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Einziehung III: (Ganz) kleine Rechtsprechungsübersicht, oder: Weiterverkauf von BtM, Spesen, Entreicherung

entnommen openclipart.org

Und dann noch der Rest an Einziehungsentscheidungen aus meinem Blogordner, und zwar:

„Im Fall 2 der Urteilsgründe begegnet die Einziehungsanordnung durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Nach den Feststellungen des Landgerichts wurden dem Angeklagten im Fall 2 der Urteilsgründe 106 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 15 Prozent im Wert von 4.000 Euro geliefert, die er gewinnbringend weiterverkaufen wollte. Durch diese Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erlangte der Angeklagte Kokain. Das Landgericht hat einen dessen Wert entsprechenden Geldbetrag (4.000 Euro) nach §§ 73, 73c StGB eingezogen.

Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zutreffend hat der Generalbundesanwalt darauf hingewiesen, dass zum gewinnbringenden Weiterverkauf erlangte Betäubungsmittel nicht Taterträge im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB sind, sondern Tatobjekte, die nach § 33 Satz 1 BtMG iVm § 74 Abs. 2 StGB eingezogen werden können. Die Einziehung des Wertersatzes richtet sich dementsprechend nach § 74c StGB. Voraussetzung hierfür ist, dass das Tatobjekt dem Täter zur Tatzeit gehörte oder zustand. Werden Betäubungsmittel wie hier aber im Inland erworben, kann der Käufer wegen § 134 BGB kein Eigentum an den Drogen erlangen (BGH, Beschluss vom 9. November 2021 – 5 StR 244/21).

Das Urteil beruht auf dem Rechtsfehler (§ 337 Satz 1 StPO). Anders als in den übrigen Fällen ist im Fall 2 gerade nicht festgestellt, dass dem Angeklagten der Erlös aus einem etwaigen Weiterverkauf zugeflossen ist. Die Voraussetzungen einer Wertersatzeinziehung nach §§ 73, 73c StGB von 4.000 Euro als Mindestverkaufserlös liegen somit nicht vor. Wie vom Generalbundeanwalt beantragt, hat der Senat den Ausspruch über die Anordnung der Einziehung des Wertes daher in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO um 4.000 Euro reduziert.“

„Die Einziehungsentscheidung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Nach den Feststellungen erhielt die Angeklagte den Betrag von 1.500 Euro von einem der Hintermänner, um damit das für die Tatausführung erforderliche Fahrzeug anmieten und Übernachtungskosten bezahlen zu können.

Bei dieser Sachlage hat die Angeklagte den Geldbetrag – anders als es bei der erstrebten Teilhabe an der Tatbeute läge – nicht für die Taten, sondern für deren Durchführung erlangt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2010 – 4 StR 277/10; NStZ-RR 2011, 283, 284 mwN).

Derartige „Spesen“ unterliegen als Tatmittel der Einziehung nach § 74 Abs. 1 und § 74c Abs. 1 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 2002 – 3 StR 240/02; Urteil vom 25. Februar 1993 – 1 StR 808/92; BGHR StGB § 74 Abs. 1 Tatmittel 4). Die Einziehung des Tatmittels beziehungsweise dessen Wertes nach § 74c Abs. 1 StGB steht jedoch im pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2020 – 6 StR 34/20). Eine solche Ermessensentscheidung hat das Landgericht – von seinem rechtlichen Standpunkt aus konsequent – nicht getroffen.

Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben, weil sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO).“

1. § 459 Abs. 5 S. 1 StPO in der ab 01.07.2021 geltenden Fassung findet ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens auf Einziehungsentscheidungen Anwendung, auch wenn die der Einziehung zugrundeliegende Tat vor dem 01.07.2021 begangen wurde. Der Meistbegünstigungsgrundsatz aus § 2 Abs. 3 StGB ist auf § 459g Abs. 5 S. 1 StPO nicht anzuwenden (Anschluss OLG Stuttgart, Beschluss vom 20.12.2022, 4 Ws 514/22, und OLG Schleswig, Beschluss vom 07.07.2022, 2 Ws 63/22, sowie OLG Hamm, Beschluss vom 18.08.2022, 5 Ws 211/22, juris Rn. 19; entgegen OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25.05.2022, 1 Ws 122/22, und Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 22.09.2022, 1 Ws 118/21).

