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Pflichti III: Noch einmal zu Beiordnungsgründen, oder: Gesamtstrafe, Vollstreckung, stotternder Beschuldigter

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Und im letzten „Pflichti-Posting“ des Tages – und wohl auch des Jahres, aber man soll ja nie nie sagen 🙂 – dann noch zwei Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen, und zwar einmal zur „Schwere der Tat“ in einem Gesamtstrafenfall und einmal zur Bestellung im Strafvollstreckungsverfahren. In beiden Fällen ist die Bestellung abgelehnt worden.

Hier die Leitsätze der beiden Entscheidungen – zum Teil mit meinen – Leitsätzen:

Die Schwelle für die Bestellung eines Pflichtverteidigers von einer Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe ist auch bei der Gesamtstrafenbildung maßgeblich, was selbst dann gilt, wenn die Gesamtstrafe aus der verfahrensgegenständlichen Verurteilung und -künftigen Verurteilungen aus noch nicht abgeschlossenen Verfahren gebildet werden wird oder insoweit zumindest in Betracht kommt. Etwas Anderes gilt jedoch dann, wenn die Straferwartung im anhängigen Verfahren die Gesamtstrafenbildung nur unwesentlich beeinflusst.

Für die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist im Strafvollstreckungsverfahren maßgeblich, ob die vollstreckungsrechtliche Lage schwierig ist. Das ist dann der Fall, wenn n tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Fragen aufgeworfen werden, die Aktenkenntnis erfordern und über die regelmäßig auftretenden Probleme hinausgehen. Dies ist dann nicht der Fall, wenn der Verurteilte in der Bewährungszeit erneut erheblich und einschlägig straffällig geworden und deswegen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Ob diese Entscheidung des OLG Brandenburg zutreffend ist, kann man m.E. ohne genaue Kenntnis der Umstände nicht beurteilen.

    1. § 140 Abs. 1 Nr. 11 StPO ist im Hinblick auf hör- und sprachbehinderte Beschuldigte wie § 140 Abs. 2 Satz 2 StPO a. F. auszulegen.
    2. Das Stottern eines Beschuldigten begründet den Fall einer notwenigen Verteidigung lediglich dann, wenn die Behinderung einen solchen Grad annimmt, dass die Befürchtung besteht, der Beschuldigte werde wegen seines Gebrechens nicht alles Notwendige sagen.

 

OWi I: Vorsätzliches Benutzen des Mobiltelefons, oder: Keine Erhöhung der Regelgeldbuße

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Und dann – bevor es morgen um’s Geld geht – heute drei OWi-Entscheidungen.

Ich beginne mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 08.09.2021 – 1 Ss 126/21 – zur unzulässigen Erhöhung der Regelgeldbuße bei vorsätzlichem Benutzen eines elektronischen Geräts (§ 23 Abs. 1a StVO):

„2. Das angefochtene Urteil war teilweise aufzuheben, weil das Amtsgericht Seesen bei der Bemessung der Geldbuße wegen verbotswidrigen Benutzens eines Gerätes zur Telekommunikation gemäß § 24 Abs. 1 StVG i. V. m. §§ 23 Abs. 1a, 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO zwar zutreffend von Ziffer 246.1 BKatVO ausgegangen ist, die Regelgeldbuße von 100,- € jedoch rechtsfehlerhaft wegen vorsätzlicher Begehung gemäß § 3 Abs. 4a BKatVO verdoppelt hat. Das war falsch, weil sich § 3 Abs. 4a BKatVO auf Tatbestände des Abschnitts I des Bußgeldkatalogs bezieht. Ziffer 246.1 gehört indes zum Abschnitt II der BKatVO, der mit den Worten „Vorsätzlich begangene Ordnungswidrigkeiten“ überschrieben ist, so dass § 3 Abs. 4a BKatVO auf diese Tatbestände nicht anwendbar ist.

