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StPO III: Wiederaufnahme der Ermittlungen während des Klageerzwingungsverfahrens, oder: Kosten?

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Und zum Schluss des Tages etwas vom OLG Nürnberg. Das hat im OLG Nürnberg, Beschl. v.  27.07.2020 – Ws 590/20 – zu Verfahrens- und Kostenfragen beim Klageerzwingungsverfahren Stellung genommen.

Die Staatsanwaltschaft Regensburg hatte das gegen den Beschuldigten wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung geführte Ermittlungsverfahren am 28.01.2020 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Der hiergegen gerichteten Beschwerde des Antragstellers hat die GStA mit Bescheid vom 28.05.2020 „keine Folge geleistet“ (schöne Formulierung im Beschluss 🙂 ). Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller mit Schreiben der Rechtsanwältin pp. vom 02.07.2020 Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 172 Abs. 2 StPO gestellt und die Gewährung von Prozesskostenhilfe hierfür beantragt. Zwischenzeitlich wurden auf den Klageerzwingungsantrag die Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Regensburg wieder aufgenommen.

Dazu nun das OLG:

„1. Durch die Wiederaufnahme der Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft Regensburg ihre vorhergehende Einstellungsverfügung gemäß § 170 Abs. 2 StPO konkludent aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft wird nach Abschluss der weiteren Ermittlungen erneut über die Frage der Anklageerhebung zu entscheiden haben, gegen die der Antragsteller gegebenenfalls erneut vorgehen kann. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 172 Abs. 2 StPO hat daher wegen prozessualer Überholung seine Erledigung gefunden und das Verfahren ist für erledigt zu erklären (OLG Bamberg, NStZ 2010, 590, beck-online; OLG Bamberg Beschl. v. 17.12.2015 – 3 Ws 33/15, BeckRS 2016, 2730 Rn. 1, beck-online).

2. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Nach § 177 StPO bedarf es einer Kostenentscheidung nur, wenn der Antrag nach § 174 Abs. 1 StPO als unbegründet verworfen oder nach § 176 Abs. 2 für zurückgenommen erklärt wird. Insbesondere ergeht bei Wiederaufnahme der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft während des Klageerzwingungsverfahrens keine Kostenentscheidung (OLG Jena NStZ-RR 2007, 223; OLG Brandenburg NStZ-RR 2005, 45; OLG Koblenz NStZ 1990, 48). Die durch den Klageerzwingungsantrag veranlassten Kosten gehören zu den notwendigen Auslagen, die – nach Zulassung des Antragstellers als Nebenkläger – dem Angeklagten im Falle einer Verurteilung in der Regel zur Last fallen (KG, Beschl. v. 12. 11. 1997 – 3 Ws 298/06; OLG Brandenburg, NStZ-RR 2005, 45, KK-StPO/Moldenhauer, 8. Aufl. 2019, StPO § 177 Rn. 1; BeckOK StPO/Gorf, 36. Ed. 1.1.2020, StPO § 177 Rn. 2).

3. Durch die Wiederaufnahme der Ermittlungen ist auch der Prozesskostenhilfeantrag gegenstandslos geworden, so dass auch über diesen nicht mehr zu entscheiden ist.
Die Erledigung der Hauptsache während des Prozesskostenhilfeverfahrens führt zum Wegfall der Erfolgsaussichten für die Rechtsverfolgung oder -verteidigung (Köln MDR 2012, 1368; KG a.a.O.; Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 127 ZPO, Rn. 16). Die nachträgliche Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für einen inzwischen erledigten Klageerzwingungsantrag kommt grundsätzlich nicht in Betracht (KG a.a.O.). Auch liegt keiner der von der Rechtssprechung entwickelten Ausnahmefälle vor (Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 127 ZPO, Rn. 17f). Insbesondere entscheidet der Senat vorliegend unverzüglich nach Eintritt der Entscheidungsreife nach Eingang der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft.“

U-Haft II: Wenn sich im Strafausspruch die Straferwartung realisiert, oder. Dennoch Wiederinvollzugsetzung?

entnommen der Homepage der Kanzlei Hoenig, Berlin

Bei der zweiten vorgestellten Entscheidung handelt es sich um den schon etwas älteren OLG Nürnberg, Beschl. v. 06.03.2019 – 2 Ws 124/19 – zur erneuten Invollzugsetzung eines Haftbefehls gemäß § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO, den mir der Kollege Loyens aus Nürnberg vor einiger Zeit geschickt hat.

