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OWi I: Geldbußenbemessung, oder: Gute wirtschaftliche Verhältnisse

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Nach dem gestrigen OWi-Tag heute dann gleich noch einmal drei OWi-Entscheidungen

Ich starte mit dem OLG Hamm, Beschl. v. III 3 RBs 82/19, den mir der Kollege Bruch aus Wilnsdorf geschickt hat. Thematik: Bemessung der Geldbuße bei guten wirtschaftlichen Verhältnissen.

Verurteilt worden ist der Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 210,00 EU. Bei der Bemessung der Geldbuße hat das AG die (guten) wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen berücksichtigt und hat darauf basierend eine Erhöhung der Regelgeldbuße von 120,00 EUR um 75 % auf eben 210,00 Euro vorgenommen. Dagegen die Rechtsbeschwere, die das OLG zugelassen aber als unbegründet angesehen hat:

„b) Auch der von dem Betroffenen gerügte Rechtsfolgenausspruch hält rechtlicher Überprüfung Stand.

aa) Das Amtsgericht hat sich bei der Bemessung der Geldbuße rechtlich zutreffend an Nr. 11.3.6 der Tabelle 1c des Anhangs zu Nr. 11 der Anlage zu 1 Abs. 1 BKatV orientiert und ist von der dort vorgesehenen Regelgeldbuße von 120,00 EUR abgewichen, weil es rechtsfehlerfrei außergewöhnlich gute wirtschaftliche Verhältnisse des Betroffenen festgestellt hat.

(1) Grundlage der Bußgeldbemessung bleiben auch im Anwendungsbereich eines Bußgeldkataloges die Kriterien des § 17 Abs. 3 OWiG (KG Berlin, Beschluss vom 10. März 2014 – 3 Ws (B) 78/14, juris). Die Zumessung der Geldbuße gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG ist zuvorderst an der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und dem Vorwurf, der den Täter trifft, ausgerichtet. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen kommen bei der Bemessung der Geldbuße gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG nur „in Betracht“, spielen also hierbei nur eine untergeordnete Bedeutung (OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. Januar 2017 – 2 Ss OWi 1029/16, juris, Rdnr. 12). Aus Gründen der Vereinfachung und der Anwendungsgleichheit enthält der Bußgeldkatalog als Anlage der BKatV Bußgeldregelsätze für im Einzelnen aufgelistete Verstöße. Systematisch stellen die Regelsätze des Bußgeldkatalogs Zumessungsrichtlinien im Rahmen von § 17 Abs. 3 OWiG dar (Grube in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, OWiG – Bezüge zum Straßenverkehrsrecht, Rdnr. 28), die für die Gerichte grundsätzlich Bindungswirkung entfalten (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13. Oktober 2006 – 1 Ss 82/06, juris, Rdnr. 6). Ein Regelfall i.S.d. BKatV setzt voraus, dass die Tatausführung allgemein üblicher Begehungsweise entspricht und weder objektiv noch subjektiv Besonderheiten aufweist; besondere Umstände, die zur Verneinung eines Regelfalles führen, können dabei auch in der Person des Betroffenen liegen (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 24 StVG, Rdnr. 64a; OLG Hamm, Beschluss vom 13. Juni 2013 – III-1 RBs 72/13, juris, Rdnr. 18). Die Regelsätze der Bußgeldkatalogverordnung gehen dabei von. durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen aus (Gürtler in: Göhler, OWiG, 17. Auflage, § 17 Rdnr. 29; Mitsch in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl., § 17, Rdnr. 100; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. Januar 2017 – 2 Ss OWi 1029/16, juris, Rdnr. 12).

