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Pflichti III: Pflichtverteidiger im Revisionsverfahren, oder: Wie alt darf RVG-Literatur bei einem OLG sein??

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Nach Pflichti I und Pflicht II (vgl. den LG Köln, Beschl. v. 19.07.2016 – 108 Qs 31/16 – mit Pflichti I: Schwierig ist das Verfahren, wenn es um ein Beweisverwertungsverbot geht und den LG Bielefeld, Beschl. v. 07.09.2016 – 8 Qs 379/16 VIII mit Pflichti II: Umbeiordnung, oder: Die „Masche“ mit den Mehrkosten läuft so nicht) nun noch den OLG Köln, Beschl. v. 29.07.2016 – 2 Ws 504/16 -. Der behandelt u.a. auch eine gebührenrechtliche Frage. Zunächst geht es aber mal um die Frage der Beiordnung des Rechtsanwalts im Revisionsverfahren. Der Angeklagte war im 1. Rechtszug durch Rechtsanwalt H als Wahlverteidiger vertreten. Nach der Verurteilung des Angeklagten legte der Verteidiger das Wahlmandat nieder und beantragte seine Beiordnung. Der Antrag ist abgelehnt worden, weil die Revisionsbegründungsschrift des Verteidigers bereits vorlag. Eine nachträgliche Pflichtverteidigerbeiordnung sei aber nicht zulässig. Die Beschwerde des Angeklagten hatte Erfolg.

Das OLG sagt – so jedenfalls die Veröffentlichung des Beschlusses im StraFo 2016, 382, wo ich den Beschluss entnommen habe:

„Rechtsanwalt H ist … für das Revisionsverfahren beizuordnen. Es besteht ein Fall notwendiger Verteidigung …, da der Angekl wegen eines Verbrechens angeklagt und erstinstanzlich verurteilt worden ist. Ist aber die Mitwirkung eines Verteidigers erforderlich, so ist sie dies für das gesamte Verfahren bis zur Urteilsrechtskraft. Auch im Revisionsverfahren – selbst nach Einlegung und Begründung der Revision – darf der Angekl nicht ohne Verteidiger gelassen werden (Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 140 Rn 5f; Laufhütte, in: KK, StPO, 7: Aufl., § 140 Rn 4 jeweils m.w.N.). Ist der Angekl nach Abschluss der Hauptverhandlung nicht mehr verteidigt, hat der Vorsitzende des Tatgerichts von Amts wegen einen Verteidiger zu bestellen (Laufhütte a.a.O.). Vorliegend hat Rechtsanwalt H das Wahlmandat … niedergelegt. Mit Eingang dieses Schriftsatzes beim LG war dem Angekl daher – unabhängig von einem entsprechenden Antrag – ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Die Frage, ob eine Beiordnung rückwirkend erfolgen kann, stellt sich vorliegend nicht, da das Revisionsverfahren noch nicht abgeschlossen ist und der Pflichtverteidiger die Verfahrensgebühr nach [Nr]. 4130 W RVG, die eine Art Pauschgebühr darstellt (Hartmann, Kostengesetze, 40. Aufl., Nr. 3100 VV RVG Rn 11) nicht nur für die Einlegung und Begründung der Revision, sondern unabhängig davon für das Betreiben des Geschäfts erhält (Madert, in: Gerold/Schmitt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl., 4130 VV RVG Rn 3). Darunter fallen weitere Tätigkeiten außerhalb einer Revisionshauptverhandlung wie die Entgegennahme und Besprechung einer Revisionsgegenerklärung der StA und des Revisionsantrags des GBA und insgesamt [die] Begleitung des Angekl im Revisionsverfahren. Eine auf die Begründung der Revision beschränkte Beiordnung, die die gegenüber der Gebühr nach [Nr]. 4130 VV RVG geringere Gebühr nach [Nr]. 4302 Nr. 1 VV RVG auslöst, kommt vorliegend nicht in Betracht, da der Angekl unter den hier gegebenen Voraussetzungen bis zur Rechtskraft des Urteils verteidigt sein muss.“

