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StGB I: Schlagwort „Alte weiße Männer stinken“, oder: Störung des öffentlichen Friedens

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Und am zweiten Tag der ersten „normalen“ Woche 2025 geht es dann gleich mit schweree (?) Kost weiter, nämlich dreimal etwas zur Volksverhetzung.

Ich beginne mit dem OLG Nürnberg, Beschl. v. 28.11.2024 – Ws 1076/24. Über den Beschluss ist ja auch schon anderweitig berichtet worden. Das ist die Entscheidung, in der das OLG zu dem Schlagwort „Alte weiße Männer stinken“ und zur der Frage Stellung genommen hat, ob sich mit dessen Verwendung der Anfangsverdacht einer Volksverhetzung begünden lässt.

Zugrunde liegt dem Verfahren die Strafanzeige eines Rechtsanwaltes – laut Briefkopf „Bundesrichter a.D.“. Der hat einer unbekannten Frau zur Last gelegt, bei einer Veranstaltung des „Feministischen Funparks“ der Verdi-Frauen am 08.03.2024 auf dem Kornmarkt in Nürnberg auf eine Pappwand, die mit zahlreichen Sprüchen und Parolen versehen war und dem Zweck diente, dass Frauen ihre Unzufriedenheit schriftlich äußern konnten, den Spruch „Alte, weiße Männer stinken“ geschrieben zu haben, worüber der Bayerische Rundfunk in der Frankenschau am 08.03.2024 berichtete. Der Anzeigeerstatter sieht hierin eine Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu seinem Nachteil, da es sich bei ihm um einen 67 Jahre alten, weißen Mann handele. Er fordert die Ermittlung der Identität der unbekannten Frau und deren strafrechtliche Verfolgung durch Vernehmung einer bei der Veranstaltung anwesenden, namentlich bekannten Zeugin.

Das OLG sagt mit der Generalstaatsanwaltschaft im Klageerzwingungsverfahren:

„b) Es besteht kein Anfangsverdacht dafür, dass sich die angezeigte Frau der Volksverhetzung nach § 130 StGB schuldig gemacht hat. Die angezeigte Handlung ist schon nicht geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, so dass es auf das Vorliegen der weiteren Tatbestandsmerkmale des § 130 Abs. 1 StGB nicht ankommt.

aa) Der öffentliche Friede umfasst den Zustand allgemeiner Rechtssicherheit und des befriedeten Zusammenlebens der Bürger sowie das Bewusstsein der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden zu leben.

Bei § 130 StGB ist darüber hinaus zu beachten, dass zu dem öffentlichen Frieden auch ein Mindestmaß an Toleranz und ein öffentliches Klima gehört, das nicht durch Unruhe, Unfrieden oder Unsicherheit gekennzeichnet ist. Daher fällt die Gewährleistung von Friedlichkeit unter den öffentlichen Frieden, nicht aber der Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien. Der öffentliche Friede in diesem umfassenden Sinne kann zum einen durch eine infolge des Hervorrufens offener oder latenter Gewaltpotentiale entstandene Erschütterung des Vertrauens in die allgemeine Rechtssicherheit, vor allem auch durch die Verminderung des Sicherheitsgefühls des angegriffenen Teils der Bevölkerung, und zum anderen durch ein Aufhetzen des Publikums und der dadurch begründeten Gefahr weiterer Übergriffe beeinträchtigt werden. Eine Störung des öffentlichen Friedens kann insbesondere bereits durch die Vergiftung des öffentlichen Klimas eintreten, wenn etwa bestimmte Bevölkerungsteile ausgegrenzt und entsprechend behandelt werden, indem ihren Angehörigen pauschal der sittliche, personale oder soziale Geltungswert abgesprochen wird und sie unter Umständen durch den Angriff auf ihre Menschenwürde als „Unperson“ diffamiert werden.