Das LG hatte mit Beschluss vom 21.06.2018 die Untersuchungshaft angeordnet und mit Beschluss vom 14.9.2018 diesen Haftbefehl unter den Auflagen außer Vollzug gesetzt, dass der Angeklagte unverzüglich in pp. unverzüglich Wohnung nimmt, er dem Landgericht unverzüglich jeden Wohnungswechsel mitteilt und sich jeweils mittwochs bei der Polizeiinspektion Nürnberg-West meldet. Ihm wurde aufgegeben, gerichtlichen, polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Vorladungen Folge zu leisten und seinen Reisepass beim Landgericht zu hinterlegen.

Der Kollege war dann auch im (Hauptverhandlungs)Fortsetzungstermin am 08.02.2019 erschienen. In dieser Sitzung wurde die Beweisaufnahme geschlossen. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft stellte in Ihrem Plädoyer den Antrag, den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren sechs Monaten zu verurteilen, von einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB jedoch abzusehen. Der Verteidiger beantragte Freispruch und stellte den Antrag, den Haftbefehl aufzuheben und den Angeklagten zu entschädigen.

Die Hauptverhandlung wurde sodann unterbrochen und Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung auf 14.2.2019 bestimmt. Ausweislich des Sitzungsprotokolls war der Angeklagte zu diesem Termin mit seinem Verteidiger erschienen. Der Angeklagte wurde wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren sechs Monaten verurteilt. Des Weiteren hat das Landgericht am 14.2.2019 den Haftbefehl der Kammer vom 21.6.2018 nach Maßgabe des Urteils vom 14.2.2019 wieder in Vollzug gesetzt und sämtliche Beschränkungen bezüglich der Vollstreckung der Untersuchungshaft gemäß § 119 StPO aufgehoben, weil wegen der verhängten erheblichen Freiheitsstrafe ein „übersteigerter Fluchtanreiz“ bestehe und der Angeklagte einen „familiären Bezug zum Ausland“ habe. Im Übrigen werde zur Fluchtgefahr auf die Haftbefehlsbegründung vom 21.6.2018 Bezug genommen.

Dagegen dann die Beschwerde des Angeklagten, die  in der Sache Erfolg beim OLG Erfolg hatte.

Das OLG legt seiner Entscheidung die Rechtsprechung des BVerfG im BVerfG, Beschl. v. 01.02.2006 – BvR 2056/05 zugrunde. Und dann:

„3. Neu hervorgetretene Umstände können unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung (vgl. auch BVerfG NStZ 2007, 379 = StV 2008, 25) nach Erlass des Haftverschonungsbeschlusses vom 14.9.2018 bis zur Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls mit Beschluss vom 14.2.2019 jedoch nicht angenommen werden. Es sind keine nachträglich eingetretenen oder nach Erlass des Aussetzungsbeschlusses bekannt gewordenen Umstände ersichtlich, die die Begründung des Haftverschonungsbeschlusses in einem so wesentlichen Punkt erschüttern würden, dass nach Sachlage keine Aussetzung bewilligt worden wäre, wenn sie bei der Entscheidung bereits bekannt gewesen wären.

Der dem Angeklagten im Haftbefehl vom 21.6.2018 zur Last gelegte Sachverhalt entspricht dem, der sowohl von der Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift vom 27.4.2018 (ab Bl. 697 d.A. dort unter „B) Gemeinsame Straftaten von … und …“ = Bl. 707 bis 705 d.A.) und vom Landgericht im Urteil vom 14.2.2019 zu Grunde gelegt wurde. Allein auf der Grundlage des Haftbefehle und der Anklage, die noch von unerlaubtem „Handeltreiben“ mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen (in einem Fall mit unerlaubten Erwerb, im weiteren Fall mit unerlaubtem Besitz) ausgehen, bestand bei einem Strafrahmen von jeweils einem Jahr bis zu 15 Jahren unter Berücksichtigung der sieben Vorstrafen des Angeklagten, davon zwei wegen einschlägiger Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (vgl. Anklage vom 27.4.2018 zum wesentlichen. Ergebnis der Ermittlungen Bl. 709/710 d.A.) eine realistische Straferwartung von mehreren Jahren Freiheitsstrafe.

