Schlagwort-Archive: OLG Köln

OWi II: Leivtec kein standardisiertes Messverfahren, oder: Toleranzwert bei der Messung durch Nachfahren

Das zweite Posting des Tages enthält zwei OLG-Entscheidungen zur Geschwindigkeitsüberschreitung, und zwar zu den Anforderungen an die Urteile in diesen Fällen bzw. zur Berücksichtigung von Toleranzwerten beim Nachfahren.

Zunächst hier der OLG Koblenz, Beschl. v. 15.12.2021 – 3 OWi 32 SsRs 108/21 –,  zu den Darlegungsanforderungen bei Verurteilungen wegen Geschwindigkeitsverstößen, die mit dem Messgerät Leivtec XV3 ermittelt wurden. Das OLG geht – wie die h.M. in der Rechtsprechung der OLG – anders nur das OLG Schleswig – davon aus, dass derzeit bei dem Messverfahren die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens nicht mehr gegeben sind.

Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um den OLG Köln, Beschl. v. 03.12.2021 – III-1 RBs 254/21 -, der folgenden (gerichtlichen Leitsatz hat:

Bei der Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren in einem Fahrzeug mit nicht justiertem Tachometer ist regelmäßig ein erster Toleranzabzug von der abgelesenen Geschwindigkeit von 10% zuzüglich 4 km/h für mögliche Eigenfehler des Tachometers sowie ein weiterer Toleranzabzug zwischen 6 und 12% der abgelesenen Geschwindigkeit erforderlich, um weiteren Fehlerquellen, wie Ablesefehlern sowie solchen Fehlern, die aus Abstandsveränderungen und/oder der Beschaffenheit des Fahrzeugs resultierten zu begegnen (teilweise Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung).

OWi III: Betroffener und Verteidiger fehlen in HV, oder: Keine Verwerfung gegen entbundenen Betroffenen

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Und zum Ausklang des Tages dann noch der OLG Köln, Beschl. v. 15.09.2021 – 1 RBs 260/21, den mir der Kollege Anger, Bergisch-Gladbach, geschickt hat.

Ich stelle nur den Leitsatz ein. Der ist selbsterklärend.

„Wurde der Betroffene von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden und bleibt auch sein nach § 73 Abs. 3 OWiG zur Vertretung bevollmächtigter Verteidiger der Hauptverhandlung fern, rechtfertigt dies keine Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG.“

Wie oft denn noch?

StrEG I: Verschweigen entlastender Umstände, oder: Hätte: „Es war ein einvernehmlicher GV“ entlastet?

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Heute ist Freitag, und damit mal wieder ein Tag, an dem es „ums Geld geht“. Ich stelle aber mal keine RVG-Entscheidungen vor – da sieht es derzeit ein wenig mau aus – sondern Entscheidungen zur Strafrechtsentschädigung, also StrEG.

An der Spitze steht dann der  OLG Köln, Beschl. v. 20.07.2021 – 3 Ws 317/21 – mit folgendem Sachverhalt: Der Angeklagte ist vom Vorwurf einer am 15.11. 2020 zum Nachteil der Nebenklägerin begangenen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung freigesprochen worden. Zugleich versagte ihm das LG eine Entschädigung für die in dieser Sache erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen, nämlich die vorläufige Festnahme am 15.11.2020, den anschließenden Vollzug der Untersuchungshaft bis zum 13.04.2021, die Durchsuchung seiner Wohnung und seiner Person am 15.11.2020 sowie die Sicherstellung von Kleidungsstücken (ein Paar Socken, Unterwäsche, eine Hose, ein Gürtel, ein Pullover) und eines Mobiltelefons Samsung S 10 seit dem 15.11.2020. Das LG hat die Versagung auf § 6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG gestützt und führte zur Begründung aus, der frühere Angeklagte habe die Strafverfolgungsmaßnahmen dadurch veranlasst, dass er wesentliche entlastende Umstände verschwiegen habe, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert habe. Er habe unmittelbar bei Eintreffen von Polizeibeamten an seiner Wohnanschrift am 15.11.2020 – noch vor der Durchführung von Strafverfolgungsmaßnahmen – Angaben zur Sache gemacht und dabei nicht berichtet, dass er seit längerer Zeit regelmäßig Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin habe und insbesondere am Tattag einvernehmlicher Geschlechtsverkehr stattgefunden habe. Gerade letzteres sei – als Erklärung für aufgefundene DNA-Spuren – indes ein wesentlicher entlastender Umstand gewesen.