Der öffentliche Friede muss durch die Tat einerseits nicht wirklich gestört oder auch nur konkret gefährdet werden. Erforderlich ist aber eine konkrete Eignung zur Friedensstörung; diese darf nicht nur abstrakt bestehen. Die Tat ist geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, wenn sie nach Art und Inhalt der tatbestandserheblichen Äußerung sowie den sonstigen relevanten konkreten Umständen des Falles derart beschaffen ist, dass bei einer Gesamtwürdigung die Besorgnis gerechtfertigt ist, es werde zu einer Friedensstörung kommen. Aus der Sicht eines objektiven Beobachters muss auf Grund konkreter Umstände eine begründete Befürchtung vorliegen, der Angriff werde das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttern, sei es auch nur bei der Bevölkerungsgruppe, gegen die er sich richtet (MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Auflage 2021, StGB § 130 Rn. 22f, beck-online).

bb) Die Prüfung, ob eine Handlung geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, ist anhand verschiedener Kriterien vorzunehmen, wobei in erster Linie auf den Inhalt sowie die Intensität des Angriffs abzustellen ist (MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Aufl. 2021, StGB § 130 Rn. 24, beck-online). Dabei ist die Staatsanwaltschaft zu dem zutreffenden Ergebnis gekommen, dass dies nicht der Fall ist. Das Schlagwort „Alte weiße Männer stinken“, das im Rahmen einer feministischen Veranstaltung gebraucht wurde, ist nicht im direkten Wortsinn, sondern im übertragenen Sinn als Beitrag zu einer breit geführten gesellschaftlichen Diskussion zu verstehen, ohne dass damit der öffentliche Frieden gestört werden könnte.

(1.) Der Begriff „alte weiße Männer“ findet in Deutschland seit 2012 Verwendung und man versteht darunter weiße Männer, die in einer Zeit aufgewachsen sind, in der sie aufgrund ihres Weiß- und Männlich-Seins gesellschaftliche Privilegien genossen haben, die diese Privilegien und die Diskriminierung von z. B. Frauen und People of Color aber verleugnen und somit die Gleichberechtigung aller Menschen behindern (https://de.wikipedia.org/wiki/Alte_weiße_Männer, abgerufen am 27.11.2024). Der Begriff ist auch Gegenstand verschiedener Abhandlungen in Wissenschaft und Literatur. So äußert die Soziologin Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky, Inhaberin des Lehrstuhls für Soziologie /Gender-Studies an der Ludwig-Maximilian-Universität München, dass „Alter weißer Mann“ kein wissenschaftlicher Begriff sei, es sich vielmehr um ein Etikett oder Label handele, das im Moment viel genutzt werde, um in verkürzter und stereotyper Art und Weise ein bestimmtes Mindset, eine bestimmte Mentalität auf den Punkt zu bringen. Hinter der Figur des alten weißen Mannes stehe die Auseinandersetzung mit einer strukturellen und sehr tiefgehenden Geschichte von Gewalt, von Ausgrenzung, von Diskriminierung (https://www.deutschlandfunkkultur.de/alter-weisser-mann-patriarchat-woke-102.html, abgerufen am 27.11.2024). Dieses Verständnis des Begriffs hat auch in der breiten Bevölkerung Einzug gehalten. So ist unlängst der Film „Alter weißer Mann“ in den deutschen Kinos erschienen, der sich als Komödie mit dieser Thematik auseinandersetzt.

(2.) Es liegt somit auf der Hand, dass mit der Verwendung des Schlagworts „Alte weiße Männer stinken“ kurz und bündig ein Diskussionsbeitrag zur dargestellten Thematik geleistet werden sollte, ohne dass damit ernsthaft die Gruppe der „alten weißen Männer“ ausgegrenzt oder als im echten Wortsinn als „stinkend“ bezeichnet werden soll. Die Parole richtet sich nicht gegen den Bevölkerungsteil der betagten Männer weißer Hautfarbe.

