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Nach dem Unfall Pflegefall, oder: Anrechenbarkeit von Leistungen der Pflegekasse?

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Schon etwas älter ist das OLG Köln, Urt. v. 20.05.2020 – 5 U 137/19 -, das ich dann heute im „Kessel Buntes“ aber endlich vorstellen möchte.

In der Sache geht es um die Frage, ob im Rahmen der Unfallschadenregulierung Leistungen der Sozialversicherungsträger auf den persönlichen Schaden des Verletzten – hier geht es um Pflegegeld – anrechenbar sind.

Der Kläger ist bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt, als sein Vater schuldhaft die Gewalt über das bei dem Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug verlor, welches mit einem LKW kollidierte. Bei dem Unfallereignis zog sich der Kläger u.a. ein schweres Schädelhirntrauma zu. Er leidet seitdem unter einer spastischen Tetraparese, epileptischen Anfällen und ausgeprägten neuropsychologischen Defiziten. Er ist in seiner Entwicklung verzögert und bedarf vielfältiger Hilfestellung im Alltag. Der Kläger ist über die freiwillige gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung seines Vaters bei einer Pflegekasse versichert. Die Kasse zahlt an ihn ein monatliches Pflegegeld in Höhe von 728 EUR (Pflegegrad 4). Um die Anrechnung dieser Zahlungen wird gestritten.

Das OLG hat – mit dem LG – die Anrechenbarkeit verneint:

„Zu Recht hat das Landgericht festgestellt, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, das von der Pflegekasse an den Kläger gezahlte Pflegegeld bei den Pflege- und Betreuungskosten in Abzug zu bringen.

1. Die auf Feststellung eines Rechtsverhältnisses gemäß § 256 Abs. 1 ZPO gerichtete Klage ist zulässig. Ihr fehlt trotz der Möglichkeit des Klägers, den Beklagten auf Zahlung der von ihm in Abzug gebrachten Beträge gerichtlich in Anspruch zu nehmen, nicht das Feststellungsinteresse.

Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, lässt eine mögliche Leistungsklage das rechtliche Interesse an der Feststellung nicht entfallen, wenn die Durchführung einer Feststellungsklage unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der Streitpunkte führt. Davon ist vorliegend auszugehen. Die grundsätzliche Einstandspflicht der Beklagten für die unfallbedingten materiellen Schäden des Klägers ist zwischen den Parteien unstreitig. Streit besteht lediglich darüber, ob der Beklagte bei der Berechnung der von ihm zu erstattenden Pflege- und Betreuungskosten die von der Pflegekasse geleisteten Zahlungen in Abzug bringen darf. Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte im Falle seines Unterliegens nach rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens weiter einen Abzug vornehmen wird und die zu Unrecht einbehaltenen Beträge nicht an den Kläger auszahlt und deswegen von dem Kläger auf Leistung gerichtlich in Anspruch genommen werden muss, bestehen nicht. Der Beklagte ist ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Bei Klagen gegen Versicherungsunternehmen ist davon auszugehen, dass sie sich in der Regel einem Feststellungsurteil beugen werden und es nicht eines auf Zahlung gerichteten Vollstreckungstitels gegen sie bedarf (vgl. BGH, Urteil vom 09.03.2004 – VI ZR 439/02 -, juris Rn. 6; Urteil vom 25.10.2004 – II ZR 413/02 -, juris Rn. 1).

2. Die Feststellungsklage ist auch begründet.

Der Kläger hat gegen den Beklagten Anspruch auf Erstattung von unfallbedingt entstandenen Pflege- und Betreuungskosten aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1, 11 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVersG. Seine Ansprüche waren und sind auch insoweit gegeben, als er durch die Pflegekasse kongruente Leistungen erhalten hat und in Zukunft erhalten wird. Der Kläger verliert seine Anspruchsberechtigung nicht durch Zahlungen der Pflegekasse. Ein Verlust seiner Aktivlegitimation durch Übergang seiner Forderungen auf die Pflegekasse als Sozialversicherungsträger gemäß § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X ist aufgrund des Familienprivilegs aus § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X ausgeschlossen.

a) Gemäß § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X geht ein Schadensersatzanspruch auf den Sozialversicherungsträger über, soweit dieser aufgrund des Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen. Die Zession soll bewirken, dass der Sozialversicherungsträger, durch dessen Leistungen der Geschädigte schadensfrei gestellt wird, Rückgriff nehmen kann. Der Schädiger soll durch die Versicherungsleistungen nicht unverdient entlastet werden, zugleich soll eine doppelte Entschädigung des Geschädigten vermieden werden (BGH, Urteil vom 17.10.2017 – VI ZR 423/16 -, juris Rn. 12 mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung).

b) Sinn und Zweck des in § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X geregelten sogenannten „Familienprivilegs“ ist es hingegen, zu verhindern, dass der Geschädigte, der Sozialleistungen bezieht, durch einen Rückgriff des Sozialversicherungsträgers gegen den in seiner häuslichen Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen selbst in Mitleidenschaft gezogen wird. Dabei wird davon ausgegangen, dass die in häuslicher Gemeinschaft zusammenlebenden Familienangehörigen meist eine gewisse wirtschaftliche Einheit bilden und dass bei der Durchführung des Rückgriffs der Geschädigte im Ergebnis das, was er mit der einen Hand vom Sozialversicherungsträger erhalten hat, mit der anderen wieder herausgeben müsste. Zugleich soll im Interesse der Erhaltung des häuslichen Familienfriedens verhindert werden, dass Streitigkeiten über die Verantwortung für Schadenszufügungen gegen Familienangehörige ausgetragen werden (BGH aaO, Rn. 14).

c) Nach gefestigter und mit Urteil vom 17.10.2017 erneut bestätigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt der Forderungsausschluss nach § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X nicht nur für den gegen den Familienangehörigen gerichteten Schadensersatzanspruch, sondern auch für den Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer (BGH, Urteil vom 17.10.2017 – VI ZR 423/16 -, juris Rn. 15, mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung). Zwar erscheine, so der Bundesgerichtshof, bei einer Inanspruchnahme des Haftpflichtversicherers weder der Familienfrieden gefährdet noch die Familie als Wirtschaftseinheit unmittelbar belastet. Einem getrennten, vom Haftpflichtanspruch losgelösten Übergang des Direktanspruchs auf den Sozialversicherungsträger stehe aber die Rechtsnatur des Direktanspruchs als akzessorisches Recht entgegen (BGH aaO, Rn. 15).