Auch wenn die Verteidigung für den Angeklagten in der Sitzung vom 8.2.2019 auf Freispruch plädiert hat, bestand für den Angeklagten spätestens seit dem in dieser Sitzung durch die Staatsanwaltschaft gestellten Verurteilungsantrags eine konkrete Strafdrohung von einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren sechs Monaten. Selbst dieser – im Vergleich zur späteren Verurteilung höhere Strafantrag – hat den Angeklagten nicht zu einer Flucht bewegt, sonst hätte er sich der am 14.2.2019 fortgesetzten Hauptverhandlung, in der die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren sechs Monaten erfolgte, nicht gestellt. Gelegenheit zu einer Flucht hätte in der Zwischenzeit jedenfalls bestanden. Aufgrund dieses Umstande liegt es näher, dass sich der Angeklagte nach dem Hauptverhandlungstermin vom 8.2.2019 bis zum Fortsetzungstermin am 14.2.2019 trotz des gestellten Antrags auf Freispruch der Möglichkeit eines für ihn ungünstigen Ausgangs des Strafverfahrens durchaus bewusst war und er dennoch den Auflagen des Haftverschonungsbeschlusses nachkam.

Die vom Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) angesichts der Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) als „sehr hoch“ angesetzte Schwelle für eine Widerrufseentscheidung wird vorliegend nicht erreicht.“

U-Haft II: „Vorratshaltung“ von Tatvorwürfen, oder: Das Auslieferungsrecht kann auch eine Rolle spielen

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Von der zweiten „Haftentscheidung“, dem OLG Nürnberg, Beschl. v. 12.06.2018 – 1 Ws 191/18 H – schon etwas älter, aber erst vor kurezm übersandt -, stelle ich dann nur die Leitsätze des OLG ein. Aus denen erschließt sich, worum es geht: Haftprüfungsverfahren nach § 121, 122 StPO:

  1. Der Tatbegriff des § 121 Abs. 1 StPO ist weiter zu fassen als die Tat im Sinne von § 264 StPO.
  1. Um ein „Vorrätighalten“ von Tatvorwürfen zulasten des Beschuldigten zu verhindern, rechnen zum Tatbegriff des § 121 Abs. 1 StPO deshalb alle Taten, die zum Zeitpunkt des Erlasses des vollzogenen Haftbefehls bereits bekannt waren.
  1. Werden neue Taten nachträglich bekannt, ist maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn der neuen Sechs-Monatsfrist nicht der Erlass eines neuen oder die Erweiterung des bestehenden Haftbefehls, sondern die Erlassreife, also der Zeitpunkt, in dem der einfache Tatverdacht sich zum dringenden verdichtet hat.
  1. Ist der Beschuldigte wegen anderer Taten aus einem EU-Mitgliedstaat ausgeliefert worden, ohne auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet zu haben, beginnt die neue Sechs-Monatsfrist bezüglich der nachträglich bekannt gewordenen Taten erst ab dem Zeitpunkt, zu dem entweder der ausliefernde Staat nachträglich seine Zustimmung erteilt hat, den Beschuldigten hier auch wegen dieser Taten zu verfolgen, zu verurteilen oder einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme zu unterwerfen (§ 83h Abs. 1 Nr. 1 IRG), oder zu dem der Beschuldigte nachträglich auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet hat (§ 83h Abs. 2 Nr. 5, Abs. 3 IRG).
  1. Bis zu diesem Zeitpunkt wäre nämlich zwar der Erlass eines Haftbefehls, nicht aber dessen Vollstreckung zulässig gewesen.

Die unleserliche Unterschrift unter einem Beschluss?, oder: Bei Beschlüsse geht es anders als bei Urteilen

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Ich hatte in der vergangenen Woche über den OLG Braunschweig, Beschl. v. 13.11.2018 – 1 Ss 60/18 – berichtet (vgl. hier Eine unleserliche Paraphe ist keine Unterschrift, oder: Sind die Durchsuchungsbeschlüsse im VW-Skandal ggf. unwirksam?). Als „Anmerkung“ dazu hat mir der Kollege Wankel vom OLG Nürnberg, den OLG Nürnberg, Beschl. v. 28.05.2018 –  2 Ws 304/18 – geschickt. Er behandelt die Frage der Unterschrift bei Beschlüssen der Strafvollstreckungskammer, und zwar wie folgt:

„Soweit der Beschwerdeführer beanstandet, die Unterschrift des Richters am Amtsgericht pp. unter dem Beschluss vom 09.04.2018 entspreche nicht den an eine Unterschrift zu stellenden Anforderungen, kann dies dahinstehen.