Mit dem Schlagwort werden auch keine konkreten Maßnahmen gegen „alte weiße Männer“ verbunden. Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Bescheid vom 22.10.2024 zutreffend ausführt, ist auch nicht erkennbar, dass es sich bei den „alten weißen Männern“ um eine besonders vulnerable Gruppe handelt, die in der Gesellschaft eine besonders gefährdete Position innehat oder die Opfer offener oder latenter Übergriffe ist.Im Ergebnis handelt es sich somit bei dem bei einer feministischen Veranstaltung neben weiteren Beiträgen geschriebenen Schlagwort „Alte weiße Männer stinken“ um einen zugespitzten Beitrag zu dem derzeit geführten gesellschaftlichen Diskurs aus Sicht der unbekannten Teilnehmerin, an dem sich letztlich auch der Anzeigeerstatter mit seiner Strafanzeige beteiligt hat. Eine Störung des öffentlichen Friedens ist dadurch aber nicht zu befürchten.“

Wenn ich solche Verfahren sehe, bin ich froh, dass ich damit nichts (mehr) zu tun habe. 🙂

Sichtung und Erhebung von Kipo-Datenmaterial, oder: Muss der Verurteilte die hohen SV-Kosten tragen?

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Ich hatte im Sommer den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 17.06.2024 – 12 Qs 19/24 – vorgestellt (vgl. hier: Grobsichtung von Datenträgern in Kipo-Verfahren, oder: Wer trägt die Kosten?). In der Entscheidung hatte sich das LG nach einem sog. KiPO-Verfahren in Zusammenhang mit den zu Lasten des Angeklagten angefallenen Kosten mit der abrechenbaren Sachverständigenleistung für die Grobsichtung von Datenträgern befasst.

In der Entscheidung, in der das LG eine Kostentragungspflicht des verurteilten Angeklagten verneint hatte, hatte es eine OLG-Entscheidung erwähnt und sich darauf bezogen. Außerdem hatte es beklagt, dass das OLG seine Entscheidung nicht veröffentlicht hatte. Das war für mich Anlass, mir den OLG Nürnberg, Beschl. v. 10.08.2018 – 1 Ws 605/17 – zu besorgen. Ihn stelle ich heute vor. Das OLG führt zur Abgrenzung der abrechenbaren von der nicht abrechenbaren Sachverständigenleistung aus:

„b) Zu den Kosten des Verfahrens gehören gem. § 464a Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 StPO die Gebühren und Auslagen der Staatskasse, einschließlich derjenigen Kosten, die durch die Vorbereitung der öffentlichen Klage entstanden sind. § 3 Abs. 2 GKG verweist wegen der Kosten auf die in der Anlage 1 (Kostenverzeichnis) aufgeführten Gebühren und Auslagen. Gemäß Nr. 9015 KV GKG gehören zu den Auslagen der Staatskasse auch die unter Ziffer 9000 bis 9014 bezeichneten Kosten, soweit sie durch die Vorbereitung der öffentlichen Klage entstanden sind. Dies gilt demnach auch für die gemäß Nr. 9005 KV GKG nach dem Justizvergütungsgesetz (JVEG) zu zahlenden Beträge.

aa) Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hat gem. § 110 Abs. 3 StPO die Durchsicht und Auswertung der übersandten Datenträger auf die X. übertragen. Dies ist zulässig, da die Verantwortung für die abschließende Durchsicht durch die Staatsanwaltschaft gem. § 152 GVG sichergestellt ist (vgl. Meyer-Goßner, Schmitt, 60. Auflage, § 110, Rdnr. 2a und Rdnr. 3, und Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 10.01.2017, 2 Ws 441/16, abgedruckt in Juris).

bb) Die Firma X. trat insoweit nicht nur als reine Hilfskraft für die ermittelnden Behörden auf, sondern hatte den Auftrag, unabhängig und eigenverantwortlich ein Sachverständigengutachten zu erstellen; dessen Kosten sind in vollem Umfang durch den Verurteilten zu tragen.

Ein Sachverständiger hat die Aufgabe, dem Staatsanwalt die Kenntnis von Erfahrungssätzen zu übermitteln und gegebenenfalls aufgrund solcher Erfahrungssätze Tatsachen zu ermitteln. Bei der Sichtung und Erhebung von Datenmaterial liegt eine Sachverständigenaufgabe vor, wenn der Betreffende nicht nur eine reine Sichtung beschlagnahmter Unterlagen vornimmt, sondern unter Einsatz geeigneter – nicht jedermann zur Verfügung stehender – Rechenprogramme und des Fachwissens die ermittlungsrelevanten Tatsachen fest – und zusammenstellt (OLG Koblenz, Beschluss vom 16.07.2010, 1 Ws 189/10, NStZ-RR 2010, 359).