d) Nimmt der Geschädigte den in häuslicher Gemeinschaft zusammenlebenden Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer in Anspruch, so findet eine Vorteilsausgleichung im Hinblick auf kongruente Leistungen des Sozialversicherungsträgers nicht statt. Leistungen eines Sozialversicherungsträgers, die gerade im Hinblick auf eine besondere Situation des Geschädigten erbracht werden, in die er durch das schädigende Ereignis geraten ist, sollen nach ihrem Sinn und Zweck nicht dem Schädiger, sondern dem Geschädigten zugutekommen.

e) Dass der Geschädigte kongruente Leistungen sowohl von dem Sozialversicherungsträger als auch von dem angehörigen Schädiger bzw. dessen Versicherer erhält, er also doppelt entschädigt wird, ist Folge und Konsequenz des Familienprivilegs, wie es in § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X ausgestaltet ist (BGH aaO, Rn. 17 f, m. W. N.).

f) Aus der Vorschrift des § 86 Abs. 3 VVG ergibt sich im vorliegenden Fall nichts anderes. Nach dieser durch das Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsgesetzes vom 23.11.2007 (Bundesgesetzblatt I 2007, 2631 ff.) neu gefassten Vorschrift kann der sich nach § 86 Abs. 1 VVG vollziehende Forderungsübergang auf den Versicherer nicht geltend gemacht werden, wenn sich der Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen eine Person richtet, mit der er bei Eintritt des Schadens in häuslicher Gemeinschaft lebt, es sei denn, diese Person hat den Schaden vorsätzlich verursacht. § 86 Abs. 3 VVG enthält damit wie § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X ein Familienprivileg. Anders als es in § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X geregelt ist, geht in den Anwendungsfällen des § 86 VVG die Forderung des Versicherungsnehmers jedoch auf den Versicherer über, der den Übergang, außer in Fällen der vorsätzlichen Schadensverursachung, nicht geltend machen kann. Sinn und Zweck des Familienprivilegs werden nach wie vor dadurch entsprochen, dass zum Schutz des Geschädigten der Versicherer bei dem Schädiger, der mit dem Geschädigten in häuslicher Gemeinschaft lebt, keinen Rückgriff nehmen kann.

Diese für das Versicherungsvertragsgesetz erfolgte Änderung von einem Ausschluss des Forderungsübergangs hin zu einem Ausschluss des Regresses hat der Gesetzgeber bislang nicht auf § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X erstreckt (siehe aber den Regierungsentwurf vom 13.12.2019 „7. SGB IV-ÄndG“, veröffentlicht unter Internetadresse 1). Der Bundesgerichtshof hat in seiner wegweisenden Entscheidung vom 17.10.2017 – VI ZR 423/16 – ausdrücklich klargestellt, dass eine Auslegung des § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X entgegen seines Wortlautes, wonach ein solcher Übergang ausdrücklich „ausgeschlossen“ ist, nicht möglich sei und dass sich die Gerichte mit der Annahme eines Forderungsübergangs im Anwendungsbereich des § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X entgegen dem Wortlaut der Regelung und entgegen den unterschiedlichen gesetzgeberischen Entwicklungen im Versicherungsvertragsrechts einerseits und dem Sozialversicherungsrecht andererseits die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschreiten würden. Dieser Auffassung schließt sich der Berufungssenat an.

g) Soweit der Beklagte die Auffassung vertritt, die unterschiedlichen Ausgestaltungen des Familienprivilegs in § 86 Abs. 3 VVG und § 116 Abs. 6 SGB X stellten eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von privat versicherten und gesetzlich versicherten Personen dar, hat auch der Senat Zweifel, ob eine unterschiedliche Ausgestaltung des Familienprivilegs für gesetzlich und privat Versicherte, die im Ergebnis dazu führt, dass gesetzlich Pflegeversicherte eine doppelte Entschädigung erhalten, sachlich gerechtfertigt ist.

Die Frage der Verfassungsgemäßheit von § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X muss jedoch im vorliegenden Rechtsstreit offenbleiben. Aufgrund des klaren Wortlautes der Vorschrift ist der Senat an einer vom Beklagten geforderten „verfassungskonformen Auslegung“ gehindert. Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenzen dort, wo sie zum Wortlaut der Norm und zum klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde. Das Argument des Beklagten, schon einmal habe das Bundesverfassungsgericht im Interesse der Einheitlichkeit des Familienprivilegs eine nicht dem Wortlaut entsprechende verfassungskonforme Auslegung des § 116 SGB X vorgenommen, verfängt nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 12.10.2010 (BVerfGE 127, 263 ff.) die Vorschrift des § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X verfassungskonform dahingehend ausgelegt, dass bei getrennt lebenden Eltern auch derjenige Elternteil die Tatbestandsvoraussetzungen eines Lebens in häuslicher Gemeinschaft erfülle, der mit seinem Kind zwar nicht ständig zusammenlebe, aber seine Elternverantwortung in dem ihm rechtlich möglichen Maße tatsächlich nachkomme und regelmäßig längeren Umgang mit seinem Kind pflege, so dass das Kind zeitweise auch in seinen Haushalt integriert sei und damit bei ihm ein Zuhause habe. Eine Auslegung der Vorschrift entgegen ihres Wortlautes hat das Bundesverfassungsgericht nicht vorgenommen. Der Begriff der häuslichen Gemeinschaft ist im Hinblick auf getrennt lebende Eltern, die zeitweise aber in unterschiedlichen Zeitumfang mit dem gemeinsamen Kind zusammenleben auslegungsfähig. Hingegen ist die Formulierung in § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X „Ein Übergang nach Abs. 1 ist … ausgeschlossen“ der Auslegung nicht fähig. Sie kann insbesondere nicht dahingehend ausgelegt werden, dass ein Übergang zwar stattfinden, gegenüber dem Familienangehörigen aber nicht geltend gemacht werden könne.

h) Schließlich kommt auch eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG nicht n Betracht.

