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OWi II: Es war kein Handy, sondern ein Kühlakku, oder: „etwas unglückliche“ Beweiswürdigungsformulierung

Kühlakku

Und dann als zweite Entscheidung dann der OLG Hamm, Beschl. v. 29.08.2023 – III-5 ORbs 70/23 – zur Beweiswürdigung bei einem Handyverstoß.

Das AG hatte den Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1 StVO verurteilt. Hier das AG Iserlohn, Urt. v. 15.11.2021 – 18 OWi 271/21 -, das ich mit einstelle, da man sonst den OLG Beschluss nicht versteht. Darin führt das AG aus:

„Der Betroffenen hat das Tatgeschehen bestritten. Er hat angegeben, immer Probleme mit seinen Zähnen gehabt zu haben und ein Kühlakku, welches von einem anthrazitfarbenen Handtuch umwickelt war, an seine linke Wange gehalten zu haben. Diesen Kühlakku brachte er zum Hauptverhandlungstermin mit.

Diese Angaben waren nach der durchgeführten Beweisaufnahme und Inaugenscheinnahme des besagten Akkus als Schutzbehauptung widerlegt.

Zum einen konnte schon eine Ähnlichkeit zwischen einem Handy und dem umwickelten Kühlakku nicht festgestellt werden. Die Einlassung des Angeklagten war schon wenig nachvollziehbar und plausibel. Gleichzeitig ist nicht nachvollziehbar weil widersprüchlich, aus welchen Gründen der Betroffene im Rahmen der anschließenden Verkehrskontrolle den einschreitenden Polizeibeamten gar nichts hinsichtlich seines vermeintlich genutzten Kühlakkus erwähnt hat. Erschwerend und mitentscheidend für die mangelnde Glaubhaftigkeit der Einlassung des Betroffenen sind die glaubhaften Angaben der Zeugin pp.. Diese gab an, dass sie sich vage erinnern könne. Sie wisse noch, dass es sich um eine gezielte Verkehrsüberwachung gehandelt habe und sie gefahren sei, der Kollege habe hinten und die Kollegin neben ihr im Fahrzeug gesessen. Sie hätten alle den Verstoß gesehen. Es habe sich 100 %-ig um ein Mobiltelefon gehandelt, keinesfalls um den mitgebrachten Kühlakku oder Ähnliches. Daran erinnere sie sich genau, da der Betroffene das Handy sofort heruntergenommen habe, als er von ihnen —den Zeugen- entdeckt worden sei. Die Angaben sind glaubhaft, weil lebensnah, plausibel und im Wesentlichen widerspruchsfrei. Es bestehen weder Zweifel an der Wahrnehmungsfähigkeit noch an der Wahrnehmungsbereitschaft der Zeugin. Insbesondere hat die Zeugin den Betroffenen nicht übermäßig belastet und hat auch eingeräumt, dass sie sich an die zeitliche Abfolge, wie lange sie n.eben dem Betroffen hergefahren seien, nicht genau erinnern könne. Auch ist keinerlei Motivation einer Falschbelastung auf Seiten der Zeugin erkennbar. Maßgeblich für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin war, dass diese das Geschehen in sich konstant wiedergegeben hat. Die Angaben standen auch nicht im Widerspruch zu den Bekundungen des Zeugen pp. Der Zeuge gab sofort an, sich nicht mehr genau an das Tatgeschehen erinnern zu können. Ob er oder seine Kollegin gefahren sei, wisse er nicht mehr genau. Er konnte sich lediglich an die Verkehrsüberwachung erinnern und daran, dass der Betroffene im Gespräch angegeben habe: „Eine Sauerei, dass aus einem Zivilfahrzeug heraus kontrolliert wird!“ Insoweit wertet das Gericht die Angaben des Betroffenen lediglich als reine Schutzbehauptung.

Dagegen die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die das OLG verworfen hat, und zwar mit folgendem Zusatz:

„Die Erwägungen in dem Schriftsatz des Verteidigers vom 25.08.2023 rechtfertigen keine andere Entscheidung.

