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OWi II: Feststellungen zur Bemessung der Geldbuße, oder: Wenn der Betroffene nicht anwesend ist

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Im zweiten Posting des Tages stelle ich den OLG Köln, Beschl. v. 15.07.2022 – 1 RBs 198/22 – vor. Der nimmt noch einmal zu den Anforderungen an die Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen bie höheren Geldbußen Stellung. Das AG hatte die Regelbuße von 160 EUR wegen Vorbelastungen des Betroffenen auf 320 EUR erhöht, ohne nähere Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen zu treffen. Das hat das OLG nicht beanstandet:

„Den Bestand des Urteils gefährdet namentlich nicht der Umstand, dass das Tatgericht hier, ohne Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen getroffen zu haben, eine – vom Regelsatz nach oben abweichende – Geldbuße in Höhe von 320,- EUR verhängt hat. Maßgeblich ist insoweit, dass das Amtsgericht die Bemessung der Geldbuße nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse, sondern, insoweit rechtsfehlerfrei, auf die in den Urteilsgründen dargestellten Vorbelastungen des Betroffenen gestützt hat und eine Pflicht zur Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen nicht – auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit – bestand. Im Einzelnen:

Bei höheren Geldbußen (vgl. dazu unten näher) sind die wirtschaftlichen Verhältnisse grundsätzlich ein Bemessungsfaktor. Hierunter fallen Umstände, die geeignet sind, die Fähigkeit des Betroffenen zu beeinflussen, eine bestimmte Geldbuße zu erbringen. Maßgeblich ist, ob die sich nach Bedeutung der Tat und Schwere des Vorwurfs ergebende Geldbuße auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht, mithin im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit des Betroffenen nicht übermäßig hoch, aber auch nicht unangemessen niedrig ist (vgl. dazu nur SenE v. 13.11.2003 – Ss 447/03). Von der Leistungsfähigkeit hängt es ab, wie empfindlich und damit nachhaltig die Geldbuße den Täter trifft (vgl. Göhler, OWiG, 18. Auflage, § 17 Rn. 21 ff.).

Nach Maßgabe dessen hat das Tatgericht im Hinblick auf § 17 Abs. 3 OWiG grundsätzlich Feststellungen zu treffen, die dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung ermöglichen, ob es von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat. Die obergerichtliche Rechtsprechung lässt jedoch einige Einschränkungen dieses Grundsatzes zu. So ist zwischenzeitlich anerkannt, dass im Hinblick auf den in § 79 Abs. 1 Nr. 1 normierten Schwellenwert von 250,- EUR – zu dem vorliegend offen bleiben kann, ob er im Lichte der seit seiner Festschreibung gewachsenen Kaufkraft noch angemessen ist – eine Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse entbehrlich ist, wenn das Bußgeld diesen Betrag nicht übersteigt und keine Besonderheiten vorliegen (vgl. dazu SenE v. 09.11.2012 – III-1 RBs 276/12 -; SenE v. 08.04.2014 – III-1 RBs 73/14 -; SenE v. 22.05.2020 – III-1 RBs 144/20 -; SenE v. 13.11.2020 – III-1 RBs 322/20 –; sowie etwa OLG Braunschweig, Beschluss vom 8.12.2015, 1 Ss (OWi) 163/15, m.w.N., juris; OLG Hamm, Beschluss v. 08.01.2015, III-3 RBs 354/14, juris). Nichts anderes gilt nach Auffassung des Senats bei Geldbußen über 250,- EUR, solange die im Bußgeldkatalog vorgesehene Regelgeldbuße verhängt wird und sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen außergewöhnlich gut oder schlecht sind (vgl. nur SenE v. 25.06.1999 – Ss 264/99 B – m. w. Nachw. = VRS 97, 381 [383]; SenE v. 21.10.2011 – III-1 RBs 298/11 -; SenE v. 13.11.2020 – III-1 RBs 322/20) und zwar auch dann, wenn auf den für eine vorsätzliche Begehungsweise nach § 3 Abs. 4a BKatV vorgesehenen Regelsatz erkannt wird (vgl. dazu jüngst SenE v. 06.07.2021, III-1RBs 169/21).