(2) Die Berücksichtigung außergewöhnlich guter wirtschaftlicher Verhältnisse ist im Anwendungsbereich des § 17 Abs. 3 Satz 2, 1. Halbsatz OWiG ohne weiteres zulässig (so auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. November 2001 – 2b Ss (OWi) 265/01 – (OWi) 64/01 IV, juris, Rdnr. 10; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13. Oktober 2006 – 1 Ss 82/06, juris, Rdnr. 7, 8; OLG Bamberg, Beschluss vom 10. Februar 2010 – 2 Ss OWi 1575/09, juris, Rdnr. 31, 32; Mitsch in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl., § 17, Rdnr. 90, 92; Gürtler in: Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 17, Rdnr. 24 unter Hinweis auf die Regelung des § 28a Abs. 1 StVG). Allerdings hat das Gericht im Hinblick auf die Vorgaben des § 17 Abs. 3 OWiG Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen zu treffen, die dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung erlauben, ob das Tatgericht rechtsfehlerfrei von dem Regelsatz der BKatV abgewichen ist (OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. November 2001 – 2b Ss (OWi) 265/01 – (OWi) 64/01 IV, juris, Rdnr. 6, 10; Mitsch in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl., § 17, Rdnr. 92).

(3) Soweit der Betroffene, gestützt auf die Kommentierung von Gürtler in Göhler (§ 17, Rdnr. 23), meint, bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten i.S.v. § 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG dürften die außergewöhnlich gute wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen nicht berücksichtigt werden (s. dazu auch Mitsch in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl., § 17, Rdnr. 90 a.E.), kann dahin stehen, ob diese Auffassung zutrifft, da sie für den vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich ist. Denn der maßgebliche Schwellenwert für eine geringfügige Ordnungswidrigkeit liegt, anders als der Betroffene meint, nicht bei 250,00 EUR, sondern seit dem 1. Mai 2014 bei 55,00 EUR (zuvor bei 35,00 EUR). Die Regelung in § 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG ist im Zusammenhang mit § 56 Abs. 1 Satz 1 OWiG zu sehen; in beiden Vorschriften wird vorausgesetzt, dass eine „geringfügige Ordnungswidrigkeit“ vorliegt. Ausweislich der Gesetzebegründung zur Neufassung des § 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG geht der Gesetzgeber davon aus, dass durch die in § 56 Abs. 1 Satz 1 OWiG geregelte Höhe des Verwarnungsgeldes die Grenze dieses Bereichs konkretisiert wird (BT-Drs. 10/2652, S. 12). Der von der Rechtsprechung unter Bezugnahme auf § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG gezogene Schwellenwert von 250,00 EUR betrifft jedoch nicht die Regelung des § 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG, sondern verhält sich zu der Frage, ob es zulässig ist, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen bei der Bemessung einer Geldbuße außer Betracht zu lassen; umgekehrt postuliert diese Rechtsprechung aber kein Verbot der Berücksichtigung besonders guter oder schlechter wirtschaftlicher Verhältnisse, sofern sie in ausreichender Weise aufgeklärt wurden. Insofern ist zu unterscheiden zwischen „geringfügigen Ordnungswidrigkeiten“ im Bereich zwischen 55,00 und 250,00 EUR, bei denen die wirtschaftlichen Verhältnisse berücksichtigt werden können, aber nicht müssen, und solchen im Bereich bis zu 55,00 EUR, bei denen eine Berücksichtigung wegen der Regelung in § 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG in der Regel untersagt ist (so bereits OLG Köln, VRS 74, 372). Die Auffassung des in der Kommentarliteratur zitierten Thüringer Oberlandesgerichts steht daher bei näherer Betrachtung nicht im Einklang mit der herrschenden Rechtsprechung und auch nicht im Einklang mit der dort zitierten Literatur. Das Thüringer Oberlandesgericht geht nämlich davon aus, dass Geringfügigkeit i.S.v. § 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG bei einer Verkehrsordnungswidrigkeit anzunehmen sei, wenn sie im konkreten Fall mit einer Geldbuße von nicht mehr als 250,00 EUR geahndet wird (Beschluss vom 22. Mai 2007 – 1 Ss 346/06, juris, Rdnr. 9). In dem vom Thüringer Oberlandesgericht entschiedenen Verfahren war wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit vom 13. Juni 2005 eine Regelgeldbuße von 40,00 EUR auf einen Betrag von 75,00 EUR erhöht worden; eine Regelgeldbuße von 40,00 EUR war in der bis zum 30. April 2014 gültigen Fassung des § 56 Abs. 1 Satz 1 OWiG nicht geringfügig.

