterin — eine nach außen sichtbare Tätigkeit in Form der Anfertigung einer Revisionserwiderung entfaltet hat, auf eine Gebühr in Höhe von lediglich 200,– € zu verweisen.“

Noch schöner wäre es, wenn das OLG geschrieben hätte, dass dem Wahlanwalt immer Gebühren in Höhe mindestens der Pflichtverteidigergebühren zustehen (vgl. dazu AG Köthen, Beschl. v. 22.11.2016 – 13 OWi 31/16 und RVG II: AG Köthen, oder: Sind die Pflichtverteidigergebühren die untere Grenze für die Wahlanwaltsgebühren?). Aber das wäre dann zu schön gewesen 🙂 .