Alles richtig und nicht zu beanstanden. Aber etwas zu meckern gibt es dann doch: Das OLG bezieht sich zur Begründung des Pauschalcharakters der Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG auf „Hartmann, Kostengesetze, 40. Aufl., Nr. 3100 VV RVG Rn 11“. Überraschend daran ist zunächst, dass an der Stelle zu der vom OLG aufgeworfenen Frage nichts steht, was auch nicht sein kann, da es um eine Gebühr aus dem Teil 3 VV RVG geht. Überraschend ist aber auch, wenn es sich nicht um einen Schreibfehler handelt, dass das OLG die 40. Aufl. des Hartmann zitiert, obwohl inzwischen die 46. Auflage vorliegt. Man fragt sich dann doch wieder, wie leer eigentlich die öffentlichen Kassen sind, wenn ein Strafsenat eines OLG eine so alte Auflage heranzieht. Nun, sie müssen leer sein, weil das OLG nämlich an anderer Stelle als Beleg „Madert, in: Gerold/Schmitt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl., 4130 VV RVG Rn 3“ anführt, der „Gerold/Schmidt“ aber inzwischen in der 22. Auflage vorliegt. Die 16. Auflage ist RVG-Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes. Denn sie stammt aus dem Jahr 2004 und ist die erste Auflage des Kommentars zum RVG. So viel zur Aktualität und zum Inhalt von OLG-Bibliotheken.

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Verwerfung II: Pflichtverteidiger auch nicht da, schwupps Berufung verworfen?

© MK-Photo - Fotolia.com

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Nach dem OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.11.2015 – 1 Ss 322/15 (dazu: Verwerfung I: Nachforschen muss das LG, oder: So einfach ist das nicht….) hier nun der OLG Köln, Beschl. v. 24.06.2016 – 1 RVs 114/16 – mit folgender Verfahrenskonstellation: Das AG Aachen hat den Angeklagten u.a. wegen Diebstahls in zwei Fällen sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt. Seine dagegen gerichtete Berufung hat das LG in Anwendung des § 329 Abs. 1 StPO verworfen. In den Urteilsgründen ist ausgeführt, der am Terminstag erkrankte Pflichtverteidiger habe auf telefonische Nachfrage erklärt, nicht über eine Vertretungsvollmacht „i. S. d. § 329 n. F. StPO“ zu verfügen.

Das geht so nicht, meint das OLG Köln, denn:

„2. Die danach zulässig erhobene Verfahrensrüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 StPO ist auch begründet. Da vorliegend ein Fall notwendiger Verteidigung gegeben ist, durfte die Hauptverhandlung ohne Rechtsanwalt L (oder einen anderen Pflichtverteidiger) nicht stattfinden, § 145 Abs. 1 StPO, und hätte eine Vertagung wegen dessen krankheitsbedingter Verhinderung auch unabhängig von einem Antrag schon von Amts wegen erfolgen müssen. Wenn die Hauptverhandlung aber unabhängig vom Erscheinen des Angeklagten vertagt werden muss, wird durch das Nichterscheinen des Angeklagten nicht die Möglichkeit der Verwerfung der Berufung eröffnet. Der Zweck des § 329 Abs. 1 StPO besteht darin, zu verhindern, dass der Angeklagte durch sein Nichterscheinen die Entscheidung über die Berufung verhindert. Kann aber ohnehin aus anderen Gründen – hier wegen der krankheitsbedingten Verhinderung des Verteidigers – die Hauptverhandlung nicht durchgeführt werden, wird eine Verwerfung der Berufung gemäß § 329 Abs. 1 StPO durch den Normzweck nicht mehr gedeckt (vgl. insgesamt SenE v. 29.09.2006 – 81 Ss 117/06; SenE v. 17.02.2016 – III-1RVs 24/16).