Der Beklagte vertritt die Auffassung, dass durch die Gestaltung von § 86 Abs. 3 VVG einerseits und § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X andererseits privatversicherte Personen im Vergleich zu gesetzlich versicherten Personen benachteiligt seien. Dies stelle eine sachlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung und damit einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar. Für die Zulässigkeit einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht wäre indes Voraussetzung, dass im vorliegenden Verfahren Ansprüche der benachteiligten Personengruppe strittig wären. Das ist hier nicht der Fall. Es steht die Verfassungsgemäßheit einer Vorschrift in Frage, die den Kläger begünstigt. Solange der Gesetzgeber einer Personengruppe Begünstigung gewährt, haben die Angehörigen dieser Gruppe einen gesetzlichen Anspruch, den sie nicht dadurch verlieren könnten, dass einer anderen Gruppe die Vergünstigungen nicht gewährt worden sind (BVerfG, Beschluss vom 18.07.1984 – 1 BvL 3/81, abgedruckt in NVwZ 1985, 481). Mit anderen Worten: Da der Kläger gesetzlich versichert ist und er durch die auf ihn anwendbare Vorschrift des § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X begünstigt wird, hingegen privat Versicherte, die möglicherweise durch die Vorschrift des § 86 Abs. 3 VVG in ihren Grundrechten beeinträchtigt werden, an dem Verfahren nicht beteiligt sind, ist eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht unzulässig.“

Fußgänger versus Pkw, oder: „alkoholisierte Fußgänger an Karneval nicht gänzlich unwahrscheinlich“

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Karneval fällt ja in diesem Jahr weitgehend aus. Ich finde es übrigens wohltuend, im öffentlichen rechtlichen Fernsehen – aber auch bei den Privaten – nicht wochenlang mit irgendwelchen „Karnevalssitzungen“ überschwemmt zu werden. Aber das werden „Karnavalsfans“ sicherlich anders sehen.

Aber ganz ohne Karneval geht dann doch nicht. Und da habe ich dann heute im „Kessel Buntes“ den OLG Köln, Beschl. v. 06.03.2020 – 11 U 274/19 -, der schon etwas länger in meinem Blogordner hängt. Heute passt er dann. Es es ist ein sog. Hinweisbeschluss des OLG. Geklagt hatte ein „Karnevalsjeck“. Der war in der Nacht nach Rosenmontag 2018 zu Fuß auf dem Heimweg nach Hause. Er trug (immer noch) ein dunkelbraunes (Ganzkörper)-Bärenkostüm. Sein Weg führte ihn entlang einer Bundesstraße, an deren Seite sich ein Fuß- und Radweg befindet. Auf der unbeleuchteten Strecke war eine Geschwindigkeit von 70 km/h zulässig. Der mit 1,47 Promille alkoholisierte Kläger geriet auf die Fahrbahn der Bundesstraße. Dort wurde er auf der linken Hälfte der Fahrspur von einem Pkw erfasst und dabei schwer verletzt. Das LG  hat den Kläger zu 75% und den beklagten Fahrer und Haftpflichtversicherung des Pkw zu 25% für die Schäden haften lassen.

Dagegen die Berufung der Beklagten, die nach Auffassung des OLG Köln wegen der Haftungsquote keinen Erfolg haben würde:

„Auf dieser tatsächlichen Grundlage hat das Landgericht zutreffend eine gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten in Höhe von ¼ angenommen.

Bei einem schuldhaften Fehlverhalten des Fußgängers ist nach §§ 9 StVG, 254 BGB eine Quotenbildung zwischen der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung aus § 7 Abs. 1 StVG und der Verschuldenshaftung des Fußgängers aus § 823 Abs. 1 BGB vorzunehmen. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen – wie auch im Rahmen der Abwägung nach § 17 StVG – feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen und für die Entstehung des Schadens ursächlich geworden sein; nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben außer Betracht zu bleiben (BGH, NJW 1995, 1029, 1030). Die Gefährdungshaftung kann dabei ganz zurücktreten, wenn die im Vordergrund stehende Schadensursache ein grob verkehrswidriges Verhalten des Geschädigten ist (BGH, NJW 2014, 217).

Auf Seiten der Beklagten ist die Betriebsgefahr des Fahrzeugs anzusetzen.

Dem Kläger fällt ein ganz erheblicher Sorgfaltspflichtverstoß zur Last. Zu seinen Lasten steht fest, dass er sich nachts mitten auf der Fahrbahn befand, obwohl sich dort ein Fahrzeug näherte. Damit hat er entweder die Fahrbahn zu dem Zeitpunkt betreten, als sich der Beklagte zu 1) näherte, oder er hat die Fahrbahn betreten, als noch kein Fahrzeug in Sicht war, dann aber den Fahrstreifen nicht zügig überquert, sondern sich noch bis zum Unfall dort aufgehalten. In beiden Alternativen hat er sich verkehrswidrig verhalten und gegen § 25 Abs. 3 StVO verstoßen. Danach hat ein Fußgänger vor dem Betreten und beim Überschreiten der Fahrbahn besondere Vorsicht walten zu lassen. Er muss dementsprechend auf den fließenden Fahrzeugverkehr achten und auf ihn Rücksicht nehmen. Insbesondere muss er darauf bedacht sein, nicht in die Fahrbahn eines herannahenden Fahrzeugs zu geraten, ansonsten handelt er grob fahrlässig (OLG Hamm, NJW-RR 2012, 1236). Die im Unfallzeitpunkt erhebliche Alkoholisierung von mindestens 1,47 Promille BAK (die Blutentnahme erfolgt etwa 1 ½ Stunden nach dem Unfall und nach Gabe von 1,5 l Infusion (Bl. 142 f. BA)) hat sich – entgegen der Ansicht des Landgerichts – auf den Unfall ausgewirkt. Der Kläger hatte unzweifelhaft erhebliche alkoholbedingte Ausfallerscheinungen, als er etwa eine Stunde zuvor – noch in Begleitung der Zeugen C und D E – „kurz auf die Straße (wankte)“ (Bl. 187 BA). Bei diese Sachlage ist davon auszugehen, dass der Verunglückte alkoholbedingt verkehrsunsicher war. Der erste Anschein spricht dann dafür, dass die im Aufenthalt auf der Fahrbahn zum Ausdruck kommende enorme Sorglosigkeit des Klägers auf alkoholbedingte Ausfallerscheinungen beruhte (vgl. BGH, NJW 1976, 897).