2. Für die Einstellung der weiteren Vollstreckung der Einziehung des Wertersatzes wegen Unverhältnismäßigkeit ist es nicht ausreichend, dass das Erlangte nicht mehr im Vermögen des Täters vorhanden ist.

Pflichti II: Erteilung einer Vertretungsvollmacht, oder: Kein Aufhebungsgrund

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Im zweiten Pflichti-Posting dann der OLG Nürnberg, Beschl. v. 23.05.2023 – Ws 468/23. Der äußert sich zur Aufhebung der Pflichtverteidigerbeiordnung, wenn der Angeklagte seinem Pflichtverteidiger gemäß § 329 Abs. 2 S. 1 StPO eine Vertretungsvollmacht erteilt.

Im entschiedenen Fall hatte das AG dem Angeklagten einen Pflichtverteidiger bestellt. Der Angeklagte wird dann verurteilt. Er legt gegen dei Verurteilung Berufung ein.

Im Termin zur Berufungshauptverhandlung vor dem LG legt der Pflichtverteidiger eine Vertretungsvollmacht nach § 329 StPO vor. Das LG hebt daraufhin auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Pflichtverteidigerbestellung auf. Die Berufung des Angeklagten wurde verworfen. Der Angeklagte hat inzwischen Revision eingelegt.

Gegen die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung wird Beschwerde eingelegt. Die hatte beim OLG Erfolg:

„1. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung nach § 143a Abs. 1 StPO liegen nicht vor.

Nach § 143a Abs. 1 S. 1 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben, wenn der Beschuldigte einen anderen Verteidiger gewählt und dieser die Wahl angenommen hat. Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend ausgeführt hat, führt unabhängig davon, ob bei Personenidentität des Verteidigers überhaupt von einem „anderen Verteidiger“ im Sinne der Vorschrift gesprochen werden kann (so BeckOK StPO/Krawczyk, 47. Ed. 1.4.2023, StPO § 143a Rn. 1 unter Verweis auf SK-StPO/Wohlers Rn. 2 „Die Aufhebung der Bestellung muss auch dann erfolgen, wenn der bisherige Pflichtverteidiger gewählt wird.“), die Vorlage einer Vertretungsvollmacht nach § 329 Abs. 2 S. 1 StPO nicht zur Annahme eines Wahlmandats. Davon, dass auch dem Pflichtverteidiger eine Vollmacht im Sinne des § 329 Abs. 2 S. 1 StPO erteilt sein kann (ohne dass dadurch die Pflichtverteidigerbestellung obsolet wird), gehen neben dem OLG Hamm in der von der Generalstaatsanwaltschaft zitierten Entscheidung (Beschluss vom 03.04.2014, 5 RVs 11/14) auch das OLG Köln (Beschluss vom 12.06.2018, 1 RVs 107/18) und der BGH aus (der anders als die beiden vorstehenden Entscheidungen sogar das Fortwirken einer vor der Pflichtverteidigerbestellung erteilten uneingeschränkten Vertretungsbefugnis annimmt, Beschluss vom 24.01.2023, 3 StR 386/21, beck-online Rn. 28). Zu Recht hat die Generalstaatsanwaltschaft ferner darauf hingewiesen, dass es nicht nur an der notwendigen Feststellung fehlt, dass der Pflichtverteidiger als Wahlverteidiger mandatiert und zur Durchführung der Verteidigung dauerhaft und nicht nur punktuell in der Lage ist (vgl. KK-StPO/Willnow, 9. Aufl. 2023, StPO § 143a Rn. 2), sondern vielmehr erhebliche Zweifel bestehen, dass die vom Landgericht angenommene Wahlverteidigerbestellung gesichert wäre.

2. Die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung konnte auch nicht auf der Grundlage des § 143 Abs. 2 S. 1 StPO erfolgen.

