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RVG: Gegenstandswert 3.621.930,00 € oder nur 7.024,68 €?, oder: Wertfestsetzung im Arrestverfahren

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Mit einem lachenden und einem weinenden Auge habe ich das OLG Frankfurt, Urt. v. 11.05.2017 – 1 U 203/15 – gelesen. Ergangen ist das Urteil in einem Entschädigungsverfahren nach dem StrEG. In dem hat der Kläger Ersatz von Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mi der Vollziehung eines dinglichen Arrests geltend gemacht. Der Kläger war Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren. Durch Beschluss des AG Frankfurt am Main vom 08.04.2010 wurde der dingliche Arrest in Höhe von 10.835.791,- € in das Vermögen des Klägers angeordnet. Der Arrest wurde vom 28.4.2010 bis zum11.8.2010, durch Kontenpfändung und bis zum 26.8.2010 durch Pfändung beweglicher Sachen vollzogen. Gegen den Arrestbeschluss hat der Verteidiger des Klägers Beschwerde eingelegt. Das AG Frankfurt hat den Arrestbeschluss mit Beschluss vom 16.08.2010 aufgehoben. Das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wurde unter dem 11.03.2014 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Mit Beschluss vom 10.06.2014 hat das AG festgestellt, dass der Kläger „für den vollzogenen dinglichen Arrest des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom B. April 2010 in der Zeit vom 28.4.2010 bis zum 26.8.2010 zu entschädigen ist“.

Gestritten wird nun um die Gebühr Nr. 4142 VV RVG. Die hat der Kläger geltend gemacht, und zwar aus einem Gegenstandswert des Arrestverfahrens in Höhe von 3.621.930,00 €. Die GStA hält nur einen Gegenstandswert in Höhe der vollzogenen Arrestes für zutreffend.

Die Klage war vom LG Frankfrut abgewiesen worden, beim OLG hatte der Kläger nun aber Erfolg. Aus dem Urteil:

Zunächst das lachende Auge: Das bezieht sich auf die Auffassung des OLG, das davon ausgeht, dass die Gebühr auch in den Fällen der so. Rückgewinnungshilfe anfällt. Es schließt sich damit der inzwischen wohl h.N. in der Rechtsprechung Literatur an:

„cc) Einer Ersatzfähigkeit der Rechtsanwaltskosten steht vorliegend auch nicht entgegen, dass der Arrest auch auf § 111b Abs. 5 StPO gestützt war.

Allerdings ist streitig, ob die Gebühr nach VV 4142 RVG überhaupt anfallen kann, wenn ein Arrest nicht nur gem. § 111b Abs. 2 StPO zur Sicherung staatlicher Ansprüche auf Verfall des Wertersatzes angeordnet ist, sondern wenn er auch gemäß § 111 b Abs. 5 StPO zur Sicherung von Rückgewinnungsansprüchen angeordnet ist (Burhoff in: Gerold/Schmidt., a.a.O., 4142 VV, Rn 8). Eine Gebühr nach Nr. VV 4142 RVG soll dann nicht ausgelöst werden, wenn ein Arrest allein zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe (§ 111b Abs. 5 StPO) angeordnet ist, ist, da dieser nicht zu den „vorgenannten Maßnahmen“ im Tatbestand der Nr. VV4142 RVG gehöre (OLG Köln, Beschl. v. 22.11.2006 — 2Ws 614/06). Das OLG Hamm hat den Anfall einer Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG verneint, wenn die Sicherstellung von Eigentum nicht zu einer endgültige Entscheidung über den Vermögensverlust führt, sondern erst durch zivilrechtliche Verfahren eine Klärung herbeizuführen ist, in denen dann wiederum anwaltliche Gebühren entstehen (OLG Hamm, Beschl. v. 17.2.2009 – 2 Ws 378/08). Nach anderer Auffassung, der sich der Senat anschließt, soll sich der auch zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe angeordnete dingliche Arrest in Intensität und wirtschaftlicher Auswirkung aus Sicht des Betroffenen nicht mehr wesentlich von der Pfändung eines Vermögensgegenstandes auf der Grundlage eines nach § 111b Abs. 2 StPO ausgebrachten dinglichen Arrestes unterscheiden (OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.4.2014 — 1 Ws 212/13; OLG Hamm, Beschl. v. 10.1.2008 — 3 Ws 323/07). Dafür spricht auch, dass gemäß § 111i StPO beschlagnahmte Gegenstände nach Ablauf von 3 Jahren mit Verfallswirkung dem Staat anheimfallen, was aus Sicht des durch die Beschlagnahme Betroffenen die gleiche Wirkung wie die Einziehung des Wertersatzes hat.