Dieser Einordnung liegt zugrunde, dass die vorsätzliche Begehung bei dem in § 23 Abs. 1a StVO umschriebenen Fehlverhalten gerade keinen Anlass für eine Erhöhung des Bußgeldes gibt. Denn bei dem unzulässigen Benutzen eines Gerätes zur Telekommunikation ist regelmäßig von vorsätzlicher Tatbegehung auszugehen (KG Berlin, Beschluss vom 30. Dezember 2019, 3 Ws (B) 386/19122 Ss 173/19, juris, Rn. 2; OLG Bamberg, Beschluss vom 15. Januar 2019, 3 Ss OWi 1756/18, juris, Rn. 4; OLG Hamm, Beschluss vom 19. November 2008, 2 Ss OWi 547/08, juris, Rn. 7; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 6. September 2004, 1 Ss 138/04, juris, Rn. 17).

III.

Da somit die Voraussetzungen für eine Erhöhung der Geldbuße nicht gegeben waren, führt die zugelassene Rechtsbeschwerde auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs. Jedoch bedarf es keiner Zurückverweisung. Der Senat kann vielmehr, da Gründe für ein Abweichen von der Regelgeldbuße gemäß Ziffer 246.1 BKatV nicht ersichtlich sind, gemäß § 79 Abs. 6 OWiG selbst entscheiden (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, a.a.O., Rn. 20) und auf die Regelgeldbuße von 100,- € erkennen.“

Bewährung II: Bewährungsfrage und Urteilsgründe, oder: Bindung des Revisionsgerichts?

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Die zweite Entscheidung, der OLG Braunschweig, Beschl. v.  17.08.2021 – 1 Ss 36/21 -, nimmt noch einmal zu den Urteilsanforderungen betreffend das tatgerichtliche Urteil, wenn dieses Bewährung versagt, Stellung. Ist letztlich auch ein „Dauerbrenner“.

Das OLG führt dazu aus:

„Die Revision hat auch in der Sache Erfolg.

Der Angeklagte hat seine Revision wirksam auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt. Zwar hat der Verteidiger im Rahmen der Revisionsbegründung ausgeführt, dass die Sachrüge, soweit sie nachstehend vereinzelt werde, damit nicht beschränkt werden, vielmehr umfassend erhoben werden solle. Vor dem Hintergrund des eindeutig formulierten Hauptantrages ist die Erklärung jedoch dahingehend zu verstehen, dass der Angeklagte allein eine über die von ihm konkret genannten Aspekte hinausgehende umfassende Überprüfung der Bewährungsentscheidung begehrt. Auch der Hilfsantrag ist vor dem Hintergrund der Revisionsbegründung dahingehend auszulegen, dass der Angeklagte für den Fall, dass die von ihm mit dem Hauptantrag begehrte Entscheidung nach § 354 Abs. la StPO nicht in Betracht kommt, die Aufhebung und Zurückverweisung des Urteils begehrt, soweit ihm die Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist.

Die Ausführungen des Urteils zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung erweisen sich als materiell-rechtlich unvollständig.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat dazu in ihrer Stellungnahme vom 19. Juli 2021 ausgeführt:

„Die Prognoseentscheidung gem. § 56 StGB ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, dem hierbei zudem ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt, so dass das Revisionsgericht nach ständiger Rechtsprechung im Zweifel die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen muss (BGH, Urteil vom 25.04.2012, 5 StR 17/12, m. w. N.; OLG Braunschweig, Urteil vom 24.10.2014 1 Ss 61/14, zitiert nach beck-online). Es kann nur in Ausnahmefällen eingreifen, wenn erkennbar unzutreffende Maßstäbe angewandt, naheliegende Umstände übersehen oder festgestellte Umstände fehlerhaft gewichtet wurden (OLG Braunschweig a. a. 0.; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 56 Rn. 11). Dabei ist der Tatrichter zwar nicht gehalten, eine umfassende Darstellung aller irgendwie mitsprechenden Erwägungen vorzunehmen, es bedarf jedoch einer Erörterung der wesentlichen nach Lage des Falles bei der Entscheidung zu berücksichtigenden Gesichtspunkte. Das Tatgericht muss bei der vorzu-nehmenden umfassenden Bewertung sämtlicher für die Beurteilung maßgeblicher Tat-sachen darlegen, dass es bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung die erforderliche Gesamtwürdigung vorgenommen und dabei alle wesentlichen Umstände des Falles einbezogen hat (KG, Urteil vom 05.10.2007 – (4) 1 Ss 307/07 (191/07), (4) 1 Ss 307-07 (191/07), zitiert nach juris). Im Rahmen dieser vorzunehmen-den Gesamtwürdigung ist eine Gegenüberstellung der bisherigen und der gegenwärtigen Lebensverhältnisse des Täters erforderlich und bedarf es einer eingehenden Auseinandersetzung mit den Vortaten und den Umständen, unter denen sie begangen wurden (OLG Braunschweig, a. a. 0.; KG, a. a. 0.). Die Annahme oder die Verneinung einer günstigen Prognose bedarf dabei grundsätzlich einer eingehenden, nicht nur formelhaften, den Gesetzestext wiederholenden Darlegung, es muss aus den Urteils-gründen auch erkennbar sein, ob eine theoretisch mögliche Strafaussetzung mangels günstiger Kriminalprognose oder wegen des Fehlens besonderer Umstände nicht erfolgt ist (BGH, Beschl. v. 10.7.2014 — 3 StR 232/14, zitiert nach beck-online).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Denn den Urteilsausführungen ist bereits nicht vereinzelt zu entnehmen, ob das Gericht sich gem. § 56 Abs. 2 StPO [Anm. des Senates: § 56 Abs. 1 StGB] mangels positiver Sozialprognose oder mangels besonderer Umstände [Anm. des Senates: § 56 Abs. 2 StGB] an der Strafaussetzung zur Bewährung gehindert gesehen hat.

Das Amtsgericht hat in den Urteilsgründen umfassend ausgeführt, dass sich der geständige Angeklagte glaubhaft vom Betäubungsmittelkonsum distanziert habe und seit 3 Jahren keine neuen Verfahren bekannt geworden seien, woraus das Amtsgericht den Schluss gezogen hat, dass er nicht mehr mit Betäubungsmitteln handele oder diese konsumiere. Das Amtsgericht hat die Menge der aufgefundenen Betäubungsmittel und die Tatsache, dass es sich um eine „weiche“ Droge handelt, berücksichtigt und die Verfahrensdauer ebenso in die Bewertung eingestellt wie die Tatsache, dass der Angeklagte mit dem Widerruf der laufenden Bewährung zu rechnen hat, gleichwohl aber im Hinblick auf die Tatsache, dass der Angeklagte zur Tatzeit wegen einer einschlägigen Tat unter Bewährung stand, eine Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt.

Vorstrafen und Bewährungsversagen schließen eine erneute Strafaussetzung zur Bewährung nicht von vornherein aus. Ist der Angeklagte in der Vergangenheit einschlägig vorbestraft und Bewährungsversager, so kann zwar in der Regel nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden, dass er sich im Fall einer erneuten Bewährungschance anders als in der Vergangenheit verhalten wird, da er durch seine erneute Straffälligkeit gezeigt hat, dass er nicht willens oder fähig ist, sich frühere Verurteilungen zur Warnung dienen zu lassen (OLG Braunschweig a. a. 0.). Diese Indizwirkung kann jedoch entfallen, wenn nach Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten einschließlich seiner Beweggründe für die früheren Taten und deren Begleitumständen günstige Veränderungen in seinen Lebensverhältnissen festgestellt werden, die geeignet sind, die Annahme künftigen Wohlverhaltens zu tragen (OLG Koblenz, Urteil vom 01.09.2014 – 2 OLG 3 Ss 70/14, zitiert nach beck-online).