Nach § 143 Abs. 2 S. 1 StPO kann die Bestellung aufgehoben werden, wenn kein Fall notwendiger Verteidigung mehr vorliegt. An den für die Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO maßgeblichen Umständen – der Verurteilte stand zur Tatzeit hinsichtlich einer Freiheitsstrafe von einem Jahr zehn Monaten unter Bewährung, deren Widerruf im Raum steht – hat sich allerdings vorliegend nichts geändert. Ein Fall notwendiger Verteidigung ist nach wie vor gegeben. Eine bloße Änderung der rechtlichen Bewertung des Vorliegens der Voraussetzungen der Pflichtverteidigerbestellung kann aus Gründen des prozessualen Vertrauensschutzes eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung nicht begründen (KG, Beschluss vom 28.02.2017, 5 Ws 50/17; OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.03.2023, Ws 173-174/23, sowie Beschluss vom 04.04.2023, Ws 294/23).“

Haft I: Alkoholisiert in der Hauptverhandlung, oder: Haftbefehl ist das letzte Zwangsmittel

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Ich habe länger keine Haftentscheidungen vorgestellt. Heute ist es dann mal wieder so weit.

Den Opener mache ich mit dem OLG Nürnberg, Beschl. v. 09.03.2023 – Ws 207/23 -, den mir der Kollege Jendricke aus Amberg geschickt hat. Das OLG nimmt Stellung zu einem nach § 230 Abs. 2 StPo ergangenen (Sitzungs)Haftbefehl. Ergangen ist der Haftbefehl im Berufungsverfahren. Der Angeklagte war dort in der Berufungshauptverhandlung alkoholisiert erschienen. Das LG erlässt daraufhin Haftbefehl, den das OLG auf die Haftbeschwerde des Kollegen hin aufgehoben hat:

„Die Beschwerde ist nach § 304 Abs. 1 StPO zulässig und hat in der Sache Erfolg, da der Haftbefehl unverhältnismäßig ist.

Dabei kann die Frage einer genügenden Entschuldigung des Beschwerdeführers dahin stehen.

Ein Haftbefehl nach § 230 Abs: 2 StPO mit dem damit verbundenen Eingriff in die persönliche Freiheit darf nur dann ergehen, wenn und soweit der legitime Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters anders nicht gesichert werden kann. Er dient allein der Verfahrenssicherung in Bezug auf die (weitere) Durchführung der Hauptverhandlung und hat nicht etwa den (Selbst-)Zweck, den Ungehorsam des Angeklagten zu sanktionieren.

Zwischen den in § 230 Abs. 2 StPO vorgesehenen Zwangsmitteln besteht ein Stufenverhältnis, d.h. grundsätzlich ist zunächst zwingend das mildere Mittel – nämlich die polizeiliche Vorführung – anzuordnen. Nur-dies wird dem verfassungsrechtlichen Gebot gerecht, dass bei einer den Bürger belastenden Maßnahme Mittel und Zweck im angemessenen Verhältnis zueinander stehen müsssen. Eine Verhaftung des Angeklagten ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbaren, wenn bei verständiger Würdigung aller Umstände die Erwartung ‚gerechtfertigt ist, dass der Angeklagte zu dem (nächsten) Hauptverhandlungstermin erfolgreich vorgeführt werden kann.

Wenn das Gericht demgegenüber sofort zum Mittel des Haftbefehls greift, muss aus seiner Entscheidung deutlich, werden, dass es eine Abwägung zwischen der polizeilichen Vorführung und dem Haftbefehl vorgenommen hat. Die Gründe, warum ausnahmsweise sofort die Verhaftung des Angeklagten angeordnet worden ist, müssen tragfähig sein und in dem Beschluss in einer Weise schlüssig und nachvollziehbar aufgeführt werden, dass sie in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Gericht im Rahmen seiner Eigenkontrolle gewährleisten. Von entsprechenden Darlegungen kann nur abgesehen werden, wenn die Nachrangigkeit des Freiheitsanspruchs offen zutage liegt und sich daher von selbst versteht.

Das Landgericht hat die in der Hauptverhandlung vorw15.02.2023 anwesende Sachverständige nicht befragt, ob durch eine frühzeitige Ingewahrsamnahme und Vorführung des Angeklagten zur nächsten Hauptverhandlung – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Facharztes – eine Verhandlungsfähigkeit hergestellt werden könne, zumal der Angeklagte sich bereit gezeigt hatte, zur Verhandlung zu erscheinen und die Sachverständige ausgeführt hat, der Angeklagte sei in Anbetracht seiner Erkrankung bei einem Alkoholgehalt von .einem Promille weniger verhandlungsfähig als bei zwei Promille.