Zwar ist die Formulierung des Tatgerichts in der Beweiswürdigung betreffend das Verhalten des Betroffenen im Rahmen der Verkehrskontrolle (vgl. UA S. 3) etwas unglücklich. Gleichwohl lässt sich daraus nicht der Schluss ziehen, das Amtsgericht habe das Schweigerecht des Betroffenen bzw. den Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ verletzt. Zum einen kann auch der Zeitpunkt, zu dem sich ein Betroffener zur Sache einlässt, ein Umstand sein, der im Rahmen der Gesamtwürdigung die Glaubhaftigkeit der Einlassung beeinflussen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 22.02.2001 — 3 StR 580/00 = BeckRS 2001, 30163532, beck-online). Zum anderen hat der Betroffene ausweislich der Urteilsgründe gar nicht vollständig von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht, sondern geäußert, es sei eine Sauerei, dass aus einem Zivilfahrzeug heraus kontrolliert werde (vgl. UA S. 4). Darüber hinaus ist die tragende Erwägung im Rahmen der — nur eingeschränkt überprüfbaren — Beweiswürdigung des Tatgerichts die Aussage der Zeugin.“

Als ich die Einlassung gelesen habe, musste ich mich an meine Fortbildungen im Verkehrsrecht erinnern 🙂 . Lang, lang ist es her, aber wird offenbar immer noch gern genommen die Einlassung. 🙂 .

Haft III: Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe, oder: Kann der Verurteilte die Geldstrafe nicht sofort zahlen?

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Und zum Schluss des Tages dann noch der OLG Hamm, Beschl. v. 13.04.2023 – 3 Ws 99/23 – zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe.

Wegen der Einzelheiten des (umfangreichen) Sachverhalts verweise ich auf den verlinkten Volltext. Es geht um eine durch einen Strafbefehl wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis festgesetzte Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je 10 EUR, die der Verurteilte nicht gezahlt hat, so dass die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe angeordnet worden ist. Dagegen die sofortige Beschwerde, die keinen Erfolg hatte:

„Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.

1. Die sofortige Beschwerde hat bereits deshalb keinen Erfolg, weil nach Beginn der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe – wie von dem Landgericht Bielefeld in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt – für die Anwendung der §§ 459a Abs. 1 StPO, 42 S. 1 StGB kein Raum mehr ist. Vielmehr kann die weitere Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe nur aus den in § 459e Abs. 4 StPO genannten Gründen unterbleiben, vorliegend also namentlich dann, wenn der Verurteilte die nach der inzwischen bereits weitgehend erfolgten Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe verbleibende Restgeldstrafe entrichtet.

Die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe ist in § 459e StPO geregelt. Dabei setzt die Anordnung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch die Vollstreckungsbehörde gemäß § 459e Abs. 2 StPO voraus, dass die Geldstrafe nicht eingebracht werden kann oder die Vollstreckung nach § 459c Abs. 2 StPO unterbleibt (was wiederum dann der Fall ist, wenn zu erwarten ist, dass die Beitreibung der Geldstrafe in absehbarer Zeit zu keinem Erfolg führen wird). Werden dem Verurteilten Zahlungserleichterungen gemäß §§ 459a Abs. 1 StPO, 42 S. 1 StGB bewilligt, fehlt es an der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. September 2015 – 2 Ws 472/15 -, BeckRS 2015, 16545), was der Anordnung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe entgegensteht. Ist die Anordnung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe demgegenüber erfolgt und der Verurteilte bereits inhaftiert, findet die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe nach dem eindeutigen Wortlaut des § 459e Abs. 4 StPO ausschließlich dann nicht statt, wenn die Geldstrafe entrichtet oder beigetrieben wird oder – was vorliegend ersichtlich nicht in Betracht kommt – die Vollstreckung nach § 459d StPO unterbleibt (a.A. Appl in: Karlsruher Kommentar, StPO, 9. Auflage 2023, § 459a, Rn. 3, der die Gewährung von Zahlungserleichterungen gemäß § 459 Abs. 1 StPO auch nach Beginn der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe noch für möglich hält, sich indessen aber nicht mit dem entgegenstehenden Wortlaut des § 459e Abs. 4 StPO auseinandersetzt). Abgesehen von dem eindeutigen Wortlaut des § 459e Abs. 4 StPO sprechen darüber hinaus aber auch Erwägungen der Effektivität der Strafverfolgung gegen die Möglichkeit, auch noch nach Beginn der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe Zahlungserleichterungen zu gewähren. So stehen dem Verurteilten im Zuge der Vollstreckung der Geldstrafe – was durch den Verlauf des vorliegenden Vollstreckungsverfahrens eindrucksvoll verdeutlicht wird – umfangreiche Spielräume dahingehend zu, die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch die Beantragung von Zahlungserleichterungen und/oder der Tilgung der Geldstrafe durch freie Arbeit abzuwenden. Würde dem Verurteilten, der diese Spielräume nicht erfolgreich nutzt, auch noch nach Beginn der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe die Möglichkeit eingeräumt, (gegebenenfalls – wie vorliegend – auch noch wiederholt) Zahlungserleichterungen zu beantragen, würde dies die repressiv erforderliche Spürbarkeit der ausgeurteilten Strafe in einem mit dem Strafzweck nicht mehr zu vereinbarenden Maße reduzieren. Denn in diesem Fall hätte der inhaftierte Verurteilte die Möglichkeit, die weitere Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe im Ausgangspunkt jederzeit durch die erfolgreiche Beantragung von Zahlungserleichterungen zu verhindern, da er sodann unmittelbar aus der Haft zu entlassen wäre und – gegebenenfalls über Monate hinweg erfolglos – abgewartet werden müsste, ob der Verurteilte nunmehr doch noch gewillt ist, die ausgeurteilte Geldstrafe ratenweise zu entrichten. Einem derart zerstückelten Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe käme nach Auffassung des Senats indessen kein ausreichend spürbarer Strafcharakter mehr zu.