Jedenfalls in den Fällen, in denen – wie vorliegend – der Arrest nicht nur der Sicherung von Rückgewinnungsansprüchen sondern auch der Sicherung staatlicher Ansprüche aus Wertersatz dient, ist danach der Anfall einer Gebühr Nr. 4142 VV RVG nicht ausgeschlossen.“

Aber, dann das weinende Auge: Beim Gegenstandswert sieht das OLG die Rechtslage anders als die wohl h.M.:

Die Gebühr aus Nr. VV 4142 RVG entsteht für eine Tätigkeit des Verteidigers für den Beschuldigten, die sich auf eine Einziehung oder verwandte Maßnahmen bezieht. Letztere sind in §§ 442 Abs. 1 StPO mit Verfall, Vernichtung, Unbrauchbarmachung oder Beseitigung eines gesetzwidrigen Zustands benannt. Es handelt sich hierbei um Maßnahmen, die dem Betroffenen den Gegenstand endgültig entziehen und es dadurch zu einem endgültigen Vermögensverlust kommen lassen (Burhoff in: Gerold/Schmidt, a.a.O., VV 4142, Rn. 9).

Sinn und Zweck des VV142 RVG ist es danach, eine Anwaltsvergütung für die Tätigkeiten zu erhalten, die sich auf die Bewahrung des Eigentums Mandanten richten (vgl. Kotz/Beck-OK-RVG, 35. Ed. (15.7.2015), VV 4142 Rn. 1). Dementsprechend bestimmt sich der Gegenstandswert für die Gebühren nach der ganz überwiegenden Rechtsprechurig und Auffassung nach objektiven Wert der betroffenen Gegenstände (OLG Frankfurt, Beschl. v. 15.11.2006 — 2 Ws 137/06; KG, Urt. v. 18.7.2005 — 5 Ws 256/05, JurBüro 2005, 531; OLG Hamm, Beschl. v. 10.1.2008 — 3 Ws 323/07, wistra 2008, 160; OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.4.2014 — 1 Ws 212/13, NStZ-RR 2014 – 360; Burhoff, a.a.O., VV 4142 Rn. 19; Hartung/Schons/Enders, RVG, 3. Aufl. 2017, VV 4142 Rn. 16; Riedel/Sußbauer/Kremer, RVG 10. Aufl. 2015, Rn. 11; Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl. 2013, Nr. 4141-4147 VV, Rn 18).

Von der Rechtsprechung und der Literatur wird allerdings teilweise auch für die Vergütung aus Nr. VV 4142 RVG der Gegenstandswert des Arrestes mit einem Drittel des zu sichernden Hauptanspruchs angenommen (OLG Hamm, Beschl. v. 17.1.2008 – 3 Ws 560/07, OLG München, Beschl. v. 16.8.2010 – 4 Ws 114/10 (K); OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.4.2014 – 1 Ws 212/13; Riedel/Sußbauer /Kremer, a.a.O., Rn. 15). Die Wertfestsetzung beruht dabei jeweils ohne eingehendere Begründung auf einer Übertragung der Grundsätze die im Zivilrecht für die Wertfestsetzung im Arrestverfahren entwickelt worden.