Bei Abwägung dieser Umstände ist entgegen der Annahme der Berufung gleichwohl eine Haftungsverteilung ¼ zu ¾ angemessen: Obwohl der Kläger für die Entstehung des Schadens maßgebliche Ursachen grob fahrlässig selbst herbeigeführt hat, hat sich auch die auch mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs verbundene Betriebsgefahr in geradezu klassischer Weise verwirklicht. Ihre nicht völlig untergeordnete Bedeutung lässt es nach den Umständen des Streitfalls nicht angemessen erscheinen, die Gefährdungshaftung vollends zurücktreten zu lassen. Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW-RR 2015, 1056 f.) kommt eine Alleinhaftung im Rahmen von § 254 BGB nur in Ausnahmefällen in Betracht. Dies gilt insbesondere auch bei einem grob fahrlässigen Verhalten eines nicht motorisierten Unfallopfers, wenn nicht feststeht, dass der Fahrzeugführer sich wie ein Idealfahrer verhalten hat (OLG Naumburg, NJW-RR 2014, 918, 919; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2018, 925, 927). Angesichts der hiesigen Verkehrssituation, die bei Nacht und Feuchtigkeit durchaus besondere Aufmerksamkeit des Beklagten zu 1) erforderte (hierzu OLG Naumburg, NJW-RR 2014, 918, 919), erscheint die durch das Landgericht angenommene maßvolle Mithaftung sachgerecht, zumal alkoholisierte Fußgänger an Karneval nicht gänzlich unwahrscheinlich sind (Freymann, in: Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, Kap. 27 Rn. 129). Diese Quote bewegt sich auch im Rahmen der üblicherweise angenommenen Haftungsverteilung (etwa Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 15. Aufl. 2017, Rn. 411).

Aber: Aus prozessualen Gründen wollte das OLG dennoch terminieren. Insoweit bitte selbts weiter lesen.

StPO III: Revision gegen ein Verwerfungsurteil, oder: Fehlender Eröffnungsbeschluss

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Und zum Tagesschluss dann noch eine OLG-Entscheidung, nämlich der OLG Köln, Beschl. v. 04.02.2020 – 1 RVs 240/19. Ergangen ist er in einem Revisionsverfahren. Die Berufung des Angeklagten ist nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen worden. Das OLG hat aufgehoben, und zwar auf die Sachrüge des Angeklagten, die der Verteidiger zum Glück erhoben und geltend gemacht hatte, dass ein Eröffnungsbeschluss nicht vorliegt:

„Der Senat berücksichtigt dieses Verfahrenshindernis auch auf die gegen ein Verwerfungsurteil gerichtete Sachrüge.

aa)  Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die gegen ein Verwerfungsurteil gemäß § 329 Abs. 1 StPO (bzw. – gleichsinnig – § 74 Abs. 2 OWiG) allein erhobene Sachrüge die Prüfung veranlasst, ob die für das Verfahren erforderlichen Prozessvoraussetzungen vorliegen oder ob dessen Einleitung oder Fortführung Prozesshindernisse entgegenstehen (SenE v. 15.08.2000 – Ss 189/00 -; SenE v. 16.03.2001 – Ss 66/01 -; SenE v. 13.03.2001 – Ss 65/01 -; SenE v. 12.12.2000 – Ss 446/00 – = VRS 100, 45 [49] = NJW 2001, 1223; SenE v. 03.04.2001 – Ss 92/01 -; SenE v. 27.11.2001 – Ss 468/01 -; SenE v. 21.12.2001 – Ss 507/01 B – = VRS 102, 112 [113] = DAR 2002, 178 [179] = NZV 2002, 241 [242]; SenE v. 11.03.2005 – 8 Ss 29/05 -; SenE v. 16.03.2011 – III-1 RBs 59/11 -; SenE v. 14.12.2018 – III-1 RBs 406/18 -).

bb) Das gilt – was der Senat bislang noch nicht zu entscheiden hatte – unabhängig von der Frage, zu welchem Zeitpunkt das Verfahrenshindernis eingetreten ist, ob es also – wie der fehlende Eröffnungsbeschluss – bereits vom Amtsgericht hätte beachtet werden müssen. Der Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der dies auf Vorlage des OLG Koblenz für das Verfahrenshindernis des fehlenden (zurückgenommenen) Strafantrags angenommen hat (BGHSt 46, 230 = NStZ 2001, 440). Dies entspricht auch der Rechtsmeinung derjenigen Oberlandesgerichte, die sich seither mit der genannten Rechtsfrage zu befassen hatten (OLG Hamm B. v. 25.10.2016 – III-3 RVs 72/16 – zitiert nach Juris [Verjährung]; OLG Düsseldorf B. v. 08.04.2014 III-2 RVs 35/14 = BeckRS 2014, 7811 [Frage des Vorliegens einer Eröffnungsentscheidung]; OLG Hamburg NJW 2012, 631 [unwirksame Anklage]; OLG Celle NStZ-RR 2012, 75 [parallele Situation der Sprungrevision gegen ein Verwerfungsurteil gemäß § 412 StPO – Verjährung]; OLG Celle NStZ 2008, 118 [Verfahrenseinstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO]; s. weiter OLG Bamberg B. v. 19.01.2012 – 2 Ss OWi 1545/11= BeckRS 2012, 26002). Diese Rechtsauffassung wird auch von Teilen der Literatur vertreten (MüKo-StPO-Quentin, § 329 Rz. 11; Löwe/Rosenberg-Gössel, 26. Auflage 2012, § 329 Rz. 65; HK-StPO-Rautenberg/Reichenbach, § 329 Rz. 6; Paulus NStZ 2001, 445; a. A. – Berücksichtigung nur nachträglich entstandener Verfahrenshindernisse – aber Meyer-Goßner, Prozessvoraussetzungen und Prozesshindernisse S. 45 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage 2019, § 329 Rz. 8; SK-StPO-Frisch, 5. Auflage 2016, § 329 Rz. 39; KK-StPO-Paul, 8. Auflage 2019, § 329 Rz. 13; SSW-StPO-Brunner, 3. Auflage 2018, § 329 Rz. 54; Duttge NStZ 2001, 442; wohl auch Radtke/Hohmann-Beukelmann, StPO, § 329 Rz. 37). Für einen Vorrang der Einstellung vor der Verwerfung spricht, dass es sich bei den Verfahrensvoraussetzungen um Umstände handelt, die so schwer wiegen, dass von ihrem Vorhandensein die Zulässigkeit des Verfahrens im Ganzen abhängt. Sie bestehen nicht nur im Interesse des Angeklagten, sondern vielmehr auch im allgemeinen Interesse (BGHSt 46, 230 [236]). Dass – wie die Gegenauffassung annimmt – die Anwesenheit des Angeklagten eine Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts darstelle (Meyer-Goßner, Prozessvoraussetzungen und Prozesshindernisse S. 46; Duttge NStZ 2001, 442 [443]) ist demgegenüber jedenfalls keine vom Gesetz bruchlos durchgeführte Konzeption, wie die Vorschrift des § 329 Abs. 6 erweist, die (zwar nur, aber immerhin) eine Sachentscheidung über die Gesamtstrafe bei Abwesenheit des Angeklagten gestattet.