Anders als bei Urteilen gemäß § 275 Abs. 2 StPO schreibt das Gesetz die Unterzeichnung von Beschlüssen nicht vor. Diese Vorschrift ist hierauf auch nicht entsprechend anwendbar (vgl. RGSt 43, 217, 218; BGH, Urteil vom 14.02.1985 – 4 StR 731/84, NStZ 1985, 492; BayObLGSt 1957, 4, 5; Stuckenberg, in: LR-StPO, 26. Aufl. § 275 Rn. 43; Greger, in: KK-StPO, 7. Aufl. § 275 Rn. 1; Peglau, in: BeckOK-StPO § 275 Rn. 38). Das gilt auch für Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer (vgl. OLG Hamm JMBl NW 1978, 70 juris Rn. 5), selbst wenn – wie hier nach der gesetzlichen Vorschrift des § 78b Abs. 1 Nr. 2 GVG – nur ein Richter zur Entscheidung berufen ist (vgl. OLG Düsseldorf VRS 96, 204). Fehlt es in einem solchen Fall an der Unterschrift des zuständigen Richters, so muss sich jedoch zumindest aus den Umständen zweifelsfrei ergeben, daß die in den Akten zur Kenntnis von Personen außerhalb des Gerichts niedergelegte Entscheidung auf seiner Willensbildung beruht (BayObLG a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.). So liegt es hier. Selbst wenn man die Unterschrift des Richters am Amtsgericht pp. unter dem Beschluss vom 09.04.2018 als Paraphe ansehen würde (…), ergibt sich zweifelsfrei die Urheberschaft des entscheidenden Richters aus den weiteren in der Akte von ihm in gleicher Weise unterzeichneten Verfügungen (vom 07.08.2017, vom 14.08.2017, und vom 27.04.2018). Dass es sich nicht um einen bloßen Entscheidungsentwurf handelt, folgt daraus, dass die Hinausgabeverfügung vom 09.04.2018 ebenfalls in ähnlicher Weise gezeichnet ist (…).

Der Senat erachtet es allerdings für angezeigt, darauf hinzuweisen, dass bei der Unterzeichnung von Beschlüssen die an die für die Leistung einer Unterschrift allgemein aufgestellten Erfordernisse (vgl. etwa BGH Rpfleger 2018, 225, juris Rn. 7; OLG Nürnberg – 2. Strafsenat – NStZ-RR 2007, 151 juris Rn. 11) eingehalten werden sollten.

(…)“

U-Haft I: Beschleunigungsgrundsatz, oder: Wenn die Fertigstellung des Protokolls 5 1/2 Monate dauert

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Und nach dem „Posting in eigener Sache“ eröffne ich dann die 44. KW. An der Spitze in dieser Woche zwei Haftentscheidungen.

Zunächst stelle ich den OLG Nürnberg, Beschl. v. 28.09.2018 – 2 Ws 645/18 – vor. Gegenstand der Entscheidung: Beschleunigungsgrundsatz, und zwar mit folgendem Sachverhalt:

Der Angeklagte befindet sich seit dem 22.o2.2017 Untersuchungshaft. Am 22.02.2018 ist er zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren sechs wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen verurteilt worden. Das LG hat einen neuen Haftbefehl erlassen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Das unterschriebene Urteil gelangte am 23.05.2018 zu den Akten. Das Protokoll der Hauptverhandlung wurde durch den Vorsitzenden der Strafkammer 09.08.2018 fertiggestellt. Mit Verfügung vom gleichen Tag ordnete der Vorsitzende die Zustellung des Urteils und des Protokolls an. Die Verfügung wurde seitens der Geschäftsstelle am 16.08.2018 ausgeführt. Die Zustellung an die Verteidiger des Angeklagten erfolgte letztlich am 20./21.08.2018 .Der Angeklagte hat Haftbeschwerde eingelgt. Die hatte Erfolg, denn:

„Der an sich gerechtfertigte Haftbefehl ist aufzuheben, da das Verfahren nach Erlass des Urteils vom 22.02.2018 nicht die in Haftsachen gebotene, auf den Freiheitsanspruch gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 5 Abs. 3 S. 2 MRK beruhende Beschleunigung erfahren hat. Mit dem verfassungsrechtlich zu beachtenden Beschleunigungsgebot ist es vorliegend unvereinbar, dass der Vorsitzende der 1. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth das Hauptverhandlungsprotokoll erst am 09.08.2018 fertiggestellt hat und Urteil und Protokoll erst am 20./21.08.2018 an die Verteidiger zugestellt wurden.

Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist stets das Spannungsverhält¬nis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Grundsätzlich darf nur einem rechtskräftig Verurteilten die Freiheit entzogen werden. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist, nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Angeklagten als Korrektiv gegenüber¬gestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zu¬kommt (BVerfG, Beschluss vom 20.12.2017 – 2 ByR 2552/17).

Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem im Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verankerten Beschleunigungsgebot in Haftsachen zu. Dieses verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um eine abschließende Entscheidung über den Anklagevorwurf mit der gebotenen Schnelligkeit herbeizuführen. Kommt es aufgrund vermeidbarer Fehler der Justizorgane zu einer erheblichen Verzögerung, so steht dies der Aufrechterhaltung des Haftbefehls regel-mäßig entgegen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Haftdauer auch unabhängig von der zu erwartenden Strafe Grenzen setzt und gleichzeitig zu beachten, dass sich das Gewicht des Freiheitsanspruches gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft regelmäßig vergrößert. In diesem Zusammenhang verlangt das Beschleunigungsgebot in Haftsachen auch, dass die Erstellung eines kompletten Hauptverhandlungsprotokolls im unmittelbaren Anschluss an die Hauptverhandlung und damit parallel zur Erstellung der Urteilsgründe erfolgt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.12.2005 – 2 BvR 2057/05, StV 2006, 81).

Bei Beachtung dieser Vorgaben und des Umstandes, dass sich der Angeklagte zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung seit einem Jahr und zwischenzeitlich seit einem Jahr und sieben Monaten in Untersuchungshaft befindet, ist das Verfahren vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth nach Urteilsverkündung dadurch erheblich verzögert worden, dass eine Fertigstellung des Protokolls nicht bereits zum 23.05.2018 erfolgt ist. Vom Tag der Urteilsverkündung am 22.02.2018 bis zur Fertigstellung des Protokolls am 09.08.2018 vergingen fünfeinhalb Monate. Selbst ab dem 23.05.2018, dem Zeitpunkt an dem das Urteil zur Geschäftsstelle gelangt ist, dauerte die Fertig-stellung des Protokolls noch zwei Monate und 17 Tage, bis zur Zustellung des Urteils und des Protokolls an die Verteidiger sogar knapp drei Monate. Der Fortgang des Revisionsverfahrens hat sich dadurch erheblich verzögert, da die Revisionsbegründungsfrist erst mit der Urteils- und Pro¬tokollzustellung an die Verteidiger zu laufen begonnen hat.

Die verspätete Fertigstellung des Protokolls war sachlich nicht gerechtfertigt und vermeidbar. Auch bei einem Umfang – wie vorliegend – von 274 Seiten stand für die Prüfung und Korrektur des Protokolls vom 22.02.2018 bis 23.05.2018 ausreichend Zeit zur Verfügung. Es spielt in diesem Zusammenhang auch keine Rolle, ob letztendlich der Vorsitzende oder die Protokollführer für die eingetretene Verzögerung verantwortlich waren. Die Verzögerung ist jedenfalls allein der Sphäre des Gerichts und nicht der des Angeklagten zuzurechnen. Die Erklärungen, die der Vorsitzende der 1. Strafkammer in seiner dienstlichen Stellungnahme vom 25.09.2018 für die Dauer der Fer¬tigstellung des Protokolls abgegeben hat, können zu keiner anderen Beurteilung führen.“

Man bzw. ich frage mich, warum man so lange Zeit brauchgt, um ein Protokoll fertig zu stellen…… Das grenzt im Grunde genommen an Arbeitsverweigerung.