Ein Teilbetrag der Rechnung beruht auf der Sichtbarmachung der kinderpornographischen Schriften und Dateien, bei der auch versteckte, wiederherstellbar gelöschte, archivierte und teilweise überschriebene Dateien in die Sichtung miteinbezogen wurden. Das Landgericht hat zutreffend die Auswertung der Datenträger und die technische Umsetzung beschrieben. Die beauftrage Firma hat – mit Hilfe spezieller Software – das PC-System ausgewertet und mittels Bilderfilter und spezieller Filmsoftware eine immense Menge an Bilddateien mit kinderpornographischem Inhalt und Videodateien festgestellt. Dies erfordert – entgegen der Einschätzung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in seiner Entscheidung vom 10.01.2017, Az. 2 Ws 441/16 (abgedruckt in NStZ-RR 2017, 127 f) – mehr Fachwissen als eine reine technische Unterstützung bei der Wiederherstellung von Dateien (vgl. BGH Beschluss vom 02.03.2011, 2 StR 275/10, StV 2011, 483).

Gleichzeitig war die Firma X.im Konkreten beauftragt, aus der Gesamtmenge der Dateien die Dateien, die kinder – bzw jugendpornographischen Inhalt haben, aufzufinden. Dafür musste eine Durchsicht sämtlicher, mittels des Bilderfilters festgestellter Bilder und hinsichtlich der Videos eine Ansicht jedes Videos erfolgen; für die Frage der Einordnung musste eine Voreinschätzung getroffen werden, die nur mit inhaltlichem Fachwissen realisiert werden kann. Insoweit war die Firma X. unabhängig und eigenverantwortlich tätig. Der dort tätige Gutachter hat deshalb erklärt, eine „auf seinen Erfahrungen im Bereich der Gutachtenserstellung zur Verbreitung bzw. Besitz von kinderpornographischen Schriften beruhende persönliche Einschätzung“ getroffen habe. Durch die Sichtbarmachung der Dateien hat die Firma X. dem Staatsanwalt die Möglichkeit verschafft, Tatsachen zu ermitteln und diese dann rechtlich selbst einzuordnen. Insoweit hat auch diese Dienstleistung die Qualität eines Sachverständigengutachtens, die darauf entfallenen Kosten sind ebenfalls vom Verurteilten zu tragen.

Eine Vergleichbarkeit zu dem der Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 10.01.2017 zugrunde liegenden Sachverhaltes besteht damit nicht; die im vorliegenden Fall eingesetzte Firma X. hat mehr als eine technische Sichtbarmachung von Datenmaterial und mehr als eine technisch bedingte Vorsortierung von Datenmaterial, welches dann von Polizei und Staatsanwalt gesichtet und bewertet wird, vorgenommen, sodass die entsprechenden Kosten hier eben nicht mit der Verfahrensgebühr nach dem GKG abgegolten sind.“

Pflichti III: Überstellung zur Strafvollstreckung, oder: Wann entscheidet das OLG über einen Pflichtbeistand?

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Und im dritten Posting dann etwas aus dem IRG, nämlich zur Beistandsbestellung im sog. Überstellungsverfahren. Es handelt sich um den OLG Nürnberg, Beschl. v. 23.08.2024 – Ausl OAus 82/24 (kleiner Hinweis: Im Rubrum des vom OLG übersandten Beschlusses heißt es „22. August 2024“, da hat sich also ggf. ein Fehler eingeschlichen, wenn die allgemeinen Angaben in der Übersendung stimmen).

Das OLG hat die Bestellung, die die StA beantragt hatte, „derzeit“ abgelehnt. Es führt zum Zeitpunkt der Bestellung aus:

„Der Verurteilte wurde mit seit 28.06.2023 rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Traunstein vom 25.01.2023 (7 KLs 310 Js 13221/22) wegen Vergewaltigung mit Raub zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die Freiheitsstrafe wird derzeit in der Justizvollzugsanstalt Straubing vollstreckt. Das Strafende ist für 08.04.2030 vorgemerkt.