c) aa) Ein Beschluss des Amtsgerichts, durch den die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Köln vom 7. Juni 2018 – 666 Js 821/18 – gegen die Revisionsführerin zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet wurde, ist in den Akten nicht vorhanden.

bb) Die fehlende Eröffnungsentscheidung ist auch nicht durch andere Beschlüsse oder Vorgänge im Rahmen des amtsgerichtlichen Verfahrens ersetzt worden. Zwar kann ein (konkludenter) Eröffnungsbeschluss auch in einer anderen, vor Erlass des erstinstanzlichen Urteils schriftlich ergangenen Entscheidung gesehen werden, der eine schlüssige und eindeutige Willenserklärung des Gerichts, die Anklage unter den Voraussetzungen des § 203 StPO zuzulassen, unter gleichzeitiger Würdigung des hinreichenden Tatverdachts, zweifelsfrei entnommen werden kann (vgl. BGH NStZ 1987, 239; BGH NStZ 1988, 236; BGH NStZ-RR 2011, 150 m. w. N. recherchiert über juris; SenE v. 18.12.2007 – 81 Ss 88/07 -; SenE v. 11.08.2009 – 81 Ss 35/09 -; SenE v. 29.06.2016 – III-1 RVs 128/16; SenE v. 25.09.2018 – III-1 RVs 181/18; LR-StPO-Stuckenberg, StPO, 26. Auflage, § 207 Rz. 54). Vorliegend lässt jedoch der einzig insoweit in Betracht zu ziehende Verfahrensvorgang – der Verbindungsbeschluss vom 5. September 2018 (Bl. 55 d. A.) – eine sachliche Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen gerade nicht erkennen. Dort ist nämlich eine weitere Anklage (vom 31. August 2018 – 666 Js 1339/18) zur Hauptverhandlung zugelassen worden; hinsichtlich des hier in Rede stehenden Tatvorwurfs findet sich hingegen nur eine Entscheidung über die Verfahrensverbindung.“

OWi II: „Einklemmen“ des Mobiltelefons zwischen Ohr und Schulter, oder: OLG Köln hält das für „Halten“

Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Köln. Das hat sich im OLG Köln, Beschl. v. 04.12.2020 – 1 RBs 347/20 – zu § 23 Abs. 1a StVO – Mobiltelefon im Straßenverkehr – geäußert, und zwar zum Begriff des Haltens.

Das AG hatte den Betroffenen auf der Grundlage folgender Feststellungen verurteilt:

„Auf dem im Rahmen der Geschwindigkeitsmessung aufgenommenen Messfoto ist zudem erkennbar, dass die Betroffene ein Mobiltelefon zwischen der (scil.: linken) Schulter und dem Kopf eingeklemmt hat. Die Betroffene hat über ihren Verteidiger auch eingeräumt, dass es sich dabei um ein Mobiltelefon gehandelt hat und sie dieses auch zum Telefonieren genutzt hat.“.

Das Tatgericht ist dabei davon ausgegangen, dass die Betroffene das Mobiltelefon – entsprechend ihrer Einlassung – bereits vor Fahrtantritt in der abgebildeten Haltung gehabt habe. Gleichwohl sei nach Wortlaut und Sinn des § 23 Abs. 1a StVO von einem tatbestandsmäßigen „Halten“ auszugehen…“

Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen und sich dann zum „Halten“ geäußert.

„b) Die Betroffene hat das Mobiltelefon aber auch – wie die genannte Vorschrift dies voraussetzt – „gehalten“, indem sie dieses zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt hat.

aa) Entgegen der von der Generalstaatsanwaltschaft geäußerten Rechtsauffassung genügt zur Erfüllung des Tatbestandes freilich nicht, dass die Betroffene das Mobiltelefon zu irgend einem Zeitpunkt aufgenommen haben muss. Wie nicht nur der Wortlaut des § 23 Abs. 1a S. 1 Ziff. 1 StVO („wer ein Fahrzeug führt…“), sondern auch die Regelung des § 23 Abs. 1b S. 1 Ziff. 1 StVO erweist, genügt ein Aufnehmen des elektronischen Geräts in dem Zeitpunkt, da der Motor des Fahrzeugs abgeschaltet ist, zur Tatbestandserfüllung nicht (vgl. Senat DAR 2019, 398; s. a. den der Entscheidung OLG Stuttgart DAR 2019, 103 = VRS 135, 38 zugrunde liegenden Sachverhalt; s. weiter Urbanzyk DAR 2018, 641 und – zur Vorgängerfassung – Janker NZV 2006, 69 [70]). Dem Zusammenhang der Urteilsgründe ist zu entnehmen, dass das Tatgericht die Einlassung der Betroffenen, sie habe das Mobiltelefon bereits „vor Fahrtantritt“ in der auf dem Messfoto zu erkennenden Weise zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt in diesem Sinne aufgefasst, sie (jedenfalls) für nicht widerlegbar, aber für aus Rechtsgründen unerheblich gehalten hat. Der Senat tritt dieser rechtlichen Bewertung bei.

bb) (1) Sie ist zunächst vom Wortlaut der Vorschrift gedeckt. Ein „Halten“ von Gegenständen ist dem Wortsinn nach ohne weiteres auch ohne Benutzung der Hände möglich. So wird man etwa – über die hier in Rede stehende Sachgestaltung hinaus – von „Halten“ sprechen, wenn ein Gegenstand zwischen Oberarm und Torso oder aber zwischen den Oberschenkeln fixiert wird (in diese Richtung auch AG Coesfeld DAR 2018, 640; König DAR 2020, 362 [372]).