Aber auch in dem vorliegenden Fall der Erhöhung der Regelgeldbuße auf Grund von Eintragungen über den Betrag von 250,- EUR hinaus war das Amtsgericht nicht zu Feststellungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen gehalten, denn dieser hat, von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden, ausweislich der Urteilsgründe – auch über seinen Verteidiger – zu seinen diesbezüglichen Verhältnissen keine Angaben gemacht. Dabei ist maßgeblich in den Blick zu nehmen, dass sich der Betroffene in Kenntnis des Vorwurfes und der im Bußgeldbescheid vorgesehenen (hier nicht unerheblichen) Rechtsfolgen mit seinem Antrag nach § 73 Abs. 2 OWiG bewusst die Möglichkeit genommen hat, Umstände vorzutragen, die eine abweichende Beurteilung hätten begründen können und sei es nur deshalb, weil der Verteidiger nicht entsprechend instruiert worden ist.

Soweit der Senat wiederholt entschieden hat, das Tatgericht müsse in dem Zusammenhang bereits den Entbindungsantrag gemäß § 73 Abs. 2 OWiG unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit der Anwesenheit des Betroffenen zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts (und insoweit der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse) näher überprüfen (vgl. etwa SenE v. 1.12.2020, III-1 RBs 341/20; SenE v. 13.11.2020, III-1 RBs 322/20), ist zu differenzieren: Eine entsprechende Prüfung dürfte regelmäßig nur (noch) bei höheren Geldbußen, namentlich solchen im vierstelligen Bereich, veranlasst sein.

Im Übrigen geht der Senat – für die hier vorliegende Konstellation der Entbindung des Betroffenen und des Fehlens von Anzeichen hinsichtlich seines sozialen Status – davon aus, dass die Amtsaufklärungspflicht des Tatrichters bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse regelmäßig erst durch eigenen Sachvortrag des Betroffenen ausgelöst wird (vgl. dazu auch – weitergehend – KG Berlin, Beschluss vom 27. 04.2020 – 3 Ws (B) 49/20 m.w.N., juris; OLG Bremen, Beschluss v. 27.10.2020, 1 SsBs 43/20, juris).“

Fazit: Als Verteidiger muss man diese Fragen im Blick haben und dem Mandanten ggf. von einem Entbindungsantrag abraten bzw. darauf achten, dass man selbst vom Mandanten genügend Informationen erhält, um in der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Mandanten zu dessen wirtschaftlichen Verhältnissen vortragen zu können.

Rechtsbeschwerde II: Wenn Messunterlagen fehlen, oder: Anforderungen an die Verfahrensrüge

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Köln, Beschl. v. 29.04.2022 – III-1 RBs 97/22 – nimmt das OLG Köln noch einmal Stellung zur Begründung der Rechtsbeschwerde, mit der geltend gemacht wird, dass vom AG Messunterlagen nicht beigezogen worden sind. Das OLG führt aus – was nicht überrascht:

„1. Die Rüge der Beschränkung der Verteidigung in einem wesentlichen Punkt durch Gerichtsbeschluss (§§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 338 Ziff. 8 StPO) ist bereits nicht in einer § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Weise ausgeführt.

Mit ihr wird beanstandet, dass der Verteidigung „Messunterlagen“ nicht zur Verfügung gestellt worden seien und namentlich ein auf Vervollständigung der Akte mit weiteren „Messunterlagen“ abzielender Antrag der Verteidigung auf Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung zu Unrecht abgelehnt worden sei.

a) Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rüge erweckt bereits der Umstand, dass die Rechtsbeschwerde einen Beschluss des Amtsgerichts Kerpen vom 13. Juli 2021 Bedeutung bemisst (S. 3 Mitte der Rechtsbeschwerdebegründung), ohne dessen Inhalt mitzuteilen.

b) Dem in offener Begründungsfrist zur Akte gelangten Vorbringen mangelt es aber jedenfalls an einer ausreichenden Klarstellung der Angriffsrichtung der Rechtsbeschwerde (dazu allg. Meyer-Goßner/Schmitt-Schmitt, StPO, 64. Auflage 2020, § 344 Rz. 20).