Das hat auf die Beschwerde beim OLG nicht gehalten:

„Sie [die GStA] hat zum Verfahrensablauf und zur rechtlichen Begründung das Folgende ausgeführt:

„….

Die Entschädigung war nicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StrEG (ganz oder teilweise) zu versagen, da nicht festgestellt werden kann, dass der frühere Angeklagte die erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen, insbesondere den Erlass und Vollzug des Untersuchungshaftbefehls, dadurch veranlasst hat, dass er – trotz Äußerung zu der Beschuldigung – wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat.

Das Verteidigungsverhalten, das zur Versagung der Entschädigung führt, muss dem Beschuldigten zuzurechnen sein. Diese Zurechnung ist aber nicht nur eine objektive, sondern eine verschuldete. Das ist der Fall, wenn der Beschuldigte erkannt hat, dass der verschwiegene Umstand ihn entlasten kann. Hat der Beschuldigte das nicht erkannt oder nicht erkennen können, so kommt es darauf an, ob er den Irrtum vermeiden konnte. Der hier anzulegende Verschuldensmaßstab ist die leichte Fahrlässigkeit im zivilrechtlichen Sinn (MüKo-StPO/Kunz, StrEG § 6 Rn. 16). Im vorliegenden Fall musste sich dem Beschuldigten bei seiner frühen Äußerung zur Beschuldigung, die unmittelbar nach der Eröffnung des Tatvorwurfs und kurz vor seiner vorläufigen Festnahme erfolgte, nicht aufdrängen, dass ihn das Einräumen eines (einvernehmlichen) Geschlechtsverkehrs mit der Nebenklägerin entlasten würde, zumal ihm die Möglichkeit der späteren Auffindung von DNA-Spuren, die sich durch einen einvernehmlichen Geschlechtsverkehr erklären ließe, nicht bewusst gewesen sein muss. Vielmehr mag es aus Sicht des Beschuldigten nahegelegen haben, dass er sich durch das Einräumen des Geschlechtsverkehrs eher selbst belasten als entlasten würde. Das Verteidigungsverhalten ist dem Beschuldigten daher im Rahmen der Grundentscheidung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen jedenfalls nicht schuldhaft zuzurechnen.“

Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an. Zwar hat der frühere Angeklagte die einvernehmlichen sexuellen Kontakte mit der Nebenklägerin im Rahmen seiner Angaben am 15.11.2020 nicht erwähnt, obwohl sich diese letztlich als entlastend erwiesen haben, da sie die gesicherten DNA-Spuren aus Sicht der Kammer zu erklären vermochten. Das entsprechende Gutachten des LKA NRW datiert allerdings erst auf den 03.02.2021. Zum Zeitpunkt seiner Angaben war die Analyse der gesicherten Spurenträger folglich noch nicht durchgeführt, weshalb der frühere Angeklagte auch aus Sicht des Senats nicht von einer entlastenden Wirkung einer entsprechenden Einlassung ausgehen musste. Insofern lag für ihn die Auffindung entsprechender DNA-Spuren auch nicht auf der Hand, zumal wenn – was die Gutachtenergebnisse nahelegen – der Geschlechtsverkehr am Tattag nicht bis zum Samenerguss ausgeübt wurde.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 StPO.

Filmen der Polizei III: Unverpixeltes vom polizeilichen „Allerwelteinsatz“, oder: Recht am eigenen Bild

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Und die dritte und letzte „Filmentscheidung“ kommt dann mit dem OLG Köln, Beschl. v. 08.10.2021 – 1 RVs 175/21 – vom OLG Köln. Das AG hatte den Angeklagten bezüglich zweier angeklagter Verstöße gegen das KunstUrhG freigesprochen. Auf die hiergegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das LG den Angeklagten wegen „zweier Straftaten nach § 33 KUG“ zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 70 Tagessätzen zu je 40,- EUR verurteilt. Die Revision hatte beim OLG Köln keinen Erfolg:

Das Zulässigkeitsbedenken nicht unterliegende Rechtsmittel bleibt in der Sache ohne Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsbegründung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Senat sieht sich lediglich zu folgenden Anmerkungen veranlasst:

„1.a) Die Frage, ob sich der Angeklagte (auch) auf die Pressefreiheit bzw. die – hinsichtlich der Schranken gleichermaßen ausgestaltete – Rundfunkfreiheit berufen kann, bedarf vorliegend keiner abschließenden Beurteilung. Auch kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob hier die Schutzwirkung dieser Grundrechte gegenüber der vom Landgericht herangezogenen allgemeinen Meinungsfreiheit überhaupt weitergehend ist, soweit letztere – abgekoppelt von dem Vorbehalt eines öffentlichen Interesses – die Selbstbestimmung des einzelnen Grundrechtsträgers über die Entfaltung seiner Persönlichkeit in der Kommunikation mit anderen verbürgt. Denn jedenfalls vermag der Senat auszuschließen, dass die zur Beurteilung des Vorliegens eines zeitgeschichtlichen Ereignisses nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen im Falle der Einstellung (auch) des Rechts auf Presse- bzw. Rundfunkfreiheit anders ausgefallen wäre, namentlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Polizeibeamten hätte zurücktreten müssen. Die vom Landgericht rechtsfehlerfrei herausgearbeiteten Grundsätze beanspruchen auch insoweit Geltung. Danach genießen Polizisten im Amt als Repräsentanten des Staates zwar nicht denselben Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts wie als Privatperson (vgl. dazu auch jüngst Kirchhoff, NVwZ 2021, 1177 (1179) m.w.N.), jedoch führt dies nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung (jedenfalls) bei Routineeinsätzen nicht zur Annahme eines zeitgeschichtlichen Ereignisses (vgl. dazu auch jüngst VG Aachen, ZUM-RD 2021, 395). Soweit das Landgericht den Polizeieinsatz im Fall 1 als Routineeinsatz eingeordnet und dem grundrechtlichen Schutz von PK A insoweit Vorrang eingeräumt hat, begegnet dies auch im Lichte der Presse- und Rundfunkfreiheit von vornherein kein Bedenken. Auch im Fall 2 ist diese Einordnung naheliegend. Zwar weisen die Urteilsgründe hier einen Bezug zu einem von der Polizei angehaltenen Hochzeitskorso – und insoweit einer in der öffentlichen Diskussion durchaus anzutreffenden Thematik – auf; dieser wird indes nach den getroffenen Feststellungen nicht durch das die Polizeibeamten darstellende Video hergestellt. Denn nach dem im Einzelnen mitgeteilten Inhalt der Aufnahme belegt diese nicht etwa Näheres zu dem Korso und den dazu unmittelbar eingeleiteten polizeilichen Maßnahmen, sondern letztlich nur Vorkommnisse, wie sie lokal – in einer mittelgroßen Stadt wie Bonn – wiederkehrend anzutreffend sind; so etwa das Vorfahren eines Polizeiwagens mit Blaulicht, die Präsenz einer größeren Anzahl an Polizeibeamten sowie eine erhebliche Staubildung. Davon losgelöst ist ein überwiegendes Interesse an der bildlichen Darstellung der einzelnen Polizeibeamten im Fall 2 aber jedenfalls deshalb auszuschließen, weil im Falle der Verpixelung der Beamten eine Beschränkung des Informations- und Aussagewertes der Aufnahme – auch im Sinne eines Beitrages zur öffentlichen Meinungsbildung, welcher hier ohnehin primär auf der Grundlage des gesondert anklickbaren Textbeitrages in Betracht kommt – nicht zu befürchten war. Eine anonymisierte Abbildung der Beamten hätte insoweit für die Grundrechtsausübung des Angeklagten eine nur geringfügige Beschränkung bedeutet und zugleich dem Recht der abgebildeten Personen am eigenen Bild Rechnung getragen.

Corona II: Schließung eines Imbiss wegen Corona, oder: Entschädigung?

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Bei der zweiten Corona-Entscheidung, dem OLG Köln, Beschl. v. 20.09.2021 – 7 U 1/21 – handelt es sich um eine zivilrechtliche Entscheidung. Zivilrecht bringe ich zwar sonst nur im samstäglichen „Kessel Buntes“, ich stelle diese Entscheidung jedoch an einem Montag vor, weil es sich um die Thematik: Corona (und seine Folgen) handelt.

Das OLG hat in dem Beschluss über einen von der Klägerin wegen der Schließung eines Gewerbebetriebes, und zwar eines Imbisses, auf Grundlage des § 9 CoronaSchVO NRW in der Fassung vom 22.03.2020 geltend gemachten Entschädigungsanspruch über rund 20.000 EUR entschieden. Das LG hatte die Klage abgewiesen. Die Berufung dagegen hatte beim OLG keinen Erfolg:

„Die Berufung der Kläger ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Zur Begründung wird auf den Beschluss vom 04.08.2021 Bezug genommen, in dem der Senat wie folgt ausgeführt hat:

„Die zulässige Berufung hat offensichtlich keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Die Entscheidung des Landgerichts Bonn beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung.