Das erscheint nicht zutreffend. Die Streitwertfestsetzung im zivilrechtlichen Arrestverfahren beruht darauf, dass sich eine Partei einer Geldforderung berühmt und deren Zwangsvollstreckung sichern möchte (§ 916 Abs. 1 ZPO). Danach ist die obere Grenze bei der Sicherung einer Geldforderung deren Betrag, wobei wegen der Vorläufigkeit der Regelung regelmäßig ein Abschlag auf ein Drittel dieses Betrages gemacht wird (vgl. nur Herget/Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 3 Rn 16 „Arrestverfahren“).

Ein Arrestanspruch ist jedoch nicht Voraussetzung für den Erlass eines Arrestes gem. § 111 b Abs. 1 StPO wegen des Verfalls oder der Einziehung von Wertersatz. Hierfür müssen allein Gründe für die Annahme vorliegen, dass Maß nahmen nach den §§ 73a, 74c StGB verhängt werden (Spillecke, Karlsruhe Kommentar zur StPO; 7. Aufl. 2013, § 111d Rn. 4). Auf § 916 Abs. 1 ZPO ist in § 111 d Abs. 2 StPO auch nicht verwiesen.

Soweit die antragstellende Staatsanwaltschaft Ansprüche durch Bezifferung konkretisiert, handelt es sich hierbei um eine notwendig vorläufige Annahme, die von dem jeweiligen Stand der Ermittlungen und Erkenntnisse abhängt.

Die Gebühr aus Nr. 4142 VV RVG entsteht für eine Tätigkeit des Verteidigers, die sich auf die Einziehung, Verfall, Vernichtung, Unbrauchbarmachung und Beseitigung eines gesetzwidrigen Zustandes von Sachen des Mandanten beziehen. Ausgangspunkt der Tätigkeit des Verteidigers ist daher allein die Sicherung von dessen Vermögensgegenständen. Der objektive Gegenstandswert für diese Tätigkeit ergibt sich danach nicht aus der Annahme, dass Wertgegenstände in einer bestimmten Höhe der Einziehung oder dem Verfall unterliegen könnten, sondern aus dem Wert der Gegenstände, zu deren Sicherung der Verteidiger tätig wird.“

Zu den Fragen werden wir dann demnächst etwas vom BGH hören. Denn das OLG hat die Revision zugelassen. Und die Sache hat Bedeutung, denn es geht ja schon um ein paar Euro anwaltliche Vergütung mehr….

Angemessene Verfahrensdauer, oder: Nach Entscheidungsreife darf das Verfahren noch ein Jahr dauern

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Wie haben wir uns gefreut als die §§ 198, 199 GVG eingeführt worden sind und gedacht: Endlich. Endlich gibt es ein Instrument, dass die Gerichte zu schnellerem Arbeiten anhalten wird. Und wie sind wir alle (?) getäuscht/enttäuscht, wenn man sich die Anwendung der Vorschriften durch die Gerichte ansieht. Das ganze Prozedere lohnt sich nicht, denn die §§ 198, 199 GVG sind ein stumpfes Schwert, letztlich m.E. auch vom Gesetzgeber nur eingeführt, um den EGMR und die EU „ruhig zu stellen“. Dass dem so ist, zeigt z.B. der  OLG Frankfurt, Beschl. v. 22.11.2016 – 4 EK 15/16.

Es geht um die Bewilligung von PKH für eine Klage wegen überlanger Verfahrensdauer. Der Antragsteller, der eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßt, hatte gem. § 109 StVG die StVK angerufen, nachdem die JVA ihm vollzugsöffnende Maßnahmen versagt hatte. Nach dem Ablauf von Stellungnahmefristen nahm die StVK zunächst für fünf Monate keine verfahrensfördernden Maßnahmen vor. Es folgten dann weitere Schriftsatzwechsel, u.a. wegen einer in Betracht kommenden Teilerledigung, ehe das Verfahren erneut, diesmal für weitere neun Monate und sieben Tage, nicht gefördert wurde.  Letztlich dauerte das Verfahren vom 30.07.2014 bis zum 07.07.2016. Am 08.04.2016 hatte der Antragsteller Verzögerungsrüge erhoben. Nunmehr begehrte er PKH für eine Klage, mit der er wegen überlanger Verfahrensdauer eine Entschädigung in Höhe von 1.200,00 EUR erstreiten will. Das OLG hat unter Ablehnung des Antrags im Übrigen PKH bis zu einer Entschädigungshöhe von 800,00 EUR bewilligt.