(2) Auch der Zweck der Vorschrift steht einer entsprechenden Annahme jedenfalls nicht entgegen. Mag sie auch in erster Linie der Verhinderung solcher Verhaltensweisen dienen, die dazu führen, dass der Fahrzeugführer nicht mehr beide Hände zum Lenken des Fahrzeugs zur Verfügung hat und/oder seinen Blick vom Verkehrsgeschehen abwenden muss (OLG Karlsruhe DAR 2020, 520; OLG Hamm DAR 2019, 632; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke-Heß, Straßenverkehrsrecht, 26. Auflage 2020, § 23 StVO Rz. 22a; zur Vorgängerfassung unter Bezugnahme auf die seinerzeitige Verordnungsbegründung Hermann, NStZ-RR 2011, 65 [67]), besteht dieser doch allgemeiner darin, solche nicht mit dem Führen des Fahrzeugs in Zusammenhang stehende Tätigkeiten zu verhindern, die sich abträglich auf die Notwendigkeit der Konzentration auf das Verkehrsgeschehen auswirken (OLG Hamm B. v. 03.11.2020 – 4 RBs 345/20 – bei Juris; Hentschel/König/Dauer-König, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 23 StVO Rz. 14, 30). Der Verordnungsgeber hat zwar der Benutzung von elektronischen Geräten mit den Händen eine erhöhte Ablenkungswirkung beigemessen; er hat aber ersichtlich auch in den Blick genommen, dass fahrfremde Tätigkeiten unabhängig hiervon eine die Verkehrssicherheit gefährdende Ablenkungswirkung entfalten (BR-Drs. 556/17 S. 12). (Lediglich) aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und wegen der damit einhergehenden Nachweisschwierigkeiten hat er davon abgesehen, die Benutzung elektronischer Geräte insgesamt zu verbieten (a.a.O. S. 17), diese Alternative allerdings durchaus erwogen. Dieser Gesichtspunkt spricht dafür, fahrfremde Tätigkeiten als verboten anzusehen, soweit der Wortlaut der Vorschrift als äußerste Auslegungsgrenze dies – wie hier – erlaubt.

Dass es sich bei der Benutzung eines Mobiltelefons auch in der hier geschehenen Weise um eine fahrfremde Tätigkeit handelt, kann dabei keinem Zweifel unterliegen. Sie birgt auch – worauf bereits das Amtsgericht in der Sache zutreffend hingewiesen hat – ein nicht unerhebliches Gefährdungspotenzial. Dabei geht es nicht einmal in erster Linie um eine Erschwernis bei mit einer Veränderung der Körperhaltung einhergehenden Tätigkeiten wie etwa dem Schulterblick oder auch dem Blick in Spiegel. Neben dem Telefongespräch als solchem beansprucht vielmehr insbesondere auch das höchst unsichere und daher letztlich unverantwortliche Halten des Mobiltelefons zwischen Ohr und Schulter selbst die Aufmerksamkeit des Fahrers über Gebühr. Es besteht das Risiko, dass das Mobiltelefon sich aus seiner „Halterung“ löst und den Fahrer dann zu unwillkürlichen Reaktionen verleitet um zu verhindern, dass es – etwa – im Fußraum des Fahrzeugs unauffindbar wird. Schon um diesem Risiko entgegenzuwirken, wird der Fahrer einen ansonsten dem Verkehrsgeschehen zuzuwendenden Teil seiner Aufmerksamkeit seinem Mobiltelefon schenken. Dieser Umstand unterscheidet die hier in Rede stehende Nutzung des Mobiltelefons von derjenigen mittels einer Freisprecheinrichtung, bei welcher sich der Fahrer um die Stabilität der Halterung regelmäßig keine Gedanken machen muss. Dieser Unterschied trägt denn auch die Bewertung der hier in Rede stehenden Benutzung als verboten gegenüber der erlaubten Nutzung mittels einer Freisprecheinrichtung.

(3) Bei alledem verkennt der Senat nicht, dass der Verordnungsgeber ausweislich der Verordnungsbegründung davon ausgegangen ist, dass unter „Halten“ ein „in der Hand halten“ zu verstehen ist (BR-Drs. 556/17 S. 1, 16, 25, 26). Das vermag den Rechtsanwender jedoch nur insoweit zu binden, als diese Auffassung im Wortlaut der Norm ihren Ausdruck gefunden hat. Das ist aber – wie dargelegt – nicht der Fall (so auch König, DAR 2020, 362 [372] und DAR 2019, 362 [371]). Vielmehr erfasst der Normwortlaut die hier in Rede stehende Konstellation zwanglos und ihre Bußgeldbewehrung ist auch vom Sinn und Zweck der Vorschrift gedeckt. Soweit der Senat in seiner Entscheidung vom 14. Februar 2019 (DAR 2019, 398) unter Bezugnahme auf die Verordnungsbegründung eine abweichende Auslegung vertreten hat, hält er hieran nicht mehr fest.“

M.E. hätte das OLG das AG-Urteil besser nicht gehalten und den Mund gehalten 🙂 . Denn: Der Wortlaut erfasst diese Art des Haltens zwar und auch der Sinn und Zweck der Regelung passen. Aber: Die Gesetzesbegründung spricht klar und eindeutig gegen dieses Verständnis der Vorschrift. Und da fragt man sich dann doch: Muss ich damit als Betroffener eigentlich nicht rechnen? Was sollen Gesetzesbegründungen, wenn die dann die  OLG bei der Rechtsanwendung nicht interessieren?

Dies war übrigens die 6.000 Entscheidung, die ich hier im Blog vorstelle. Hätte gerne was Schöneres gehabt. 🙂 .

StPO II: Besetzungseinwand im Bußgeldverfahren?, oder: Die §§ 222a, 222b StPO gelten nicht

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Die zweite Entscheidung kommt mit dem OLG Köln, Beschl. v. 01.10.2020 – 2 Ws 534/20 – vom OLG Köln. Das hat zur Anwendbarkeit der §§ 222a, 22b StPO im Bußgeldverfahren Stellung genommen, wenn dort das LG erstinstanzlich entscheidet.

