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OWi III: Anfrage bei der ausländischen Meldebehörde, oder: Verjährungsunterbrechung?

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Und zum Tagesschluss dann noch etwas Verfahrensrechtliches, nämlich die Antwort auf die Frage, ob auch der gerichtlichen Anfrage bei einer ausländischen Meldebehörde verjährungsunterbrechende Wirkung in Anwendung von § 33 Abs. 1 Ziff. 6 OWiG zu kommen kann?

Das OLG Köln hat die Frage im OLG Köln, Beschl. v. 15.02.2022 – III-1 RBs 26/22 – bejaht:

„b) Indessen ist der Lauf der Verjährungsfrist durch die am 3. Dezember 2019 erfolgte Anfrage des Amtsgerichts Geilenkirchen beim Einwohnermeldeamt der Stadt Plombiers gemäß § 33 Abs. 1 Ziff. 6 OWiG rechtzeitig unterbrochen worden.

Nach dieser Vorschrift führt jedes Ersuchen des Richters um Vornahme einer Untersuchungshandlung im Ausland zur Unterbrechung der Verjährung. Ihr unterfällt jedes Amtshilfeersuchen des Gerichts an eine ausländische Behörde, sofern dieses aufgrund von Gesetzen, zwischenstaatlichen Verträgen oder Vereinbarungen eines Notenwechsels zwischen der Bundesregierung und der ausländischen Regierung oder kraft Gewohnheitsrechts statthaft ist oder mit welchen der ausländische Staat einverstanden ist. Gegenstand des Ersuchens kann jede im Bußgeldverfahren zulässige Handlung zur Förderung des Verfahrens sein (zum Ganzen s. Remann/Roth/Hermann, OWiG, 3. Auflage Stand Oktober 2020, § 33 Rz. 29).

Hieran gemessen handelt es sich bei dem richterlich angeordneten Ersuchen um Auskunft der Meldebehörde der Stadt Plombiers um eine solche im Ausland vorzunehmende Untersuchungshandlung. Ausgehend von dem diesbezüglichen Beweisantrag der Verteidigung diente sie der Feststellung, ob der Betroffene – wie von ihm behauptet – seine Wohnung im zustellungsrechtlichen Sinne im Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheides (ausschließlich) in Belgien hatte und damit der Klärung der Frage, ob Verfolgungsverjährung eingetreten war. Die Anfrage ist – wie erforderlich – durch die zuständige Tatrichterin veranlasst worden (dazu vgl. BeckOK-OWiG-Gertler, 32. Edition Stand 01.10.2021, § 33 Rz. 84). Sie war schließlich auch statthaft: Das Königreich Belgien führt ein zentrales Melderegister für natürliche Personen, das unter anderem Auskunft über deren Wohnsitz gibt und auf dessen Daten auch ausländische öffentlich-rechtliche Institutionen Zugriff haben (s. Näher www.ibz.rrn.fgov.de). Dass auch die belgischen Behörden von der Zulässigkeit ihres Handelns ausgegangen sind, ergibt sich zwanglos aus dem Umstand, dass diese die Anfrage des Amtsgerichts Geilenkirchen bereits am 9. Dezember 2019 ohne weitere Rückfrage beantwortet haben.

Nach alledem ist die Verfolgungsverjährung hier durch die richterliche Anfrage beim Einwohnermeldeamt der Stadt Plombiers am 3. Dezember 2019 wirksam unterbrochen worden. Innerhalb der danach erneut in Lauf gesetzten Sechsmonatsfrist (§ 26 Abs. 3 StVG) ist die Verjährung sodann am 22. Januar 2020 gemäß § 33 Abs. 1 Ziff. 11 OWiG erneut wirksam unterbrochen worden und sodann auch bis zum 3. Juni 2020 – dem Datum des ersten Urteils in vorliegender Sache – nicht mehr abgelaufen.“

OWi II: Toleranzwert bei der Messung mit Nachfahren, oder: OLG Köln ändert Rechtsprechung

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, betrifft eine Geschwindigkeitsüberschreitung. Gemessen worden ist durch Nachfahren.

Zum Tatgeschehen hatte „das Amtsgericht festgestellt, dass der Betroffene am 20. Oktober 2020 gegen 0:45 Uhr in A die innerorts gelegene Kölner Straße über eine Strecke von 1.200 m mit einer vorwerfbaren Geschwindigkeit von 84 km/h befuhr. Die Überzeugung von diesem Verstoß hat sich das Tatgericht auf der Grundlage der Angaben von drei polizeilichen Zeugen verschafft, die dem von dem Betroffenen geführten Fahrzeug mit einem zivilen Fahrzeug über die genannte Strecke in einem Abstand von 60-70 m gefolgt sind und währenddessen von dem nicht justierten Tachometer eine gleichbleibende Geschwindigkeit von 105 km/h abgelesen haben. Die vorwerfbare Geschwindigkeit von 84 km/h hat das Tatgericht sodann im Wege eines Toleranzabzugs von 20% ermittelt.“

Das AG hat den Betroffenen zu einer Geldbuße von 185 EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Das OLG Köln hebt im OLG Köln, Beschl. v. 03.01.2021 – 1 RBs 254/21 – im Rechsfolgenausspruch auf und ändert seine Rechtsprechung zum sog. Toleranzwert zumindest teilweise.

Hier stelle ich nur den Leitsatz = das Ergebnis der Ausführungen des OLG Köln vor. Wer mag und Interesse kann die Begründung im Volltext nachlesen:

Bei der Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren in einem Fahrzeug mit nicht justiertem Tachometer ist regelmäßig ein erster Toleranzabzug von der abgelesenen Geschwindigkeit von 10% zuzüglich 4 km/h für mögliche Eigenfehler des Tachometers sowie ein weiterer Toleranzabzug zwischen 6 und 12% der abgelesenen Geschwindigkeit erforderlich, um weiteren Fehlerquellen, wie Ablesefehlern sowie solchen Fehlern, die aus Abstandsveränderungen und/oder der Beschaffenheit des Fahrzeugs resultierten zu begegnen (teilweise Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung).

OWi II: Leivtec kein standardisiertes Messverfahren, oder: Toleranzwert bei der Messung durch Nachfahren

Das zweite Posting des Tages enthält zwei OLG-Entscheidungen zur Geschwindigkeitsüberschreitung, und zwar zu den Anforderungen an die Urteile in diesen Fällen bzw. zur Berücksichtigung von Toleranzwerten beim Nachfahren.

Zunächst hier der OLG Koblenz, Beschl. v. 15.12.2021 – 3 OWi 32 SsRs 108/21 –,  zu den Darlegungsanforderungen bei Verurteilungen wegen Geschwindigkeitsverstößen, die mit dem Messgerät Leivtec XV3 ermittelt wurden. Das OLG geht – wie die h.M. in der Rechtsprechung der OLG – anders nur das OLG Schleswig – davon aus, dass derzeit bei dem Messverfahren die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens nicht mehr gegeben sind.

Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um den OLG Köln, Beschl. v. 03.12.2021 – III-1 RBs 254/21 -, der folgenden (gerichtlichen Leitsatz hat:

Bei der Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren in einem Fahrzeug mit nicht justiertem Tachometer ist regelmäßig ein erster Toleranzabzug von der abgelesenen Geschwindigkeit von 10% zuzüglich 4 km/h für mögliche Eigenfehler des Tachometers sowie ein weiterer Toleranzabzug zwischen 6 und 12% der abgelesenen Geschwindigkeit erforderlich, um weiteren Fehlerquellen, wie Ablesefehlern sowie solchen Fehlern, die aus Abstandsveränderungen und/oder der Beschaffenheit des Fahrzeugs resultierten zu begegnen (teilweise Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung).

OWi III: Betroffener und Verteidiger fehlen in HV, oder: Keine Verwerfung gegen entbundenen Betroffenen

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Und zum Ausklang des Tages dann noch der OLG Köln, Beschl. v. 15.09.2021 – 1 RBs 260/21, den mir der Kollege Anger, Bergisch-Gladbach, geschickt hat.

Ich stelle nur den Leitsatz ein. Der ist selbsterklärend.

„Wurde der Betroffene von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden und bleibt auch sein nach § 73 Abs. 3 OWiG zur Vertretung bevollmächtigter Verteidiger der Hauptverhandlung fern, rechtfertigt dies keine Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG.“

Wie oft denn noch?

StrEG I: Verschweigen entlastender Umstände, oder: Hätte: „Es war ein einvernehmlicher GV“ entlastet?

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Heute ist Freitag, und damit mal wieder ein Tag, an dem es „ums Geld geht“. Ich stelle aber mal keine RVG-Entscheidungen vor – da sieht es derzeit ein wenig mau aus – sondern Entscheidungen zur Strafrechtsentschädigung, also StrEG.

An der Spitze steht dann der  OLG Köln, Beschl. v. 20.07.2021 – 3 Ws 317/21 – mit folgendem Sachverhalt: Der Angeklagte ist vom Vorwurf einer am 15.11. 2020 zum Nachteil der Nebenklägerin begangenen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung freigesprochen worden. Zugleich versagte ihm das LG eine Entschädigung für die in dieser Sache erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen, nämlich die vorläufige Festnahme am 15.11.2020, den anschließenden Vollzug der Untersuchungshaft bis zum 13.04.2021, die Durchsuchung seiner Wohnung und seiner Person am 15.11.2020 sowie die Sicherstellung von Kleidungsstücken (ein Paar Socken, Unterwäsche, eine Hose, ein Gürtel, ein Pullover) und eines Mobiltelefons Samsung S 10 seit dem 15.11.2020. Das LG hat die Versagung auf § 6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG gestützt und führte zur Begründung aus, der frühere Angeklagte habe die Strafverfolgungsmaßnahmen dadurch veranlasst, dass er wesentliche entlastende Umstände verschwiegen habe, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert habe. Er habe unmittelbar bei Eintreffen von Polizeibeamten an seiner Wohnanschrift am 15.11.2020 – noch vor der Durchführung von Strafverfolgungsmaßnahmen – Angaben zur Sache gemacht und dabei nicht berichtet, dass er seit längerer Zeit regelmäßig Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin habe und insbesondere am Tattag einvernehmlicher Geschlechtsverkehr stattgefunden habe. Gerade letzteres sei – als Erklärung für aufgefundene DNA-Spuren – indes ein wesentlicher entlastender Umstand gewesen.

Das hat auf die Beschwerde beim OLG nicht gehalten:

„Sie [die GStA] hat zum Verfahrensablauf und zur rechtlichen Begründung das Folgende ausgeführt:

„….

Die Entschädigung war nicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StrEG (ganz oder teilweise) zu versagen, da nicht festgestellt werden kann, dass der frühere Angeklagte die erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen, insbesondere den Erlass und Vollzug des Untersuchungshaftbefehls, dadurch veranlasst hat, dass er – trotz Äußerung zu der Beschuldigung – wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat.

Das Verteidigungsverhalten, das zur Versagung der Entschädigung führt, muss dem Beschuldigten zuzurechnen sein. Diese Zurechnung ist aber nicht nur eine objektive, sondern eine verschuldete. Das ist der Fall, wenn der Beschuldigte erkannt hat, dass der verschwiegene Umstand ihn entlasten kann. Hat der Beschuldigte das nicht erkannt oder nicht erkennen können, so kommt es darauf an, ob er den Irrtum vermeiden konnte. Der hier anzulegende Verschuldensmaßstab ist die leichte Fahrlässigkeit im zivilrechtlichen Sinn (MüKo-StPO/Kunz, StrEG § 6 Rn. 16). Im vorliegenden Fall musste sich dem Beschuldigten bei seiner frühen Äußerung zur Beschuldigung, die unmittelbar nach der Eröffnung des Tatvorwurfs und kurz vor seiner vorläufigen Festnahme erfolgte, nicht aufdrängen, dass ihn das Einräumen eines (einvernehmlichen) Geschlechtsverkehrs mit der Nebenklägerin entlasten würde, zumal ihm die Möglichkeit der späteren Auffindung von DNA-Spuren, die sich durch einen einvernehmlichen Geschlechtsverkehr erklären ließe, nicht bewusst gewesen sein muss. Vielmehr mag es aus Sicht des Beschuldigten nahegelegen haben, dass er sich durch das Einräumen des Geschlechtsverkehrs eher selbst belasten als entlasten würde. Das Verteidigungsverhalten ist dem Beschuldigten daher im Rahmen der Grundentscheidung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen jedenfalls nicht schuldhaft zuzurechnen.“

Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an. Zwar hat der frühere Angeklagte die einvernehmlichen sexuellen Kontakte mit der Nebenklägerin im Rahmen seiner Angaben am 15.11.2020 nicht erwähnt, obwohl sich diese letztlich als entlastend erwiesen haben, da sie die gesicherten DNA-Spuren aus Sicht der Kammer zu erklären vermochten. Das entsprechende Gutachten des LKA NRW datiert allerdings erst auf den 03.02.2021. Zum Zeitpunkt seiner Angaben war die Analyse der gesicherten Spurenträger folglich noch nicht durchgeführt, weshalb der frühere Angeklagte auch aus Sicht des Senats nicht von einer entlastenden Wirkung einer entsprechenden Einlassung ausgehen musste. Insofern lag für ihn die Auffindung entsprechender DNA-Spuren auch nicht auf der Hand, zumal wenn – was die Gutachtenergebnisse nahelegen – der Geschlechtsverkehr am Tattag nicht bis zum Samenerguss ausgeübt wurde.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 StPO.