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Versuch III: Versuch durch Verstecken der Beute zur späteren Mitnahme?, oder: „…..jetzt geht es los?“

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Und als dritte Entscheidung zum Versuch stelle ich dann den OLG Dresden, Beschl. v. 28.05.2020 – 2 OLG 22 Ss 369/20 – vor, den mit der Kollege Windisch aus Zwickau geschickt hat.

Das LG hat den Angeklagten auf der Grundlage folgender Feststellungen wegen Versuchs des Diebstahls verurteilt:

„Das Landgericht hat festgestellt, dass sich der Angeklagte am 28. Juli 2018 durch Übersteigen des Zaunes auf das umzäumte Werksgelände der Kommunalentsorgung Chemnitzer Land GmbH (KECL) in Glauchau begeben hatte, um dort nach stehlenswerten Sachen zu suchen. Aus einem Container mit Elektroschrott entnahm er diverse Bauteile (Computer, Beleuchtung, Flachbildmonitor u.a.) mit einem wirtschaftlichen Gesamtwert von nicht mehr als 25,- € und legte die Gegenstände unter einer im hinteren Bereich des Werksgeländes gelegenen Überdachung für eine spätere Mitnahme bereit. Zu dieser kam es nicht mehr, weil der Angeklagte von Beamten der herbeigerufenen Polizei noch auf dem Gelände festgenommen wurde.“

Das OLG hat das anders gesehen und den Angeklagten auf dessen Revision hin frei gesprochen:

„1. Das festgestellte Tatgeschehen erfüllt nicht die Voraussetzungen eines versuchten Diebstahls gemäß §§ 242 Abs. 1 und Abs. 2, 243 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB. Es fehlt an einem unmittelbaren Ansetzen zum Versuch im Sinne des § 22 StGB. Die Handlung des Angeklagten ist lediglich als straflose Vorbereitungshandlung zu bewerten.

a) Nach § 22 StGB versucht eine Straftat, wer nach seiner Tatvorstellung zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt. Der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmales bedarf es hierfür nicht.

Es genügt vielmehr, dass der Täter solche Handlungen vornimmt, die nach seinem Tatplan der Erfüllung eines Merkmals des gesetzlichen Tatbestandes vorgelagert sind und unmittelbar in die tatbestandliche Handlung einmünden (vgl. BGH, MDR 1979, 152; NStZ 1993, 133; NStZ 1993, 398; NStZ 2001, 415; NStZ 2006, 331; NStZ 2008, 209; NStZ 2014, 447; NJW 2014, 1463; NJW 2014, 1463; KG, BeckRS 2013, 00392); OLG Hamm, BeckRS 2009, 24585). Der Versuch einer Straftat erstreckt sich damit auch auf Gefährdungshandlungen, die nach der Vorstellung des Täters in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen oder in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen (vgl. BGH, a.a.O., sowie NStZ 1986, 20; NStZ 1987, 20; NStZ 1989, 473; NStZ 1993, 289; wistra 2008, 105; KG, a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.).

Für die Annahme eines versuchten Diebstahls kommt es deshalb darauf an, ob der Täter bereits im Sinne des § 22 StGB unmittelbar zum Gewahrsamsbruch angesetzt hat (vgl. OLG Hamm, a.a.O.; Eser/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 242 Rdnr. 68). Voraussetzung ist, dass er subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreitet, es eines weiteren Willensimpulses nicht mehr bedarf und der Täter objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, so dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestandes übergeht (vgl. BGH, a.a.O., sowie NStZ 1999, 395; KG, a.a.O.).

b) Angesichts der Vielzahl denkbarer Sachverhaltsgestaltungen bedürfen diese abstrakt-generellen Maßstäbe zur Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium stets einer wertenden Konkretisierung unter Beachtung der Umstände des Einzelfalles. Hierbei können etwa der Grad der Rechtsgutsgefährdung, der aus Sicht des Täters durch die zu beurteilende Handlung bewirkt wird, oder die Dichte des Tatplans Bedeutung gewinnen (vgl. BGH, NStZ 2006, 331; NJW 2014, 447; KG, BeckRS 2013, 00392).