Das OLG meint schon, dass das Verfahren zu lang war, und zwar sei die Verfahrensdauer als um insgesamt acht Monate und sieben Tage unangemessen zu lang anzusehen. Zur „zulässigen“/zu langen Verfahrensdauer führt das OLG aus, dass nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung ausreicht. Die Verfahrensdauer müsse vielmehr eine Grenze überschreiten, die sich unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls, insbesondere Art, Inhalt und Umfang der zu treffenden Entscheidung, sowie der rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeit und Bedeutung des zugrunde liegenden Rechtsstreits für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt. Dem Richter stehe zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ein weiter Gestaltungsraum zu.

Hinsichtlich der Person des Entscheidenden ist ein objektivierter Maßstab anzulegen, abzustellen ist mithin auf den Zeitraum, den ein pflichtgetreuer Durchschnittsrichter für die Erarbeitung einer derartigen Entscheidung benötigt (vgl. BGH, Urteil vom 22.05.1986, III ZR 237/84, Rn. 29 – zitiert nach Juris). Darüber hinaus ist diesem ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen, denn nicht nur rechtliche oder tatsächliche Beurteilungen eines Richters, sondern auch die Verfahrensführung als solche kann angesichts des verfassungsrechtlichen Grundsatzes richterlicher Unabhängigkeit nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft werden (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 08.05.2013, 4 EntV 18/12, Rn. 46 – zitiert nach Juris). Nach der Rechtsprechung des Senats ist einem Gericht in der Regel ein Zeitraum von einem Jahr (ab Entscheidungsreife) zuzubilligen, binnen dessen eine ausbleibende Entscheidung als noch nicht unangemessen erscheint (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 25.09.2013, 4 EntV 11/12 – zitiert nach Juris, für Verfahren nach § 109 StVollzG und Urteil vom 08.05.2013, 4 EntV 18/12, Rn. 46 ff. – zitiert nach Juris, für zivilrechtliches Prozesskostenhilfeverfahren). Eine Abweichung von dieser Regelfrist von einem Jahr kommt vor allem dann in Betracht, wenn der Verfahrensgegenstand für die Partei aus besonderen Gründen in besonderer Weise eilbedürftig ist oder umgekehrt ohne besondere Bedeutung ist (zum Vorstehenden insgesamt: OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.07.2016, 4 EK 6/16, Rn. 29 – zitiert nach Juris).

Aber:

„Eine Abweichung von dieser Regelfrist von einem Jahr kommt vor allem dann in Betracht, wenn der Verfahrensgegenstand für die Partei aus besonderen Gründen in besonderer Weise eilbedürftig ist oder umgekehrt ohne besondere Bedeutung ist (zum Vorstehenden insgesamt: OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.07.2016, 4 EK 6/16, Rn. 29 – zitiert nach Juris).“

Auf der Grundlage hat das OLG der StVK dann statt der Regelfrist von einem Jahr lediglich eine kürzere Entscheidungsfrist von sechs Monaten zugebilligt. Und der Antragsteller kann für acht Monate unangemessene Verfahrensverzögerung eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 800,00 EUR verlangen.

Wenn ich die Ausführungen des OLG lese, schwillt mir der Kamm. Abgesehen davon, dass die Rechtsprechung – auch die des BGH – der (eigenen) Justiz schon grundsätzlich sehr großzügige Bearbeitungszeiten einräumt, frage ich mich hier: Wieso soll eigentlich ein Gericht nach Entscheidungsreife (!) nochmal ein Jahr Zeit haben für die Entscheidung? Entscheidungsreife liegt doch vor. Warum wird dann nicht zügig entschieden bzw. muss entschieden werden? Alles andere ist doch Augenwischerei, vor allem wenn man dann noch die weiteren Hintertürchen wie Schwierigkeit und Umfang der Sache sieht, mit denen man bei Bedarf recht problemlos einen noch längeren Zeitraum rechtfertigen kann.  Und bitte schön. Verfahren „für die Partei ….. ohne besondere Bedeutung“ sind überhaupt nicht eilbedürftig und dürfen also bis zum St. Nimmerleinstag liegen bleiben? Der EGMR wird sich auf weitere Eingänge aus Deutschland freuen.

Was ist positiv an der Entscheidung? Nun, das Land hat wohl eingesehen, dass mehr als schlampig gearbeitet worden ist. Denn: „Der Antragsgegner hat zu dem Antrag unter dem 14.11.2016 (Bl. 13ff. d. A.) Stellung genommen. Sie tritt dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entgegen, zumal die Voraussetzungen für die Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe in Höhe des begehrten Entschädigungsbetrages gegeben sein dürften.“ Das OLG weiß es natürlich mal wieder besser und gewährt nur PKH bis zu einer Entschädigungshöhe von 800,00 EUR .

Das OLG Frankfurt und die Bewährungsstrafe, oder: Berücksichtigung von Nachtatverhalten

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Das OLG Frankfurt setzt sich im OLG Frankfurt, Beschl. v. 04.11.2016 – 1 Ss 197/16 – u.a. mit Bewährungsfragen (§ 56 StGB) auseinander. Das LG hatte seine Entscheidung, die Vollstreckung der gegen den Angeklagten verhängten Freiheits­strafe nicht zur Bewährung auszusetzen, maßgeblich mit dem Nachtatverhalten des Angeklagten und einer insoweit nicht gegebenen positiven Sozialprognose i.S.v. § 56 Abs. 1 und 2 StGB begründet. Es hatt ausgeführt, der An­geklagte werde sich nicht allein durch die Verhängung der Freiheitsstrafe zukünftig von der Begehung weiterer Straftaten abhalten lassen, da dieser „während des laufenden Berufungsverfahrens wenige Wochen vor der Berufungshauptverhandlung in frem­dem Wohnraum aufgefunden und verhaftet [wurde]. Anhaltspunkte für einen berech­tigten Aufenthalt in der fremden Wohnung liegen nicht vor“. Das beanstandet das OLG als rechtsfeherlhaft:

„Diese Erwägung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Vorwürfe aus einem schwebenden Verfahren, in dem ein Urteil noch aussteht, dürfen bei der Sozialprog­nose i.S.v. § 56 Abs. 1 StGB nicht zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden, wenn das Gericht zur Richtigkeit dieser Beschuldigungen keine eigenen und pro­zessordnungsgemäßen Feststellungen getroffen hat (BGH StV 1995, 521; BGH StV 1993, 458 f.; vgl. auch Senat, Beschl. v. 11.02.2015 – 1 Ss 323/14, juris [Rn. 13]; BGH, Beschl. v. 19.06.2012 – 4 StR 139/12, juris [Rn. 8] = NStZ 2013, 36 [insoweit nicht abgedr.]). Der bloße Verdacht einer weiteren Straftat darf aufgrund der Un­schuldsvermutung nicht zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden; dies gilt selbst dann, wenn in dem anderen Verfahren aufgrund eines dringenden Tatver­dachts bereits Untersuchungshaft angeordnet worden ist (BGH StV 1993, 458 [459]).

Vorliegend hat das Landgericht in den Urteilsgründen festgestellt, dass gegen den Angeklagten zu 1. ein anderes Verfahren wegen des Vorwurfs des versuchten Woh­nungseinbruchdiebstahls am …12.2015, 18:31 Uhr, in der A-straße … in Stadt1 – Az. …/15 – anhängig ist (UA S. 3). Nach den weiteren Feststellungen des Landgerichts ist in dieser Sache vom Amtsgericht Stadt2 am …12.2015 ein Haftbefehl erlassen worden und nach Anklageerhebung vom 11.01.2016 die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Stadt2 für den 03.03.2016 anberaumt worden (UA S. 3). Der Haftbefehl und die Anklageschrift wurden nach den Urteilsgründen auch verlesen (UA S. 7 f.).

Eigene Feststellungen zur Richtigkeit dieser Beschuldigung hat das Landgericht hin­gegen nicht getroffen. Jene Beschuldigung hätte daher auch nicht zum Nachteil des Angeklagten zu 1. berücksichtigt werden dürfen.“

Ist nicht so ganz einfach mit dem „Nachtatverhalten“…..

Auswertung einer ESO ES 3.0-Messung durch Private, oder: Ignoranz der Macht?

entnommen wikimedia.org
Urheber Jepessen

In einem umfangreich begründeten Beschluss – immerhin 10 Seiten – hat jetzt das AG Weilburg im AG Weilburg, Beschl. v. 06.03.2017 – 40 OWi 6 Js 7873/16 – noch einmal zur Frage des Bestehens eines Beweisverwertungsverbotes bei Einschaltung privater Dienstleister bei der Auswertung einer Geschwindigkeitsmessung -ESo ES 3.0 – Stellung genommen und sagt dazu:  Bei eklatanter, bewusst regelwidriger Einschaltung privater Dienstleister bei der Durchführung bzw. Auswertung von Geschwindigkeitsmessungen durch die Ordnungsbehörde unterliegen die Ergebnisse der Messung einem Beweisverwertungsverbot.

Das Besondere an der lesenswerten Entscheidung, die ich hier – auch nicht auszugsweise – wegen ihrer Länge nicht einstelle, also: selber lesen: Das AG hat das Verfahren nach § 69 Abs. 5 Satz 2 OWiG endgültig mangels hinreichenden Tatverdachts an die Verwaltungsbehörde zurückgegeben, nachdem es schon einige Male zwsichen AG/Verwaltungsbehörde und OLG Frankfurt hin und her gegangen ist.

Fasst man die Ausführungen des AG zusammen, gilt: Das AG bejaht ein Beweisverwertungsverbot wegen der unzulässigen Einschaltung eines privaten Dienstleisters bei der Durchführung der Messung und deren Auswertung. Das Hessische Ministerium des Innern und für Sport habe mit Erlass vom 05.02.2015 die Verkehrsüberwachung durch örtliche Ordnungsbehörden und Polizeibehörden so geregelt, dass technische Hilfe durch Privatpersonen nur dergestalt möglich ist, dass die Verantwortung für den ordnungsgemäßen Einsatz technischer Hilfsmittel in jedem Fall bei der Ordnungsbehörde zu verbleiben hat. Daran fehle es. Aus der Beweisaufnahme, einer Stellungnahme des übergeordneten Regierungspräsidiums sowie aus früheren vergleichbaren Fällen ergebe sich, dass sich kein Messbeamter in alleiniger Verantwortung vom ordnungsgemäßen Aufbau der Messanlage überzeugt, vorgeschriebene Funktionsprüfungen vorgenommen oder Messungen durchgeführt hat. Ebenso sei die Umwandlung der Falldateien nicht durch die Behörde erfolgt und die Auswertung nicht in dem erforderlichen Maße von der Behörde vorgenommen wurde. Faktisch sei die Messung fast ausschließlich durch den Privatanbieter durchgeführt worden, der auch die Umwandlung und Auswertung vornahm und die Daten erstellte, welche in das Programm zur weiteren Bearbeitung von Ordnungswidrigkeiten als Bußgeldverfahren eingespeist wurden und welche bei Gericht als Beweis dienen sollten. Es müsse ferner die Sachkenntnis des Messbeamten der Gemeinde bezweifelt werden.

Der Kollege Dr. Deutscher hat die Entscheidung für den VRR aufbereitet und meint dazu u.a.:

„Das AG deckt in minutiöser Detailarbeit eine unglaubliche Ignoranz der örtlichen Behörde auf, die offenbar trotz früherer Entscheidungen des AG unbeirrt an ihrem rechtswidrigen Kurs festgehalten hat. Man kann nur hoffen, dass es sich um deinen Einzelfall und nicht die Spitze eines Eisbergs handelt. Mit einer solchen Vorgehensweise wird der ohnehin in der Öffentlichkeit ramponierte Ruf von Geschwindigkeitsmessungen wahrlich nicht gefördert (zur „Kölner Knöllchen-Affäre“ Deutscher ZAP 2017, S. 267) und damit erst recht nicht die Verkehrssicherheit. Der Beschluss ist nachdrücklich zu begrüßen. Anfechtbar ist er nicht (§ 69 Abs. 5 Satz 3 OWiG), hätte aber wohl selbst vor den gestrengen Augen des OLG Frankfurt/Main Gnade gefunden (dort zu einem vergleichbaren Urteil des AG Weilheim Beschl. v. 15.6.2016, 2 Ss-OWi 462/16).“

Da kann man m.E. wirklich nur sagen/fragen: Was schert uns das „Geschwätz“ der Gerichte…… oder ist es die berühmte „Ignoranz der Macht“?

Geringwertigkeit einer Sache, oder: Es bleibt bei 50 EUR

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Auch in den Bereich der Strafzumessung gehört der OLG Frankfurt, Beschl. v. 28.10.2016 – 1 Ss 80/16. Der Angeklagte ist vom AG wegen Diebstahls in zwei Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, zu einer Gesamtgeldstrafe von 110 Tagessätzen zu je 7,- EUR verurteilt. Gegenstand einer der Taten war ein fahrtüchtiges Mountain-Bike. Dazu fehlte im Urteil eine ausdrückliche Wertangabe, die GStA ist aber davon ausgegangen, dass sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe erschließe, dass das fahrtüchtige Mountain-Bike keine geringwertige Sache i.S.d. § 243 Abs. 2 StGB gewesen sei. Das OLG sieht das anders und hebut auf: Aus der Begründung:

„Die Annahme eines besonders schweren Falles gemäß § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StGB hält indes aus mehreren Gründen einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

aa) Hinsichtlich der Tat zu Ziff. 1 kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Tat gemäß § 243 Abs. 2 StGB auf eine geringwertige Sache bezogen hat, sodass ein besonders schwerer Fall des Diebstahls bereits aus diesem Grund ausscheidet.

Dabei hält der Senat an seiner st. Rspr. fest, nach der die Grenze der Geringwertigkeit i.S.d. §§ 243 Abs. 2; 248a StGB bei 50,- Euro anzusetzen ist (Senat, Beschl. v. 09.05.2008 – 1 Ss 67/08, juris [Rn. 6, 15] = NStZ-RR 2008, 311 m. zust. Anm. und ausf. Begr. bei Jahn, JuS 2008, 1024 m.w.N.; a.A. — freilich unter außendivergenzhindernder Betonung, dass die Geringwertigkeitsgrenze im Sinne des § 248a StGB nicht starr zu ziehen sei — KG, Beschl. v. 08.01.2015 — [4] 121 Ss 211/14 [276/14], juris [Rn. 18 ff.] = StV 2016, 652, 654 f. = OLGSt StGB § 252 Nr. 3).

Wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend erkennt, fehlt im amtsgerichtlichen Urteil jegliche Wertangabe bezüglich des Mountain-Bikes. Es finden sich auch keine Feststellungen dazu, um welches Fabrikat es sich handelt oder welches Alter das Mountain-Bike aufweist. Ein Erfahrungssatz, dass fahrtüchtige Mountain-Bikes einen Wert von mehr als 50,- Euro haben, existiert nicht. Auch aus dem Umstand, dass das Amtsgericht bezogen auf die Tat zu Ziff. 2 Ausführungen zur Geringwertigkeit (§ 248a StGB) gemacht hat, kann nichts für die Geringwertigkeitsfrage bei der Tat zu Ziff. 1 abgelesen werden.“

Na ja, alles wird teurer…..