Die Staatsanwaltschaft Traunstein prüft derzeit die Übertragung der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI des Rates vom 27.11.2008 (Rb-Freiheitsstrafen) nach Rumänien. Bei seiner Anhörung durch das Amtsgericht Straubing am 04.03.2024 auf Antrag der Staatsanwaltschaft Traunstein erklärte der Verurteilte, nicht nach Rumänien überstellt werden zu wollen.

Die Staatsanwaltschaft Traunstein beantragte am 25.07.2024, dem Verurteilten schon jetzt für die Vorbereitung der oberlandesgerichtlichen Entscheidung über die Zulässigkeit seiner Überstellung nach Rumänien, insbesondere zur Gewährung rechtlichen Gehörs zu der von der Staatsanwaltschaft zu treffenden Ermessensentscheidung einen Pflichtbeistand zu bestellen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg hat die Akten zur Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft Traunstein vorgelegt.

II.

Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Bestellung eines Rechtsbeistands für den Verurteilten ist nicht veranlasst, da das gerichtliche Verfahren nach § 85a IRG, in dessen Rahmen durch das Oberlandesgericht ein Beistand nach § 85a Abs. 2 in Verbindung mit § 53 IRG bestellt werden könnte, noch nicht begonnen hat.

Das gerichtliche Verfahren vor dem Oberlandesgericht nach § 85a IRG beginnt nach § 85a Abs. 1 S. 1 IRG erst dann, wenn entweder die Vollstreckungsbehörde nach § 85 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 IRG beantragt, die Vollstreckung der freiheitsentziehenden Sanktion in einem anderen Mitgliedsstaat für zulässig zu erklären, oder der Verurteilten einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 85 Abs. 5 S. 3 IRG stellt. Dies ist beides nicht der Fall. Insbesondere hat die Vollstreckungsbehörde noch keinen solchen Antrag gestellt.

Darüber, ob für die von der Staatsanwaltschaft gemäß § 85 Abs. 1 S. 1 IRG zu treffende Entscheidung, ob das Überstellungsverfahren durchgeführt werden soll, und ob für die Erklärung des Einverständnisses des Verurteilten mit der Übertragung der Vollstreckung zu Protokoll eines Richters gemäß § 85 Abs. 2 S. 2 IRG gemäß § 53 Abs. 2 IRG ein Rechtsbeistand zu bestellen ist, hat das Oberlandesgericht in diesem Verfahrensstadium nicht zu entscheiden. Gemäß § 85a Abs. 2 S. 1 IRG hat das Oberlandesgericht nach § 53 IRG erst dann über eine Bestellung eines Pflichtbeistands zu entscheiden, wenn einer der beiden vorstehend beschriebenen Anträge zum Oberlandesgericht vorliegt. Alles andere würde dem Zweck der „Verschlankung des Verfahrens“ zuwiderlaufen, mit dem der Gesetzgeber die Übertragung der Vollstreckung ohne gerichtliches Verfahren bei Einverständniserklärung des Verurteilten möglichst einfach und ohne Einschaltung des Oberlandesgerichts regeln wollte (vgl. BT-Drucks. 18/4347 S. 139).“

Wann beginnt die Wartepflicht des Linkabbiegers?, oder: Erkennen des Rechtsabbiegevorgangs

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Heute dann „Kessel-Buntes-Tag“. Und in dem Kessel köcheln heute zwei Entscheidungen aus dem Zivilrecht.

Zunächst kommt hier etwas zur Unfallverursachung, nämlich der OLG Nürnberg, Beschl. v. 03.06.2024 – 3 U 746/24 – zur sog. Wartepflicht des Linksabbiegers. Gestritten wird um die Ersatzpflicht aus folgendem Unfall-/Verkehrsgeschehen:

Zwischen dem PKW VW Tiguan des Klägers, welcher zu dem Unfallzeitpunkt von seiner Ehefrau (Zeugin) gesteuert wurde, und dem im Eigentum des Beklagten zu 1) stehenden PKW Toyota kam es am 08.02.2023 gegen 14:00 Uhr in pp. auf der, unmittelbar hinter der Einmündung der pp. und der pp. Straße, zu einer Kollision. Die Zeugin bog, von der pp. her kommend, nach links in die – stadteinwärts gerichtet – ein, die Beklagte zu 1) aus der entgegenkommenden Straße nach rechts in dieselbe Richtung. Der von der Beklagten zu 1) gesteuerte PKW beschädigte dabei den PKW des Klägers im Bereich der vor der Vordertüre, der Hintertüre und des Heckkotflügels rechts.