Auch sind bei der Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium die strukturellen Besonderheiten des jeweiligen Tatbestandes zu berücksichtigen. Die Feststellung allein, dass der Täter durch seine Tatbeiträge eine objektive Gefahr für das anzugreifende Rechtsgut begründet hat, genügt für die Annahme eines unmittelbaren Ansetzens zum Versuch nach § 22 StGB nicht (vgl. BGH, NStZ 1986, 20; NStZ 1987, 20; NStZ 1989, 473).

c) Nach diesen Maßstäben hatte der Angeklagte noch nicht unmittelbar zum Versuch eines Diebstahls – insbesondere zu einem Gewahrsamsbruch – im Sinne des § 22 StGB angesetzt, als er von der Polizei gestellt und hierdurch an einer weiteren Umsetzung seines Tatplanes gehindert wurde.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen weder subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschritten, noch war er bei der Umsetzung seines Tatplanes objektiv so weit fortgeschritten, dass sein Tun ohne wesentliche Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestandes übergehen konnte. Hierzu hätte es vielmehr noch eines weiteren Willensimpulses bedurft.

Indem der Angeklagte die Elektroschrottgeräte aus dem Container nahm und sie unter die Überdachung im hinteren Bereich des Werksgeländes verbrachte, hatte er den Gewahrsam der Berechtigten noch nicht gebrochen.

Gewahrsam ist die von einem Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft. Für die Beurteilung kommt es entscheidend auf die Anschauungen des täglichen Lebens und die Verkehrsauffassung an (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 1971, Az. 1 StR 461/70, juris; BGHSt 16, 271; BGH, NJW 1968, 662; NStZ 2014, 40; OLG Düsseldorf, NJW 1988, 1335; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2005, 140). Gewahrsamsbruch ist die gegen oder ohne den Willen des Gewahrsamsinhabers erfolgende Aufhebung der tatsächlichen Sachherrschaft (vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922; OLG Hamm a.a.O.; OLG Karlsruhe, a.a.O.).

Das bloße Bereitstellen oder Bereitlegen einer Sache innerhalb der Sphäre des Gewahrsamsinhabers zum späteren Abtransport reicht in der Regel weder zur Entziehung des Gewahrsams des Berechtigten (Gewahrsamsbruch), noch zur Gewahrsamserlangung des Täters (Begründung eigenen Gewahrsams) aus. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Sache versteckt, die endgültige Erlangung aber noch mit Schwierigkeiten, etwa dem Überwinden eines weiteren Hindernisses, verbunden ist (vgl. BGH, NJW 1955, 71 [Mauer]). Versteckt der Täter die Sache zunächst innerhalb des Herrschaftsbereiches des Gewahrsamsinhabers, um sie bei späterer Gelegenheit mitzunehmen, so kommt es darauf an, ob nach den Umständen des konkreten Einzelfalles die Zugriffsmöglichkeit des Gewahrsamsinhabers durch das Verbergen tatsächlich schon vereitelt bzw. aufgehoben ist und der spätere Abtransport nur noch der endgültigen Sicherung einer tatsächlich schon erlangten Sachherrschaft des Täters darstellt (vgl. OLG Hamm, a.a.O.; LG Potsdam, NStZ 2007, 336; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 242 Rdnr. 19).

aa) Die Überdachung auf dem Werksgelände ist der Gewahrsamssphäre des Berechtigten zuzuordnen. Die Elektroteile befanden sich dort zwar nicht an dem durch den Berechtigten für sie vorgesehenen Platz (Container). Die Zugriffsmöglichkeit des Berechtigten war aber durch das Verbringen der Gegenstände unter das Dach weder schon tatsächlich vereitelt noch aufgehoben. Auch unter Berücksichtigung dessen, dass der Gewahrsam einen so genannten Beherrschungswillen des Berechtigten voraussetzt, lag in dem Verbringen der Gegenstände unter das Dach noch kein Gewahrsamsbruch. Für die Annahme eines solchen Beherrschungswillens reicht nämlich ein genereller Sachbeherrschungswille hinsichtlich sämtlicher Gegenstände innerhalb der Sphäre des Berechtigten ohne aktuelles Bewusstsein aus (vgl. OLG Hamm, a.a.O.; Eser/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 242 Rdnr. 30; Vogel in LK-StGB, 12. Aufl., § 242 Rdnr. 71). Dieser erstreckte sich auf sämtliche Gegenstände auf dem Werksgelände und zwar unabhängig davon, wo sie lagern.

