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OWi I: Ist ein Taschenrechner ein elektronisches Gerät?, oder: OLG Hamm bejaht das

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Heute dann ein OWi-Tag, den ich mit einem Anfragebeschluss eines OLG eröffne. Dabei handelt es sich um den OLG Hamm, Beschl. v. v. 18.06.2019 – 4 RBs 191/19. Mit dem fragt das OLG Hamm beim OLG Oldenburg an, ob das an seiner Rechtsauffassung, dass ein reiner Taschenrechner nicht unter § 23 Abs. 1a StVO falle, festhält  (vgl. dazu OLG Oldenburg, Beschl. v. 25.06.2018 – 2 Ss (OWi) 175/18), weiterhin festhält (dazu dann auch OWi I: “… es war kein Mobiltelefon, sondern ein Taschenrechner…”, oder: Neue Einlassung “geboren”?).

Im OLG Hamm-Fall hatte das AG Lippstadt den Betroffenen u.a. auch wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO verurteilt. Der Betroffene, ein Immobilienmakler, hatte während der Fahrt einen Taschenrechner in der rechten Hand in Höhe des Lenkrads gehalten und damit die Provision eines anstehenden Kundentermins berechnet.

Anders als das OLG Oldenburg in dem von ihm entschiedenen Fall, will das OLG Hamm den Taschenrechner als „elektronisches Gerät“ ansehen:

„2. Der anfragende Senat ist hingegen der Auffassung, dass es sich bei einem elektronischen Taschenrechner um ein elektronisches Gerät handelt, das durchaus der Information dient oder zu dienen bestimmt ist i.S.v. § 23 Abs. 1a StVO. Er müsste, da er von der o.g. Rechtsprechung des OLG Oldenburg abweichen würde, die Sache gem. §§ 121 Abs. 1 GVG, 79 Abs. 3 OWiG dem Bundesgerichtshof vorlegen. Vorab fragt er deswegen beim Bußgeldsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg an, ob dieser weiterhin an seiner geschilderten Rechtsauffassung festhält. Wäre dies nicht der Fall, würde sich ein Vorlageverfahren erübrigen. Eine solche Anfrage eines Oberlandesgerichts bei einem anderen ist im Gesetz zwar nicht ausdrücklich vorgesehen, aber gleichwohl zulässig (BGHSt 14, 319 ff.).

3. Zur Sache selbst:

a) Dass ein elektronischer Taschenrechner ein elektronisches Gerät ist, bedarf – wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend bemerkt – keiner näheren Erläuterung.

b) Es handelt sich hierbei auch um ein Gerät, das der Information dient oder zu dienen bestimmt ist.

aa) Zwar wird ein elektronischer Taschenrechner nicht in § 23 1a S. 2 StVO ausdrücklich aufgeführt. Es erscheint auch zweifelhaft, ob er unter den dort genannten Begriff eines „tragbaren Flachrechners“ subsumiert werden kann. Unter einem solchen dürfte – das zeigen die Verordnungsmaterialien – eher ein Tablet-Computer zu verstehen sein (BR-Drs. 556/17 S. 27; Eggert in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., Überarbeitung, § 23 StVO Rdn. 24.1.).

Indes hindert das nicht, gleichwohl einen elektronischen Taschenrechner unter § 23 Abs. 1a S. 1 StVO zu fassen. Die Aufzählung in S. 2 der Norm enthält lediglich Beispiele und ist nicht abschließend, wie schon die Formulierung „auch“ und „insbesondere“ deutlich macht (vgl. auch BR-Drs. 556/17 S. 27; OLG Karlsruhe Beschl. v. 05.10.2018 – 2 Rb 9 Ss 627/18 – juris). Mithin können auch dort nicht genannte Geräte unter die Verbotsnorm fallen.

bb) Ein elektronischer Taschenrechner dient schon dem Wortlaut nach der Information.

Der Begriff „Information“ wird im Duden (allgemein zugängliche Internetseite) wie folgt definiert:

– „das Informieren; Unterrichtung über eine bestimmte Sache“
– „[auf Anfrage erteilte] über alles Wissenswerte in Kenntnis setzende, offizielle, detaillierte Mitteilung über jemanden, etwas“
– „Äußerung oder Hinweis, mit dem jemand von einer [wichtigen, politischen] Sache in Kenntnis gesetzt wird“
– „Gehalt einer Nachricht, die aus Zeichen eines Codes zusammengesetzt ist“
– „Auskunft“.