Eine dahingehende Abwägung sämtlicher relevanter Umstände ist den Urteilsausführungen nicht zu entnehmen; die Urteilsausführungen lassen vielmehr besorgen, dass das Amtsgericht sich allein aufgrund der Tatbegehung im Rahmen einer laufenden Bewährung an der Gewährung einer weiteren Strafaussetzung zur Bewährung gehindert gesehen hat.“

Dem tritt der Senat bei.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht, war das Urteil insoweit aufzuheben und im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Eine Entscheidung nach § 354 Abs. la StPO kam nicht in Betracht. Zwar kann der Senat gem. § 354 Abs.la StPO die Strafaussetzung zur Bewährung für aussetzungsfähige Freiheitsstrafen selbst gewähren, wenn der Tatrichter die für den Rechtsfolgenausspruch relevanten Tatsachen einschließlich der für die Prognose maßgeblichen tatsächlichen Grundlagen vollständig festgestellt hat und sich deren Voraussetzungen ohne Zweifel aus den Urteilsfeststellungen ergeben (OLG Celle, Beschluss vom 21. Dezember 2010, 32 Ss 142/10, Rn. 11, zitiert nach juris). Entgegen der Auffassung des Angeklagten fehlt es jedoch an der vollständigen Feststellung aller prognoserelevanter Umstände. Vielmehr erscheinen noch weitere prognoserelevante Feststellungen geboten. Ein wesentlicher Umstand für die zu treffende Prognoseentscheidung ist die Frage, ob der Angeklagte noch betäubungsmittelabhängig ist (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 16. Januar 2018, 1 OLG 2 Ss 74/17, Rn. 7f., m.w.N., zitiert nach juris). Insoweit sind die bisher vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen lückenhaft. Das Amtsgericht hat zu der Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten festgestellt, dass der 32-jährige Angeklagte seit seinem 16. Lebensjahr regelmäßig Cannabis und zur Tatzeit im Jahre 2018 zwei Gramm Cannabis täglich konsumiert habe. Des Weiteren hat das Amtsgericht festgestellt, dass sich der Angeklagte glaubhaft vom Betäubungsmittelkonsum distanziert habe, was es (nur) damit begründet, dass in den zurückliegenden 3 Jahren seit der Tatbegehung keine neuen Taten bekannt geworden seien. Allein darauf die Annahme zu stützen, dass der Angeklagte seine Betäubungsmittelabhängigkeit überwunden habe, greift indes zu kurz. Gänzlich unklar bleibt, wie es dem langjährig betäubungsmittelabhängigen Angeklagten gelungen ist, sich „zu distanzieren“, etwa durch die Wahrnehmung von Therapieangeboten, Wechsel seines sozialen Umfeldes etc.“

OWi II: Erhöhung der Regelgeldbuße, oder: Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen?

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Die zweite Entscheidung des Tages ist der OLG Braunschweig, Beschl. v. 13.04.2021 – 1 Ss (OWi) 103/20. Er nimmt noch einmal zur Erforderlichkeit von Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen eines Betroffenen bei der Bußgeldbemessung im Anwendungsbereich der BKatVO Stellung.

Das AG hat die Betroffene wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften um 66 km/h u.a. zu einer Geldbuße von 460,00 € verurteilt. Dazu das OLG:

„2. Die auf die allgemein erhobene Sachrüge hin veranlasste Nachprüfung der Rechtsfolgenentscheidung in materiell-rechtlicher Hinsicht deckt ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen auf. Insbesondere gefährdet es nicht den Bestand der Rechtsfolgenentscheidung, dass das Tatgericht trotz der Höhe der verhängten Geldbuße und der geringfügigen Erhöhung der Regelgeldbuße keine konkreten Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Betroffenen getroffen hat.