Bußgeldverfahren? Ja.  Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit hatte gegen die Betroffene mit Bußgeldbeschluss vom 27.11.2019 wegen Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung (Art. 83 Abs. 4 a i.V.m. Art. 32 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 (DSGVO)) eine Geldbuße festgesetzt. Auf den Einspruch der Betroffenen hat der Bundesbeauftragte den Bußgeldbescheid nach Prüfung aufrechterhalten und das Verfahren der Staatsanwaltschaft Bonn übersandt. Die Staatsanwaltschaft Bonn hat das Verfahren dem LG Bonn – Kammer für Bußgeldsachen – vorgelegt, Beim LG Bonn ist das Verfahren nach Eingang der 9. Strafkammer – als Kammer für Bußgeldsachen – zugeleitet worden. Der Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Bonn für das Geschäftsjahr 2020 weist der 9. Strafkammer als Kammer für Bußgeldsachen die Bearbeitung von Ordnungswidrigkeitenverfahren des ersten Rechtszuges zu. Um die Besetzung dieser Kammer geht es. Die Betroffene hat mit Schriftsatz ihres Verteidigers die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts gerügt und beantragt, gemäß § 222 b Abs. 2 S. 2 StPO festzustellen, dass das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt sei. Der Besetzungseinwand ist für nicht begründet erachtet und dem OLG zur Entscheidung vorgelegt worden. Der Einwand hatte keinen Erfolg:

„Der von der Betroffenen erhobene Besetzungseinwand bleibt ohne Erfolg. Der Besetzungseinwand ist im vorliegenden Bußgeldverfahren nicht statthaft. Er war daher als unzulässig zurückzuweisen.

1. Allgemein ist zunächst Folgendes vorwegzustellen: Die 9. Kammer für Bußgeldsachen des Landgerichts Bonn ist derzeit mit der Bearbeitung des vorliegenden erstinstanzlichen Bußgeldverfahrens befasst. Üblicherweise entscheidet nach § 68 Abs. 1 S. 1 OWiG das Amtsgericht über Einsprüche gegen Bußgeldbescheide. Vorliegend ist ausnahmsweise das Landgericht mit der Entscheidung über einen Einspruch im Bußgeldverfahren befasst. Hintergrund hierfür ist, dass der Gesetzgeber in § 41 Abs. 1 BDSG bestimmt hat, dass hinsichtlich Verstößen nach Art. 83 Abs. 4 bis 6 DSGVO die Vorschriften des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sinngemäß Anwendung finden, wobei § 68 OWiG mit der Maßgabe Anwendung findet, dass „das Landgericht“ entscheidet, wenn die festgesetzte Geldbuße – wie hier – den Betrag von 100.000 € übersteigt. Der Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Bonn sieht daher auch eine Zuständigkeit der 9. Strafkammer als Kammer für Bußgeldverfahren für Ordnungswidrigkeiten des ersten Rechtszuges vor (vgl. § 46 Abs. 7 OWiG).

Auch in anderen Fällen hat der Gesetzgeber bestimmt, dass ausnahmsweise – abweichend von § 68 OWiG – nicht das Amtsgericht zur erstinstanzlichen Bearbeitung von Einsprüchen in Bußgeldverfahren berufen ist. So sieht § 83 GWB vor, dass das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk die zuständige Kartellbehörde ihren Sitz hat, im gerichtlichen Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 81 GWB entscheidet. Nach § 62 WpÜG entscheidet das für den Sitz der Bundesanstalt in Frankfurt am Main zuständige Oberlandesgericht im gerichtlichen Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 60 WpÜG.

Angesichts der als „systemwidrig“ (so der Gesetzesantrag des Landes Hessen vom 02.03.2020, BR-Drs. 107/20, S. 14) erscheinenden erstinstanzlichen Befassung des Landgerichts mit Bußgeldsachen haben sich die Justizministerinnen und Justizminister der Länder auf der Herbstkonferenz am 15.11.2018 in Thüringen für die Abschaffung der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Landgerichte in datenschutzrechtlichen Bußgeldsachen ausgesprochen (TOP II.10). Sie haben die Bundesregierung gebeten, zeitnah einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorzulegen, mit dem die singuläre Zuständigkeitsbestimmung der Landgerichte, die ansonsten nicht mit erstinstanzlichen Bußgeldsachen befasst seien, abgeschafft werde. Der Bundesrat hat unter dem 03.07.2020 einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt, nach welchem § 41 Abs. 1 S. 3 BDSG ersatzlos aufgehoben werden soll (BR-Drs. 107/20, S. 9, S. 43 f.). Der Entwurf wurde dem Bundestag zugeleitet, wurde aber bislang – soweit ersichtlich – noch nicht beraten.

2. Der durch die Betroffene erhobene Besetzungseinwand ist im vorliegenden Bußgeldverfahren nicht statthaft und daher unzulässig.

Nach § 222 a Abs. 1 StPO ist die Besetzung des Gerichts spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung mitzuteilen, wenn die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht stattfindet. Auf Anordnung des Vorsitzenden kann sie schon vor der Hauptverhandlung mitgeteilt werden. Hat das Gericht die Besetzung mitgeteilt, kann der Einwand, dass das Gericht vorschriftswidrig besetzt sei, innerhalb einer Woche geltend gemacht werden (§ 222 b Abs. 1 S. 1 StPO). Hält das Gericht den Einwand nicht für begründet, hat es ihn spätestens vor Ablauf von drei Tagen dem Rechtsmittelgericht nach § 222 b Abs. 3 S. 1 StPO vorzulegen (Vorabentscheidungsverfahren).

Ob die in der Strafprozessordnung für das Strafverfahren im ersten Rechtszug vorgesehenen Vorschriften der §§ 222 a, 222 b StPO auch in Bußgeldverfahren Anwendung finden, ist in der Literatur umstritten. Die Frage wird regelmäßig in Bezug auf erstinstanzlich vor dem Oberlandesgericht geführte Kartellordnungswidrigkeitenverfahren (§ 82 GWB) diskutiert, soweit dort eine Hauptverhandlung stattfindet, also nicht im schriftlichen Verfahren (§ 72 OWiG) entschieden wird. Teilweise wird die Ansicht vertreten, § 222 a StPO sei auch in Bußgeldverfahren vor dem Oberlandesgericht wegen Kartellordnungswidrigkeiten anzuwenden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 222 a Rdn. 2; Deiters in SK-StPO, 4. Aufl., § 222 a Rdn. 4; Eschelbach in KMR StPO, 2018, § 222 a Rdn. 24). Andere Stimmen halten die Vorschriften der §§ 222 a, 222 b StPO in Kartellordnungswidrigkeitenverfahren nicht für anwendbar (Wrage-Molkenthin/Bauer in Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, 96. Lieferung 2020, § 83 GWB Rdn. 27) oder vertreten die Ansicht, dass diese Vorschriften in Bußgeldverfahren ganz allgemein nicht anwendbar seien (Gmel in Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., § 222 a Rdn. 3; Julius/Reichling in Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Aufl., § 222 a Rdn. 2; Keller in AK-StPO, § 222 a Rdn. 2; vgl. auch Graf, StPO, 3. Aufl., § 222 a Rdn. 5: keine Anwendung in Bußgeldverfahren mit Ausnahme der vor dem OLG verhandelten Kartellordnungswidrigkeiten).