(4) Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht Minden die Regelgeldbuße von 120,00 EUR auf 210,00 EUR erhöht. Eine Regelgeldbuße von 120,00 EUR ist, wie sich aus vorstehendem ergibt, nicht geringfügig i.S.v. § 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG, so dass das Amtsgericht die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen berücksichtigen durfte.

bb) Das Amtsgericht hat die Abweichung vom Regelsatz auch hinreichend mit den überdurchschnittlich guten wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen begründet. Die von dem Amtsgericht in diesem Zusammenhang vorgenommene Schätzung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

(1) Sofern die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen zur Bemessung des Bußgeldes herangezogen werden sollen, müssen sie gegebenenfalls näher aufgeklärt werden. In diesem Zusammenhang ist es dem Tatrichter erlaubt, das gegenwärtige Einkommen des Betroffenen im Wege der Schätzung zu ermitteln, wenn ihm eine hinreichende Schätzgrundlage zur Verfügung steht. Wesentliches Kriterium ist hier regelmäßig der Beruf des Betroffenen, den er ausübt und der in der Regel eine Schätzung ermöglicht (KG Berlin, Beschluss vom 16. Juni 1997 – 2 Ss 9/975 Ws (B) 41/97, Rdnr. 18; Gürtler in: Gürtler, OWiG, 17. Aufl., § 17, Rdnr. 21).

(2) Vorliegend hat das Gericht auf der Basis des Internetauftritts des Betroffenen den monatlichen Nettoverdienst auf mindestens 4.000,00 EUR geschätzt. Diese Schätzung beruht auf einer hinreichenden Grundlage. Die Feststellungen, dass der Betroffene von Beruf selbständiger Bauunternehmer ist und der von ihm mitgeführte Betrieb einen Umsatz von mindestens 25 Millionen Euro erwirtschaftet sowie 90 gewerbliche Mitarbeiter beschäftigt, geben hinreichende Anhaltspunkte für das monatliche Einkommen als Geschäftsführer. Dabei hat das Amtsgericht erkannt, dass der Umsatz eines Unternehmens nicht dessen Gewinn entspricht. Dennoch kann der Umsatz als Anhaltspunkt für die Schätzung des Geschäftsführergehaltes dienen, da er erkennen lässt, in welcher Größenordnung das Unternehmen am Markt beteiligt ist, so dass ein Vergleich mit anderen Unternehmen möglich ist. Zudem hat das Gericht Feststellungen zu den familiären Verhältnissen des Betroffenen getroffen und ist soweit zu seinen Gunsten von Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner Ehefrau und seinen erwachsenen, noch in Ausbildung befindlichen Kindern ausgegangen.

(3) Damit hat das Amtsgericht wirtschaftliche Verhältnisse des Betroffenen festgestellt, die von durchschnittlichen Einkommensverhältnissen deutlich nach oben abweichen und zu einer Erhöhung der Regelgeldbuße berechtigten. Nach den veröffentlichten Daten des Statistischen Bundesamtes (Fachserie 16, Reihe 2.3, Verdienste und Arbeitskosten, Arbeitnehmerverdienste) lag der durchschnittliche Jahresbruttoverdienst eines in Vollzeit beschäftigten Arbeitsnehmers (produzierendes Gewerbe und Dienstleistungsbereich) in Deutschland im Jahr 2018 bei 3.339,00 EUR, so dass der Nettoverdienst eines Alleinverdieners mit zwei Kindern in der Größenordnung von 2.000,00 EUR liegen dürfte. Dabei ist auch zu beachten, dass die vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Verdienstangaben arithmetische Mittelwerte sind. Aus der Verdienststrukturerhebung 2014 ist bekannt, dass knapp zwei von drei Vollzeitbeschäftigten (63 %) weniger verdienen als den gesamtwirtschaftlichen Durchschnittswert; nur ein gutes Drittel (37 %) hat höhere Bruttoverdienste. Dieses Drittel hat so hohe Verdienste, dass der Durchschnittswert für alle Beschäftigten „nach oben“ gezogen wird (Quelle: Statistisches Bundesamt, abgerufen am 10. Juli 2019 unter https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-Verdienstunterschiede/verdienste-branchen.html). Zudem bleiben bei einer Statistik, die auf den durchschnittlichen Arbeitnehmerverdienst abstellt, diejenigen Bevölkerungsteile unberücksichtigt, die BAföG oder Renten beziehen oder von staatlichen Transferleistungen leben. Hieraus ergibt sich, dass der Betroffene über Einkommensverhältnisse verfügt, die mindestens 100 % und damit ganz erheblich über dem Bundesdurchschnitt liegen, was eine Anhebung der Regelgeldbuße zur verkehrserzieherischen Einwirkung rechtfertigt. Was den Umfang der Erhöhung angeht, sind die Wertungen des Tatrichters bei der Rechtsfolgenbemessung vom Rechtsbeschwerdegericht bis zur Grenze des Vertretbaren, die hier nicht überschritten sind, zu respektieren (OLG Hamm, NZV 2008, 306; Gürtler in: Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 17, Rdnr. 31).“

OWi I: Ist ein Taschenrechner ein elektronisches Gerät?, oder: Auf dem Weg zum BGH

Der heutige Dienstag ist OWi-Entscheidungen gewidmet – Unterrubrik: Mobiltelefon/elektronisches Gerät im Straßenverkehr, also der (neue) § 23 Abs. 1a StVO.

Und als erstes Posting zwei OLG-Entscheidungen zum Taschenrechner. Der beschäftigt die OLG ja seit einiger Zeit, und zwar mit der Frage: Handelt es sich um ein elektronisches Gerät im Sinne des § 23 Abs. 1a StVO? Dazu dann hier folgende Entscheidungen, nämlich

OLG Braunschweig, Beschl. v. 03.07.2019 – 1 Ss (OWi) 87/19 – mit dem Leitsatz:

Bei einem Taschenrechner handelt es sich zumindest dann um ein elektronisches Gerät im Sinne des § 23 Abs. 1a StVO, wenn das Gerät über eine Memory-Funktion verfügt.

Und dann:

OLG Hamm, Beschl. v. 15.08.2019 – 4 RBs 191/19 – ein Vorlagebeschluss an den BGH mit der Frage:

Fällt ein reiner (elektronischer) Taschenrechner als elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation bzw. der Unterhaltungselektronik oder der Ortsbestimmung dient bzw. dienen soll, unter § 23 Abs. 1a StVO?

Die Vorlage an den BGH war erforderlich, weil das OLG Oldenburg im OLG Oldenburg, Beschl. v. 25.06.2018 – 2 Ss (OWi) 175/18 – eine andere Auffassung vertreten hatte (vgl. dazu: OWi I: “… es war kein Mobiltelefon, sondern ein Taschenrechner…”, oder: Neue Einlassung “geboren”?) . Das OLG Hamm hatte dazu dann beim OLG Oldenburg „angefragt“ (vgl. den OLG Hamm, Beschl. v. v. 18.06.2019 – 4 RBs 191/19 und dazu OWi I: Ist ein Taschenrechner ein elektronisches Gerät?, oder: OLG Hamm bejaht das), ob das OLG Oldenburg an seiner Auffassung festhält. Das hat es und damit ist die Sache/Frage dann auf dem Weg zum 4. Strafsenat des BGH.

OWi I: Ist ein Taschenrechner ein elektronisches Gerät?, oder: OLG Hamm bejaht das

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Heute dann ein OWi-Tag, den ich mit einem Anfragebeschluss eines OLG eröffne. Dabei handelt es sich um den OLG Hamm, Beschl. v. v. 18.06.2019 – 4 RBs 191/19. Mit dem fragt das OLG Hamm beim OLG Oldenburg an, ob das an seiner Rechtsauffassung, dass ein reiner Taschenrechner nicht unter § 23 Abs. 1a StVO falle, festhält  (vgl. dazu OLG Oldenburg, Beschl. v. 25.06.2018 – 2 Ss (OWi) 175/18), weiterhin festhält (dazu dann auch OWi I: “… es war kein Mobiltelefon, sondern ein Taschenrechner…”, oder: Neue Einlassung “geboren”?).

Im OLG Hamm-Fall hatte das AG Lippstadt den Betroffenen u.a. auch wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO verurteilt. Der Betroffene, ein Immobilienmakler, hatte während der Fahrt einen Taschenrechner in der rechten Hand in Höhe des Lenkrads gehalten und damit die Provision eines anstehenden Kundentermins berechnet.

Anders als das OLG Oldenburg in dem von ihm entschiedenen Fall, will das OLG Hamm den Taschenrechner als „elektronisches Gerät“ ansehen:

„2. Der anfragende Senat ist hingegen der Auffassung, dass es sich bei einem elektronischen Taschenrechner um ein elektronisches Gerät handelt, das durchaus der Information dient oder zu dienen bestimmt ist i.S.v. § 23 Abs. 1a StVO. Er müsste, da er von der o.g. Rechtsprechung des OLG Oldenburg abweichen würde, die Sache gem. §§ 121 Abs. 1 GVG, 79 Abs. 3 OWiG dem Bundesgerichtshof vorlegen. Vorab fragt er deswegen beim Bußgeldsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg an, ob dieser weiterhin an seiner geschilderten Rechtsauffassung festhält. Wäre dies nicht der Fall, würde sich ein Vorlageverfahren erübrigen. Eine solche Anfrage eines Oberlandesgerichts bei einem anderen ist im Gesetz zwar nicht ausdrücklich vorgesehen, aber gleichwohl zulässig (BGHSt 14, 319 ff.).

3. Zur Sache selbst:

a) Dass ein elektronischer Taschenrechner ein elektronisches Gerät ist, bedarf – wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend bemerkt – keiner näheren Erläuterung.

b) Es handelt sich hierbei auch um ein Gerät, das der Information dient oder zu dienen bestimmt ist.

aa) Zwar wird ein elektronischer Taschenrechner nicht in § 23 1a S. 2 StVO ausdrücklich aufgeführt. Es erscheint auch zweifelhaft, ob er unter den dort genannten Begriff eines „tragbaren Flachrechners“ subsumiert werden kann. Unter einem solchen dürfte – das zeigen die Verordnungsmaterialien – eher ein Tablet-Computer zu verstehen sein (BR-Drs. 556/17 S. 27; Eggert in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., Überarbeitung, § 23 StVO Rdn. 24.1.).

Indes hindert das nicht, gleichwohl einen elektronischen Taschenrechner unter § 23 Abs. 1a S. 1 StVO zu fassen. Die Aufzählung in S. 2 der Norm enthält lediglich Beispiele und ist nicht abschließend, wie schon die Formulierung „auch“ und „insbesondere“ deutlich macht (vgl. auch BR-Drs. 556/17 S. 27; OLG Karlsruhe Beschl. v. 05.10.2018 – 2 Rb 9 Ss 627/18 – juris). Mithin können auch dort nicht genannte Geräte unter die Verbotsnorm fallen.

bb) Ein elektronischer Taschenrechner dient schon dem Wortlaut nach der Information.

Der Begriff „Information“ wird im Duden (allgemein zugängliche Internetseite) wie folgt definiert:

– „das Informieren; Unterrichtung über eine bestimmte Sache“
– „[auf Anfrage erteilte] über alles Wissenswerte in Kenntnis setzende, offizielle, detaillierte Mitteilung über jemanden, etwas“
– „Äußerung oder Hinweis, mit dem jemand von einer [wichtigen, politischen] Sache in Kenntnis gesetzt wird“
– „Gehalt einer Nachricht, die aus Zeichen eines Codes zusammengesetzt ist“
– „Auskunft“.

Bei Durchführung einer Rechenoperation mittels eines elektronischen Taschenrechners informiert sich der Nutzer über deren Ergebnis, sei es, weil er selbst nicht zur Berechnung in der Lage ist, sei es, um sich die Richtigkeit eines selbst berechneten Ergebnisses bestätigen zu lassen oder einfach weil es schneller geht. Durch die auf dem Display nach Abruf (etwa durch Drücken der „Gleichtaste“) erscheinenden Zahlen wird der Nutzer über eine bestimmte Sache unterrichtet (ähnlich auch OLG Karlsruhe a.a.O. bzgl. eines Laser-Entfernungsmessers), im vorliegenden Fall etwa darüber, welchen Betrag die Provision auf der Basis eines bestimmten Verkaufspreises und einer bestimmten prozentualen Maklercourtage ausmacht. Dies ist auch der Gehalt einer Nachricht, die aus Zeichen eines (hier: Zahlen-) Codes zusammengesetzt ist. Dass sich ggfs. ein Betroffener mit durchschnittlicher Schulbildung die entsprechende Information durch eigenen Denkprozess hätte verschaffen können, ist unerheblich. Der Informationsbegriff stellt nicht allein auf solche „Informierungen“ oder Nachrichtengehalte ab, die allein von außen kommen.

cc) Auch in systematischer Hinsicht spricht alles dafür, den elektronischen Taschenrechner als Informationsgerät in dem o.g. Sinne anzusehen. Seine Funktionen umfassen einen Ausschnitt dessen, was auch bei einem der in § 23 1a S. 2 StVO genannten Mobiltelefone oder tragbaren Flachrechner (also Tablet-Computern, s.o.) an Funktionen möglich ist. Zudem zeigt das Beispiel des Flachrechners auf, dass die Information nicht zwangsläufig von außerhalb des genutzten Gerätes kommen muss. Auch die weitere Gerätecharakterisierung hinsichtlich des Organisationszwecks zeigt, dass dies nicht relevant sein kann. Auch bei der Nutzung eines elektronischen Geräts zur Organisation bedarf es (jedenfalls nicht zwangsläufig) eines Einflusses von außen (etwa bei der Nutzung als Terminkalender o.ä.).

dd) Der Verordnungsgeber selbst hat bewusst eine „technikoffene“ Formulierung gewählt (BT-Drs. 556/17 S. 27) und hatte mithin einen weiten Begriff des elektronischen Geräts im Sinne des § 23 1a Satz 1 StVO vor Augen (OLG Karlsruhe a.a.O.). Der von ihm verfolgte Zweck, den Gefahren, die vom Aufnehmen des elektronischen Geräts und seiner nutzungsbedingten erheblichen mentalen Ablenkung des Betroffenen vom Verkehrsgeschehen ausgehen, zu begegnen (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.), wird auch im Falle der Nutzung eines aufgenommenen elektronischen Taschenrechners erreicht. Dass der Gesetzgeber diesen weiten Begriff ausschließlich im Hinblick auf zukünftige, noch nicht bekannte Entwicklungen wählte, er aber gerade den – bereits seinerzeit bekannten – Taschenrechner ausnehmen wollte, lässt sich nicht erkennen. Dagegen spricht schon, dass er in den anderen genannten Geräten (etwa Mobiltelefone) enthaltene Taschenrechnerfunktionen gerade nicht aus dem Anwendungsbereich der Norm ausgeklammert hat. Dass diese Auslegung dazu führt, dass elektronische Geräte in weitem Umfang in den Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1a S. 1 StVO fallen, wie der Betroffene meint, erscheint gerade auch Zielsetzung des Gesetzgebers. Dieser hat eben nicht nur solche elektronischen Geräte, die der Information dienen, sondern sogar darüber hinaus auch solche, die der Kommunikation, der Organisation und der Unterhaltung dienen, einbezogen.

c) Die aufgeworfene Rechtsfrage ist für die Entscheidung des Senats erheblich.

Handelt es sich nach alledem hier bei dem elektronischen Taschenrechner um ein elektronisches Gerät, welches der Information dient oder zu dienen bestimmt ist, so hat der Betroffene dieses beim Führen seines Kraftfahrzeuges verbotswidrig benutzt und ist zu Recht insoweit auch wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO verurteilt worden, so dass die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen wäre. Unter Zugrundelegung der Ansicht des OLG Oldenburg wäre das angefochtene Urteil hingegen insoweit aufzuheben, als der Betroffene tateineinheitlich auch wegen „verbotswidriger Benutzung eines Mobiltelefons als Fahrzeugführer“ verurteilt wurde sowie im Rechtsfolgenausspruch. Die Prüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat im Übrigen keinen Rechtsfehler zu Lasten des Betroffenen ergeben, der – unabhängig von der vorgelegten Rechtsfrage – eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Folge hätte. Ein wirksamer Bußgeldbescheid liegt vor. Die Verjährung wurde (zunächst) durch Anhörung des Betroffenen vom 13.06.2018/04.07.2018, sodann durch Erlass des Bußgeldbescheids und den Eingang der Akten beim Amtsgericht sowie durch Anberaumung des Hauptverhandlungstermins am 07.11.2018 bzw. am 16.11.2018 unterbrochen.

Der Senat wird ggf. in seiner verfahrensabschließenden Entscheidung die gebotene Berichtigung des Tenors in „wegen verbotswidriger Benutzung eines Gerätes, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient“ (statt: „wegen verbotswidriger Benutzung eines Mobiltelefons“) selbst vornehmen.“

Warum man das nicht gleich beim BGH vorlegt, erschließt sich mir nicht….

Wie das OLG Hamm übrigens auch das AG Helmstedt, Urt. v. 04.07.2019 – 15 OWi 907 Js 66315/18.

 

Pauschvergütung, oder: Nicht für Tätigkeiten im Adhäsionsverfahren

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Hamm. Das hat im OLG Hamm, Beschl. v. 20.05.2019 – 5 RVGs 8/19 – zur Pauschvergütung Stellung genommen. Allein das ist schon Grund den Beschluss hier vorzustellen, denn wann hat man noch mal einen Beschluss zu § 51 RVG? Ich beschränke micht allerdings auf die Leitsätze, die lauten:

1. Die Bestellung eines Rechtsanwaltes zum Pflichtverteidiger umfasst nicht das Tätigwerden zur Abwehr gegen den Angeklagten gerichteter Adhäsionsanträge.

2. Ein Pflichtverteidiger hat dementsprechend keinen Anspruch auf Festsetzung einer Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG gegen die Staatskasse.

3. Auch bei der Entscheidung über die Bewilligung einer Pauschgebühr sind die Tätigkeiten des Pflichtverteidigers im Rahmen eines Adhäsionsverfahrens nicht zu berücksichtigen.

Dazu ist anzumerken: Wenn der Leitsatz 1 richtig ist – was es m.E. nicht ist – ist der Leitsatz zu 3 nur konsequent.

StPO III: Rechtzeitige Urteilsabsetzung?, oder: Für Unsicherheiten „haftet“ die Justiz

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Und als dritte und letzte Entscheidung des Tages dann noch der OLG Hamm, Beschl. v. 04.06.2019 – 4 RVs 55/19. Er behandelt die Frage: Zu wessen Lasten geht es eigentlich, wenn die rechtzeitige Urteilsabsetzung nicht sicher festgestellt werden kann und damit ein (Verfahrens)Verstoß gegen § 275 StPO im Raum steht.

Das OLG sagt: Das geht nicht zu Lasten des Angeklagten, sondern zu Lasten der Justiz. Begründung, u.a. unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der GStA:

„Es liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO vor, da die Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 S. 1 StPO nicht eingehalten wurde. Es kann nicht nachvollzogen werden, zu welchem Zeitpunkt die schriftlichen Urteilsgründe auf der Geschäftsstelle eingegangen sind. Einen Eingangsvermerk enthält das Urteil nicht. Ein konkretes Eingangsdatum ergibt sich auch nicht aus dem Vermerk der Vorsitzenden vom 23.09.2018 (Bl. 357 d.A.). Soweit sich aus dem Judica-Auszug (Bl. 358 d.A.) ergibt, am 26.03.2018 sei der Eingang eines Tonträgers „Urteil/Verwerfung…“ auf der Geschäftsstelle erfasst worden, ergibt sich nicht zwingend, dass zu diesem Zeitpunkt auch die schriftlichen Urteilsgründe vorlagen. Der Eingang des Tonträgers alleine ist jedoch für die Einhaltung der Absetzungsfrist nicht ausreichend (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 275 Rn. 3).“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an und ergänzt:

Geht man davon aus, dass die Akten chronologisch geführt sind, was hier allerdings nicht sicher ist, weil sie zwischenzeitlich in Verlust geraten waren (vgl. Vermerk vom 23.09.2018 Bl. 357 d. A.), so könnte das vollständig abgefasste Urteil zwischen dem 06.04.2018 und dem 12.07.2018 zu den Akten gelangt sein, möglicherweise also innerhalb der Urteilsabsetzungsfrist. Die Vorsitzende konnte sich an eine fristgerechte Absetzung nicht erinnern und hat bzgl. des Eingangs des Diktats auf den Judica-Eintrag vom 26.03.2018 verwiesen. Die Geschäftsstellenmitarbeiterin hat selbst keine eigene Erinnerung daran, wann das vollständig abgefasste und unterschriebene Urteil vorlag, dass sie aber davon ausgehe, dass das Urteil am Tag der Registrierung in Judica vorlag. Neben dem Eintrag vom 22.03.2018, der sich offenbar nur als Eintrag des Ergebnisses der an diesem Tag durchgeführten Hauptverhandlung darstellt, ist am 26.03.2018 der Eingang eines Tonträgers vermerkt. Außerdem findet sich der Vermerk „Urteil/Verwerfung der Berufung zu Beschuldigten H, T geändert am 26.03.2018“, was sich offenbar auf die genehmigten Änderungen im Protokoll bezieht.

Der Ausdruck aus Judica zum Verfahrensgang weist unter dem Datum 26.03.2018 folgenden weiteren Eintrag auf: „Eingangsdatum eines vollständigen Urteils/Entscheidung erfasst durch Benutzer M“. Dies könnte zunächst darauf hindeuten, dass ein vollständiges Urteil am 26.03.2018 auf der Geschäftsstelle vorlag, wobei aber unklar bleibt, ob dieses auch unterschrieben war (es hätte dann am Tag des Diktateingangs noch geschrieben, der Vorsitzenden vorgelegt, von dieser gelesen und unterschrieben werden sowie zur Geschäftsstelle zurückgelangen müssen). Die dienstliche Stellungnahme der Geschäftsstellenmitarbeitern vom 28.04.2019 ergibt keine weitere Aufklärung hierzu. Ihre weitere dienstliche Stellungnahme vom 27.05.2019 geht dahin, dass eine eigene Erinnerung nicht bestünde, sondern dass sie „dies“ nur so dem Judica-Eintrag entnehmen könne. Das lässt sich einerseits so verstehen, dass mit „dies“ ein vollständiges und unterschriebenes Urteil vorlag, andererseits aber auch so, dass lediglich auf den Judica-Eintrag (der aber selbst insoweit unklar ist) verwiesen wird. Es findet sich zudem der Eintrag „Urteil/Verwerfung der Berufung zu Beschuldigten H, T geändert am 04.07.2018 durch Benutzer M“. Insoweit bleibt auch nach der dienstlichen Stellungnahme vom 27.05.2019 gänzlich unklar, worum es sich hierbei gehandelt hat, insbesondere ob womöglich erst zu diesem Zeitpunkt ein vollständiges und unterschriebenes Urteil zu den Akten gelangt war. Die Zustellung des angefochtenen Urteils wurde durch die Vorsitzende jedenfalls erst nach Wiederauffinden der Akten am 23.09.2018 verfügt.

Letztlich kann sich der Senat nach alledem keine hinreichende Überzeugung davon verschaffen, ob das angefochtene Urteil vollständig abgefasst und richterlich unterschrieben innerhalb der Urteilsabsetzungsfrist zu den Akten gebracht worden ist, wie dies § 275 Abs. 1 StPO gebietet. Zwar kann der Senat auch nicht feststellen, dass die Urteilsabsetzungsfrist versäumt wurde. Gerade in dieser Konstellation greift aber der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO ein (Gericke in: KK-StPO, 8. Aufl., § 338 Rdn. 96; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 338 Rdn. 55; Wiedner in: Graf, StPO, 3. Aufl., § 338 Rdn. 146; vgl. auch: BGH, Beschl. v. 03.11.1992 – 5 StR 565/92 -juris). Der Umstand, dass der Verfahrensverstoß nicht sicher feststeht, andererseits aber auch nicht die Wahrung der Frist des § 275 Abs. 1 StPO mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden kann, kann nicht zu Lasten des Angeklagten gehen. Schon nach dem Gesetz wird die Nachweispflicht bzgl. der Fristwahrung den Justizbehörden auferlegt (vgl. § 275 Abs. 1 S. 5 StPO). Der Angeklagte hat auch keinen Einfluss darauf, wie die Akten geführt werden. Ihm würde bei entsprechend lückenhafter Aktenführung und fehlendem Erinnerungsvermögen auf Seiten der in der Justiz befassten Personen jegliche Möglichkeit zum Nachweis des Verfahrensfehlers genommen.“