Hinzukommt, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert, dass die Hauptverhandlung in angemessener Frist durchgeführt wird und vorliegend nicht geprüft wurde, ob zeitnah eine Herstellung der Verhandlungsfähigkeit bei zeitnaher Fortsetzung der Hauptverhandlung hergestellt kann. Ein neuer Hauptverhandlungstermin wurde bis jetzt nicht bestimmt, hierzu hätte spätestens zum Zeitpunkt der Abhilfeentscheidung Veranlassung bestanden.

Vor diesem Hintergrund ist der Haftbefehl unverhältnismäßig, er wird daher aufgehoben. Angesichts des Fehlens eines neuen Hauptverhandlungstermins und Feststellungen zur Erfolgsaus-sieht einer Vorführung wird davon abgesehen, schon jetzt über die Vorführung des Angeklagten als milderes Mittel zu entscheiden.

Zusätzliche VG nach Absehen von der Einziehung?, oder: Das OLG Nürnberg kann es auch nicht

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Ich hatte vor einiger Zeit über den (falschen)  LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 20.1.2022 – 12 Qs 1/22 berichtet (Und schon wieder zusätzliche Gebühr nach Einziehung, oder: Und schon wieder falsch). Zu der Entscheidung liegt inzwischen der auf die weitere Beschwerde hin ergangene OLG Nürnberg, Beschl. v. 11.04.2022 –  Ws 250/22 – vor.

Hier noch einmal der Sachverhalt: Die Staatsanwaltschaft hat am 09.06.2020 Anklage wegen Steuerhinterziehung und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gegen den Angeklagten beim AG – Schöffengericht für Wirtschaftsstrafsachen – erhoben. Darin führte sie aus: „Von der Einziehung der Taterträge wird gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO abgesehen. Soweit die Verfolgung der Taten vorläufig gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt wurde, wird gemäß § 435 StPO von der selbständigen Einziehung abgesehen.“ Die entsprechende Verfügung der Staatsanwaltschaft datiert vom 03.06.2020. Nach Zustellung der Anklageschrift wurde mit Beschluss vom 08.07.2020 der bis dahin nicht mandatierte Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt.

Nach unveränderter Zulassung der Anklage fand am 28.10.2020 die Hauptverhandlung statt. Die die Einziehung betreffende Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 03.06.2020 wurde verlesen. In seinem Plädoyer beantragte der Beschwerdeführer u.a., gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO von einer Einziehung von Wertersatz abzusehen. Der Angeklagte wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Eine Einziehungsentscheidung traf das AG nicht, außerdem war die Einziehung nicht Gegenstand sonstiger Erklärungen.

Der Rechtsanwalt hat die Festsetzung einer Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG beantragt. Er habe seinen Mandanten ausführlich über die Möglichkeit einer Einziehung beraten. Das reiche für die Entstehung der Gebühr aus. Das sehen AG, LG und auch OLG anders:

„… Aus den zutreffenden Gründen der Vorinstanzen, insbesondere des Landgerichts Nürnberg-Fürth in dessen Beschluss vom 20.01.2022 und in der Nichtabhilfeverfügung vom 08.02.2022, denen sich der Senat anschließt, hat der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf die beantragte Gebühr Nr. 4142 VV RVG. Es liegt keine diese Verfahrensgebühr auslösende Tätigkeit des Verteidigers vor.

1. Voraussetzung für das Entstehen einer solchen Verfahrensgebühr ist eine Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf die Einziehung, dieser gleichstehender Rechtsfolgen (§ 439 StPO), die Abführung des Mehrerlöses oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme dient. Sinn der Einführung dieser Gebühr war, im Hinblick auf die Zunahme von Verfahren mit Einziehungs- oder Verfallerklärung und im Hinblick auf die erhebliche wirtschaftliche Bedeutung, die die Anordnung dieser Maßnahmen für den Beschuldigten haben kann, eine Aufgabe der Regelungen in §§ 83 ff. BRAGO und eine Vereinfachung der Gebührenberechnung (BT-Drs. 15/1971, 228).