Die Bemessung der Rechtsfolgen liegt grundsätzlich im Ermessen des Tatgerichts, weshalb sich die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht darauf beschränkt, ob dieses von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat; insoweit ist die getroffene Entscheidung bis zur Grenze des Vertretbaren zu respektieren (OLG Braunschweig, Beschluss vom 8. Dezember 2012 – 1 Ss (OWi) 163/15, Rn. 11, juris; KG Berlin, Beschluss vom 12. März 2019 – 3 Ws (B) 53/19, Rn. 7, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. Januar 2017 – 2 Ss-OWi 1029/16, Rn. 9, juris).

Vorliegend weisen weder die Festsetzung der Geldbuße von 460,00 € noch die Anordnung des zweimonatigen Regelfahrverbots einen Rechtsfehler zu Lasten der Betroffenen auf.

a) Grundlage für die Bemessung der Geldbuße sind gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG zuvorderst die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den Täter trifft. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen kommen bei der Bemessung der Geldbuße gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG nur „in Betracht“ und bleiben bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten sogar regelmäßig unberücksichtigt. Sie spielen mithin bei der Bußgeldzumessung nur eine untergeordnete Rolle (OLG Hamm, Beschluss vom 10. Juli 2019 – III-3 RBs 82/19, Rn. 15, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. Januar 2017, Rn. 12, juris). Diese untergeordnete Rolle der wirtschaftlichen Verhältnisse findet bei Verkehrsordnungswidrigkeiten dadurch ihren Ausdruck, dass sich die Höhe der Bußgelder, deren Regelsätze durch den Verordnungsgeber in der Bußgeldkatalogverordnung aus Gründen der Vereinfachung sowie insbesondere auch der Anwendungsgleichheit festgelegt sind, in Übereinstimmung mit § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG an der Bedeutung des Verkehrsverstoßes und dem Tatvorwurf orientiert (OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. Januar 2017 – 2 Ss OWi 1029/16, Rn. 12, juris; KG Berlin, Beschluss vom 27. April 2020 – 3 Ws (B) 49/20122 Ss 19/20, Rn. 21, juris). Den Regelsätzen der Bußgeldkatalogverordnung liegen gewöhnliche Tatumstände und durchschnittliche wirtschaftliche Verhältnissen zugrunde (KG Berlin, a.a.O.; OLG Frankfurt, a.a.O., Rn. 12; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Juli 2019 – III – 3 RBs 82/19, Rn. 15, juris). Ein Regelfall i. S. d. Bußgeldkatalogverordnung setzt voraus, dass die Tatausführung allgemein üblicher Begehungsweise entspricht und weder objektiv noch subjektiv maßgebliche Besonderheiten aufweist; besondere Umstände, die ein Abweichen von der Regelrechtsfolge rechtfertigen, können in der Person des Betroffenen liegen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. Januar 2017 – 2 Ss OWi 1029/16, Rn. 12, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Juli 2019 – III-3 RBs 82/19, Rn. 15, juris) und sich dementsprechend auch aus besonders guten oder besonders schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen eines Betroffenen ergeben.