Nach diesem hatte der Verteidiger bereits gegenüber der Verwaltungsbehörde die streitgegenständliche Messung betreffende Unterlagen (s. insbesondere S. 2 unten der Rechtsbeschwerdebegründung) angefordert. Weiter ergibt sich, dass dem Verteidiger bzw. dem von diesem beauftragten Sachverständigen Messunterlagen – namentlich die die Messung der Betroffenen betreffenden so genannten „Rohmessdaten“ – zur Verfügung gestellt worden sind. Vor diesem Hintergrund wäre die Rechtsbeschwerde gehalten gewesen, im Einzelnen darzulegen, welche Unterlagen zur Verfügung gestellt worden sind und welche Unterlagen noch vermisst wurden und werden. Daran fehlt es. Vielmehr spricht die Rechtsbeschwerdebegründung nahezu durchgängig allgemein von „Unterlagen“, „Messunterlagen“, „Daten“ und „Auskünften“. Von den nunmehr – mit Schriftsatz vom 21. April 2022 – in den Fokus gerückten Rohmessdaten der gesamten Messreihe ist lediglich an einer Stelle der Rechtsbeschwerdebegründung, nämlich auf S. 7 2. Abs. und lediglich im Kontext mit angeblich nicht bestehenden datenschutzrechtlichen Bedenken im Falle von deren Herausgabe die Rede. Dass speziell die Vorlage dieser Daten vermisst wird, ergibt sich hieraus nicht.

Der Verteidiger hat auch die Auseinandersetzung mit dem Beschluss des Amtsgerichts Kerpen vom 24. August 2021 nicht zum Anlass genommen, im vorbezeichneten Sinne klarzustellen, welche Unterlagen im Zeitpunkt des Aussetzungsantrags noch vermisst wurden. Auch in diesem Zusammenhang ist wiederum lediglich allgemein von „Messunterlagen“ bzw. „amtlichen Unterlagen“ die Rede. Ob die Verwendung des Begriffs „Einzelmesswerte“ (S. 12, 3. Abs.) sich auf die Herausgabe der gesamten Messreihe beziehen soll, bleibt angesichts des Kontextes mit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Blutalkoholkonzentration unklar….“

War ich als Pflichtverteidiger konkludent beigeordnet?, oder: Neue Besen kehren gut (?)

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Und – wie an jedem Freitag – heute dann gebührenrechtliche Entscheidungen. Zunächst stelle ich den OLG Köln, Beschl. v. 28.03.2022 – 2 Ws 103/22 – vor. Der würde an sich auch ganz gut zu einem „Pflichti-Tag“ passen, aber: Das RVG steht im Vordergrund, daher kommt der Beschluss heute.

In der Entscheidung geht es um die Frage einer konkludenten Beiordnung der Kollegin Lingenu aus Möncgengladbach, die mir den Beschluss geschickt hat. Zwischen der Kammer, bei der gegen den Mandanten der Kollegin ein Verfahren wegen mehrfacher Brandstiftung, in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem Mord, geführt wurde und der Kollegin war im Rahmen von Terminabsprachen abgesprochen worden und dann in einem Vermerk festgejalten worden: „Mit Blick auf die im Rahmen der Terminabstimmung zutage getretene Terminlage der Verteidigung ist beabsichtigt, Frau Rechtsanwältin W. sowie Frau Rechtsanwältin L. verfahrenssichernd beizuordnen.“