Der Senat folgt damit nicht der in der Kommentarliteratur vertretenen – auf eine ältere Entscheidung des OLG Hamm (NJW 1970, 1245) zurückgehenden – Auffassung, dass die Abwesenheit des Verteidigers die Berufungsverwerfung wegen Säumnis nicht hindert (so: Meyer/Goßner-Schmitt, StPO, 59. Auflage 2016, § 329 Rz. 5;  Löwe-Rosenberg-Gössel, StPO, 26. Auflage 2013, § 329 Rz. 31; SK-StPO-Frisch, 4. Auflage 2013, § 329 Rz. 41; AnwKomm-StPO-Rotsch/Gasa, § 329 Rz. 2). Die hierfür gegebene Begründung, im Falle des § 329 StPO finde keine Sachverhandlung statt, greift nach Auffassung des Senats zu kurz, weil der Verteidiger Entschuldigungsgründe vorbringen (abweichend daher für den Fall, dass sich die „besondere Schwierigkeit“ im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO gerade auf den möglichen Entschuldigungsgrund bezieht OLG Stuttgart NStZ-RR 2004, 338 [339]) oder auch im Verfahren gemäß § 329 Abs. 1 StPO beachtliche Rechtsausführungen – etwa zum Vorliegen von Verfahrenshindernissen – machen kann.

Dieselbe Erwägung trägt denn auch die weithin akzeptierte Auffassung, dass die fehlende Ladung des Verteidigers (hierzu: Senat VRS 98, 138 [139]; BayOblG NStZ-RR 2001, 374 = VRS 100, 452 = DAR 2001, 372; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 329 Rz. 12; Löwe/Rosenberg-Gössel, a.a.O. Rz. 44; SK-StPO-Frisch, a.a.O. Rz. 15; KMR-Brunner, StPO, § 329 Rz. 11; Radtke/Hohmann-Beukelmann, StPO, § 329 Rz. 9 aE) oder dessen fehlende Bestellung im Falle notwendiger Verteidigung (hierzu: OLG Brandenburg zfs 2010, 347 [349]; OLG Stuttgart NStZ-RR 2008, 312 = StV 2009, 12; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.; SK-StPO-Frisch a.a.O. Rz. 28) die Berufungsverwerfung wegen Säumnis des Angeklagten hindert. Für den Senat ist kein Sachgrund ersichtlich, den Fall krankheitsbedingter Verhinderung des Verteidigers abweichend zu behandeln. Es trifft zwar zu, dass in den genannte Fällen ein aus der Sphäre des Gerichts herrührender Fehler vorliegt, doch hätte hier wie dort der anwesende Verteidiger ggf. die Verhandlung zu Gunsten seines Mandanten beeinflussen und eine Verwerfung der Berufung verhindern können (Senat a.a.O.) bzw. wäre es zu einem Ausbleiben des Angeklagten (möglicherweise) nicht gekommen (SK-StPO-Frisch, a.a.O. Rz. 28). Vor diesem Hintergrund ist daher ohne Bedeutung, aus welchem Grund der Angeklagte im Termin zur Berufungshauptverhandlung nicht verteidigt ist. Ebenso ist aus den vorstehend dargestellten Gründen nicht von Belang, ob der Verteidiger über eine Vertretungsvollmacht verfügte.“

Liegt m.E. eigentlich auf der Hand, oder?

Das „verschollene“ Problem, oder: Beweisverwertungverbot bei Messung mit Provida?

entnommen Wikimedia.org Urheber Federico Cantoni (Jollyroger)

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Urheber Federico Cantoni (Jollyroger)

Es gibt immer wieder (Rechts)Fragen, die Rechtsprechung und Literatur beschäftigen und die einen Verteidigungsansatz bieten. Häufig ist dann aber nach einer gewissen Zeit die Frage geklärt = es hat sich in der Rechtsprechung eine h.M. gebildet, die man zur Kenntnis nehmen muss/sollte. Und zwar auch, wenn einem das Ergebnis dieser Klärung nicht gefällt. Jedenfalls kann man mit den Fragen dann nur noch schwer verteidigen. So ist es mit den Fragen um den Richtervorbehalt bei der Blutentnahme gewesen (§ 81a StPO) und so war/ist es mit der Frage nach der Ermächtigungsgrundlage für Videomessungen nach dem BVerfG, Beschl. v. 11.08.2009 – 2 BvR 941/08 – und einem sich daran ggf. anknüpfenden Beweisverwertungsverbot gewesen. Aber: Die Fragen kochen dann immer wieder doch noch einmal hoch. So ist es mit den Videomessungen. Dazu hat jetzt gerade das OLG Köln im OLG Köln, Beschl. v. 06.09.2016 – 1 RBs 246/16 – im Rahmen der Zulassung einer Rechtsbeschwerde noch einmal Stellung genommen und – was mich nicht wundert – ein Beweisverwertungsverbot abgelehnt:

„Die Fragen, die sich mit Rücksicht auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.08.2009 (2 BvR 941/08) hinsichtlich der Verwertung der von einer Überwachungsanlage gefertigten Aufnahmen und der dazugehörigen Daten ergeben, sind – jedenfalls soweit es das hier zum Einsatz gelangte System Q betrifft – als hinreichend geklärt anzusehen, so dass auch insoweit keine Zulassungsbedürftigkeit besteht. Geklärt ist insoweit, dass es sich bei Bildaufzeichnungen im Rahmen einer verdachtsabhängigen Geschwindigkeitsmessung mit dem System Q nicht um einen rechtswidrigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung handelt (SenE v. 17.12.2009 – 83 Ss-OWi 99/09 -; SenE v. 22.01.2010 – 82 Ss-OWi 122/09 -; SenE v. 02.12.2010 – III-1 RBs 296/10), sondern eine Rechtsgrundlage in § 100 h StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG gefunden werden kann (OLG Schleswig zfs 2010, 171;  OLG Brandenburg NJW 2010, 1471 = VM 2010, 37 [Nr. 36] = VRS 118, 290 = NStZ 2010, 589 L. [für verdachtsabhängige Geschwindigkeitsmessung mit ES 3.0]; OLG Brandenburg zfs 2010, 527, 528 [für ES 3.0]). Dagegen bestehen auch verfassungsrechtlich keine Bedenken (BVerfG DAR 2010, 508 – 2 BvR759/10 -; BVerfG DAR 2010, 574; OLG Jena NJW 2010, 1093; SenE v. 03.08.2010 – III-1 RBs 192/10 -; SenE v. 02.12.2010 – III-1 RBs 296/10 -; SenE v. 24.09.2014 – III-1 RBs 257/14 -).

Auch soweit gemäß der insoweit als wahr unterstellten Beweisbehauptung des Betroffenen der Aufzeichnungsvorgang durch die Polizeibeamten bereits bei deren Auffahren auf die L 123 in Gang gesetzt wurde, ergibt sich daraus kein weitergehender Klärungsbedarf. Der Senat folgt den sorgfältigen und zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung, wonach dieser Umstand keinen unzulässigen Eingriff in das Recht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung darstellt. Dies folgt schon daraus, dass nach den Urteilsfeststellungen der Betroffene erst nach Vorliegen von Anhaltspunkten zu einer Geschwindigkeitsüberschreitung aufgenommen wurde. Diese Maßnahme war indes – wie ausgeführt – ohne weiteres zulässig, während ein evtl. davor liegender Aufzeichnungsvorgang allenfalls dritte Personen als Verkehrsteilnehmer betroffen haben kann.

Ohnehin hegt der Senat Zweifel, ob dem Umstand des „vorbeugend“ in Gang gesetzten Aufnahmevorgangs angesichts dessen Einbettung in eine als solche notwendige und zulässige verkehrsüberwachende Maßnahme eine grundrechtsverletzende Eingriffsintensität beizumessen wäre. Das Amtsgericht führt zu Recht aus, dass die ausschließlich von hinten getätigten Bildaufnahmen eine (direkte) Identifizierung von im Fahrzeug befindlichen Personen nicht zulassen. Soweit Fahrzeuge zu erkennen sein sollten, welche von dritten, einer Ordnungswidrigkeit in der konkreten Situation unverdächtigen Personen geführt werden, vermag die Aufnahme der Kennzeichen zwar die Identifizierung der Fahrer erleichtern, es handelt sich vorliegend indes weder um eine systematische oder flächendeckende Erfassung. Der Betroffene hat darüber hinaus weder vorgetragen noch ist dies sonstwie ersichtlich, dass die Bildaufnahmen gespeichert wurden, um sodann gegebenenfalls zum Zwecke weiterer Maßnahmen zur Verfügung zu stehen. Erst in einem solchen Fall käme ein grundrechtsrelevanter Eingriff in Betracht (vgl. BVerfG, Urt. v. 11.03.2008 – 1 BvR 2074/05 – = NJW 2008, 1505 ff. zur landesgesetzlich gestatteten automatisierten Kennzeichenerfassung zwecks Abgleich mit dem Fahndungsdatenbestand).“

Also: Im Zweifel lieber an anderer Stelle verteidigen. Aver: Versuchen kann man es ja mal. Es gibt immer wieder noch, vor allem amtsgerichtliche, Entscheidungen, in denen der Ansatz erfolgreich.