bb) Zudem befanden sich die Gegenstände nach den Feststellungen des Landgerichts zu keinem Zeitpunkt in einer so genannten Gewahrsamsenklave des Angeklagten. Eine solche wird angenommen, wenn der Täter kleine Gegenstände innerhalb der Sphäre des Berechtigten in seine Kleidung oder in eine mitgebrachte Tasche steckt (vgl. Senat, Beschluss vom 12. März 2015 – 2 OLG 22 Ss 14115 -, juris, Rdnr. 6 m.w.N.; OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922), auch wenn er die mitgebrachte Tasche bis zur späteren Abholung in der fremden Gewahrsamssphäre zurücklässt (vgl. OLG Hamm a.a.O.).

Verbringt ein Täter dagegen handliche Elektrogeräte oder -teile lediglich an einen anderen Ort auf dem Gelände des Geschädigten, wird hierdurch mangels Gewahrsamsraums des Täters als Gewahrsamserwerbers sowie mangels einer damit einhergehenden engen Beziehung zur Sache noch keine Gewahrsamsenklave begründet, selbst wenn er die Sachen versteckt (vgl. OLG Hamm a.a.O.). So liegt der Fall hier. Das Dach, unter dem der Angeklagte die in Aussicht genommene Tatbeute zwischenlagerte, ist nicht als Gewahrsamsraum anzusehen, der dem Angeklagten zuzuordnen wäre.

cc) Auch ein Gewahrsamsbruch nach dem sozial-normativ geprägten Gewahrsams-begriff, auf den teilweise ergänzend abgestellt wird (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2005, 140), scheidet aus. Gewahrsam an einer Sache hat danach derjenige, in dessen Tabubereich sich die Sache befindet. Der Bruch fremden Gewahrsams setzt nach diesem Verständnis voraus, dass die fremde Sache aus der generellen Gewahrsamssphäre, dem Tabubereich, des bisherigen Gewahrsalmsinhabers fort-geschafft wurde, in den Tabubereich eines anderen verbracht worden ist und die Rückgewinnung des Gewahrsams durch den bisherigen Inhaber deshalb sozial auffällig und rechtfertigungsbedürftig wäre (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.).“

Wie im Lehrbuch 🙂

Strafzumessung III: Fahrlässige Tötung infolge Trunkenheitsfahrt, oder: Generalprävention?

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Und als dritte Entscheidung dann der OLG Dresden, Beschl. v. 07.04.2020 – 1 OLG 23 Ss 218/20, den mir der Kollege Stephan aus Dresden geschickt hat. Thematik: Strafzumessung im Fall der fahrlässigen Tötung im Straßenverkehr infolge einer Trunkenheitsfahrt. Der Angeklagte ist zu einer nicht aussetzungsfähigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das OLG beanstandet die generalpräventiven Erwägungen des LG:

„2. Allerdings ist ihm im Rahmen der Strafzumessung ein Fehler unterlaufen, als es die Berücksichtigung generalpräventiver Gesichtspunkte für notwendig erachtet hat.

Gemäß § 46 Abs. 1 StGB sind die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, zu berücksichtigen. Zu diesen Strafzwecken gehört auch die Generalprävention (MüKoStGB/Miebach/Maier, 3. Aufl. 2016, StGB § 46 Rn. 38). So ist anerkannt, dass der Schutz der Allgemeinheit durch Abschreckung nicht nur des Angeklagten, sondern auch anderer möglicher künftiger Rechtsbrecher eine schwerere Strafe rechtfertigt als sie sonst angemessen wäre, wenn eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, festgestellt worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 2007 – 4 StR 173/07, NStZ 2007, 702 und vom 10. August 2005 – 2 StR 219/05, StraFo 2005, 515; BGH, Beschluss vom 07. März 2018 –1  StR 663/17 —, Rn. 2, juris).

