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Mit einer BAK von 2,37 Promille unterwegs, oder: Schuldfähigkeit muss man im Blick haben

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt ebenfalls aus dem Osten, und zwar vom OLG Dresden. Das hat in dem schon etwas älteren OLG Dresden, Beschl. v 26.02.2018 – 2 OLG 25 Ss 80/18 -, den mir die Kollegin Bürger aus Torgau, die ihn erstritten hat, aber erst vor kurzem geschickt hat, noch einmal zur Frage der Schuldfähigkeit Stellung genommen. Das AG hatte die Angeklagte wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt. Das LG hat das Urteil des AG aufgehoben, die Angeklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort  verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Die dagegen gerichtete Revision hatte dann beim OLG Dresden weiter Erfolg. Das OLG hat aufgehoben und zruückverwiesen.

„Angesichts der im Urteil dargestellten Alkoholisierung der Angeklagten erscheint es nicht ausgeschlossen, dass ihre Schuldfähigkeit bei Begehung der Taten vermindert oder vollständig aufgehoben war.

Die der Angeklagten um 1.57 Uhr und 2.30 Uhr entnommenen Blutproben ergaben eine Blutalkoholkonzentration von 1,65 und 1,54 Promille.

Bei der Prüfung der Schuldfähigkeit der Angeklagten ist ein maximaler stündlicher Abbauwert von 0,2 Promille zuzüglich eines einmaligen Sicherheitszuschlages von 0,2 Promille zugrunde zu legen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2016 — 5 StR 85/16 —, juris m.w.N.). Dies ergibt im vorliegenden Fall zur Tatzeit um 23.15 Uhr eine maximale Blutalkoholkonzentration von 2,37 Promille.

Zwar gibt es keinen gesicherten Rechts- oder Erfahrungssatz, wonach ab einer bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration ohne Rücksicht auf psychodiagnostische Beurteilungskriterien regelmäßig vom Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung auszugehen ist. Bei einem Wert von über 2 Promille ist eine erhebliche Herabsetzung der Hemmungsfähigkeit aber je nach den Umständen des Einzelfalles in Betracht zu ziehen, naheliegend oder gar in hohem Maße wahrscheinlich (BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2014 — 4 StR 397/14 —, juris m.w.N.). Mt einem zusätzlichen Blick auf die Übrigen vom Landgericht zum Störungsbild der Angeklagten getroffenen Feststellungen war dies hier erörterungsbedürftig. Bei der Annahme verminderter Schuldfähigkeit wäre dann eine Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21 Satz 2, 49 Abs. 1 StGB zu prüfen gewesen.

Da nicht völlig auszuschließen ist, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen getroffen werden, die möglicherweise sogar eine Schuldunfähigkeit belegen, hat der Senat auch den Schuldspruch aufgehoben.“

Nichts Besonderes, aber: Die Entscheidung legt den Finger in eine Wunde bzw. weist auf einen Fehler hin, der häufig gemacht wird. Muss man drauf achten.

Vorsätzliche Trunkenheitsfahrt und Nachtrunk, oder: Was gehört ins Urteil?

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Die zweite verkehrsrechtliche Entscheidung des Tages kommt mit dem OLG Dresden, Beschl. v. 10.10.2018 -2 OLG 22 Ss 399/18 – vom OLG Dresden. Nichts verkehrsrechtlich Dramatisches, sondern eine Entscheidung, die noch einmal an die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen bei einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt und, wenn das Tatgericht sich auf ein Sachverständigengutachten stützt, erinnert:

„1. Das Gericht gründet seine Überzeugung hinsichtlich der Tatzeit Blutalkoholkonzentration auf das in der Hauptverhandlung verlesene Begleitstoffanalysegutachten und schließt sich diesem im Ergebnis. an, was grundsätzlich keinen Bedenken unterliegt. Der Tatrichter darf sich mangels hinreichender eigener Kenntnisse auf den für die Urteilsfindung maßgeblichen Wissensgebieten darauf beschränken, sich der Beurteilung von .Sachverständigen hinsichtlich der einschlägigen Fachfragen anzuschließen: Doch ist er dann verpflichtet, die wesentlichen Grundlagen anzugeben, an die die Schlussfolgerungen des Gutachtens anknüpfen, um eine revisionsrechtliche Überprüfung zu ermöglichen (BGH Beschluss vom 06.011986 – 4 StR 48/86 juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage § 267 Rdn. 13 m.w.N.).

Vorliegend werden die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen nicht wiedergegeben. Die Mitteilung der Fundstelle des verlesenen Gutachtens im Urteil kann die unterbliebene Darstellung des wesentlichen Inhalts des Gutachtens nicht ersetzen. Die Verweisungserlaubnis in § 267 Abs. 1 Salz 3 StPO (Verweisung auf Abbildungen) und die Ermächtigung zur Bezugnahme in § 267 Abs. 4 Satz 1, 2. Halbsatz StPO schließen zugleich das Verbot sonstiger Bezugnahmen ein, soweit mit ihr notwendige Teile der schriftlichen Urteilsbegründung ersetzt werden sollen (Karlsruher Kommentar, StPO 7. Aufl. § 267 Rdnr. 3; Meyer-Goßner, a.a.O. § 267 Rdnr. 8; vgl. auch BGH, Beschluss vom 12. August 2010, 3 StR 227/10; juris).

Die Beweiswürdigung ist daher lückenhaft. Auf dem Rechtsfehler beruht das Urteil auch.

Dem steht nicht entgegen, dass das Gericht dem Angeklagten zumindest einen Teil des behaupteten Nachtrunks geglaubt und auf dieser Grundlege eigene. Berechnungen zur Tatzeit-Blutalkoholkonzentration vorgenommen hat Mangels Nachvollziehbarkeit des Ergebnisses des Begleitstoffanalysegutachtens kann das Revisionsgericht nicht überprüfen, ob die Einlassung des Angeklagten zu weitaus größeren Mengen des Nachtrunks überhaupt als widerlegt angesehen werden kann oder ob seine Behauptungen durch das Ergebnis der angestellten Untersuchung .doch ganz oder zu einem größeren als vom Gericht engenormen Teilgestützt werden.

2. Das Gericht nimmt zudem an, dass der Angeklagte aufgrund der Gesamtumstände seine Fahruntüchtigkeit erkannt, zumindest aber billigend in Kauf genommen hat.

Aus der Blutalkoholkonzentration allein kann nicht ohne Hinzutreten weiterer Umstände auf vorsätzliches Handeln in Bezug auf die Fahruntüchtigkeit geschlossen werden. Zwar liegt bei einer die Grenze absoluter Fahrunsicherheit weit übersteigenden Alkoholisierung nahe, dass der Täter seine Unfähigkeit das Fahrzeug sicher zu führen, zumindest für möglich hält und in Kauf nimmt Auf der anderen Seite nimmt die Kritik- und Erkenntnisfähigkeit mit fortschreitender Trunkenheit ab, sodass kein. Erfahrungssalz existiert, nachdem derjenige, der erhebliche Mengen Alkohol zu sich genommen hat, seine Fahrunsicherheit erkennt. Daher müssen neben der Blutalkoholkonzentration auch weitere objektive Umstande festgestellt werden, die auf einen entsprechenden Vorsatz schließen lassen. Allein eine hohe Blutalkoholkonzentration genügt nicht um eine vorsätzlich Begehungsweise einer Straßenverkehrsgefährdung oder einer Trunkenheitsfahrt zu begründen. Vielmehr müssen weitere Indizien und Umstände festgestellt werden (OLG Hamm, Beschluss vom 07.10.2004 -2 Ss 345/04 m.w.N., juris). Das ist vorliegend nicht geschehen. Kann der Schluss auf Vorsatz nicht allein auf die hohe Blutalkoholkonzentration gestützt werden, so bedarf es für eine Verurteilung wegen Vorsatzes der Feststellungen zu Trinkanlass, Trinkverlauf, Fahrtanlass, dem Zusammenhang von Trinkverhalten und Fahrbereitschaft, Fahrtverlauf und Nachtatverhalten, aus denen sich möglicherweise Schlüsse darauf ergeben, dass der Angeklagte seine Fahrunsicherheit erkannt hat (OLG Hamm, a.a.O., Fischer, StGB, 65. Auflage, § 316 Rdn. 46). Da die Umstände, auf die das Gericht neben der Blutalkoholkonzentration die Bejahung des Vorsatzes hinsichtlich der Fahruntüchtigkeit stützt, nicht mitgeteilt sind, ist die Beweiswürdigung insoweit ebenfalls lückenhaft, worauf das Urteil auch beruht.“

Die vergessene/übersehene Terminsaufhebung, oder: Amtshaftung?

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Terminsaufhebungen bzw. Terminsaufhebungsanträge sind eine Thema, das häufig zum Streit führt, vor allem, wenn die entsprechenden Anträge des Verteidigers/Rechtsanwalts abgelehnt werden. Im OLG Dresden, Urt. v. 18.04.2018 – 1 U 1509/17 -, das an verschiedenen Stellen im Netz zu finden ist, geht es auch um Terminsfragen, aber mal nicht um abgelehnte Terminsverlegung, sondern um eine Terminsaufhebung. Und zwar in einem Zivilverfahren. In dem war ein Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben worden. Das hatte man aber dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht bzw. erst am Terminstag mitgeteilt. Folge: der Prozessbevollmächtigte reiste von Hamburg nach Dresden zu dem „aufgehobenen“ Termin an. Die dadurch entstandenen Kosten machte der Kläger nun gegenüber dem Land Sachsen geltend. Und er hat beim OLG Dresden Recht bekommen.

Das OLG bejaht einen Anspruch aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG hinsichtlich der dem Prozessbevollmächtigten im Rahmen der Terminswahrnehmung entstandenen Reisekosten und der Tagesgeldpauschale. Es sieht die Klage als zulässig an, also kein Vorrang des Verfahrens nach den §§ 23 ff. EGGVG, da es sich bei der nicht rechtzeitigen Terminsabladung nicht um einen Justizverwaltungsakt im Sinne dieser Vorschriften handelt. Das OLG bejaht auch das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage und verweist nicht auf das Kostenfestsetzungsverfahre. In der Sache heißt es dann:

„1.4 Die Geschäftsstellenbedienstete hat die ihr sowohl dem Kläger als auch dessen Prozessbevollmächtigten gegenüberliegende Amtspflichtverletzung verletzt, weil sie die Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht über die am 31.03.2016 verfügte und am 04.04.2016 auf dem Postweg verschickte Terminsaufhebung vorab telefonisch oder per Telefax unterrichtete.

Grundsätzlich hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle dafür Sorge zu tragen, dass den Verfahrensbeteiligten die Abladungsnachricht so rechtzeitig zugeht, dass sie davon noch vor der Anreise zum Termin Kenntnis nehmen können (LG Stuttgart, Urt. v. 10.08.1988, Az.: 15 O 134/88, NJW-RR 1989, 190; LG Hannover, Urt. v. 22.04.1993, 5 O 285/92, Nds. Rpfl. 1993, 192).

a) Da die Geschäftsstellenbedienstete aus der Akte erkennen konnte, dass der Prozessbevollmächtigte in Hamburg ansässig war und sie deswegen damit rechnen musste, dass dieser, um rechtzeitig den Termin wahrnehmen zu können, spätestens am frühen Morgen des 07.04.2016 seine Reise aus Hamburg beginnen musste, hätte sie berücksichtigen müssen, dass die Abladung spätestens am 06.04.2016 in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Kläger eingehen musste.

Unter diesen Umständen durfte die Geschäftsstellenbedienstete des Landgerichts nicht davon ausgehen, dass eine am 04.04.16 auf dem Postweg versandte Mitteilung über die Terminsaufhebung die Prozessbevollmächtigten des Klägers auf jeden Fall am 06.04.2016 erreicht, zumal bei einer Abverfügung am 04.04.2016 nicht ohne weiteres sichergestellt war, dass das Schreiben dem Postzustelldienst am selben Tag zuging. Die Geschäftsstellenbedienstete wäre daher verpflichtet gewesen, die Prozessbevollmächtigten der Beklagten vorab über die Terminsaufhebung durch Telefax oder telefonischen Anruf zu unterrichten. Gegen diese Verpflichtung hat sie verstoßen.

b) Letztlich sieht das der Beklagte ebenso.

So hat der Präsident des Oberlandesgerichts, der gemäß I. 1. lit. b) und I. 2. lit. b) VwV Amtshaftung, Entschädigung und Regress zu außergerichtlichen Entscheidung über Ansprüche aus Amtshaftung für Schäden, die durch seine Bediensteten verursacht sind, zuständig ist, mit Schreiben vom 07.07.2016 mitgeteilt, dass die Reise der Prozessbevollmächtigten auf einer Amtspflichtverletzung beruhe, da die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle diese nicht vorab telefonisch oder per Telefax von der Aufhebung des Termins unterrichtete. Auch im vorliegenden Rechtsstreit stellt der Beklagte nicht in Abrede, dass die Geschäftsstellenbedienstete objektiv amtspflichtwidrig handelte.

1.5 Die Geschäftsstellenbedienstete handelte auch fahrlässig (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB) und damit schuldhaft.

Insoweit ist zu berücksichtigen, dass es für die Beurteilung des Verschuldens auf die Kenntnisse und Fähigkeiten ankommt, die für die Führung des übernommenen Amtes im Durchschnitt erforderlich sind. Die Anforderungen an amtspflichtgemäßes Verhalten sind am Maßstab des pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten zu messen. Insoweit ist der Sorgfaltsmaßstab im Rahmen des § 839 BGB objektiviert (Staudinger/Wöstmann [2013] § 839 Rn. 198). Darauf, ob der zuständigen Geschäftsstellenbediensteten im vorliegenden Fall persönlich ein Vorwurf zu machen ist, kommt es daher nicht an.

Unter Berücksichtigung dieses objektivierten Maßstabes war es fahrlässig, die Terminsaufhebung nicht vorab telefonisch oder per Telefax anzukündigen, da die zuständige Geschäftsstellenbedienstete unter den gegebenen Umständen nicht davon ausgehen durfte, dass eine rechtzeitige postalische Benachrichtigung der Prozessbevollmächtigten des Klägers von der Terminsaufhebung gesichert war.

1.6 Der Beklagte kann sich auch nicht auf eine andere Ersatzmöglichkeit i.S.v. § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB berufen. Denn bei einem Obsiegen des Klägers im Ausgangsverfahren wäre Ersatzpflichtiger der notwendigen Kosten wiederum der Beklagte. Insoweit gilt der Grundsatz der „vermögensrechtlichen Einheit der öffentlichen Hand“ (Staudinger/Wöstmann [2014] § 839 BGB Rn. 277 ff.).

1.7 Die Berechtigung auf Erstattung der Kosten der Höhe nach werden von dem Beklagten nicht in Abrede gestellt. Sie sind unstreitig.

1.8 Der Kläger muss sich auch kein Mitverschulden seiner Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen, weil sie nicht vor Reiseantritt nachfragten, ob der Termin Bestand hat.

Eine Partei bzw. deren Prozessbevollmächtigte dürfen sich darauf verlassen, dass sie amtspflichtgemäß rechtzeitig von einer Terminsaufhebung bzw. -verlegung benachrichtigt werden. Sie sind daher grundsätzlich nicht gehalten, vor Anreise nachzufragen, ob der Termin stattfindet. Dafür, dass vorliegend ausnahmsweise die Prozessbevollmächtigten des Beklagten gehalten waren, nachzufragen, sind keine Anhaltspunkte dargetan und ersichtlich.“

Verneint hat das OLG dann aber einen Anspruch des Klägers aus abgetretenem Recht betreffend Verdienstausfall seiner Prozessbevollmächtigten in Höhe von 1.760,00 €.

2.2 Der Kläger vermochte nicht darzulegen, geschweige denn nachzuweisen, dass seinen Prozessbevollmächtigten durch die verspätete Mitteilung der Terminsaufhebung ein Schaden erstanden ist.

a) Bei der Frage nach dem Umfang des verursachten und daher zu ersetzenden Schadens ist die tatsächliche Lage infolge der Amtspflichtverletzung mit der Lage zu vergleichen, die vorhanden wäre, wenn die unerlaubte Handlung nicht vorläge, sondern der Beamte amtspflichtgemäß gehandelt hätte; nur soweit die Vermögenslage des Geschädigten bei pflichtgemäßem Verhalten günstiger als die tatsächliche wäre, ist der Schaden durch die Amtspflichtverletzung verursacht und zu ersetzen (Staudinger/Wöstmann [2014] § 839 BGB Rn. 243 m.w.N.). Dies bedeutet, dass die Vermögenslage der Prozessbevollmächtigten des Klägers, wie sie sich aufgrund der unnötigen Anreise darstellt, mit derjenigen zu vergleichen ist, wenn die Geschäftsstellenbedienstete die Prozessbevollmächtigten des Klägers bereits am 04.04.2016 auf die Terminsaufhebung hingewiesen hätte.

b) Der Schaden ist grundsätzlich konkret zu berechnen. Maßgebend ist die tatsächlich eingetretene Vermögensminderung (Palandt/Grüneberg, a.a.O., vor § 249 Rn. 21). Danach ist vom Kläger darzulegen, wie sich die Vermögensverhältnisse seiner Prozessbevollmächtigten entwickelt hätten, wenn sie rechtzeitig von der Aufhebung des Termins erfahren hätten. Dazu fehlt es an einem Vortrag. Insbesondere behauptet der Kläger selbst nicht, dass für diesen Fall seine Prozessbevollmächtigten neue Mandanten aquiriert hätten. Vielmehr ist naheliegend, dass in diesem Falle seine Prozessbevollmächtigten angefallene Arbeiten nach vorne gezogen hätten. Hierdurch ändert sich aber ihre Vermögenslage nicht.

c) Allerdings ist bei der Geltendmachung entgangenen Gewinns nach § 252 Satz 2 BGB eine abstrakte Schadensberechnung grundsätzlich möglich (Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 252 Rn. 6). Bei einem Gewerbetreibenden oder – wie hier – Freiberufler besteht der Schaden indes in der konkret festzustellenden Gewinnminderung. Da der zu ersetzende Schaden nicht im Wegfall oder der Minderung der Arbeitskraft als solcher liegt, setzt dieses voraus, dass sich der Ausfall oder die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit sichtbar im Erwerbsergebnis ausgewirkt hat (BGH, Urt. v. 12.01.2016, Az.: VI ZR 491/14, NJW-RR 2016, 793, 794, Tz. 17; OLG Saarbrücken, Urt. v. 28.02.2013, Az.: 4 U 587/10, NJW-RR 2013, 1112, 1117; Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 252 Rn. 14).

Insoweit reicht der Vortrag des Klägers, seine Prozessbevollmächtigten würden täglich elfeinhalb Stunden arbeiten und in der Regel zu einer vereinbarten Vergütung von 220,00 €/Stunde, nicht aus, worauf der Beklagte den Kläger mehrfach hingewiesen hat. Es ist zu berücksichtigen, dass freiberufliche Anwälte, die gerichtlich tätig sind, durchaus mit kurzfristigen Aufhebungen von Gerichtsterminen rechnen müssen und genötigt sind, ihre Arbeit umzuplanen. Dies ist in der Regel unproblematisch möglich. Tatsachen dafür, dass durch die unnötige Anreise eine tatsächliche Gewinnminderung bei den Prozessbevollmächtigten des Klägers eingetreten ist, sind nicht dargelegt.“

Keine Terminsgebühr und Auslagen für Termin im Vollstreckungshilfeverfahren, oder: Wenn das OLG „Kleinigkeiten“ übersieht

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Bei der zweiten gebührenrechtlichen Entscheidung des heutigen „Money-Friday“ handelt es sich um den OLG Dresden, Beschl. v. 18.06.2018 – 2 (S) AR 48/17. Er ist nach einem Vollstreckungshilfeverfahren ergangen, in dem der Verteidiger an einer Anhörung nach den §§ 85 ff. IRG teilgenommen hatte. Dafür hat er eine Terminsgebühr Nr. 6102 VV RVG geltend gemacht. Die Anhörung diente der Befragung des Verurteilten, ob er mit der Vollstreckung der Strafe in der Republik Polen einverstanden sei.

Das OLG gewährt weder die Gebühr noch Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld:

„Der Pflichtbeistand kann für die Teilnahme an der Anhörung des Verfolgten durch den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts am 14. August 2017 keine Gebühr gemäß Nr. 6102 VV RVG und damit verbundene Auslagen beanspruchen.

Die Gebühr gemäß Nr. 6102 VV RVG erfasst nur die Verhandlung nach §§ 30 Abs. 3, 31 IRG, nicht jedoch andere gerichtliche Termine (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. Februar 2007 – OLG 33 Ausl 84/06 – und 1. Dezember 2017 – OLGAusl 111/16 -, jeweils juris). Zwar sind diese Entscheidungen zur Frage einer Vergütung einer Teilnahme an einer Vernehmung im Auslieferungsverfahren nach § 28 IRG ergangen. Es besteht jedoch aus den darin angestellten grundsätzlichen Erwägungen keine Veranlassung, die Anhörung im Vollstreckungshilfeverfahren nach §§ 85 ff. IRG als Verhandlung anzusehen.

Die Anhörung im Vollstreckungshilfeverfahren dient der Befragung des Verfolgten, ob er mit einer Überstellung zur weiteren Vollstreckung der gegen ihn verhängten Strafe in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union einverstanden ist, weil ein Einverständnis zu Protokoll eines Richters zu erklären wäre (§ 85 Abs. 2 Satz 2 IRG). Der Verurteilte wird in diesem Termin über die Rechtsfolgen eines Einverständnisses und dessen Unwiderruflichkeit belehrt (§ 85 Abs. 2 Satz 4 IRG), in dem Termin wird indes nicht verhandelt. Der Richter beim Amtsgericht ist auch nicht zu einer Entscheidung befugt. Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Vollstreckung ist dem Oberlandesgericht vorbehalten (§§ 85a, 85c IRG).2

Über das Entstehen der Gebühr kann man streiten – insoweit gilt dasselbe wie im Auslieferungsverfahren für die Termine nach § 28 IRG. M.E. falsch ist die Entscheidung hinsichtlich der Auslagen. Denn wird die Teilnahme an dem Anhörungstermin nicht über die Nr. 6102 VV RVG abgegolten, dann aber über die Verfahrensgebühr Nr. 6101 VV RVG. Und dann sind auch Auslagen zu erstatten. Dass die Gebühr Nr. 6102 VV RVG nicht entsteht, bedeutet ja nicht, dass der Rechtsanwalt nicht auch für die Teilnahme an dem Anhörungstermin beigeordnet war. Solche (vermeintlichen) „Kleinigkeiten“ kann man aber als OLG schon mal übersehen.

Pflichtverteidiger in der Strafvollstreckung, oder: Die Begründung des OLG Dresden ist „nicht mehr nachvollziehbar“

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Die zweite Entscheidung zu einer Pflichtverteidigungsfrage ist erfreulicher. Es handelt sich um den Sächs.VerfGH, Beschl. v. 30.08.2018 – Vf 73-IV 18 (HS), den mir der Kollegen Franek aus Dresden übersandt hat.

Ergangen ist der Beschluss nach Abschluss eines Widerrufsverfahrens (§ 56f StGB), in dem die Rechtsmittel des Verurteilten gegen den Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung keinen Erfolg hatten. Der Sächs.VerfGH hebt auf und moniert u.a., dass dem Verurteilten kein Pflichtverteidiger bestellt worden war:

„2. Des Weiteren verletzen die Entscheidungen des Oberlandesgerichts vom 12. Juni 2018 den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf ein gerechtes Verfahren (Art. 78 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SächsVerf).

a) Die Vorschriften der §§ 140 ff. StPO über die notwendige Mitwirkung und die Bestellung eines Verteidigers im Strafverfahren stellen sich als Konkretisierungen des auch in der Sächsischen Verfassung in Art. 78 Abs. 3 Satz 1 Alt. I verbürgten Anspruchs auf ein gerechtes, faires Verfahren dar. Zusätzlichen Schutz entfaltet in diesem Bereich für die Normanwendung das Grundrecht auf Verteidigung (Art. 78 Abs. 3 Satz 1 Alt. 4 SächsVerf). Das Gebot fairer Verfahrensführung zählt zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens, insbesondere des Strafverfahrens mit seinen möglichen einschneidenden Auswirkungen für den Beschuldigten. Diesem muss die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Dazu gehört auch, dass einem Beschuldigten, der die Kosten eines gewählten Verteidigers nicht aufbringen kann, in schwerwiegenden Fällen von Amts wegen ein Pflichtverteidiger beigeordnet wird (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom 21. Februar 2013 — Vf. 107-IV-12 [HS]/ Vf. 108-IV-12 [e.A.]; BVerfG, Beschluss vom 8. April 1975, BVerfGE 39, 238 [243]; Beschluss vom 19. Oktober 1977, BVerfGE 46, 202 [210]). Dies gilt in entsprechender Anwendung auch für die Vollstreckungsverfahren.

Nicht jede zweifelhafte oder objektiv fehlerhafte Anwendung der §§ 140 ff. StPO begründet einen Verfassungsverstoß. Die Subsumtionsvorgänge innerhalb des einfachen Rechts sind insoweit der Nachprüfung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes entzogen, als nicht Auslegungsfehler sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom 27. Oktober 2005 — Vf. 62-IV-05; BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 2003 — 2 BvR 517/03 —, m.w.N.).

b) Nach diesen Maßstäben werden die Entscheidungen des Oberlandesgerichts vom 12. Juni 2018 den Anforderungen von Art. 78 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SächsVerf nicht gerecht.

Das Oberlandesgericht verkennt den Inhalt und die Bedeutung des Art. 78 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SächsVerf, indem es in den Verfügungen vom 12. Juni 2018 jeweils annimmt, die Strafvollstreckungsverfahren wiesen keine Besonderheiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf. Angesichts der unterschiedlichen rechtlichen Beurteilung der Widerrufsgründe durch das Landgericht, die Staatsanwaltschaften und das Oberlandesgericht erscheint die Begründung des Oberlandesgerichts nicht mehr nachvollziehbar. Das Landgericht hat die Ablehnung der Widerrufsanträge in seinen Beschlüssen vom 3. und 6. Juni 2016 unter anderem damit begründet, dass den Urteilsgründen ein Geständnis nicht mit der notwendigen Klarheit entnommen werden könne. Dieser Rechtsauffassung schlossen sich auch die Staatsanwaltschaften an, indem sie die erneuten Widerrufsanträge allein damit begründen, trotz der eingelegten Revision sei der Schuldspruch aufgrund der erfolgten Berufungsbeschränkung bereits in Rechtskraft erwachsen. Nach fachrechtlicher Rechtsprechung ist in der Regel aber bei unterschiedlicher Beurteilung der Sach- oder Rechtslage durch die Instanzen und die Staatsanwaltschaft von einer schwierigen Sach- oder Rechtslage auszugehen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 11. Oktober 1989 — RReg 1 St 276/89 — juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 29. Oktober 1991 — 2 Ss 344/91 — juris; Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 140 Rn. 26a), so dass die Ablehnung eines Antrages auf Bestellung eines Pflichtverteidigers nur ausnahmsweise gerechtfertigt ist. Dies hat das Oberlandesgericht verkannt.“

Als Verteidiger kann man mit dem Beschluss im Vollstreckungsverfahren sehr schön argumentieren. „Nicht mehr nachvollziehbar“ und „verkannt“ wird man beim OLG Dresden allerdings nicht so gerne lesen.

Wegen der anderen im Beschluss angesprochenen Frage komme ich auf den Beschluss noch einmal zurück.

Und dann <<Werbemodus an >>: Die Fragen der Beiordnung im Strafvollstreckungsverfahren sind übrigens – in einem Exkurs – eingehend in Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, behandelt. Dessen 8. Auflage steht vor der Tür. Zur Bestellung als Einzelexemplare – oder im Paket mit dem Handbuch für die Hauptverhandlung, dessen 9. Auflage naht, geht es hier. <<Werbemodus aus >>.