Dahinstehen kann vorstehend im Übrigen, ob der Ansicht des OLG Karlsruhe (Beschluss vom 30. September 2015 – 2 Ws 472/15 -, BeckRS 2015, 16545) zu folgen ist, dass in Abweichung von dem eingangs dargestellten abschließenden Charakter des § 459e Abs. 4 StPO eine Gewährung von Zahlungserleichterungen gemäß §§ 459a Abs. 1 StPO, 42 S. 1 StGB auch nach Beginn der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe ausnahmeweise dann in Betracht kommt, wenn die Staatsanwaltschaft es vor der Anordnung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe fälschlicherweise unterlassen hat, die Bewilligung von Zahlungserleichterungen zu prüfen. Denn vorliegend hat der Verurteilte bereits am 08. Juni 2022 einen Antrag auf Gewährung von monatlichen Ratenzahlungen gestellt, welcher von der Staatsanwaltschaft geprüft und am 27. Juli 2022 (abschlägig) beschieden worden ist.

2. Abgesehen davon ist aber auch nicht festzustellen, dass dem Verurteilten nach seinen persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten ist, die Geldstrafe sofort zu zahlen.

Gemäß § 42 S. 1 StGB gestattet das Gericht dem Verurteilten, die Geldstrafe in bestimmten Teilbeträgen zu zahlen, wenn dem Verurteilten nach seinen persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten ist, die Geldstrafe sofort zu zahlen. Nach Rechtskraft des Urteils entscheidet gemäß § 459a Abs. 1 StPO die Vollstreckungsbehörde über die Bewilligung von Zahlungserleichterungen bei Geldstrafen. Dabei ist die Zahlungserleichterung schon nach dem eindeutigen Wortlaut des § 42 S. 1 StGB zwingend zu gewähren, wenn die sofortige Zahlung der Geldstrafe unzumutbar ist (OLG Stuttgart, Beschluss vom 27.04.1993 – 3 Ws 48/93 -, LSK 1993, 410316; Appl, a.a.O., § 459a, Rn. 3 f.; Coen in: BeckOK, 46. Edition Stand 01.01.2023, § 459a, Rn. 2; Nestler in: Münchener Kommentar, StPO, 1. Auflage 2019, § 459a, Rn. 8 f.). Dabei gilt der Amtsaufklärungsgrundsatz, eine Vortrags- oder Beweislast des Verurteilten besteht nicht (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.09.2015 – 2 Ws 472/15 -, BeckRS 2015, 16545; Appl, a.a.O.; Coen, a.a.O.; Nestler, a.a.O.). Allerdings braucht die Vollstreckungsbehörde nicht zu Gunsten des Verurteilten Unzumutbarkeitsgründe zu unterstellen, für deren tatsächliches Vorliegen sie keine konkreten Anhaltspunkte hat (Coen, a.a.O.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist zu konstatieren, dass der Verurteilten nach dem von ihm eingereichten Bescheid der Stadt A. vom 01. April 2022 jedenfalls bis zu einer Inhaftierung Leistungen nach SGB II i.H.v. monatlich 1.112 Euro bezog. Konkrete Anhaltspunkte für hiervon – mit Blick auf die Frage der Zumutbarkeit der sofortigen Zahlung der Geldstrafe – etwaig in Abzug zu bringende Belastungen liegen nicht vor; insbesondere hat der Verurteilte weder das seinem Verteidiger übersandte Formular „Einkommensauskunft“ ausgefüllt noch an anderer Stelle (selbst und/oder über seinen