Die in der Bußgeldkatalogverordnung festgelegten Regelsätze (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BKatV) sowie auch die Regelfahrverbote sind Zumessungsrichtlinien im Rahmen von § 17 Abs. 3 OWiG. Sie haben Rechtssatzqualität; an sie sind im Regelfall nicht nur die Verwaltungsbehörden, sondern auch die Gerichte gebunden (BGH, Beschluss vom 28. November 1991 – 4 StR 366/91, BGHSt 38, 125-137, Rn. 24, m.w.N., zit. nach juris). Dies vermag zwar nichts daran zu ändern, dass Rechtsgrundlage für die Bußgeldbemessung auch unter dem Regime der Bußgeldkatalogverordnung die Kriterien des § 17 Abs. 3 OWiG bleiben (KG Berlin, Beschluss vom 27. April 2020 – 3 Ws (B) 49/20, Rn. 21, juris; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 11. November 2020, 201 ObOWi 1043/20, Ls. und Rn. 11, juris). Allerdings folgt aus der Regel-Ausnahme-Systematik des Bußgeldkataloges, dass Umstände aus dem persönlichen Bereich des Täters, die ein Abweichen von der im Bußgeldkatalog vorgegebenen Regelrechtsfolge rechtfertigen könnten – sei es von der Regelgeldbuße oder dem Regelfahrverbot –, nicht von vornherein Gegenstand der Amtsaufklärungspflicht sind. Diese Umstände, zu denen auch die wirtschaftlichen Verhältnisse – nicht aber etwaige Voreintragungen – gehören, hat das Tatgericht erst zu erwägen, wenn sich konkrete Anhaltspunkte für ihr Vorliegen ergeben (KG Berlin, Beschluss vom 27. April 2020, a.a.O, Rn. 21; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. Dezember 2018 – 1 Rb 10 Ss 644/18, Rn. 12, juris). Derartige konkrete Anhaltspunkte werden sich indes regelmäßig erst bei entsprechenden Angaben des Betroffenen ergeben. Diesem obliegt es mithin, durch eigenen konkreten Sachvortrag (zur Obliegenheit, etwaige Fahrverbotshärten umfassend vorzutragen vgl. KG Berlin, Beschluss vom 6. April 2018 – 3 Ws (B) 82/18, Rn. 12, juris; OLG Karlsruhe, a.a.O., sowie auch BGH, Beschluss vom 28. November 1991 – 4 StR 366/91, juris) die Aufklärungspflicht des Tatrichters auszulösen (KG Berlin, Beschluss vom 27. April 2020, a.a.O., Rn. 21; Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 27. Oktober 2020 – 1 SsBs 43/20, Ls. und Rn. 12, juris). Eine „Beweislast“ des Betroffenen ist damit nicht verbunden. Bei Vorliegen eines schlüssigen und substantiierten Sachvortrags hat der Tatrichter diesem nachzugehen und sich von dessen Richtigkeit zu überzeugen (OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 12).

b) Unter Anlegung dieses Maßstabes begegnet die Rechtsfolgenentscheidung des Amtsgerichts keinen Bedenken.

Rechtsfehlerfrei ist das Amtsgericht zunächst von der Regelgeldbuße von 440,00 € (§ 1 Abs. 2 BKatV i.V.m. lfd. Nr. 11.3.9 der Tabelle 1 des Anhangs zu Nr. 11 d. BKat) für den Fall fahrlässiger Begehungsweise und gewöhnlicher Tatumstände ausgegangen. Dass es diese Regelgeldbuße sodann im Hinblick auf die zwei rechtsfehlerfrei festgestellten Vorahndungen – äußerst maßvoll – auf 460,00 € erhöht hat, gefährdet den Bestand der Rechtsfolgenentscheidung nicht.

Zwar hat das Amtsgericht zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Betroffenen lediglich festgestellt hat, diese verfüge als selbständige Pharmareferentin über ein geregeltes Einkommen. Das Fehlen weitergehender Feststellungen – insbesondere zur konkreten Höhe des Einkommens der Betroffenen – ist bei Zugrundelegung des oben dargelegten Maßstabes indes rechtlich nicht zu beanstanden. Denn das Amtsgericht hat das Abweichen vom Regelsatz nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen gestützt und auf der Grundlage der vorgenannten Angaben der in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen, die sich über ihre Angaben (selbständige Pharmareferentin mit geregeltem Einkommen) hinaus zur Sache nicht eingelassen hat, bestand für das Amtsgericht kein konkreter Anhalt dafür, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit der Betroffenen unterdurchschnittlich sein könnte.