Bei Durchführung einer Rechenoperation mittels eines elektronischen Taschenrechners informiert sich der Nutzer über deren Ergebnis, sei es, weil er selbst nicht zur Berechnung in der Lage ist, sei es, um sich die Richtigkeit eines selbst berechneten Ergebnisses bestätigen zu lassen oder einfach weil es schneller geht. Durch die auf dem Display nach Abruf (etwa durch Drücken der „Gleichtaste“) erscheinenden Zahlen wird der Nutzer über eine bestimmte Sache unterrichtet (ähnlich auch OLG Karlsruhe a.a.O. bzgl. eines Laser-Entfernungsmessers), im vorliegenden Fall etwa darüber, welchen Betrag die Provision auf der Basis eines bestimmten Verkaufspreises und einer bestimmten prozentualen Maklercourtage ausmacht. Dies ist auch der Gehalt einer Nachricht, die aus Zeichen eines (hier: Zahlen-) Codes zusammengesetzt ist. Dass sich ggfs. ein Betroffener mit durchschnittlicher Schulbildung die entsprechende Information durch eigenen Denkprozess hätte verschaffen können, ist unerheblich. Der Informationsbegriff stellt nicht allein auf solche „Informierungen“ oder Nachrichtengehalte ab, die allein von außen kommen.

cc) Auch in systematischer Hinsicht spricht alles dafür, den elektronischen Taschenrechner als Informationsgerät in dem o.g. Sinne anzusehen. Seine Funktionen umfassen einen Ausschnitt dessen, was auch bei einem der in § 23 1a S. 2 StVO genannten Mobiltelefone oder tragbaren Flachrechner (also Tablet-Computern, s.o.) an Funktionen möglich ist. Zudem zeigt das Beispiel des Flachrechners auf, dass die Information nicht zwangsläufig von außerhalb des genutzten Gerätes kommen muss. Auch die weitere Gerätecharakterisierung hinsichtlich des Organisationszwecks zeigt, dass dies nicht relevant sein kann. Auch bei der Nutzung eines elektronischen Geräts zur Organisation bedarf es (jedenfalls nicht zwangsläufig) eines Einflusses von außen (etwa bei der Nutzung als Terminkalender o.ä.).

dd) Der Verordnungsgeber selbst hat bewusst eine „technikoffene“ Formulierung gewählt (BT-Drs. 556/17 S. 27) und hatte mithin einen weiten Begriff des elektronischen Geräts im Sinne des § 23 1a Satz 1 StVO vor Augen (OLG Karlsruhe a.a.O.). Der von ihm verfolgte Zweck, den Gefahren, die vom Aufnehmen des elektronischen Geräts und seiner nutzungsbedingten erheblichen mentalen Ablenkung des Betroffenen vom Verkehrsgeschehen ausgehen, zu begegnen (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.), wird auch im Falle der Nutzung eines aufgenommenen elektronischen Taschenrechners erreicht. Dass der Gesetzgeber diesen weiten Begriff ausschließlich im Hinblick auf zukünftige, noch nicht bekannte Entwicklungen wählte, er aber gerade den – bereits seinerzeit bekannten – Taschenrechner ausnehmen wollte, lässt sich nicht erkennen. Dagegen spricht schon, dass er in den anderen genannten Geräten (etwa Mobiltelefone) enthaltene Taschenrechnerfunktionen gerade nicht aus dem Anwendungsbereich der Norm ausgeklammert hat. Dass diese Auslegung dazu führt, dass elektronische Geräte in weitem Umfang in den Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1a S. 1 StVO fallen, wie der Betroffene meint, erscheint gerade auch Zielsetzung des Gesetzgebers. Dieser hat eben nicht nur solche elektronischen Geräte, die der Information dienen, sondern sogar darüber hinaus auch solche, die der Kommunikation, der Organisation und der Unterhaltung dienen, einbezogen.

c) Die aufgeworfene Rechtsfrage ist für die Entscheidung des Senats erheblich.

Handelt es sich nach alledem hier bei dem elektronischen Taschenrechner um ein elektronisches Gerät, welches der Information dient oder zu dienen bestimmt ist, so hat der Betroffene dieses beim Führen seines Kraftfahrzeuges verbotswidrig benutzt und ist zu Recht insoweit auch wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO verurteilt worden, so dass die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen wäre. Unter Zugrundelegung der Ansicht des OLG Oldenburg wäre das angefochtene Urteil hingegen insoweit aufzuheben, als der Betroffene tateineinheitlich auch wegen „verbotswidriger Benutzung eines Mobiltelefons als Fahrzeugführer“ verurteilt wurde sowie im Rechtsfolgenausspruch. Die Prüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat im Übrigen keinen Rechtsfehler zu Lasten des Betroffenen ergeben, der – unabhängig von der vorgelegten Rechtsfrage – eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Folge hätte. Ein wirksamer Bußgeldbescheid liegt vor. Die Verjährung wurde (zunächst) durch Anhörung des Betroffenen vom 13.06.2018/04.07.2018, sodann durch Erlass des Bußgeldbescheids und den Eingang der Akten beim Amtsgericht sowie durch Anberaumung des Hauptverhandlungstermins am 07.11.2018 bzw. am 16.11.2018 unterbrochen.

Der Senat wird ggf. in seiner verfahrensabschließenden Entscheidung die gebotene Berichtigung des Tenors in „wegen verbotswidriger Benutzung eines Gerätes, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient“ (statt: „wegen verbotswidriger Benutzung eines Mobiltelefons“) selbst vornehmen.“

Warum man das nicht gleich beim BGH vorlegt, erschließt sich mir nicht….

Wie das OLG Hamm übrigens auch das AG Helmstedt, Urt. v. 04.07.2019 – 15 OWi 907 Js 66315/18.