Verteidiger) irgendwie geartete konkrete Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht. Schon angesichts dessen fehlt es in Anbetracht der Höhe des Leistungsbezugs des Verurteilten an konkreten Anhaltspunkten dahingehend, dass der Verurteilte bis zu seiner Inhaftierung nicht in der Lage gewesen sein könnte, die Geldstrafe zu zahlen. Dabei ist mit Blick auf die Prüfung der Zumutbarkeit der sofortigen Zahlung nämlich zu berücksichtigen, dass es zur Vollstreckung der Geldstrafe erfahrungsgemäß erst geraume Zeit nach Rechtskraft der Entscheidung kommt, da es wegen der Nachbearbeitung bei Gericht etwas Zeit in Anspruch nimmt, bis die Akten an die Vollstreckungsbehörde zurückgelangen, von der dann erst die Vollstreckung eingeleitet werden kann (OLG Hamm, Beschluss vom 05. Juni 2014 – III-1 RVs 48/14 -, juris; Urteil vom 06. Januar 2015 – III-1 RVs 112/14 -, juris). Insoweit kann berücksichtigt werden, ob der Verurteilte – wenn er Kenntnis von seiner (rechtskräftigen) Zahlungsverpflichtung erhält – die Möglichkeit hat, die Geldstrafensumme bis zur voraussichtlichen Vollstreckung anzusparen; hat er diese Möglichkeit, so ist ihm die Zahlung der Gesamtsumme zumutbar (OLG Hamm, a.a.O.). Vorliegend ist der Strafbefehl des Amtsgerichts Essen seit dem 22. Februar 2022 rechtskräftig, die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe hat demgegenüber erst am 15. Dezember 2022 begonnen. Da zwischen der Rechtskraft der Verurteilung und dem Beginn der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe mithin ein Zeitraum von knapp zehn Monaten lag, ist in Anbetracht der Höhe des Leistungsbezugs des Verurteilten nicht anzunehmen, dass es dem Verurteilten nicht möglich gewesen sein soll, die Geldstrafensumme inzwischen anzusparen.

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist die Entscheidung, dem Verurteilten keine Zahlungserleichterungen gemäß §§ 459a Abs. 1 StPO, 42 S. 1 StGB zu bewilligen, nicht zu beanstanden. Dies gilt zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Senats umso mehr, als nach dem vorliegenden Vollstreckungsblatt der Justizvollzugsanstalt J. (Bl. 117 der Akte) die Ersatzfreiheitstrafe von 140 Tagen am 03. Mai 2023, mithin in 20 Tagen, vollständig verbüßt sein wird. Da gemäß § 43 S. 2 StGB ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe einem Tagessatz Geldstrafe entspricht, zur Abwendung der weiteren Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe gemäß § 459e Abs. 4 S. 1 StPO also aktuell nur noch eine Restgeldstrafe von 200 Euro zu entrichten wäre, ist es auf der Basis der behördlichen bzw. gerichtlichen Erkenntnisse zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Verurteilten erst recht fernliegend anzunehmen, dass es ihm bis zu seiner Inhaftierung nicht einmal möglich gewesen sein soll, diesen verbleibenden Restbetrag anzusparen.“

StPO II: Zwingende Unterzeichnung eines Beschlusses?, oder: Was ergibt sich aus den Umständen?