Soweit der Senat in der Vergangenheit vertreten hat, bei jeder Abweichung von der in der Bußgeldkatalogverordnung vorgegebenen (ggf. nach § 3 Abs. 4a BKatV verdoppelten) Regelgeldbuße seien jenseits der Geringfügigkeitsschwelle von 250,- € in den Urteilsgründen grundsätzlich Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen erforderlich (OLG Braunschweig, Beschluss vom 20. Oktober 2015 – 1 Ss (OWi) 156/15, Rn. 12, juris), wird hieran nicht festgehalten. Denn es würde dem Regel-Ausnahme-System der Bußgeldkatalogverordnung zuwiderlaufen, allein deshalb, weil das Tatgericht die Regelgeldbuße wegen festgestellter straßenverkehrsrechtlicher Vorbelastungen (angemessen) erhöht hat, auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen eine tatrichterliche Aufklärung zu verlangen. Die wegen der persönlichen Schuld des Wiederholungstäters erfolgende Erhöhung der Regelgeldbuße berührt die Frage, ob das Bußgeld unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse angemessen ist, in keiner Weise. Im Falle einer maßvollen Erhöhung der Regelgeldbuße besteht ferner auch kein Anlass, an der – ohne die Erhöhung bei fehlenden Angaben des Betroffenen nicht in Frage stehenden – Leistungsfähigkeit des Betroffenen zu zweifeln. Schließlich kommt noch hinzu, dass es bei einem zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen schweigenden Betroffenen auch unverhältnismäßig wäre, diese Feststellungen mit einer – ggf. mit schwerwiegenden Grundrechtseingriffen einhergehenden und zur Bedeutung der Tat und Höhe der Geldbuße außer Verhältnis stehenden – Maßnahme wie der Durchsuchung der Wohn- oder Geschäftsräume nach Einkommensnachweisen des Betroffenen zu treffen (KG Berlin, Beschluss vom 12. März 2019 – 3 Ws (B) 53/19, Rn. 14, juris).“

OWi III: Zweimal Zitiergebot/StVO-Novelle 2020, oder: OLG Hamm und OLG Braunschweig

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Und zur Abrundung am Tagesschluss dann noch zwei Entscheidungen zum „Zitiergebot“ – Stichwort: StVO-Novelle 2020.

Das OLG Hamm meint im OLG Hamm, Beschl. v. 25.01.2021 – III-1 RBs 226/20:

Die Frage, ob die 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften wegen Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche Zitiergebot aus Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG unwirksam ist, kann offen bleiben, denn selbst wenn das anzunehmen wäre, führt dies nicht dazu, dass die BKatV in ihrer bisherigen Form keine Grundlage mehr für die Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten darstellt (Anschluss: BayObLG, Beschl. v. 11.11.2020 – 201 ObOWi 1043/20).

Und dann noch das OLG Braunschweig mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 04.12.2020 – 1 Ss (OWi) 173/20 -, der folgende Leitsätze hat:

1. Die Straßenverkehrsordnung in der Fassung vom 6. März 2013 verletzt das Zitiergebot nicht. Durch die in der Eingangsformel erfolgte Nennung einzelner Buchstaben des § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG ist auch der erste Halbsatz von § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG – der die allgemeine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass für Vorschriften, unter anderem zur Erhaltung der Sicherheit und Ordnung auf öffentlichen Straßen, beinhaltet – mitumfasst. Denn der den Buchstaben nachfolgende Text bildet mit dem vorhergehenden ersten Satzteil (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1 StVG mit dem jeweils nachfolgenden zweiten Satzteil der verschiedenen Buchstaben) eine untrennbare Einheit.

2. Eine etwaige (Teil-) Nichtigkeit der am 28. April 2020 in Kraft getretenen 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20. April 2020 wegen des fehlenden Zitats der für die Einführung der erweiterten Regelfahrverbote maßgeblichen Ermächtigungsgrundlage des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StVG steht der Ahndung einer zuvor begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit auf der Grundlage der vorherigen Fassung der BKatV nicht entgegen.