Die schriftliche Beiordnung der Kollegin erfolgte dann aber nicht. Die Kollegin wurde zur Hauptverhandlung geladen und nahm in der Zeit vom 25.01.2021 bis zur Verkündung des Urteils am 02.06.2021 an 21 Hauptverhandlungsterminen teil. Sie hat dann ihren Vergütungsantrag gestellt. Im Rahmen des Vergütungsfestsetzungsverfahrens wurde dann festgestellt, dass ihre formelle Beiordnung bis dahin nicht erfolgt war. Die Kollegin hat daraufhin beantragt, die (zumindest) konkludente Beiordnung betreffend den Angeklagten nachträglich schriftlich zu fassen bzw. hilfsweise, sie rückwirkend dem Angeklagten als Pflichtverteidigerin beizuordnen. Dies wurde von der nunmehrigen – neuen – Vorsitzenden der Jugendkammer abgelehnt. Sie ist davon ausgegangen, dass weder eine Bestellung durch schlüssiges Verhalten anzunehmen sei noch eine rückwirkende Bestellung in Betracht komme. Dagegen hat der Angeklagte sofortige Beschwerde eingelegt. Die hatte beim OLG dann Erfolg:

„Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Rechtsanwältin Pp. ist dem Angeklagten für das Verfahren spätestens ab dem Beginn der Hauptverhandlung am 25.01.2021 und für deren gesamte Dauer als Sicherungsverteidigerin gemäß § 144 Abs. 1 StPO beigeordnet worden.

a) Im Regelfall bedarf die Bestellung eines Verteidigers einer ausdrücklichen Verfügung des zuständigen Richters (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 142 Rn. 17 m.w.N.). An einer solchen fehlt es vorliegend, denn anders als im Falle von Rechtsanwältin Pp. erfolgte im Nachgang zu der E-Mail des Vorsitzenden vom 20.11.2020 anschließend keine formelle Beiordnung von Rechtsanwältin Pp.. Sie ist aber aus nachfolgenden Gründen stillschweigend durch den Vorsitzenden beigeordnet worden.

b) In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Bestellung eines Verteidigers in Ausnahmefällen durch das betreffende Gericht auch aufgrund schlüssigen Verhaltens erfolgen kann (vgl. BGH, Beschlüsse v. 20.07.2009, 1 StR 344/08, und v. 04.11.2014, 1 StR 586/12; OLG Saarbrücken, Beschluss v. 17.09.2014, 1 Ws 126.114; KG Berlin, Beschluss v. 29.05.2012, 1 Ws 30/12; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 30.07.2014, 1 Ws 106/13; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 142 Rn. 17 m.w.N.). Voraussetzung für eine konkludente Verteidigerbestellung ist ein Verhalten des zuständigen Richters, das unter Beachtung aller hierfür maßgebenden Umstände zweifelsfrei einen solchen Schluss rechtfertigt (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss v. 17.09.2014, 1 Ws 126/14; KG Berlin, Beschluss v. 29.05.2012, 1 Ws 30/12; LG Stade, Beschluss vom 28.03.2018, 132 Qs 34/18). Die maßgebenden Umstände und das Verhalten des zuständigen Richters sind dabei so auszulegen, wie sie aus der Sicht eines verständigen und . redlichen Beteiligten aufzufassen sind (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 30.07.2014, 1 Ws 106/13; LG Stade, Beschluss vom 28.03.2018, 132 Qs 34/18).