Auch du mein Sohn Brutus, oder: Was andere falsch machen, machen wir auch falsch

Copyright: canstockphoto

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Auch du mein Sohn Brutus, oder: Nun hat also auch das OLG Köln im OLG Köln, Beschl. v. 03.05.2016 – 2 Ws 138/16 – seine bisherige zutreffende Ansicht, dass der Zeugenbeistand nach Teil Abschnitt 1 VV RVG abrechnet, aufgegeben und speist den Zeugenbeistand in Zukunft dann nur noch mit einer Gebühr für eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4301 Ziff. 4  VV RVG ab. Dass das falsch ist, habe ich schon so oft ausgeführt, dass ich es nun nicht noch einmal wiederholen will. Es bringt nichts.

Und: Mich überzeugen die Gründe des OLG Köln nicht bzw. das OLG argumentiert sich bei der Begründung seiner Rechtsprechungsänderung – warum eigentlich? – „in einen Knüpp“. Denn einerseits betont es die „gesetzgeberische Intention“ bei Einführung der Regelung in Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG durch das RVG 2004. Andererseits sei diese Intention „indes im Gesetz nicht (vollständig) umgesetzt, da es in der amtlichen Vorbemerkung zu Teil 4 VV RVG in Ziffer 1 heißt, die Vorschriften des 4. Teils seien für die Tätigkeit als Beistand eines Zeugen „entsprechend“ anzuwenden.“ Ach so? Selbst wenn man daran Zweifel haben will, obwohl der Gesetzgeber doch gerade den Zeugenbeistand angemessen honorieren wollte, ist doch wohl spätestens durch den Regierungsentwurf zum 2. KostRMoG klar, was der Gesetzgeber wollte. Von daher passt der Hinweis auf die „gesetzgeberischen Aktivitäten“ nun mal gar nicht. Die sprechen eher dafür, die frühere richtige Auffassung beizubehalten und nicht hinter den anderen OLG, die es schon falsch gemacht haben, her zu ziehen. Und dass die Länder „diesen Vorschlag jedoch explizit abgelehnt und unter anderem ausgeführt [haben], es sei nicht sachgerecht, für den Zeugenbeistand die gleichen Gebühren anzusetzen wie für einen Verteidiger (BR-Drucksache 517/1/12 S. 94/95; vgl. auch OLG München a.a.O.).“ ist erst recht kein Argument. Die denken eh nur an die eigenen Kassen.

Man kann nur hoffen, dass der Bund diese Geschichte nun bald endlich klarstellt.

Warum braucht die StA 7 Monate, um sich nicht zu erklären? oder: Schon unfassbar….

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Beginnen wir die neue Woche mit Haftrecht. Und dazu macht der OLG Köln, Beschl. v. 29.02.2016 – 2 Ws 60/16, den (unschönen) Auftakt. Es geht um die Verletzungs des Beschleunigungsgrundsatzes im Rechtsmittelverfahren. Und der war hier „so „dicke“ verletzt, dass das OLG den gegen den Angeklagten bestehenden Haftbefehl wegen gemeinschaftlichen versuchten Totschlags aufgehoben hat. Dem lag folgender Verfahrensablauf zugrunde:

  • Urteil des LG Köln 05.12.2014; Freiheitsstrafe  wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung  7 Jahre und 9 Monate.
  • Nach Revisionseinlegung aller Angeklagten, Fertigstellung des Urteils am letzten Tag der Urteilsabsetzungsfrist, dem 06.02.2015, Fertigstellung des Sitzungsprotokolls am 16.03.2015 sowie Zustellungsverfügung der Vorsitzenden vom 17.03.2015, Zustellung des Urteils den Verteidigern, dem letzten am 13.04.2015.
  • Die Verteidiger haben bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gerügt und die allgemeine Sachrüge auch teilweise ausgeführt. Die letzte Revisionsschrift, die die Verletzung formellen Rechts rügt, ist am 13.05.2015 beim LG eingegangen.
  • Mit Verfügung der Vorsitzenden vom 26.05.2015 sind die Akten der StA, Eingang dort am 28.05.2015, zwecks Abgabe der Revisionsgegenerklärung übersandt worden.
  • Der zuständige Staatsanwalt vermerkt unter dem 17.07.2015, dass er aufgrund der unvorhersehbaren Abordnung eines Kollegen zur Erprobung und weiterer, im Einzelnen näher aufgeführter dringlicher Amtsgeschäfte bisher nicht in der Lage gewesen sei, eine Revisionsgegenerklärung abzugeben. Er werde sich nach seiner Urlaubsrückkehr am 10.08.2015 umgehend dem Verfahren zuwenden. Der Behördenleitung sei diese Situation bekannt; sie sehe sich jedoch aufgrund der angespannten Personalsituation nicht in der Lage, die Stelle des zur Erprobung abgeordneten Kollegen neu zu besetzen.
  • Nach insgesamt neun Sachstandsanfragen des Landgerichts im Zeitraum vom 23.07.2015 bis zum 03.12.2015 hat der zuständige Staatsanwalt am 09.12.2015 die Übersendung der Akten an die Generalbundesanwaltschaft verfügt, eine Revisionsgegenerklärung wurde nicht abgegeben. Im Hinblick auf den erneuten Zeitablauf hat er vermerkt, dass die Prüfung des Revisionsvorbringens erst zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen werden konnte. Vorher sei er hierzu aufgrund vordringlicher Amtsgeschäfte, die er wiederum im Einzelnen aufgeführt hat, nicht in der Lage gewesen.
  • Und dann noch: Die Akten sind aufgrund eines justizinternen Versehens von der StA zunächst wieder an das LG und zurück an die StA übersandt worden. Der für die Übersendung zuständige Rechtspfleger hatte am 16.12.2015 festgestellt, dass das Urteil nicht an alle im Revisionsverfahren tätigen Verteidiger förmlich zugestellt worden war. Er übersandt die Akte deshalb zunächst erneut der Strafkammer. Deren Vorsitzende vermerkte am 22.12.2015, dass infolge der förmlichen Zustellung an jeweils einen Verteidiger eine weitere förmliche Zustellung nicht erforderlich sei, gleichwohl verfügte sie die formlose Übersendung des Urteils an die Rechtsanwälte W und Q. Nach Ausführung dieser Verfügung wurden die Akten zunächst an die StA versandt, wo sie mit Verfügung vom 30.12.2015, die am 14.01.2016 ausgeführt wurde, an die Generalbundesanwaltschaft abgesandt wurden. Eine Antragsschrift der Generalbundesanwaltschaft liegt noch nicht vor. Die Akten wurden am 16.01.2016 dem BGH zur Kenntnisnahme vorgelegt.

Da kann man nur sagen: Noch Fragen zur Beschleunigung? Ich habe sie nicht. Und das OLG Köln hatte sie auch nicht und meint – zutreffend: Die nach Urteilserlass entstandenen Verfahrensverzögerungen gegen das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen. Begründung:

  • Die erste vermeidbare Verfahrensverzögerung liegt bereits darin begründet, dass das Protokoll erst am 16.03.2015, mithin über 5 Wochen nach Ablauf  der Urteilsabsetzungsfrist am 06.02.2015, fertiggestellt worden ist. Diese Verzögerung ist als solche auch von Belang, da nach § 273 Abs. 4 StPO das Urteil zuvor nicht zugestellt werden darf und sie sich daher auf die zügige Durchführung des Revisionsverfahrens auswirkt.
  • War bereits diese vermeidbare Verzögerung des Verfahrens im Hinblick auf das Beschleunigungsgebot bedenklich, ist dies jedenfalls in Zusammenschau mit dem Zeitablauf von über 6 Monaten, den die Staatsanwaltschaft für die Prüfung benötigt hat, dass keine Revisionsgegenerklärung abgegeben wird, und den unter II.3.b.cc. ausgeführten Verzögerungen mit dem Grundrecht des Angeklagten auf die Freiheit seiner Person, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, nicht mehr vereinbar.
  • Die Akten sind nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist bei der StA am 28.05.2015 eingegangen. Gemäß § 347 Abs. 1 S. 2 StPO hatte die StA Gelegenheit, binnen einer Woche eine schriftliche Gegenerklärung abzugeben. Tatsächlich hat die StA erst mit Verfügung vom 09.12.2015 die Akten der Generalbundesanwaltschaft übersandt, ohne Revisionsgegenklärung. „….Es kann dahingestellt bleiben, ob die Zeit, die die Staatsanwaltschaft zur Überprüfung des Revisionsvorbringens der Angeklagten benötigen durfte, der in § 347 Abs. 1 S. 2 StPO aufgeführte Wochenfrist entsprochen hat. Jedenfalls genügt eine Sachbehandlung, die einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten für die Überprüfung beinhaltet, nicht mehr dem in Haftsachen zu beachtenden Beschleunigungsgebot….“ und: ….Eine Stellungnahme zu den teilweise auf wenigen Seiten ausgeführten Sachrügen war nach Maßgabe der in Nr. 162 (1) der Richtlinien für das Straf- und das Bußgeldverfahren gegebenen Empfehlung nicht erforderlich…..“ und: „…..Ebenso wie sich aus dem Beschleunigungsgebot die Pflicht des Gerichtspräsidenten ableitet, durch Ergreifen geeigneter organisatorischer Maßnahmen die beschleunigte Bearbeitung von Haftsachen sicher zu stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1973 – 2 BvR 558/73 –, zitiert nach juris, Rz. 27), folgt daraus zugleich die Verpflichtung, solche gerichtsorganisatorische Maßnahmen zu unterlassen, die einer beschleunigten Bearbeitung von Haftsachen zuwiderlaufen (vgl. BVerfGE Beschluss vom 29. Dezember 2005 – 2 BvR 2057/05 –, zitiert nach juris, Rz. 69). Dass diese Verpflichtung in gleicher Weise auch für die Staatsanwaltschaft gilt, bedarf nach Auffassung des Senats keiner näheren Darlegung. Die Abordnung eines Kollegen an eine andere Behörde ist daher generell ungeeignet eine Verletzung des Beschleunigungsgebots zu rechtfertigen (BVerfG, a.a.O., Rz 69).“

Fazit des OLG:

„Vorliegend ist insgesamt eine vermeidbare, auf justizinterne Ursachen zurückzuführende Verfahrensverzögerung von über 8 Monaten zu verzeichnen. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich der Angeklagte bereits 2 Jahre und 4 Monate in Untersuchungshaft befindet und die Akten erst 1 Jahr und 1 Monat nach Urteilsverkündung der Generalbundesanwaltschaft übersandt worden sind, die naturgemäß noch keine Antragsschrift gefertigt hat, so dass eine Revisionsentscheidung nach den Erfahrungen des Senats frühestens nach mehreren weiteren Monaten zu erwarten sein dürfte, zwingen die aufgezeigten vermeidbaren Verfahrensverzögerungen zur Aufhebung des Haftbefehls und des Haftfortdauerbeschlusses. Auch die – noch nicht rechtskräftige – Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren und 9 Monaten rechtfertigt aufgrund der massiven Verfahrensverzögerungen keine Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05. Dezember 2005 – 2 BvR 1964/05 –, zitiert nach juris, Rz. 106).

Wenn man es liest, denkt man Freiheitsberaubung im Amt durch Unterlassen…. ich weiß, ich weiß, ich brauche dazu keine Kommentare. Aber man ist fassunglos. Vor allem darüber, dass die Akten – es handelt sich um eine Haftssache (!!!!!!!!) – erst mal zwei Monate beim zuständigen StA liegen, der dann mitteilt, dass er jetzt erst mal für mehr als drei Wochen in Uralub fährt und sich dann der Sache widmen wird. Und dann dauert es immer noch bis Weihnachten…..