Im vorliegenden Fall fehlt es jedoch an der Feststellung, dass derartige Straftaten, wie das Fahren unter Alkoholeinfluss, bei dem Menschen zu Tode kommen, zugenommen haben. Da die diesbezüglichen Zahlen seit Jahren rückläufig sind bzw. stagnieren, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass es sich dabei um eine allgemein bekannte Tatsache handelt.

Auf die Rüge der Verteidigung, das Gericht habe den Tod des Vaters des Opfers zu Lasten des Angeklagten gewürdigt, kam es daher gar nicht mehr an. Gleichwohl wird darauf hingewiesen, dass sich dies aus dem Wortlaut der Urteilsgründe nicht zwingend ergibt. Nach hiesigem Verständnis wurde nur das Leid der Mutter des Opfers dargestellt, die den Tod zwei ihrer engsten Angehörigen zu verschmerzen hat, ohne den Tod des Vaters des Opfers dem Angeklagten zuzurechnen.

Da nicht auszuschließen ist, dass die Strafe anders ausgefallen wäre, wenn das Gericht die generalpräventiven Gesichtspunkte nicht berücksichtigt hätte, war das Urteil aufzuheben.“

Dem schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an. Die Sache bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung.“

OWi II: (Akten)Einsichtsantrag und Aussetzungsantrag, oder: Unzulässige Beschränkung der Verteidigung

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Die zweite OWi-Entscheidung kommt aus Dresden. Sorry, ich hatte die bisher leider in meinem Ordner übersehen. Der OLG Dresden, Beschl. v. 11.12.2019 – 23 SsBs 709/19. geht an die Frage der Aussetzung der Hauptverhandlung nämlich etwas etwas anders heran als z.B. das BayObLG:

„Die zulässige Rechtsbeschwerde führt auf die formgerecht erhobene Verfahrensrüge des Verstoßes gegen ein faires Verfahren und die unzulässige Einschränkung der Verteidigung durch Ablehnung des Antrages auf Aussetzung der Hauptverhandlung zur Einsicht in nicht bei den Akten befindliche amtliche Messunterlagen zu einem – vorläufigen – Erfolg und zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

1. Die Rüge der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung ist zulässig erhoben. Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft Dresden bedarf es vorliegend nicht des Zwischenrechtsbehelfs des § 238 Abs. 2 StPO, da das Amtsgericht den gestellten Aussetzungsantrag gemäß § 228 Abs. 1 Satz 1 StPO durch Beschluss zurückgewiesen hat. Der Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO ist nur dann zwingend zur Erhaltung der Verfahrensrüge erforderlich, wenn der Antrag auf Aussetzung durch den Amtsrichter lediglich verhandlungsleitend abgelehnt wird (vgl. hierzu OLG Karlsruhe, NStZ 2019, 620). Der Betroffene hat durch seinen Verteidiger nach Ablehnung der Überlassung der geforderten Messdatei der gesamten Messung durch die Verwaltungsbehörde auch einen Antrag gemäß § 62 OWiG gestellt (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. September 2019, 1 RB 28 Ss 300/19 – juris). Der Umstand, dass die Verwaltungsbehörde die Akten dem Amtsgericht zur Entscheidung nach § 62 OWiG nicht vorgelegt und das Amtsgericht insoweit nicht entschieden hat, ist vom Betroffenen nicht zu verantworten und kann daher die Zulässigkeit seiner Verfahrensrüge nicht beeinflussen.

2. Die damit zulässig erhobene Rüge ist auch begründet. Vorliegend wurde die Verteidigung durch den Beschluss, mit dem der Aussetzungsantrag zurückgewiesen wurde, rechtsfehlerhaft beschränkt, da der Betroffene ein Recht auf Einsicht in die nicht bei den Akten befindlichen amtlichen Messunterlagen hat, die er für die Prüfung des Tatvorwurfs benötigt.

Aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) i.V.m. dem allgemeinen Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie aus dem Gebot des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) kann sich nach allgemeiner Auffassung außerhalb und im Vorfeld der Hauptverhandlung ein über das Recht auf Akteneinsicht gemäß § 147 StPO hinausgehender Anspruch des Betroffenen auf Einsicht in die bei der Bußgeldbehörde vorhandenen, sich nicht bei den (Gerichts-)Akten befindlichen Messunterlagen und Messdaten ergeben, und zwar unabhängig davon, ob konkrete Anhaltspunkte für Messfehler vorliegen oder vom Betroffenen vorgetragen worden sind (vgl. OLG Düsseldorf, 2016, 140; OLG Karlsruhe, a.a.O.; Saarländisches OLG, Beschluss vom 24.02.2016, SsBs 7/2016 – juris). Auf die Versagung der Einsicht in die Messunterlagen durch die Bußgeldbehörde kann die Rechtsbeschwerde jedoch für sich allein nicht gestützt werden, da es sich hierbei um ein der Hauptverhandlung vorgelagertes Geschehen handelt. Nur wenn – wie vorliegend – deswegen in der Hauptverhandlung ein Antrag auf Unterbrechung oder Aussetzung gestellt und durch Gerichtsbeschluss abgelehnt worden ist, kann der Rechtsbeschwerdegrund der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung, der auch in Betracht kommt, wenn das Gericht gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstößt, geltend gemacht werden.

Vorliegend hat der Betroffene mehrfach gegenüber der Verwaltungsbehörde gefordert, ihm Einblick in die Messdaten der gesamten Messserie sowie in die Statistikdatei zu gewähren. Dies wurde von der Verwaltungsbehörde abgelehnt. Ein Antrag nach § 62 OWiG wurde – wie bereits ausgeführt – vom Betroffenen letztlich erfolglos gestellt.

In einem Fall wie dem vorliegenden sieht der Senat die Verteidigung jedenfalls dann unzulässig beschränkt, wenn der Betroffene bereits bei der Verwaltungsbehörde – letztlich erfolglos Antrag auf Einsicht in die nicht bei den Akten befindlichen weiteren amtlichen Messunterlagen gestellt hat, sein Antrag nach § 62 OWiG abschlägig (oder nicht) beschieden worden ist und sein erneuter, in der Hauptverhandlung gestellter und darauf gerichteter Einsichts- und Aussetzungsantrag durch Beschluss zurückgewiesen wurde. Der Betroffene wird ohne Kenntnis aller Informationen, die den Verfolgungsbehörden zur Verfügung stehen, nicht beurteilen können, ob Beweisanträge gestellt oder Beweismittel vorgelegt werden sollen. Das Informations- und Einsichtsrecht des Verteidigers kann daher deutlich weitergehen als die Amtsaufklärung des Gerichts. Solche weiterreichende Befugnisse stehen dem Betroffenen bzw. dessen Verteidiger im Vorfeld der Hauptverhandlung auch bei standardisierten Messverfahren zu. Es gibt insoweit keinen Erfahrungssatz, dass ein standardisiertes Messverfahren unter allen Umständen immer zuverlässige Ergebnisse liefert (BGHSt 39, 291). Der Betroffene kann daher – gegenüber der Verwaltungsbehörde – einen Anspruch auf Herausgabe der nicht bei den Akten befindlichen, jedoch bei der Verwaltungsbehörde existierenden amtlichen Messunterlagen zur umfassenden Überprüfung der Messung geltend machen (vgl. OLG Karlsruhe, ZfS 2018, 471 ; OLG Karlsruhe, DAR 2019, 582).

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht, war es mit den Feststellungen aufzuheben.

Auf die weiter erhobenen Rügen kommt es somit nicht an, diese geben dem Senat jedoch Veranlassung zu folgenden Anmerkungen:

Soweit in der Gegenerklärung des Verteidigers des Betroffenen vom 04. November 2019 die Rüge eines Beweisverwertungsverbotes wegen Nichtspeicherung von Rohmessdaten angedeutet wird, ist eine solche den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 OWiG entsprechende Verfahrensrüge der Rechtsbeschwerdebegründung vom 18. Juni 2019 nicht zu entnehmen (zu den Voraussetzungen vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Oktober 2019, 2 RBs 141/19 – juris).