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Und mit der zweiten Entscheidung, dem OLG Hamm, Beschl. v. 12.09.2023 – 3 Ws 302/23 – bin ich dann mal ganz mutig 🙂 und hoffe, dass nicht allzu viel Kommentare kommen. Es geht nämlich um eine fehlende Unterschrift unter einem Beschluss. Das ist dann doch ein Posting, das den ein oder anderen aus der Abteilung: Urteil nicht unterschrieben und so, herausfordern wird. Ich werde es aber dann mit Fassung tragen (und ggf. auch gerne 🙂 nochmals erklären).

Hier war im Strafvollstreckungsverfahren von der Verteidigung, der sich die GStA angeschlossen hatte, gerügt worden, dass ein Beschluss der StVK nicht vollständig unterzeichnet war. Dazu das OLG:

„1. Die Strafvollstreckungskammer hatte auf den 28.04.2023 einen Termin zur Anhörung des Verurteilten anberaumt. Am Morgen des Tages teilte die JVA mit, dass der Untergebrachte sich bisher nicht zu einer Teilnahme an dem Anhörungstermin, zu dem er eine Terminsnachricht erhalten hatte, geäußert habe. Er sei am Morgen zur Arbeit ausgerückt, so dass davon ausgegangen werde, dass er nicht am Anhörungstermin teilnehme. Zum Anhörungstermin erschien dann nur der Verteidiger des Verurteilten. Die Strafvollstreckungskammer teilte mit, dass sie von einem Anhörungsverzicht ausgehe. Der Verteidiger beantragte die Maßregelaussetzung zur Bewährung und erklärte, im Übrigen keine Angaben machen zu können. Die Anhörung fand in der Besetzung Vorsitzende Richterin am LG A, Richterin am LG B und Richterin am LG C statt. Unter dem Datum des Tages des Anhörungstermins verfasste die Strafvollstreckungskammer den angefochtenen Beschluss. Dieser wurde unterschrieben von der Vorsitzenden Richterin am LG A und der Richterin am LG B; bzgl. der Richterin am Landgericht C findet sich der Vermerk „ist urlaubsbedingt an der Unterschrift gehindert“, welcher von der Vorsitzenden gezeichnet wurde.

Die Verteidigung zweifelt mit ihrer Beschwerde an, dass der Beschluss tatsächlich am 28.04.2023 gefasst worden sei. Es sei erforderlich, dass die bei der Anhörung anwesenden Richter auch die nachfolgende Entscheidung treffen. Dazu müsse das Ergebnis in einem Vermerk aktenkundig gemacht werden. Nur in einem solchen Fall könne die Unterschrift eines zu einem späteren Zeitpunkt der Fassung der Beschlussgründe abwesenden Richters durch einen Verhinderungsvermerk ersetzt werden. Wenn – wie vorliegend – „das Beratungsergebnis in Form des vollständigen schriftlichen Beschlusses erst zu einem späteren Zeitpunkt niedergelegt wird und zu diesem Zeitpunkt nicht gewährleistet werden kann, dass die diejenigen Richter, die an der Anhörung teilgenommen haben und zur Entscheidung berufen sind (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG), zur Verfügung stehen, muss zugewartet werden bis sie verfügbar sind oder – wenn dies schneller zu bewerkstelligen ist – die Anhörung in anderer Besetzung wiederholt und mit dieser entschieden werden.“ Hier sei weder die eine noch die andere Alternative gegeben.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich in ihrer Antragsschrift dieser Auffassung mit weiteren Ausführungen angeschlossen.

2. Der Senat vermag die Bedenken gegen die Verfahrensweise der Strafvollstreckungskammer nicht zu teilen:

Das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) ist hier nicht verletzt. Die drei Richterinnen, die den Anhörungstermin wahrgenommen haben, haben auch den Beschluss, den Verurteilten nicht bedingt aus der Sicherungsverwahrung zu entlassen, gefasst. Dies ergibt sich aus dem Beschlussrubrum und dem Anhörungsvermerk vom 28.04.2023.