Der Kläger hat gegen das beklagte Land keinen Anspruch auf Entschädigung wegen der in § 9 Absatz 1 Satz 1 CoronaSchVO NRW in der Fassung vom 22.03.2020 angeordneten Betriebsuntersagung von Imbissen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen. Die Berufungsbegründung gibt lediglich Anlass zu den folgenden Erwägungen:

Das Landgericht hat einen Anspruch auf Entschädigung gemäß § 56 Abs. 1 IfSG mit zutreffenden Erwägungen, denen auch die Berufung zustimmt, verneint. Nach § 56 Abs. 1 IfSG erhält lediglich eine Entschädigung in Geld, „wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet“. § 56 Abs. 1 IfSG setzt eine gezielt personenbezogene Untersagung der Erwerbstätigkeit oder Absonderung gerade wegen der Ansteckungs- bzw. Krankheitsverdächtigkeit (usw.) voraus (vgl. nur Kümper, DÖV, 2020, 904 (908)), die im vorliegenden Fall unzweifelhaft nicht gegeben ist.

2. Eine Entschädigung in analoger Anwendung von § 56 Abs. 1 IfSG kommt – wie das Landgericht zutreffend entschieden hat – ebenfalls nicht in Betracht. Eine planwidrige Regelungslücke liegt nicht vor.

Ungeachtet der Frage, ob Eingriffe im Sinne von § 9 CoronaSchVO NRW in der Fassung vom 22.03.2020 aus grundrechtlicher Sicht entschädigungspflichtig sein müssten (ablehnend BGHZ 55, 366; ebenfalls ablehnend mit weiteren Nachweisen Kümper, DÖV, 2020, 904 (906), Fn. 18) sah sich der Gesetzgeber des IfSG nicht dahingehend verpflichtet. Er wollte mit der früher in § 48 BSeuchG enthaltenen Entschädigungsregelung ausweislich der Gesetzesbegründung lediglich eine Billigkeitsregelung treffen und nicht aus grundrechtlicher Gebundenheit die Betroffenen entschädigen, wie sich aus der folgenden Formulierung ergibt: „Die Vorschrift stellt eine Billigkeitsregelung dar. Sie bezweckt keinen vollen Schadensausgleich, sondern eine gewisse Sicherung der von einem Berufsverbot Betroffenen vor materieller Not.“ (BT-Drs. III/1888, S. 27). Dementsprechend gab es aus seiner Perspektive auch keinen Anlass, die an die Landesregierungen erteilte Verordnungsermächtigung in § 32 IfSG mit einer Entschädigungspflicht zu verknüpfen bzw. weitere Entschädigungsregelungen unmittelbar im IfSG vorzunehmen. Eine durch entsprechende Anwendung des § 56 IfSG zu schließende unbeabsichtigte Regelungslücke lag demnach nicht vor.

Gegen die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke spricht zudem, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zu der früher in § 48 BSeuchG enthaltenen Regelung (BT-Drs. III/1888, S. 27) eine Ausdehnung des Kreises entschädigungsberechtigten Personen (z.B. für Krankheitsverdächtige, Tuberkulosekranke, Nichtversicherte) zwar erwogen, aber als „nicht sachgerecht“ erachtet hat.

Ebenso hatte der Gesetzgeber im Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes (BT-Drs. 6/1568) zwar den Kreis der Entschädigungsberechtigten in § 51 BSeuchG erweitert. Er hatte aber auch hier nur punktuelle Entschädigungen vorgesehen.

In diese Linie fügt sich, dass der Gesetzgeber selbst bei Hinzufügung der weiteren Entschädigungsregelung in § 56 Abs. 1 a IfSG im November 2020 die nur punktuellen Entschädigungsregelungen aufrechterhalten hat. Vor diesem Hintergrund kann von einer dem gesetzgeberischen Plan nicht entsprechenden Unvollständigkeit der Entschädigungsregelungen keine Rede sein (siehe auch Landgericht Stuttgart, Urteil vom 05.11.2020 – 7 O 109/20, Rn. 34 ff., juris; Landgericht Hannover, Urteil vom 20.11.2020 – 8 O 4/20, Rn. 49 ff.; juris).