Der Senat schließt sich in diesem Streit der letztgenannten Ansicht an, wonach die Vorschriften im Bußgeldverfahren nicht anwendbar sind. Dies entspricht auch der Ansicht des Bundesgerichtshofs, der in einem Kartellordnungswidrigkeitenverfahren ausdrücklich entschieden hat, dass die §§ 222 a, 222 b StPO (a.F.) im Bußgeldverfahren keine Anwendung finden (BGH, Beschluss vom 27.05.1986, KRB 13/85 (KG), NStZ 1986, 518).

Zwar schließt der Wortlaut des § 222 a Abs. 1 S. 1 StPO eine Anwendung auf erstinstanzlich vor dem Landgericht geführte Bußgeldverfahren – soweit aufgrund einer Hauptverhandlung entschieden wird – nicht aus. Nach dem Wortlaut ist die Besetzung mitzuteilen, wenn die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht stattfindet. Auch in einem nach § 41 Abs. 1 S. 3 BDSG geführten Bußgeldverfahren findet die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Landgericht statt. Hinzukommt, dass der Gesetzgeber in § 41 Abs. 2 S. 1 BDSG bestimmt hat, dass die Vorschriften des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes, durchaus entsprechend gelten.

Indes gelten die Vorschriften der Strafprozessordnung für das Bußgeldverfahren nur sinngemäß und nur insoweit, als das Ordnungswidrigkeitengesetz nichts anderes bestimmt. Gemäß § 71 Abs. 1 OWiG richtet sich das Verfahren nach zulässigem Einspruch – soweit im Ordnungswidrigkeitengesetz nichts anderes bestimmt ist – nach den Vorschriften der Strafprozessordnung, die nach zulässigem Einspruch gegen den Strafbefehl gelten. Für ein Strafbefehlsverfahren, das ausweislich der Regelungen in §§ 407 ff. StPO vor dem Amtsgericht stattfindet, sind die §§ 222 a, 222 b StPO indes gerade nicht anwendbar. Der Bundesgerichtshof ist vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis gelangt, dass die §§ 222 a, 222 b StPO (a.F.) im Bußgeldverfahren keine Anwendung finden (BGH, Beschluss vom 27.05.1986, KRB 13/85 (KG), NStZ 1986, 518). Auch eine sinngemäße Anwendung dieser Vorschriften erscheint nicht geboten (BGH, Beschluss vom 27.05.1986, KRB 13/85 (KG), NStZ 1986, 518). Dies gilt auch unter Berücksichtigung, dass das Landgericht Bonn vorliegend beabsichtigt, nicht im Beschlusswege (§ 72 OWiG), sondern auf der Grundlage einer Hauptverhandlung zu entscheiden.

Auch die Gesetzesmaterialien zur Einführung des Vorabentscheidungsverfahrens nach § 222 b Abs. 3 StPO (BR-Drs. 532/19) geben keine Veranlassung zu einer abweichenden Entscheidung. Insbesondere lässt sich ihnen nicht entnehmen, dass die Vorschriften der §§ 222 a, 222 b StPO – und damit auch das Vorabentscheidungsverfahren – nach den Vorstellungen des Gesetzgebers auch in Bußgeldverfahren Anwendung finden soll. Ziel der Einführung des Vorabentscheidungsverfahrens war vielmehr, einem Angeklagten die Möglichkeit zu eröffnen, seinen grundrechtsgleichen Anspruch auf Gewährleistung des gesetzlichen Richters schon vor Ende der Hauptverhandlung abschließend überprüfen zu lassen. Die Regelung soll die Urteilsaufhebung wegen vorschriftswidriger Besetzung in land- und oberlandesgerichtlichen Verfahren reduzieren und das Strafverfahren von unnötigem Aufwand sowie erheblichen Verfahrensverzögerungen entlasten. Vergleichbare Erwägungen für Bußgeldverfahren hat der Gesetzgeber nicht angestellt.

Eine Anwendung der §§ 222 a, 222 b StPO erscheint im Bußgeldverfahren auch nicht geboten. Der Gesetzgeber hat bei der Abfassung der Regelungen – auch bereits vor Einführung des Vorabscheidungsverfahrens – von der Einbeziehung weiterer Verfahren bewusst abgesehen (Arnoldi in Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl., § 222 a Rdn. 5). Dies betrifft zunächst amtsgerichtliche Verfahren, die trotz der Möglichkeit, Sprungrevision einzulegen, zumeist mit der Berufung angegriffen werden. Auch für zweitinstanzliche Verfahren vor dem Landgericht ist die Mitteilung der Besetzung nicht vorgesehen worden, obwohl auch Berufungsurteile mit der Revision angreifbar sind. Insoweit hat der Gesetzgeber auch berücksichtigt, dass Berufungsverhandlungen regelmäßig nicht so umfangreich wie erstinstanzliche Hauptverhandlungen vor den Strafkammern und Strafsenaten sind (Arnoldi, aaO). Auch für Bußgeldverfahren gilt, das diese regelmäßig nicht vergleichbar umfangreich sind. Das Bedürfnis, die Urteilsaufhebung wegen eines Besetzungsfehlers zu vermeiden, ist vor diesem Hintergrund auch hier weniger dringlich (vgl. hierzu allgemein Jäger in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 222 a Rdn. 2).

Da sich der Besetzungseinwand nach alledem bereits als unstatthaft erweist, kann der Senat offen lassen, ob der Besetzungseinwand vom 10.09.2020 betreffend die Besetzungsmitteilung vom 31.08.2020 angesichts der erneuten Besetzungsmitteilung vom 09.09.2020 und des Besetzungseinwandes vom 17.09.2020 prozessual überholt ist. Der Besetzungseinwand ist jedenfalls mangels Statthaftigkeit unzulässig. Vor diesem Hintergrund hatte der Senat auch über die Frage der Begründetheit des Besetzungseinwandes nicht zu entscheiden.“