Dass die Richterin am Landgericht C den vollständig mit Gründen versehenen Beschluss urlaubsbedingt nicht selbst unterzeichnet hat, ist unschädlich.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird zwar vertreten, dass das Verfahren nach § 454 StPO grundsätzlich schriftlich sei und deswegen Entscheidungen darin auch schriftlich ergingen. Es sei möglich, dass der Anhörungstermin, die Beschlussfassung als solche und die Formulierung der Beschlussgründe zeitlich auseinanderfallen. In allen denkbaren Fällen sei es erforderlich, dass die an der Anhörung anwesenden Richter die nachfolgende Entscheidung auch selbst träfen. Das könnten sie bereits in der der Anhörung nachfolgenden Beratung tun und das Ergebnis in einem Vermerk schriftlich niederlegen. In einem solchen Fall wäre die Unterschrift eines zum späteren Zeitpunkt der Fassung der Beschlussgründe abwesenden Richters durch einen Vertretungsvermerk ersetzbar. Alternativ dazu könnten die die Richter das Beratungsergebnis in Form des vollständigen schriftlichen Beschlusses zu einem späteren Zeitpunkt niederlegen (KG Berlin, Beschl. v. 22.07.2014 – 2 Ws 265/14 – juris; KG Berlin, Beschl. v. 20.05.2015 – 2 Ws 73/15 – juris; KG Berlin, Beschl. v. 09.06.2015 – 2 Ws 105/15 – juris; KG Berlin, Beschl. v. 06.02.2018 – 2 Ws 2/18 – juris; OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.01.2023 – 1 Ws 153/22 (S) -juris).

Wenn mit dieser Rechtsprechung gemeint sein sollte, dass nur dann die Unterschrift eines mitentscheidenden Richters durch einen Verhinderungsvermerk unter dem vollständig mit Gründen abgesetzten Beschluss ersetzt werden kann, wenn das Ergebnis der Beschlussfassung zuvor in einem Vermerk niedergelegt wurde, ist dem nicht zu folgen. Nach höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung ist für eine wirksame Beschlussfassung die gesetzmäßige Besetzung des Spruchkörpers erforderlich (RGSt 43, 217, 218). Hingegen ist es bei Beschlüssen nicht erforderlich, dass sie überhaupt unterzeichnet sind, denn die Regelung des § 275 Abs. 2 StPO gilt nur für Urteile und ist auf Beschlüsse nicht anwendbar (BGH, Urt. v. 14.02.1985 – 4 StR 731/84 – juris). Auch eine entsprechende Anwendung scheidet aus. Die StPO enthält keine Vorschrift, wonach Beschlüsse zu ihrer Wirksamkeit der eigenhändigen Unterschrift aller mitwirkenden Richter bedürften (Stuckenberg in: Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 275 Rdn. 43 m.w.N.). Ist ein Beschluss (gar) nicht (oder nicht von allen zur Entscheidung berufenen Richtern) unterschrieben, so muss sich aber zumindest aus den Umständen zweifelsfrei ergeben, dass die Entscheidung auf der Willensbildung der zur Entscheidung berufenen Richter beruht (OLG Düsseldorf NJW 1970, 1937; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.11.1998 – 1 Ws 454-547/98 – juris; OLG Hamm, Beschl. v. 27.12.1977 – 2 Ws 239/77 – juris; OLG Nürnberg, Beschl. v. 21.09.2018 – 1 Ws 173/18 – juris). Ein zwingendes Erfordernis, dass eine mündliche Beschlussfassung zunächst in einem Vermerk niedergelegt werden müsste, damit ein späterer Verhinderungsvermerk auf dem vollständig abgefassten Beschluss zulässig sein soll, mag aus Gründen der Rechtssicherheit eventuell wünschenswert sein. Es lässt sich aber dem Gesetz nicht entnehmen.

Hier ergibt sich schon aus dem Beschlussrubrum, dass der Beschluss auf der bereits am 28.04.2023 gefassten Willensbildung aller drei Richterinnen beruht. Der Senat hat keinen Anlass zu der Annahme, dass die zwei unterschreibenden Richterinnen nachträglich alleine einen Beschluss gefasst und diesen zurückdatiert und eine nicht mitentscheidende Richterin mit in das Rubrum aufgenommen hätten. Auch der Verfahrensablauf legt nahe, dass noch am 28.04.2023, als die dritte Richterin noch nicht urlaubsbedingt verhindert war (sie war in der Anhörung zugegen), die Beschlussfassung erfolgte, der Beschluss also auf einer Willensbildung aller drei an der Anhörung beteiligten Richterinnen beruht.