2. Die Verfahrensgebühr wird auch durch eine bloß beratende Tätigkeit des Rechtsanwaltes ausgelöst (Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., zu Nr. 4142 VV Rn. 23 m.w.N.). Mit der Gebühr nach Nr. 4142 VV hat der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung getragen, dass zu den im Strafprozess unumgänglichen Überlegungen zur Schuld- und Straffrage eine weitere, die Eigentums- und Vermögenslage des Mandanten berührende Thematik hinzugetreten ist, die in der Regel Mehrarbeit verursacht. Erforderlich, aber auch ausreichend ist eine nach Aktenlage gebotene Beratung des Mandanten (Burhoff/Volpert, ebenda, m.w.N.).

Davon ist aber – ausgehend von der Gesetzesbegründung – nur auszugehen, wenn die Frage der Einziehung naheliegt, entweder weil aufgrund der Aktenlage mit einem Einziehungsantrag in der Hauptverhandlung zu rechnen ist oder weil in der Anklage die Einziehung beantragt wurde. Hat die Staatsanwaltschaft gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 StPO das Verfahren auf die anderen Rechtsfolgen beschränkt und besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass das Gericht die Wiedereinbeziehung der Einziehung anordnen könnte, ist eine Beratung des Angeklagten über die theoretische Möglichkeit der Einziehung durch seinen Verteidiger nicht geboten, so dass die Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG nicht anfällt.

3. Vorliegend bestand während des gerichtlichen Verfahrens für den Beschwerdeführer keine Veranlassung für eine Beratung; diese war nicht geboten.

a) Im Hinblick auf die angeklagten Taten hat die Staatsanwaltschaft gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 StPO von der Einziehung abgesehen. Soweit die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung weiterer Taten (Betrug/Solidaritätszuschlag) vorläufig nach § 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO abgesehen hat, hat sie gemäß § 435 StPO von der selbständigen Einziehung abgesehen. In der Anklageschrift wurde die Einziehung von Wertersatz von der Staatsanwaltschaft nicht beantragt.

b) Damit war eine Einziehung oder eine dieser vergleichbaren Maßnahme nicht mehr Gegenstand des Strafverfahrens. Zwar hätte das Gericht gemäß § 421 Abs. 2 Satz 1 StPO die Wiedereinbeziehung der Einziehung in jeder Lage des Verfahrens, somit auch erst im weiteren Instanzenzug, anordnen können. Dies hätte aber eine entsprechende Anordnung des Gerichts vorausgesetzt.

c) Somit bestand unter keinem Gesichtspunkt Veranlassung, den Beschuldigten über die Möglichkeit der Einziehung zu beraten. Es ist auch nicht ersichtlich, woraus sich bei einer nicht im Raum stehenden Einziehung ein Haftungsrisiko des Verteidigers ergeben könnte.

4. Auch der Antrag des Beschwerdeführers im Rahmen seines Schlussvortrags, von der Einziehung von Wertersatz abzusehen, kann die Gebühr nicht auslösen, da er nicht veranlasst war. ….“

Dazu: Das OLG referiert zwar zutreffend, was bei „Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., zu Nr. 4142 VV Rn. 23 m.w.N.“ u.a. steht, es zieht daraus m.E. aber nicht die zutreffenden Schlüsse, die dem vorliegenden Sachverhalt gerecht werden. Das hängt u.a. auch damit zusammen, dass mal wieder die Frage des Entstehens der/einer Gebühr mit der Frage der Erstattung/Festsetzung einer Gebühr vermengt wird. Die Problematik kennen wir bei der Verfahrensgebühr im Rechtsmittelverfahren in den Fällen der Beratung des Mandanten vor der Begründung des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, wenn das anschließend zurückgenommen wird.

Im Übrigen: Die Gebühr ist hier auf jeden Fall durch die Beratung des Mandanten über die (verbliebenen) Möglichkeiten der Einziehung entstanden, unabhängig davon, dass die Einziehung nach § 435 StPO (zunächst) aus dem Verfahren ausgeschieden war, aber, worauf das OLG auch hinweist, jederzeit wieder hätte aufgenommen werden können. Dabei ist hier zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bis zur Pflichtverteidigerbestellung offenbar keinen anwaltlichen Beistand hatte. Es lag also, als der Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger bestellt wurde, auch eine anwaltliche Beratung nahe. Insoweit ist auf die Sicht des Angeklagten abzustellen und nicht auf die des AG, LG oder OLG, die den Beratungsbedarf im Zweifel verneinen. Dass AG, LG oder OLG – hoffentlich – insoweit keinen Beratungsbedarf haben, ändert daran nichts und hätte der Festsetzung der Gebühr nicht entgegengestanden. Alles in allem m.E. mal wieder eine Entscheidung, der man anmerkt, dass dem Verteidiger die Gebühr Nr. 4142 VV RVG nicht „gegönnt“ wird.