Der Kläger begehrt vollständigen Ersatz des durch die Beschädigung seines PKW verursachten Schadens, den er auf rund 8.600 EUR beziffert hat. Das LG hat der Klage nur im Umfang von rund 4.300 EUR entsprochen und sie im Übrigen als unbegründet abgewiesen. Das LG ist von einer Schadensteilung ausgegangen. Dagegen die Berufung des Klägers, der weiterhin vollen Schadensersatz begehrt.

Das OLG hat in dem Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO dargelegt, dass nach seiner Überzeugung die Berufung unbegründet ist:

„2. Das Landgericht hat aber zu Recht diesem Umstand nicht die Bedeutung beigemessen, die die Berufung für geboten hält.

a) Nach § 9 Abs. 4 S. 1 StVO hat derjenige, der nach links abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge, die ihrerseits nach rechts abbiegen wollen, durchfahren zu lassen. Entsprechendes ordnet § 9 Abs. 3 StVO im Hinblick auf entgegenkommende Fahrzeuge an. Den Linksabbieger trifft mithin grundsätzlich eine Wartepflicht gegenüber dem entgegenkommenden Verkehr. Die in § 9 Abs. 3 u. 4 StVO geregelten Fälle stellen zwar keine Fälle der Vorfahrt im eigentlichen Sinn dar, da sie die Begegnung mit einem auf derselben Straße Entgegenkommenden betreffen, sind mit diesen aber nahe verwandt und unterliegen im Allgemeinen den gleichen Rechtsgrundsätzen (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/ Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 26; für den Charakter als echte Vorfahrtsregeln MüKoStVR/Bender, 1. Aufl. 2016, StVO § 9 Rn. 28).

Die sich aus dem vorfahrtsähnlichen Recht des Rechtsabbiegers ergebende Wartepflicht des Linksabbiegers entfällt noch nicht dadurch, dass sich der Linksabbieger in den Bereich der Vorfahrtstraße, in die er einbiegen will, begeben hat, weil er allein dadurch noch nicht zum Benutzer der Vorfahrtstraße und damit gegenüber dem Gegenverkehr bevorrechtigt wird (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 27; BeckOK StVR/Grabow, 23. Ed. 15.4.2024, StVO § 9 Rn. 49). Zu einem solchen wird er erst, wenn der Linksabbiegevorgang vollständig abgeschlossen ist, was angenommen werden kann, soweit keine Schrägstellung mehr vorliegt (OLG Karlsruhe, Urteil vom 18. Dezember 1996, 14 U 203/95, DAR 1997, 26).

Zu beachten ist weiter, dass die Wartepflicht gegenüber dem Entgegenkommenden besteht, wenn dieser so nahe gekommen ist, dass er durch das Abbiegen gefährdet oder auch nur in der zügigen Weiterfahrt wesentlich behindert würde; ihn trifft die Wartepflicht, wenn für ihn bei Beginn des Abbiegevorgangs der Gegenverkehr bereits sichtbar war (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 28). Eine Pflicht, am Straßenrand der Gegenrichtung stehende Kraftfahrzeuge daraufhin zu beobachten, ob sie alsbald anfahren, trifft den Linksabbieger nicht (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 28). Der Wartepflichtige muss allerdings in gewissem Umfang damit rechnen, dass sich der Entgegenkommende selbst verkehrswidrig verhält, so etwa, dass dieser bei entsprechenden Straßenverhältnissen die zulässige Geschwindigkeit mäßig überschreitet (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 26a; BeckOK StVR/ Grabow, 23. Ed. 15.4.2024, StVO § 9 Rn. 41; MüKoStVR/Bender, 1. Aufl. 2016, StVO § 9 Rn. 30).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landgericht zutreffend nicht als maßgeblich angesehen, dass im Moment der Kollision der PKW des Klägers bereits vollständig parallel zur ausgerichtet war und damit den Linksabbiegevorgang bereits beendet hatte. Die Zeugin hatte zu diesem Zeitpunkt bereits gegen die Wartepflicht verstoßen, was zu dem Unfall führte.