c) Hieran gemessen musste Rechtsanwältin Pp. nach der ausdrücklichen Ankündigung des Vorsitzenden in der E-Mail vom 20.11.2020, sie als Sicherungsverteidigerin zu bestellen, die anschließend erfolgenden Terminabsprachen und die Ladung zu den abgesprochenen Terminen so verstehen, dass sie dem Angeklagten als Sicherungs-verteidigerin beigeordnet worden war. Denn ohne ihre Beiordnung hätte jedenfalls an vier avisierten Terminen die Hauptverhandlung nicht durchgeführt werden können. Im Hinblick auf die Dauer der Untersuchungshaft – und die zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgte Haftfortdauerentscheidung nach 6 Monaten – hatte der Vorsitzende – die durch die vorgenannte E-Mail aktenkundige – Absicht, durch Bestellung von Sicherungsverteidigern für beide Angeklagten eine zeitnahe Durchführung der Hauptverhandlung zu ermöglichen. Mangels aktenkundiger Gründe, die im weiteren Verlauf gegen die Bei-ordnung von Rechtsanwältin Pp. gesprochen haben könnten, ist davon auszugehen, dass anders als im Falle von Rechtsanwältin Pp. die formelle Beiordnung von Rechtsanwältin Pp. aufgrund gerichtsinterner Abläufe versehentlich vergessen wurde.

Spätestens aber das ohne Hinweis auf eine Tätigkeit als Wahlverteidigerin – hierzu hätte im Hinblick auf die E-Mail vom 20.11-.2020 aus Sicht des Angeklagten und von Rechtsanwältin Pp. Anlass bestanden – erfolgende Mitwirkenlassen an der Hauptverhandlung ab dem 25.01.2021 und die Aufrechterhaltung der Termine, in denen allein eine Vertretung durch Rechtsanwältin Pp. gewährleistet wurde, konnte aus Sicht des Angeklagten und von Rechtsanwältin Pp. nur im Sinne einer Beiordnung ausgelegt werden.

Die Voraussetzungen für die Bestellung von Rechtsanwältin Pp. als zusätzlicher Pflichtverteidigerin nach § 144 Abs. 1 StPO lagen auch vor. …..“

Das Verhalten der „neuen“ Vorsitzenden klint so ein bisschen nach „neue Besen kehren gut“ bzw. nach: „Was schert mich das Geschwätz meines Vorgängers“.

OWi III: Anfrage bei der ausländischen Meldebehörde, oder: Verjährungsunterbrechung?

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Und zum Tagesschluss dann noch etwas Verfahrensrechtliches, nämlich die Antwort auf die Frage, ob auch der gerichtlichen Anfrage bei einer ausländischen Meldebehörde verjährungsunterbrechende Wirkung in Anwendung von § 33 Abs. 1 Ziff. 6 OWiG zu kommen kann?

Das OLG Köln hat die Frage im OLG Köln, Beschl. v. 15.02.2022 – III-1 RBs 26/22 – bejaht:

„b) Indessen ist der Lauf der Verjährungsfrist durch die am 3. Dezember 2019 erfolgte Anfrage des Amtsgerichts Geilenkirchen beim Einwohnermeldeamt der Stadt Plombiers gemäß § 33 Abs. 1 Ziff. 6 OWiG rechtzeitig unterbrochen worden.

Nach dieser Vorschrift führt jedes Ersuchen des Richters um Vornahme einer Untersuchungshandlung im Ausland zur Unterbrechung der Verjährung. Ihr unterfällt jedes Amtshilfeersuchen des Gerichts an eine ausländische Behörde, sofern dieses aufgrund von Gesetzen, zwischenstaatlichen Verträgen oder Vereinbarungen eines Notenwechsels zwischen der Bundesregierung und der ausländischen Regierung oder kraft Gewohnheitsrechts statthaft ist oder mit welchen der ausländische Staat einverstanden ist. Gegenstand des Ersuchens kann jede im Bußgeldverfahren zulässige Handlung zur Förderung des Verfahrens sein (zum Ganzen s. Remann/Roth/Hermann, OWiG, 3. Auflage Stand Oktober 2020, § 33 Rz. 29).