Nicht zuletzt spricht gegen eine planwidrige Regelungslücke der Umstand, dass der Gesetzgeber zwischenzeitlich aus Anlass der Corona-Pandemie mit § 28a IfSG eine spezialisierte Eingriffsermächtigung geschaffen hat, die ebenfalls zahlreiche Beschränkungen für Nichtstörer näher regelt, ohne für diesen Personenkreis zugleich Entschädigungsansprüche zu normieren. Dies verdeutlicht, dass das staatliche Regelungskonzept dahin geht, etwaige Belastungen durch die Inanspruchnahme von Nichtstörern durch generalisierte staatliche Unterstützungsmaßnahmen – und nicht durch individuelle Entschädigungsansprüche – sozial abzufedern. Für die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke ist angesichts dieses bewussten Festhaltens des Gesetzgebers an dem Konzept, in den §§ 56, 65 IfSG lediglich punktuelle Entschädigungsansprüche zu normieren, kein Raum.

3. Auch einen Anspruch des Klägers nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht, § 67 PolG NRW, § 39 Abs. 1 a) und b) OBG NRW, hat das Landgericht zutreffend verneint. Der Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften des Polizei- und Ordnungsrechts ist wegen der Spezialität des besonderen Gefahrenabwehrrechts im IfSG ausgeschlossen. Ihrer Konzeption nach zielen diese Vorschriften auf die Entschädigung wegen Maßnahmen ab, die auf der Grundlage des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts des Landes Nordrhein-Westfalen getroffen wurden. Sie enthalten keine vorweggenommene Regelung für noch gar nicht absehbar gewesene Maßnahmen aufgrund bundesrechtlich eingeräumter Verordnungskompetenz, insbesondere dann nicht, wenn das Bundesrecht selbst die Frage der Entschädigung abschließend regelt. Sähe man dies anders, könnte die Frage der Entschädigung eines Betroffenen bei inhaltsgleicher Maßnahmen auf derselben gesetzlichen Grundlage in Abhängigkeit vom Bundesland, dessen Gesundheitsministerium handelt, unterschiedlich zu beurteilen sein (vgl. so im Ansatz auch LG Hannover, NJW-RR 2020, 1226, Rn. 53 ff.). Es liegt fern, dass der Bundesgesetzgeber mit seiner Regelung in §§ 56, 65 IfSG eine solche Folge beabsichtigt hat.

4. Mit zutreffenden Erwägungen, die auch die Berufung nicht in Frage stellt, hat das Landgericht zudem einen Anspruch auf Entschädigung aus dem Rechtsinstitut des enteignenden Eingriffs verneint.

5. Ansprüche auf Entschädigung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 Abs. 1 GG oder aus der Rechtsfigur des enteignungsgleichen Eingriffs bestehen ebenfalls nicht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen. Hinzu kommt, dass der Kläger nicht gegen die Verordnung vorgegangen ist. Dies hätte ihm oblegen, wollte er sich darauf berufen, die CoronaSchVO NRW in der Fassung vom 22.03.2020 sei rechtswidrig gewesen (§ 839 Abs. 3 BGB). Einen Schaden zu liquidieren ohne den schadensverursachenden Eingriff abzuwehren, kommt nicht in Betracht (Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Auflage 2013, S. 93 f.). Der Kläger hätte gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 109a JustG NRW im Eilrechtsschutz gegen die Verordnung vorgehen können.

6. Mit den nicht angegriffenen Ausführungen des Landgerichts zum allgemeinen Aufopferungsanspruch besteht auch insofern kein Anspruch des Klägers auf Entschädigung.“

Die hierzu erfolgte Stellungnahme des Klägers vom 06.08.2021 rechtfertigt nach der einstimmigen Auffassung des Senats keine andere Entscheidung, sondern gibt lediglich zu folgenden ergänzenden Ausführungen Anlass:

Die vom Kläger angestellten Billigkeitserwägungen ändern nichts daran, dass eine analoge Anwendung des § 56 Abs. 1 IfSG mangels planwidriger Regelungslücke ausscheidet. Die im Zuge der Corona-Pandemie gezahlten Unterstützungsleistungen für Gewerbetreibende sind nicht auf eine gesetzliche Verpflichtung, sondern auf eine Entscheidung der Exekutive zurückzuführen. Dementsprechend können daraus keine Rückschlüsse auf den gesetzgeberischen Willen in Bezug auf die Entschädigungsregelungen im IfSG getroffen werden. Vielmehr hat der Gesetzgeber nach Beginn der Corona-Pandemie durch das Einfügen von § 28a IfSG, ohne dabei die Entschädigungsregelungen im IfSG zu ergänzen, zum Ausdruck gebracht, an der nur punktuellen Billigkeitsentschädigung (BT-Drs. III 1888, S. 27) festzuhalten.“