Aus den oben dargestellten Grundsätzen ergibt sich, dass die Wartepflicht einsetzt, sobald der Linksabbieger erkennen kann, dass das sich aus der Gegenrichtung nähernde Fahrzeug nach rechts abbiegen will und es daher zu einer Überschneidung der Fahrwege im Einmündungsbereich oder auf der nachfolgenden Straße kommen wird. Trifft den Linksabbieger danach eine Wartepflicht, entfällt diese nicht dadurch, dass er seinen Abbiegevorgang fortsetzt und so eine Situation herstellt, bei der er zum Benutzer der vorfahrtsberechtigten Straße wird. Dies folgt schon daraus, dass andernfalls ein Anreiz geschaffen würde, den an sich nicht zulässigen Linksabbiegevorgang möglichst schnell (und damit in einer die Unfallgefahr insgesamt steigerten Weise) zu vollziehen, um dann in den Genuss des Vorfahrtsrechts zu kommen. Die Wartepflicht beinhaltet gerade, dass der entgegenkommende Rechtsableger seinen Abbiegevorgang ungestört unternehmen darf, während der Linksabbieger sich nach diesem auszurichten hat; dies verbietet die Annahme, dass der Linksabbieger, der diesen Vorgang einmal verkehrswidrig begonnen oder fortgesetzt hat, im weiteren Verlauf das Vorrecht erlangen kann und nunmehr der Rechtsableger zum Warten gezwungen wird.

Im Übrigen spricht bereits der Wortlaut der Bestimmung dafür, dass für den Zeitpunkt, auf den wegen der Wartepflicht abzustellen ist, der Beginn des Abbiegevorgangs und dessen Verlauf, nicht aber ein etwaiger Kollisionszeitpunkt ist. § 9 Abs. 4 S. 1 StVO stellt insoweit darauf ab, dass jemand nach links abbiegen „will“.

c) Davon, dass die Zeugin eine Wartepflicht traf, weil sie vor Beginn des Linksabbiegevorgangs die Annäherung und die Absicht der Beklagten zu 1), nach rechts abzubiegen, erkennen konnte, ist das Landgericht aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen fehlerfrei ausgegangen.

In den beiden von ihm exemplarisch modellierten Varianten war zu dem Zeitpunkt, als die Zeugin den Abbiegevorgang durch Überfahren der gestrichelten Seitenlinie begann, sowohl der PKW der Beklagten zu 1) als solcher zu erkennen als auch der Umstand, dass diese entweder nach rechts abbiegen oder gerade aus fahren werde. So befand sich die Beklagte zu 1) selbst dann, wenn sie relativ schnell (50 km/h) an die Kreuzung herangefahren wäre, dann maximal verzögert hätte und wieder beschleunigt hätte, bei Beginn des Abbiegevorgangs durch die Zeugin 5 1/2 – 6 Sekunden vor dem Zusammenstoß bereits (aus ihrer Sicht) hinter der Ein-/Ausfahrt zu dem Supermarkt, so dass die Zeugin gewärtigen musste, dass dieser PKW entgegenkommt und alsbald in die Kreuzung einfahren werde. Die Angaben der Zeugin, die den PKW der Beklagten zu 1) nicht gesehen haben will, können damit kaum zutreffen; dies kann auch ohne Weiteres damit erklärt werden, dass sie sich noch in erheblicher Distanz hinter dem PKW des Klägers befunden hatte, weshalb ihre Sicht eingeschränkt war und eine Abschätzung von Distanzen noch schwieriger war. Wäre die Beklagte zu 1) langsamer, etwa mit 30 km/h, an die Kreuzung herangefahren, errechnet sich der Beginn des Abbiegevorgangs durch die Zeugin rund 4 1/2 Sekunden vor der Kollision; zu diesem Zeitpunkt musste sich dann die Beklagte zu 1) aber bereits noch näher an der Kreuzung befunden haben und ihr Fahrzeug noch deutlicher nach rechts ausgerichtet gewesen sein.