Hieran gemessen handelt es sich bei dem richterlich angeordneten Ersuchen um Auskunft der Meldebehörde der Stadt Plombiers um eine solche im Ausland vorzunehmende Untersuchungshandlung. Ausgehend von dem diesbezüglichen Beweisantrag der Verteidigung diente sie der Feststellung, ob der Betroffene – wie von ihm behauptet – seine Wohnung im zustellungsrechtlichen Sinne im Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheides (ausschließlich) in Belgien hatte und damit der Klärung der Frage, ob Verfolgungsverjährung eingetreten war. Die Anfrage ist – wie erforderlich – durch die zuständige Tatrichterin veranlasst worden (dazu vgl. BeckOK-OWiG-Gertler, 32. Edition Stand 01.10.2021, § 33 Rz. 84). Sie war schließlich auch statthaft: Das Königreich Belgien führt ein zentrales Melderegister für natürliche Personen, das unter anderem Auskunft über deren Wohnsitz gibt und auf dessen Daten auch ausländische öffentlich-rechtliche Institutionen Zugriff haben (s. Näher www.ibz.rrn.fgov.de). Dass auch die belgischen Behörden von der Zulässigkeit ihres Handelns ausgegangen sind, ergibt sich zwanglos aus dem Umstand, dass diese die Anfrage des Amtsgerichts Geilenkirchen bereits am 9. Dezember 2019 ohne weitere Rückfrage beantwortet haben.

Nach alledem ist die Verfolgungsverjährung hier durch die richterliche Anfrage beim Einwohnermeldeamt der Stadt Plombiers am 3. Dezember 2019 wirksam unterbrochen worden. Innerhalb der danach erneut in Lauf gesetzten Sechsmonatsfrist (§ 26 Abs. 3 StVG) ist die Verjährung sodann am 22. Januar 2020 gemäß § 33 Abs. 1 Ziff. 11 OWiG erneut wirksam unterbrochen worden und sodann auch bis zum 3. Juni 2020 – dem Datum des ersten Urteils in vorliegender Sache – nicht mehr abgelaufen.“

OWi II: Toleranzwert bei der Messung mit Nachfahren, oder: OLG Köln ändert Rechtsprechung

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, betrifft eine Geschwindigkeitsüberschreitung. Gemessen worden ist durch Nachfahren.

Zum Tatgeschehen hatte „das Amtsgericht festgestellt, dass der Betroffene am 20. Oktober 2020 gegen 0:45 Uhr in A die innerorts gelegene Kölner Straße über eine Strecke von 1.200 m mit einer vorwerfbaren Geschwindigkeit von 84 km/h befuhr. Die Überzeugung von diesem Verstoß hat sich das Tatgericht auf der Grundlage der Angaben von drei polizeilichen Zeugen verschafft, die dem von dem Betroffenen geführten Fahrzeug mit einem zivilen Fahrzeug über die genannte Strecke in einem Abstand von 60-70 m gefolgt sind und währenddessen von dem nicht justierten Tachometer eine gleichbleibende Geschwindigkeit von 105 km/h abgelesen haben. Die vorwerfbare Geschwindigkeit von 84 km/h hat das Tatgericht sodann im Wege eines Toleranzabzugs von 20% ermittelt.“

Das AG hat den Betroffenen zu einer Geldbuße von 185 EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Das OLG Köln hebt im OLG Köln, Beschl. v. 03.01.2021 – 1 RBs 254/21 – im Rechsfolgenausspruch auf und ändert seine Rechtsprechung zum sog. Toleranzwert zumindest teilweise.

Hier stelle ich nur den Leitsatz = das Ergebnis der Ausführungen des OLG Köln vor. Wer mag und Interesse kann die Begründung im Volltext nachlesen:

Bei der Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren in einem Fahrzeug mit nicht justiertem Tachometer ist regelmäßig ein erster Toleranzabzug von der abgelesenen Geschwindigkeit von 10% zuzüglich 4 km/h für mögliche Eigenfehler des Tachometers sowie ein weiterer Toleranzabzug zwischen 6 und 12% der abgelesenen Geschwindigkeit erforderlich, um weiteren Fehlerquellen, wie Ablesefehlern sowie solchen Fehlern, die aus Abstandsveränderungen und/oder der Beschaffenheit des Fahrzeugs resultierten zu begegnen (teilweise Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung).