Schlagwort-Archive: Taschenrechner

Der Taschenrechner ist ein „elektronisches Gerät“, oder: BGH entscheidet Vorlage

Heute Start in die 12. KW. Und ich starte heute dann mal ohne Corona – zumindest hier. Man muss dieses „Monothema“ nicht, wenn man man keine Entscheidungen hat, die zu meinem Themenkreis passen, noch künstlich mit Entscheidungen pushen, die nicht unbedingt passen.

Daher heute also „buiseness as usual“ mit zwei Entscheidungen, die ich bisher immer zurückgestellt habe.

Zunächst ein BGH-Beschluss aus dem OWi-Bereich, über den auch schon an anderer Stelle berichtet worden ist, nämlich der BGH, Beschl. v. 16.12.2020 – 4 StR 526/19. Die Entscheidung ist auf Vorlage des OLG Hamm ergangen (dazu OWi I: Ist ein Taschenrechner ein elektronisches Gerät?, oder: Auf dem Weg zum BGH), über die der BGH dann jetzt endlich entschieden hat. Warum das so lange gedauert hat, versteht man nicht. Und dann erfolgt auch erst Mitte Februar die Online-Stellung.

Der BGH hat die Vorlagefrage des OLG Hamm, das gefragt hatte:

„Fällt ein reiner (elektronischer) Taschenrechner als elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation bzw. der Unterhaltungselektronik oder der Ortsbestimmung dient bzw. dienen soll, unter § 23 Abs. 1a StVO?“

etwas enger gefasst, dann aber bejaht:

„Der Senat fasst die Vorlegungsfrage daher wie folgt:

Unterfällt ein elektronischer Taschenrechner als elektronisches Gerät, das der Information dient oder zu dienen bestimmt ist, der Vorschrift des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO?

III.

Der Senat entscheidet die Vorlagefrage wie aus der Beschlussformel ersichtlich.

Durch die 53. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 6. Oktober 2017 (BGBl. I, S. 3549) ist die Vorschrift des § 23 Abs. 1a StVO grundlegend umgestaltet worden. An die Stelle der früheren, vom Verordnungsgeber nicht mehr als zeitgemäß erachteten Verbotsnorm des § 23 Abs. 1a StVO aF, die lediglich für Mobil- oder Autotelefone galt, ist eine als Gebotsvorschrift ausgestaltete Bestimmung getreten, welche die Voraussetzungen regelt, unter denen die in der Vorschrift genannten elektronischen Geräte beim Führen eines Fahrzeugs benutzt werden dürfen. Mit der Neuregelung verfolgte der Verordnungsgeber den Zweck, im Interesse einer Verbesserung der Verkehrssicherheit die Reichweite der Regelung über den bisherigen Bereich der Mobil- und Autotelefone hinaus auszudehnen und eine Benutzung der in der Vorschrift näher bezeichneten elektronischen Geräte davon abhängig zu machen, dass die Hände des Fahrzeugführers während der Fahrt grundsätzlich zur Bewältigung der Fahraufgaben zur Verfügung stehen und der Blick des Fahrzeugführers im Wesentlichen . von kurzen Blickabwendungen abgesehen . auf das Verkehrsgeschehen konzentriert bleibt (vgl. Entwurfsbegründung BR-Drucks. 556/17, S. 16, 25 f.). § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO schreibt unter anderem vor, dass derjenige, der ein Fahrzeug führt, ein elektronisches Gerät, das der Information dient oder zu dienen bestimmt ist, nur benutzen darf, wenn hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten wird und die weiteren in § 23 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 StVO normierten Anforderungen an die mit der Benutzung verbundenen Tätigkeiten erfüllt sind.

Zu den elektronischen Geräten, die der Information dienen oder zu dienen bestimmt sind, gehört auch ein elektronischer Taschenrechner. Dies ergibt sich aus Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck der Vorschrift des § 23 Abs. 1a StVO.

1. Nach der Wortbedeutung des Begriffs der Information handelt es sich bei elektronischen Geräten zur Information um Geräte, die der Unterrichtung über jegliche einer Mitteilung zugängliche Umstände dienen (vgl. OLG Karlsruhe, VRS 134, 194, 198; OLG Braunschweig, Beschluss vom 3. Juli 2019 . 1 Ss (OWi) 87/19; Will, NJW 2019, 1633, 1636). Für die Informationsfunktion des Geräts ist es ausgehend vom Wortsinn weder von Bedeutung, ob der Gegenstand der Unterrichtung bereits in dem Gerät gespeichert vorhanden ist oder erst im Wege der Datenübertragung auf das Gerät übermittelt wird, noch hängt sie davon ab, dass der Gegenstand der Unterrichtung im Zuge der Gerätenutzung auf dem Gerät gespeichert wird. Danach ist auch die Durchführung einer Rechenoperation mittels eines elektronischen Taschenrechners zur Ermittlung eines auf dem Gerät ablesbaren Ergebnisses als Informationsvorgang anzusehen, so dass der Taschenrechner nach dem Wortlaut der Norm als Gerät zur Information der Regelung des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO unterfällt.

2. Mit der Neufassung des § 23 Abs. 1a StVO wollte der Verordnungsgeber das Benutzen elektronischer Geräte während des Führens eines Fahrzeugs nicht ausnahmslos untersagen. Ausweislich der Verordnungsbegründung sollte aber die Nutzung von Geräten aus den in der Vorschrift im einzelnen aufgeführten Gerätekategorien im Interesse der Verkehrssicherheit an die Erfüllung der strengen Anforderungen geknüpft werden, die in § 23 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 und 2 StVO normiert sind. Den Materialien zu der Änderungsverordnung ist weiterhin zu entnehmen, dass die in der Bestimmung genannten Gerätekategorien umfassend der Nutzungsregelung des § 23 Abs. 1a StVO unterstellt werden sollten (vgl. BR-Drucks. 556/17, S. 3, 16). Der ausdrücklich verlautbarte Wille des Verordnungsgebers, sämtliche Geräte aus den aufgeführten Gerätekategorien zu erfassen, spricht für eine weite, die Wortbedeutung ausschöpfende Auslegung des Tatbestandsmerkmals des der Information dienenden Gerätes. Die in der Verordnungsbegründung beispielhaft genannten Geräte (vgl. BR-Drucks. 556/17, S. 27) zeigen zudem ebenso wie die Geräte, die Gegenstand der in § 23 Abs. 1a Satz 2 StVO aufgenommenen klarstellenden Einbeziehungsregelung sind, dass es für die Subsumtion unter die Gerätekategorien des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO . von den Geräten der elektronischen Kommunikation abgesehen . weder auf eine Datenübertragung auf das Gerät noch eine Speicherfunktion des Geräts ankommen sollte.

3. Schließlich streitet auch der Zweck der Vorschrift für dieses Auslegungsergebnis. Die Bestimmung des § 23 Abs. 1a StVO dient dem Ziel, durch eine Regelung der Anforderungen, die bei der Nutzung der tatbestandlich erfassten elektronischen Geräte während des Führens eines Fahrzeugs einzuhalten sind, Gefahren für die Verkehrssicherheit zu verhindern, die aus einem Aufnehmen und Halten des Geräts oder einer mit der Gerätenutzung verbundenen nicht nur unwesentlichen Beeinträchtigung der visuellen Wahrnehmung des Verkehrsgeschehens resultieren können. Eine solche Gefahrenlage ist auch bei der Benutzung eines elektronischen Taschenrechners beim Führen eines Fahrzeugs gegeben.“

Damit ist die in der Rechtsprechung umstrittene Frage, ob ein Taschenrechner ein elektronisches Gerät i.S. des § 23 Abs. 1a StVO darstellt, entschieden, und zwar im Sinne der Rechtsprechung und Literatur, die eine weite Auslegung der Vorschrift als zutreffend ansieht. Damit ist nun also – obergerichtlich abgesegnet –, dass die Benutzung eines Taschenrechners beim Führen eines Kraftfahrzeugs ebenso gefährlich/verboten ist wie die eine Tablet-Computers, Touchscreens oder von Fernbedienungen oder Joysticks für im Fahrzeug befindliche Geräte im Sinne der Norm (OLG Köln, Beschl. v. 5.2.2020 – III-1 RBs 27/20). Bei dem ein oder anderen Gerät erschließt es sich nicht unbedingt, beim Taschenrechner fragt man sich allerdings schon: Warum muss ich beim Autofahren einen Taschenrechner benutzen? Hier hatte der Betroffene die Provision eines bevorstehenden Kundentermins berechnen wollen. Dann muss ja nun wirklich nicht sein.

Und bei der Gelegenheit <<Werbemodus an>>: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., steht vor der Tüt. Das Buch soll/wird hoffentlich am 26.03.2021 – als am Freitag – erscheinen. Vorbestellungen sind natürlich noch möglich. Und zwar hier. <<Werbemodus aus>>.

OWi II: Der Taschenrechner als „elektronisches Gerät“, oder: Wirklich?

Und als zweite Entscheidung des Tages dann der OLG Hamm, Beschl. v. 10.08.2020 – 5 RBs 295/20 -, den mit der Kollege Marc N. Wandt geschickt hat. Er befasst sich mit der Frage, ob ein Taschenrechner mit Memory-Fuktion ein „elektronisches Gerät“ i.S. von § 23 Abs 1a StVO n.F. ist.

Und die bejaht man, was nicht überrascht, weil der 4. Senat des OLG schon so entschieden hat (Stichwort: Vermeidung von Innendivergenzen). Die Begründung ist nicht neu. Die hat man beim OLG Braunschweig, Beschl. v. 03.07.2019 — 1 Ss (OWi) 87/19 abgeschrieben. Daher stelle ich sie hier nicht ein, sondern begnüge mich mit dem Leitsatz:

„Ein Taschenrechner ist zumindest dann ein „elektronisches Gerät“ i.S. von § 23 Abs 1a StVO n.F., wenn er über eine sog. Memory-Funktion verfügt.“

Mich überzeugt das nicht. Denn, wenn es richtig wäre, wäre auch das bedienen des Autoradios „gefährlich“. Den Touchscreen hatten wir ja schon.

OWi I: Ist ein Taschenrechner ein elektronisches Gerät?, oder: Auf dem Weg zum BGH

Der heutige Dienstag ist OWi-Entscheidungen gewidmet – Unterrubrik: Mobiltelefon/elektronisches Gerät im Straßenverkehr, also der (neue) § 23 Abs. 1a StVO.

Und als erstes Posting zwei OLG-Entscheidungen zum Taschenrechner. Der beschäftigt die OLG ja seit einiger Zeit, und zwar mit der Frage: Handelt es sich um ein elektronisches Gerät im Sinne des § 23 Abs. 1a StVO? Dazu dann hier folgende Entscheidungen, nämlich

OLG Braunschweig, Beschl. v. 03.07.2019 – 1 Ss (OWi) 87/19 – mit dem Leitsatz:

Bei einem Taschenrechner handelt es sich zumindest dann um ein elektronisches Gerät im Sinne des § 23 Abs. 1a StVO, wenn das Gerät über eine Memory-Funktion verfügt.

Und dann:

OLG Hamm, Beschl. v. 15.08.2019 – 4 RBs 191/19 – ein Vorlagebeschluss an den BGH mit der Frage:

Fällt ein reiner (elektronischer) Taschenrechner als elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation bzw. der Unterhaltungselektronik oder der Ortsbestimmung dient bzw. dienen soll, unter § 23 Abs. 1a StVO?

Die Vorlage an den BGH war erforderlich, weil das OLG Oldenburg im OLG Oldenburg, Beschl. v. 25.06.2018 – 2 Ss (OWi) 175/18 – eine andere Auffassung vertreten hatte (vgl. dazu: OWi I: “… es war kein Mobiltelefon, sondern ein Taschenrechner…”, oder: Neue Einlassung “geboren”?) . Das OLG Hamm hatte dazu dann beim OLG Oldenburg „angefragt“ (vgl. den OLG Hamm, Beschl. v. v. 18.06.2019 – 4 RBs 191/19 und dazu OWi I: Ist ein Taschenrechner ein elektronisches Gerät?, oder: OLG Hamm bejaht das), ob das OLG Oldenburg an seiner Auffassung festhält. Das hat es und damit ist die Sache/Frage dann auf dem Weg zum 4. Strafsenat des BGH.

OWi I: Ist ein Taschenrechner ein elektronisches Gerät?, oder: OLG Hamm bejaht das

© Fotomek Fotolia.com

Heute dann ein OWi-Tag, den ich mit einem Anfragebeschluss eines OLG eröffne. Dabei handelt es sich um den OLG Hamm, Beschl. v. v. 18.06.2019 – 4 RBs 191/19. Mit dem fragt das OLG Hamm beim OLG Oldenburg an, ob das an seiner Rechtsauffassung, dass ein reiner Taschenrechner nicht unter § 23 Abs. 1a StVO falle, festhält  (vgl. dazu OLG Oldenburg, Beschl. v. 25.06.2018 – 2 Ss (OWi) 175/18), weiterhin festhält (dazu dann auch OWi I: “… es war kein Mobiltelefon, sondern ein Taschenrechner…”, oder: Neue Einlassung “geboren”?).

Im OLG Hamm-Fall hatte das AG Lippstadt den Betroffenen u.a. auch wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO verurteilt. Der Betroffene, ein Immobilienmakler, hatte während der Fahrt einen Taschenrechner in der rechten Hand in Höhe des Lenkrads gehalten und damit die Provision eines anstehenden Kundentermins berechnet.

Anders als das OLG Oldenburg in dem von ihm entschiedenen Fall, will das OLG Hamm den Taschenrechner als „elektronisches Gerät“ ansehen:

„2. Der anfragende Senat ist hingegen der Auffassung, dass es sich bei einem elektronischen Taschenrechner um ein elektronisches Gerät handelt, das durchaus der Information dient oder zu dienen bestimmt ist i.S.v. § 23 Abs. 1a StVO. Er müsste, da er von der o.g. Rechtsprechung des OLG Oldenburg abweichen würde, die Sache gem. §§ 121 Abs. 1 GVG, 79 Abs. 3 OWiG dem Bundesgerichtshof vorlegen. Vorab fragt er deswegen beim Bußgeldsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg an, ob dieser weiterhin an seiner geschilderten Rechtsauffassung festhält. Wäre dies nicht der Fall, würde sich ein Vorlageverfahren erübrigen. Eine solche Anfrage eines Oberlandesgerichts bei einem anderen ist im Gesetz zwar nicht ausdrücklich vorgesehen, aber gleichwohl zulässig (BGHSt 14, 319 ff.).

3. Zur Sache selbst:

a) Dass ein elektronischer Taschenrechner ein elektronisches Gerät ist, bedarf – wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend bemerkt – keiner näheren Erläuterung.

b) Es handelt sich hierbei auch um ein Gerät, das der Information dient oder zu dienen bestimmt ist.

aa) Zwar wird ein elektronischer Taschenrechner nicht in § 23 1a S. 2 StVO ausdrücklich aufgeführt. Es erscheint auch zweifelhaft, ob er unter den dort genannten Begriff eines „tragbaren Flachrechners“ subsumiert werden kann. Unter einem solchen dürfte – das zeigen die Verordnungsmaterialien – eher ein Tablet-Computer zu verstehen sein (BR-Drs. 556/17 S. 27; Eggert in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., Überarbeitung, § 23 StVO Rdn. 24.1.).

Indes hindert das nicht, gleichwohl einen elektronischen Taschenrechner unter § 23 Abs. 1a S. 1 StVO zu fassen. Die Aufzählung in S. 2 der Norm enthält lediglich Beispiele und ist nicht abschließend, wie schon die Formulierung „auch“ und „insbesondere“ deutlich macht (vgl. auch BR-Drs. 556/17 S. 27; OLG Karlsruhe Beschl. v. 05.10.2018 – 2 Rb 9 Ss 627/18 – juris). Mithin können auch dort nicht genannte Geräte unter die Verbotsnorm fallen.

bb) Ein elektronischer Taschenrechner dient schon dem Wortlaut nach der Information.

Der Begriff „Information“ wird im Duden (allgemein zugängliche Internetseite) wie folgt definiert:

– „das Informieren; Unterrichtung über eine bestimmte Sache“
– „[auf Anfrage erteilte] über alles Wissenswerte in Kenntnis setzende, offizielle, detaillierte Mitteilung über jemanden, etwas“
– „Äußerung oder Hinweis, mit dem jemand von einer [wichtigen, politischen] Sache in Kenntnis gesetzt wird“
– „Gehalt einer Nachricht, die aus Zeichen eines Codes zusammengesetzt ist“
– „Auskunft“.

Bei Durchführung einer Rechenoperation mittels eines elektronischen Taschenrechners informiert sich der Nutzer über deren Ergebnis, sei es, weil er selbst nicht zur Berechnung in der Lage ist, sei es, um sich die Richtigkeit eines selbst berechneten Ergebnisses bestätigen zu lassen oder einfach weil es schneller geht. Durch die auf dem Display nach Abruf (etwa durch Drücken der „Gleichtaste“) erscheinenden Zahlen wird der Nutzer über eine bestimmte Sache unterrichtet (ähnlich auch OLG Karlsruhe a.a.O. bzgl. eines Laser-Entfernungsmessers), im vorliegenden Fall etwa darüber, welchen Betrag die Provision auf der Basis eines bestimmten Verkaufspreises und einer bestimmten prozentualen Maklercourtage ausmacht. Dies ist auch der Gehalt einer Nachricht, die aus Zeichen eines (hier: Zahlen-) Codes zusammengesetzt ist. Dass sich ggfs. ein Betroffener mit durchschnittlicher Schulbildung die entsprechende Information durch eigenen Denkprozess hätte verschaffen können, ist unerheblich. Der Informationsbegriff stellt nicht allein auf solche „Informierungen“ oder Nachrichtengehalte ab, die allein von außen kommen.

cc) Auch in systematischer Hinsicht spricht alles dafür, den elektronischen Taschenrechner als Informationsgerät in dem o.g. Sinne anzusehen. Seine Funktionen umfassen einen Ausschnitt dessen, was auch bei einem der in § 23 1a S. 2 StVO genannten Mobiltelefone oder tragbaren Flachrechner (also Tablet-Computern, s.o.) an Funktionen möglich ist. Zudem zeigt das Beispiel des Flachrechners auf, dass die Information nicht zwangsläufig von außerhalb des genutzten Gerätes kommen muss. Auch die weitere Gerätecharakterisierung hinsichtlich des Organisationszwecks zeigt, dass dies nicht relevant sein kann. Auch bei der Nutzung eines elektronischen Geräts zur Organisation bedarf es (jedenfalls nicht zwangsläufig) eines Einflusses von außen (etwa bei der Nutzung als Terminkalender o.ä.).

dd) Der Verordnungsgeber selbst hat bewusst eine „technikoffene“ Formulierung gewählt (BT-Drs. 556/17 S. 27) und hatte mithin einen weiten Begriff des elektronischen Geräts im Sinne des § 23 1a Satz 1 StVO vor Augen (OLG Karlsruhe a.a.O.). Der von ihm verfolgte Zweck, den Gefahren, die vom Aufnehmen des elektronischen Geräts und seiner nutzungsbedingten erheblichen mentalen Ablenkung des Betroffenen vom Verkehrsgeschehen ausgehen, zu begegnen (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.), wird auch im Falle der Nutzung eines aufgenommenen elektronischen Taschenrechners erreicht. Dass der Gesetzgeber diesen weiten Begriff ausschließlich im Hinblick auf zukünftige, noch nicht bekannte Entwicklungen wählte, er aber gerade den – bereits seinerzeit bekannten – Taschenrechner ausnehmen wollte, lässt sich nicht erkennen. Dagegen spricht schon, dass er in den anderen genannten Geräten (etwa Mobiltelefone) enthaltene Taschenrechnerfunktionen gerade nicht aus dem Anwendungsbereich der Norm ausgeklammert hat. Dass diese Auslegung dazu führt, dass elektronische Geräte in weitem Umfang in den Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1a S. 1 StVO fallen, wie der Betroffene meint, erscheint gerade auch Zielsetzung des Gesetzgebers. Dieser hat eben nicht nur solche elektronischen Geräte, die der Information dienen, sondern sogar darüber hinaus auch solche, die der Kommunikation, der Organisation und der Unterhaltung dienen, einbezogen.

c) Die aufgeworfene Rechtsfrage ist für die Entscheidung des Senats erheblich.

Handelt es sich nach alledem hier bei dem elektronischen Taschenrechner um ein elektronisches Gerät, welches der Information dient oder zu dienen bestimmt ist, so hat der Betroffene dieses beim Führen seines Kraftfahrzeuges verbotswidrig benutzt und ist zu Recht insoweit auch wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO verurteilt worden, so dass die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen wäre. Unter Zugrundelegung der Ansicht des OLG Oldenburg wäre das angefochtene Urteil hingegen insoweit aufzuheben, als der Betroffene tateineinheitlich auch wegen „verbotswidriger Benutzung eines Mobiltelefons als Fahrzeugführer“ verurteilt wurde sowie im Rechtsfolgenausspruch. Die Prüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat im Übrigen keinen Rechtsfehler zu Lasten des Betroffenen ergeben, der – unabhängig von der vorgelegten Rechtsfrage – eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Folge hätte. Ein wirksamer Bußgeldbescheid liegt vor. Die Verjährung wurde (zunächst) durch Anhörung des Betroffenen vom 13.06.2018/04.07.2018, sodann durch Erlass des Bußgeldbescheids und den Eingang der Akten beim Amtsgericht sowie durch Anberaumung des Hauptverhandlungstermins am 07.11.2018 bzw. am 16.11.2018 unterbrochen.

Der Senat wird ggf. in seiner verfahrensabschließenden Entscheidung die gebotene Berichtigung des Tenors in „wegen verbotswidriger Benutzung eines Gerätes, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient“ (statt: „wegen verbotswidriger Benutzung eines Mobiltelefons“) selbst vornehmen.“

Warum man das nicht gleich beim BGH vorlegt, erschließt sich mir nicht….

Wie das OLG Hamm übrigens auch das AG Helmstedt, Urt. v. 04.07.2019 – 15 OWi 907 Js 66315/18.

 

OWi I: „… es war kein Mobiltelefon, sondern ein Taschenrechner…“, oder: Neue Einlassung „geboren“?

© Fotomek Fotolia.com

Über den OLG Oldenburg, Beschl. v. 25.06.2018 – 2 Ss (OWi) 175/18 – ist ja schon an einigen anderen Stellen berichtet worden. Ich weise dann heute hier aber auch noch einmal darauf hin, und zwar allein schon deshalb, weil es m.E. die erste obergerichtliche Entscheidung zur Neufassung des § 23 Abs. 1a StVO ist.

Das AG hatte den Betroffenen u.a. auch wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO – Stichwort: Mobiltelefon im Straßenverkehr bzw. „elektronisches Gerät“ – verurteilt. Dazu hat das AG ausgeführt; „Auf dem Lichtbild pp. ist zu sehen, dass der Betroffene ein technisches Gerät in seiner Hand vor das Gesicht hält. Der Verteidiger hat in der Hauptverhandlung erklärt, hierbei handele es sich nicht um ein Mobiltelefon, sondern um einen Taschenrechner. Diesen hatte er in Hauptverhandlung auch vorgelegt. Tatsächlich könnte es sich um dieses Gerät gehandelt haben, wobei sich allerdings die Frage stellt, warum sich der Betroffenen diesen Taschenrechner vor das Gesicht hält. Nach der Neufassung des § 23 Abs. 1 StVO unterliegt auch das Halten und Aufnehmen eines mobilen Flachrechners dem Verbot dieser Vorschrift.“

Dagegen die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die Erfolg hatte. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen und die Verurteilung wegen des Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO aufgehoben:

„Nach der Neufassung des § 23 StVO, die auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist, darf derjenige, der ein Fahrzeug führt, ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt, ist nur unter den in Absatz 1a Satz 1 Nummer 1 und 2 genannten Voraussetzungen benutzen.

Dabei sind Geräte im Sinne des Satzes 1 auch Geräte der Unterhaltungselektronik oder Geräte zur Ortsbestimmung, insbesondere Mobiltelefone oder Autotelefone, Berührungsbildschirme, tragbare Flachrechner, Navigationsgeräte, Fernseher oder Abspielgeräte mit Videofunktion oder Audiorecorder.

Ein Taschenrechner unterfällt dieser Norm nicht.

Der Senat (DAR 2010, 232) hat im Zusammenhang mit der Prüfung der Bestimmtheit einer Bußgeldvorschrift folgendes ausgeführt:

Auch wenn es in Grenzfällen zweifelhaft ist, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht, so muss der Normadressat aber jedenfalls im Normalfall anhand der gesetzlichen Regelung voraussehen können, ob ein Verhalten ordnungswidrig ist (BVerfG, NJW 2010, 754; NJW 1986, 1671, 1672). Unter diesem Aspekt ist für die Bestimmtheit einer Strafvorschrift in erster Linie der für den Adressaten erkennbare und verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Tatbestandes maßgeblich (BVerfG, NJW 2010, 754; BVerfG, NJW 1986, 1671, 1672). Nur in der dadurch gesetzten Grenze der Auslegung können daneben auch systematische, historische und teleologische Auslegung herangezogen werden (BVerfG, NJW 2010, 754; NJW 1978, 101; NJW 1978, 1423, BVerfG, Beschluss vom 29.04.10 2 BvR 871/04 und 2 BvR 414/08, Rz. 55, – juris -).

Ein Taschenrechner lässt sich nicht als ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation bzw. der Unterhaltungselektronik oder der Ortsbestimmung dient bzw. dienen soll, bezeichnen.

Zwar sollte die Aufzählung in der Neufassung des § 23 Absatz 1a StVO nicht abschließend sein. In der Begründung des Entwurfes der Verordnung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur und des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (S. 26, abgedruckt unter BR Drucksache 556/17) heißt es, dass unter die Geräte zum Beispiel sämtliche Handys, Smartphones … Tablet-Computer, Touchscreens, elektronische Terminplaner, Diktiergeräte, …Walkman, Discman und Notebooks fallen sollen.

In der Kommentierung von Eggert in Freymann/Wellner, juris PK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 23 StVO 1. Überarbeitung wird ausgeführt, dass der technikoffene Ansatz wesentliche Verschärfungen insoweit mit sich bringe, als jetzt auch Gerätschaften erfasst würden, die bislang selbst bei extensiver Auslegung nicht unter dem Begriff Mobiltelefon hätten subsumiert werden können. Der beliebten Flucht in Alternativgeräte sei durch den weit gefassten Gerätebegriff ein Riegel vorgeschoben, wenngleich so plumpe Ausreden wie „Rasierapparat“ oder „Kühlakku wegen Zahnschmerzen“ möglich blieben.

Vom vollständigen Verbot der Nutzung von elektronischen Geräten während der Fahrt hat der Verordnungsgeber abgesehen, weil sie ein Übermaß darstellen würden (BR Drucksache 556/17 Seite 4).

Lässt sich ein Diktiergerät noch als ein Gerät bezeichnen, das der Kommunikation dient, fällt ein reiner Taschenrechner unter keinen der genannten Oberbegriffe. Die Annahme, die Eingabe einer Rechenoperation und deren anschließendes Ablesen unterfiele einem Informationszweck, würde nach Auffassung des Senats die Auslegung der Norm überdehnen und wäre für den Normadressaten nicht erkennbar.“

Die Entscheidung ist sicherlich zutreffend. Es würde in der Tat zu weit führen, auch einen reinen Taschenrechner, um den es hier wohl ging, als von § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO erfasst anzusehen. Es handelt sich zwar um ein elektronisches Gerät, aber nicht um eins im Sinn des Satz 1. Vom vollständigen Verbot der Nutzung von elektronischen Geräten während der Fahrt hat der Verordnungsgeber aber gerade abgesehen, weil sie ein Übermaß darstellen würde (BR Drucksache 556/17, S. 4; zum neuen Recht News zu Elektronisches Gerät/ Mobiltelefon im Straßenverkehr). Nicht ganz zu Unrecht hat sich allerdings das AG die Frage gestellt, warum sich der Betroffene diesen/einen Taschenrechner vor das Gesicht gehalten hat. Es geht dann aber nicht so weit, die Einlassung des Betroffenen ggf. als „lebensfremd“ abzutun  (vgl. dazu für den Akkurasierer OLG Hamm, Beschl. v. 22.08.2006 – 2 Ss OWi 528/06). Schön damals auch die Geschichte mit dem Wärmeakku im OLG Hamm, Beschl. v. 13.09.2007 –  2 Ss OWi 606/07).

Vielleicht ist mit dem „Taschenrechner“ ja eine neue Einlassung „geboren“ 🙂 .