Einer Vorlage nach § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG bedurfte es nicht, da die dort geregelte Vorlagepflicht nur für Entscheidungen über die Erledigung der Maßregel gilt, nicht aber – wie hier – für Fälle, in denen allein eine Maßregelaussetzung zur Bewährung nach § 67d Abs. 2 StGB in Betracht kommt.“

Verkehrsrecht III: Isolierte Sperrfrist neben Fahrverbot, oder: Das geht nur in Ausnahmefällen

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Und dann zum Schluss der OLG Hamm, Beschl. v. 08.08.2023 – 5 ORs 46/23 – zur Zulässigkeit des Nebeneinander von Fahrverbot und isolierter Sperrfrist. Das möchte das OLG nicht:

„Der Senat hat gegen die – durch das angefochtene Berufungsurteil bestätigte – erstinstanzlich nebeneinander tenorierte Verhängung eines 6-monatigen Fahrverbots (§ 44 Abs. 1 S. 1 StGB) und der Anordnung einer (isolierten) 2-jährigen Sperrfrist (§ 69a Abs. 1 S. 3 StGB) durchgreifende rechtliche Bedenken. Denn die Anordnung eines Fahrverbots und die Festsetzung einer isolierten Sperrfrist schließen einander regelmäßig aus (vgl. zu § 44 StGB a.F.: vgl. BGH Beschl. v. 7.8.2018 – 3 StR 104/18 = BeckRS 2018, 20463 Rn. 6, beck-online; MüKoStGB/Athing/von Heintschel-Heinegg, 3. Aufl. 2016, StGB § 44 Rn. 8, beck-online). Vorstehendes gilt auch nach der Neufassung des § 44 StGB durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 (vgl. Fischer, 70. Auflage, § 44, Rn. 3). Denn das Fahrverbot nach § 44 StGB setzt voraus, dass sich der Täter gerade nicht als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne des § 69 StGB erwiesen hat (vgl. Fischer, a.a.O.). Aufgrund dessen kommt ein Fahrverbot neben der Festsetzung einer isolierten Sperrfrist nur in Betracht, wenn das Gericht dem Täter auch das Fahren mit fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen verbieten oder nach § 69a Abs. 2 StGB bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen von der Sperre ausnehmen will (vgl. BGH a.a.O.). Das war hier den Urteilsgründen zufolge ersichtlich nicht der Fall. Der nur geringfügige Erfolg des Rechtsmittels gibt keinen Anlaß zur Anwendung des § 473 Abs. 4 StPO. Die Kosten des Rechtsmittels waren nach § 473 Abs. 1 StPO dem Angeklagten aufzuerlegen.

Rechtsmittel III: Rechtsmitteleinlegung durch Dritten, oder: Überwachungspflicht

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Und als dritte und letzte Entscheidung dann noch der OLG Hamm, Beschl. v. 15.06.2023 – 3 Ws 168/23 – zum Verschulden an der Versäumung der Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels, wenn man einen Dritten mit der Einlegung beauftragt hat

Das OLG hat die gegen einen Beschluss einer Strafkammer eingelegte Beschwerde als unzulässig verworfen und auch keine Wiedereinsetzung gewährt:

„1. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der X. großen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 18. April 2023 ist unzulässig.

Die einwöchige Beschwerdefrist der §§ 460, 462 Abs. 3, 311 Abs. 2 StPO ist versäumt. Nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses an den Verurteilten am Montag, den 24. April 2023 (Gefangenen-Zustellungsurkunde Bl. 461 der Akte), hätte die sofortige Beschwerde – da es sich bei dem darauffolgenden Montag, den 01. Mai 2023, um einen allgemeinen Feiertag gehandelt hat – gemäß § 43 Abs. 2 StPO spätestens bis Dienstag, den 02. Mai 2023, bei dem Landgericht Bielefeld eingehen müssen. Tatsächlich ging die sofortige Beschwerde aber erst am 03. Mai 2023 dort ein (Bl. 463 der Akte).