StPO II: Das Kollegialverhältnis bei einem kleinen AG, oder: Wenn niemand für eine Entscheidung mehr bleibt

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Als zweite Entscheidung dann ein Beschluss aus einem familiengerichtlichen Verfahren, also keine StPO 🙂 . Die im OLG Nürnberg, Beschl. v. 16.03.2022 – 7 AR 165/22 – angesprochenen Fragen zum Kollegialverhältnis können aber auch in Strafverfahren Bedeutung erlangen.

Bem Beschluss liegt ein Scheidungsverfahren zugrunde liegt. In dem ist die Antragsgegnerin Richterin am Amtsgericht in T und mit dem Antragsteller verheiratet. Der letzte gemeinsame Aufenthalt des Ehepaares war in der Gemeinde , die zum Bezirk des Amtsgerichts T gehört. Die Antragsgegnerin lebt dort weiterhin zusammen mit den beiden minderjährigen Kindern.

Das Amtsgericht T ist das kleinste Amtsgericht im Bezirk des Oberlandesgerichts Nürnberg. Es sind dort einschließlich des Direktors sowie des Richters am Amtsgerichts als ständiger Vertreter des Direktors insgesamt fünf Richterinnen und Richter beschäftigt.

Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten hat der Antragsteller beim Amtsgericht T einen Scheidungsantrag einreichen lassen. Dieser wurde der Antragsgegnerin zugestellt. Nacheinander haben die weiteren vier Richter des Amtsgerichts T eine Selbstanzeige gemäß §§ 113 Abs. 1 FamFG, § 48 ZPO abgegeben. Der RiAG, der als Letzter die Anzeige nach § 113 Abs. 1 FamFG, § 48 ZPO abgegeben hat, hat das Verfahren dem Oberlandesgericht Nürnberg zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorgelegt.

Das OLG bestimmt das zuständige Gericht – insoweit bitte selbst lesen – und führt zu den Selbstanzeigen aus:

„2. Sämtliche Selbstanzeigen sind begründet.

Ebenso wie ein Ablehnungsgesuch eines Beteiligten ist die Selbstanzeige dann begründet, wenn Umstände, die die Besorgnis der Befangenheit begründen, vorliegen. Die Besorgnis der Befangenheit ist dann zu bejahen, wenn Gründe gegeben sind, die geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dafür ist erforderlich, aber auch ausreichend, das Vorliegen eines Sachverhaltes, der vom Standpunkt eines vernünftigen Dritten aus bei Betrachtung und Würdigung aller Umstände berechtigten Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Richters gibt (Zöller-Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 42 Rn 9 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Dabei braucht nicht auf die in den Selbstanzeigen jeweils geschilderten persönlichen Beziehungen zwischen der Antragsgegnerin und dem jeweiligen Richter eingegangen werden; denn die berechtigte Besorgnis der Befangenheit besteht im vorliegenden Fall bereits aufgrund des Kollegialverhältnisses zwischen der Antragsgegnerin und den die Selbstanzeigen erstattenden Richtern. Grundsätzlich reicht das bloße Kollegialverhältnis zwischen einem Richter und einem Verfahrensbeteiligten zwar nicht für die Begründung der Befangenheit aus. Etwas anderes gilt jedoch innerhalb eines kleinen Gerichts wie es das Amtsgericht T ist, da bei einem kleinen Gericht eine sehr enge berufliche Zusammenarbeit zwischen allen Richtern des Gerichts naheliegt (BGH NJW-RR 2022, 284; BGH NJW 1957, 1400; Zöller-Vollkommer aaO § 42 Rn 12a m.w.N.; Wieczorek/Schütze-Niemann, ZPO, 3. Aufl., § 42 Rn 16).“