Unabhängig davon begründet allein die Nichtspeicherung von Rohmessdaten kein aus einem Verstoß gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens folgendes Beweisverwertungsverbot (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. September 2019, 1 RB 28 Ss 300/19 – juris; KG, Beschluss vom 02. Oktober 2019, 3 WsB 296/19 – 162 Ss 122/19; OLG Köln, Beschluss vom 27. September 2019, 111-1 RBs 339/19 und 111-1 RBs 362/19; OLG Oldenburg, Beschluss vom 09. September 2019, 2 Ss OWi 233/19).

Bei dem Messgerät TraffiStar S350 handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren (vgl. zuletzt OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Oktober 2019, 2 RBs 141/19 – juris). Das Messgerät TraffiStar S350 hat bereits vor dem 01. Januar 2015 (Inkrafttreten des BMesEG) eine innerstaatliche Bauartzulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) erhalten (Zulassungszeichen: 18.11-13.01). Unter der Zertifikatsnummer DE-15-WPTB-0030 ist unter dem 24. Juli 2015 weiter eine Baumusterprüfung durch die PTB erfolgt. Da somit auch die Baumusterprüfung durch die PTB erfolgt ist und Art und Umfang der technischen Prüfungen unverändert geblieben sind, ist weiterhin von einem standardisierten Messverfahren auszugehen.“

Halbstrafe ohne vorherige Vollzugslockerungen, oder: Kein Nachteil aus Prognosedefizit…..

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Und in der dritten Entscheidung, dem OLG Dresden, Beschl. v. 27.01.2020 – 4 St 1/16, den mir der Kollege Franek aus Dresden gesandt hat, nimmt das OLG Stellung zur Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Gesamtfreiheitsstrafe nach § 57 Abs. 1 StGB auch ohne vorherige Erprobung des Verurteilten in Lockerungen.

Verurteilt worden ist der Verurteilte u.a. wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zum Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und zur Sachbeschädigung, in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, gefährlicher Körperverletzung versuchter gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Beihilfe zum versuchten Mord in vier tateinheitlichen Fällen, zum Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, zur gefährlichen Körperverletzung und zur Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Jahren verurteilt. Das Urteil ist seit dem 17.05. 2019 rechtskräftig.

Der Verurteilte befand sich seit seiner Festnahme am 19.04.2016 zunächst in Untersuchungshaft und nach Eintritt der Rechtskraft in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Dresden. Zwei Drittel der Strafe waren am 19.12.2019 verbüßt. Das Strafende ist für den 18.10.2021 vorgemerkt.

Die JVA hat eine vorzeitige Entlassung des Verurteilten mit Blick auf seine positive Haftentwicklung, sein beanstandungsfreies Vollzugsverhalten, den Erstverbüßerstatus und seinen geklärten sozialen Empfangsraum befürwortet. Der GBA hat beantragt, die Reststrafenaussetzung abzulehnen. Das OLG hat ausgesetzt:

„Es kann in einer Gesamtwürdigung der zutage getretenen Umstände unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden, die Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe nach § 57 Abs. 1 StGB auch ohne vorherige Erprobung des Verurteilten in Lockerungen zur Bewährung auszusetzen.

Der vor der Anlassverurteilung bisher lediglich wegen eines Verstoßes gegen das Sächsische Versammlungsgesetz mit einer niedrigen Geldstrafe vorbelastete Verurteilte verbüßt erstmals eine Freiheitsstrafe.

Das bisherige Vollzugsverhalten des Verurteilten ist beanstandungsfrei. Die Justizvollzugsanstalt beschreibt den Verurteilten als fleißig und ordentlich. Er pflege einen guten Umgang mit Mtgefangenen und zeige sich gerade gegenüber älteren Gefangenen als sehr sozial und hilfsbereit. Sowohl seine Aufgaben als Haus- und Hofreiniger als auch seine Arbeit seit Oktober 2019 in einem Unternehmerbetrieb nehme der Verurteilte pünktlich und ohne disziplinarische Auffälligkeiten wahr.

Der Verurteilte hat auch die ihm im Rahmen der Vollzugsgestaltung angebotenen Maßnahmen wahrgenommen. Ausweislich der ergänzenden Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vom 16. Januar 2020 habe der Verurteilte in der Zeit von März bis Oktober 2019 am Trainingsprogramm „Problemlösefertigkeiten“ teilgenommen, in der er Verantwortung für sein zur Verurteilung führendes Handeln übernommen und glaubhaft zum Ausdruck gebracht habe, dass ihm klar geworden sei, damals Grenzen weit überschritten zu haben. Der Verurteilte habe sich dabei deutlich von jeglicher Gewaltanwendung distanziert.

Der Verurteilte habe auch von September 2019 bis Oktober 2019 an einem sozialen Gruppentraining (SOTRA) des externen Anbieters „outlaw gGmbH“ teilgenommen, bei dem er Gewalt zunehmend nicht mehr als Konfliktlösungsmöglichkeit gesehen und eine von demokratischen Grundzügen geprägte Position eingenommen habe.

Weder in Gesprächen mit dem sozialen Dienst noch bei Haftraumkontrollen wurden Äußerungen oder wahrgenommen, die auf radikalisierendes oder rechtsextremes Gedankengut schließen lassen.

Der Verurteilte führt regelmäßig Gespräche mit dem Psychologischen Dienst. Aus der Haft heraus hat er sich um eine erneute Erwerbstätigkeit als Pfleger beim Deutschen Roten Kreuz beworben. Nach einer Entscheidung über eine Strafrestaussetzung werde er zu einem Gespräch geladen. Dieser angestrebten Tätigkeit kommt nach Bewertung der Sachverständigen Dr. ein hohes an selbststeuerstabilisierender Funktion zu.

Die Sachverständige sieht ein geschätztes Rückfallrisiko von unter 15 %. Der prognostisch bedeutsame Risikobereich beziehe sich einerseits auf die Persönlichkeitsstruktur des Verurteilten, auf die vor der Delinquenz bestehende Gruppenzugehörigkeit und andererseits auf die von dem Verurteilten für eine Zeit nach seiner Haftentlassung eher gering bestehende soziale Einbindung in Freundschaften und Bekanntschaften, die nicht der Gesinnungsgruppierung angehören. Die Sachverständige hat in ihrem schriftlichen Gutachten noch vor einer Haftentlassung und einer Rückkehr des Verurteilten in die eheliche Wohnung und auch in sein ehemaliges soziales Umfeld Vollzugslockerungen als absolut erforderlich angesehen. In der Anhörung hat sie ihre Bewertung jedoch dahin korrigiert, dass Lockerungen nur eine Empfehlung seien, um es dem Verurteilten leichter zu machen.

Zu der Gewährung von Lockerungen hat sich die Justizvollzugsanstalt bisher jedoch zurückhaltend geäußert. Während sie auf der einen Seite eine vorzeitige Entlassung befürwortet, hat sie in ihrer Anlassdiagnostik eine Ungeeignetheit für die Gewährung von Lockerungen gesehen, gleichwohl aber stufenweise Lockerungen empfohlen. Ein Vollzugsplan, der sich zu Lockerungen äußert, liegt bisher nicht vor, ist durch die Justizvollzugsanstalt vor einer Entscheidung nach § 57 StGB im vorliegenden Fall nicht vorgesehen und bedürfte insoweit auch noch der Zustimmung der Aufsichtsbehörde.

Das mit dem späten Eintritt der Rechtskraft und den noch nicht gewährten Lockerungen entstandene Prognosedefizit darf im vorliegenden Fall jedoch nicht zum Nachteil des Verurteilten verwertet werden.

Es besteht auch kein Anlass, aufgrund dieses Prognosedefizites von der Regelung in § 454a Abs. 1 StPO Gebrauch zu machen. Die Vorschrift ermöglicht es dem Vollstreckungsgericht, dem Freiheitsgrundrecht des Betroffenen über eine effektive Begrenzung der nachteiligen Folgen des Prognosedefizits praktische Wirksamkeit zu verleihen, ohne damit unverantwortbare Risiken auf die Allgemeinheit zu verlagern, indem es den zukünftigen Entlassungszeitpunkt so festlegt, dass der Vollzugsbehörde eine angemessene Erprobung des Verurteilten in Lockerungen möglich bleibt.

Zwar kommt dem von Verfassungs wegen ohnehin hoch zu veranschlagenden Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor dem Hintergrund des mangels Erprobung bestehenden Prognosedefizits gesteigerte Bedeutung zu. Die Verwertbarkeit des Umstandes fehlender Erprobung bei der Entscheidung über die Aussetzung generell auszuschließen, würde ein Risiko auf die Allgemeinheit verlagern, das im Einzelfall erheblich sein kann. Dem hat das Bundesverfassungsgericht Rechnung getragen und seine Aussage, dass Vollzugslockerungen von Rechts wegen nicht notwendigerweise Voraussetzung für eine bedingte Entlassung sind, im Kontext der lebenslangen Freiheitsstrafe um die Feststellung ergänzt, dass eine Erprobung in Lockerungen der (Entscheidung über die) Aussetzung des Strafrests in der Regel vorausgeht. Bei langen Haftzeiten zeigt sich typischerweise in besonderem die Notwendigkeit, in sorgfältig gestuftem Vorgehen durch Lockerungen die Resozialisierungsfähigkeit des Gefangenen zu testen und ihn schrittweise auf die Freiheit vorzubereiten. Den in Freiheit nicht erprobten Gefangenen nach langen Jahren des Vollzugs unvorbereitet in die Freiheit zu entlassen, begründet für sich genommen einen erheblichen Risikofaktor für einen Rückfall (BVerfG, Beschluss vom 30. April 2009 – 2 BvR 2009/08 -, juris).

Im vorliegenden Fall kommt jedoch in einer Gesamtschau dem Umstand, dass der Verurteilte bisher nicht in Lockerungen erprobt werden konnte, nicht ein solches Gewicht zu, dass eine vorzeitige Entlassung in Frage gestellt ist. Die bisher verbüßte Haftzeit ist nicht so erheblich, dass einer vorzeitigen Entlassung typischerweise Lockerungen vorhergehen müssten. Der Verurteilte verbüßt erstmals eine Freiheitsstrafe. Damit spricht zunächst eine Vermutung dafür, dass der Vollzug seine Wirkung erreicht hat und dies der Begehung neuer Straftaten entgegenwirkt (vgl. Fischer, StGB 67. Aufl. § 57 Rdnr. 14 m.w.N.). Diese Vermutung wird auch nicht durch negative Umstände widerlegt. Der Verurteilte hat alle zur Erreichung des Vollzugsziels angebotenen Maßnahmen wirksam ergriffen. Ein sozialer Empfangsraum ist vorhanden. Die Zukunftsplanungen des Verurteilten erscheinen nicht unrealistisch. Noch vorhandene Restzweifel an einer künftigen Straffreiheit des Verurteilten können danach überwunden werden. Sie werden nicht dadurch unüberwindbar, dass Lockerungen bisher nicht gewährt worden sind.“

OWi III: Abweichung von der Bedienungsanleitung, oder: Messung aber dennoch verwertbar

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Und als letzte OWi-Entscheidung dann der schon etwas ältere OLG Dresden, Beschl. v. 31.08.2018 – 22 Ss 486/18 Z. Der gehört in die Kategorie: Bedienungsanleitung, was ist das? 🙂 :

„Das Urteil wirft keine zur Fortbildung des materiellen Rechts geeigneten Rechtsfragen auf. Es ist obergerichtlich hinreichend geklärt, dass bei Abweichung von der Aufbau- bzw. Bedienungsanleitung grundsätzlich nicht mehr von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden kann. Dies hat jedoch kein Verwertungsverbot der Messung zur Folge, sondern diese ist dann – gegebenenfalls unter Heranziehung sachverständiger Hilfe – auf Messfehler zu überprüfen.

Vorliegend hat das Amtsgericht festgestellt, dass zwar der Abstand der in der Fahrbahn verlegten Induktionsschleifen 1,20 m unterschritten hat. Es hat jedoch weiter festgestellt, dass diese parallelen Induktionsschleifen an einen Detektorkanal angeschlossen waren und deshalb eine gegenseitige Beeinflussung der Schleifen durch das Streufeld ausgeschlossen ist. Dies begegnet keinen Rechtsbedenken.“

Wenn schon so, dann muss aber auch der Toleranzwert erhöht werden. Ob das geschehen ist/war, lässt sich dem OLG-Beschluss nicht entnehmen.