Maßgeblich für den Beginn der einwöchigen Beschwerdefrist ist die am 24. April 2023 an den Verurteilten bewirkte Zustellung. Ausweislich der Zustellungsverfügung vom 20. April 2023 und der Gefangenen-Zustellungsurkunde war der Beschlussausfertigung auch eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt. Eine Anwendung des § 37 Abs. 2 StPO kam vorliegend nicht in Betracht. Eine förmliche Zustellung an die Verteidigerin des Verurteilten war ausweislich der Zustellungsverfügung nicht beabsichtigt und wurde auch tatsächlich nicht bewirkt. Die formlose Übersendung einer Beschlussabschrift an die Verteidigerin beruhte auf der Regelung des § 145a Abs. 3 S. 2 2. Hs. StPO und war nicht geeignet, eine Rechtsmittelfrist in Gang zu setzen.

2. Der Antrag vom 23. Mai 2023 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde ist bereits unzulässig, weil er nicht den Anforderungen der §§ 44, 45 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 StPO entspricht.

Gemäß § 44 S. 1 StPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten. Dementsprechend hat der Antragsteller einen Sachverhalt vorzutragen und glaubhaft zu machen, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden ausschließt (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 45, Rn. 5 f.). Dabei muss der Antrag Angaben über die versäumte Frist, den Hinderungsgrund und den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses enthalten (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.). Die Begründung des Antrags erfordert deshalb eine genaue Darlegung und Glaubhaftmachung aller zwischen dem Beginn und dem Ende der versäumten Frist liegenden Umstände, die für die Frage bedeutsam sind, wie und gegebenenfalls durch wessen Verschulden es zur Versäumnis gekommen ist (BGH, Beschluss vom 28. August 2013 – 4 StR 336/13 -, juris). Beauftragt der Verurteilte einen Dritten, der nicht Verteidiger ist, mit der Einlegung eines fristgebundenen Rechtsmittels, so hat er die Einhaltung der Rechtsmitteleinlegungsfrist zu überwachen; andernfalls ist die verspätete Rechtsmitteleinlegung grundsätzlich nicht unverschuldet im Sinne von § 44 S. 1 StPO (BGH, Beschluss vom 13. September 1995 – 3 StR 393/95 -, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 8. Januar 2009 – 3 Ws 512/08 -, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, a.a.O., § 44, Rn. 12c). Ebenso wenig unverschuldet handelt, wer seinen Verteidiger erst kurz vor Fristablauf mit der Einlegung eines fristgebundenen Rechtsmittels beauftragt, ohne auf den drohenden Fristablauf hinzuweisen (OLG Hamm, Beschluss vom 24. Januar 2017 – III-4 Ws 412/16 -, juris; Cirener in: BeckOK, StPO, 47. Edition Stand 01. April 2023, § 44, Rn. 32.1).

Vorliegend wird im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags lediglich vorgetragen, dass der Verurteilte den ihm am 24. April 2023 zugestellten Beschluss – wann auch immer – per Post an seinen Vater gesandt habe; der Vater des Verurteilten habe der Verteidigerin am Sonntag, den 30. April 2023, per WhatsApp wiederum mitgeteilt, dass ein Beschluss vorliege und ihr ein Foto der letzten Seite des Beschlusses übersandt; hätte die Verteidigerin ein Problembewusstsein bezüglich einer Zustellung des Beschlusses zeitlich vor dem 26. April 2023 entwickelt, hätte die sofortige Beschwerde noch rechtzeitig am 02. Mai 2023 eingelegt werden können.

Entgegen den eingangs dargestellten Begründungserfordernissen fehlt es vorliegend an jeglichem Vortag dazu, ob der Verurteilte überhaupt – und wenn ja, welche – Vorkehrungen bei der postalischen Versendung des angefochtenen Beschlusses an seinen Vater getroffen hat, dass der angefochtene Beschluss seine Verteidigerin noch innerhalb der ab dem 24. April 2023 laufenden einwöchigen Beschwerdefrist erreicht und dass seine Verteidigerin über die sich bei der gewählten Übermittlung des angefochtenen Beschlusses durch seinen Vater geradezu aufdrängenden Gefahr einer Fristversäumnis – etwa durch einen Hinweis auf das Zustellungsdatum – informiert wird. In Anbetracht dessen stellt sich der Wiedereinsetzungsantrag bereits als unzulässig dar, da der Vortrag im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags die Überprüfung, ob der Verurteilte durch eigenes Verschulden zu der Fristversäumnis durch seine Verteidigerin beigetragen hat (vgl. hierzu Cirener, a.a.O., Rn. 32), durch das Beschwerdegericht nicht zulässt.“