Bei beiden Annahmen wäre es auch so gewesen, dass während des Abbiegevorgangs der Zeugin, als dieser PKW noch nicht in parallel Richtung zur ausgerichtet war, die Annäherung und die Abbiegeabsicht der Beklagten zu 1) erkennbar gewesen sein muss. All dies löste jeweils die Wartepflicht für den PKW des Klägers aus.

Selbst wenn, was der Sachverständige in technischer Hinsicht nicht ausschließen konnte, die Beklagte zu 1) zunächst aus dem Supermarktparkplatz ausgefahren wäre, ergäbe sich nichts entscheidend anderes. Zwar wäre der PKW der Beklagten zu 1) dann in dem Moment, in dem die Zeugin ihren Abbiegevorgang begonnen hat, noch nicht auf der Straße gewesen; gemäß den oben dargestellten Grundsätzen hätte sie nach vorläufiger rechtliche Bewertung des Senats nicht ohne weiteres damit rechnen müssen, dass Fahrzeuge aus angrenzenden Grundstücken in die Straße einfahren und dann sogleich nach rechts abbiegen. Jedoch wäre wiederum während des weiteren Verlaufs des Linksabbiegens für die Zeugin zu erkennen gewesen, dass sich die Beklagte zu 1) mit der Absicht, nach rechts abzubiegen, der Kreuzung näherte. Dies wäre auch deutlich vor Beginn der Phase der Fall gewesen, in der die Zeugin bereits so in die eingefahren gewesen wäre, dass sie sich in dieser Fahrtrichtung bewegte und damit ein Vorfahrtsrecht erlangt hätte. Mit einer schnellen Annäherung der Beklagten zu 1) an den Kreuzungsbereich, d.h. eine Ausschöpfung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, musste die Zeugin dabei grundsätzlich rechnen.

3. Das Landgericht hat damit zutreffend bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge auf Seiten des Klägers einen Vorfahrtsverstoß nach § 9 Abs. 4 S. 1 StVO eingestellt. Die Beklagte zu 1) trifft demgegenüber der Vorwurf, gegen das allgemeine Gebot der Rücksichtnahme verstoßen zu haben. Wenn das Landgericht beide Verschuldensanteile als gleichwertig angesehen hat, stellt dies jedenfalls keinen Fehler zum Nachteil des Klägers dar. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Verstöße gegen konkrete Verkehrsregeln und Wartepflichten grundsätzlich höheres Gewicht besitzen als die Verletzung der allgemeinen Vorsichts- und Rücksichtnahmepflichten. Eine gleich hohe Gewichtung beschwert daher den Kläger nicht.

Der Senat legt deshalb aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).“

StPO III: Neufestsetzung einer Strafe nach dem KCanG, oder: Welches Gericht ist zuständig?

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Und dann im dritten Posting drei OLG-Entscheidungen zur – inzwischen in Rechtsprechung und Literatur – umstrittenen Frage: Wer ist eigentlich in den vom KCanG betroffenen Fällen für die erforderliche Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 S. 2 EGStGB sowie für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB zuständig? Ist das das erkennende Gericht oder ist das die Strafvollstreckungskammer?

Die OLG scheinen mehrheitlich zum Gericht des ersten Rechtszuges und nicht zur SttVK zu tendieren, so dass folgender Leitsatz passt:

Für die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 S. 2 EGStGB sowie für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB ist das erkennende Gericht und nicht die Strafvollstreckungskammer zuständig.

Und dazu verweise ich auf:

Wie gesagt, die Frage ist umstritten. Nachweise zu den abweichenden Meinungen stehen in den verlinkten Volltexten. Da findet man dann auch weitere Nachweise zu den Gerichten, die es ebenso sehen wi OLG Dresden, OLG Nürnberg und OLG Stuttgart.