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Pflichti XII: Aus dem Verfahren – Beschwer, Rechtliches Gehör und Anrechnung beim Teilfreispruch

Machen wir heute einen „Pflichtverteidigertag“. Nach dem Hinweis auf vier Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen (vgl. hier das Posting zur Munition im Beiordnungskampf) folgen daher nun einige Entscheidungen zu verfahrensrechtlichen Fragen in Zusammenhang mit der Pflichtverteidigerbestellung, die sich in der letzten Zeit bei mir angesammelt haben. Das sind:

  • noch einmal der KG, Beschl. v. 31.03.2014 – 4 Ws 27/14 – zur fortdauernden Beschwer durch Ablehnung einer Pflichtverteidigerbestellung auch bei (nicht rechtskräftigem) Abschluss des Berufungsverfahrens mit dem Leitsatz: „Der (nicht rechtskräftige) Abschluss des Verfahrens in der Berufungsinstanz steht der Zulässigkeit der Beschwerde gegen eine im Berufungsverfahren erfolgte Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht entgegen.“, durch den sich das KG von früherer (eigener) Rechtsprechung abgrenzt,
  • der OLG Braunschweig, Beschl. v. 26.05.2014 und 1 Ws 144/14, 1 Ws 146/14, zum Umfang der Anrechnung der Pflichtverteidigergebühr auf den Kostenerstattungsanspruch nach Teilfreispruch mit dem Leitsatz: „Der Anspruch eines teilweise Freigesprochenen auf Ersatz seiner notwendigen Auslagen (Wahlverteidigergebühren) ist trotz des Teilfreispruchs um die gesamte, von der Staatskasse ausgezahlte Pflichtverteidigergebühr zu kürzen.“, der der inzwischen h.M. in dieser Frage folgt.

Die Höhe der Geldstrafe bei Leistungsempfängern nach dem SGB II – 15 €/Tag dürfen es sein

© mpanch - Fotolia.com

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Die zulässige Höhe der Geldstrafe bzw. des Tagessatzes bei einem Leistungsempfänger nach dem SGB II beschäftigt die OLG immer wieder. So vor kurzem auch das OLG Braunschweig im OLG Braunschweig, Beschl. v. 19.05.2014 – 1 Ss 18/14, dass die insoweit weitgehend einhellige Auffassung der OLG noch einmal zusammenfasst. Daher sollen die Leitsätze genügen, die wie folgt lauten:

„1. Zur Ermittlung des Nettoeinkommens i. S. d. § 40 Abs. 2 S 2 StGB sind bei Leistungsempfängern nach dem SGB II neben dem Regelbedarf (§ 20 SGB II in Verbindung mit den Bekanntmachungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales über die Höhe der Regelbedarfe) auch Leistungen gemäß § 22 SGB II (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) einzubeziehen.

2. Bei der Bemessung der Geldstrafe und der Anordnung von Zahlungserleichterungen ist darauf zu achten, dass dem Leistungsempfänger monatlich 70 % des Regelbedarfs als unerlässliches Existenzminimum verbleiben.“

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Wann muss ich eigentlich einen “Erstreckungsantrag” stellen?

© haru_natsu_kobo - Fotolia.com

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Am vergangenen Freitag hatte ich die Frage: Ich habe da mal eine Frage: Wann muss ich eigentlich einen “Erstreckungsantrag” stellen?, zur Diskussion gestellt. Ich hoffe, der ein oder andere hat die Lösung gefunden. Für die, die noch überlegen, hier dann (meine) Lösung – ich formuliere bewusst mit „meine“, weil die Frage in der obergerichtlichen Rechtsprechung inzwischen nicht mehr ganz unstreitig ist.

Nun, m.E. muss in dem von mir geschilderten Fall – Reihenfolge: Verbindung und dann Beiordnung – kein Erstreckungsantrag gestellt werden. Der Fall löst sich m.E. problemlos nach § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG (so schon im Jahr 2005 das OLG Hamm zur Vorgängerregelung des § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG a.F.). Aber wie das immer so ist: Es geht ums Geld, ggf. sogar viel Geld, wenn es viele verbundene Verfahren sind und da sind einige OLG auf die Idee gekommen, auch den Fall über § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG bzw. § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG a.F.) zu lösen und auch in diesen Fällen einen Erstreckungsantrag zu verlangen (vgl. dazu z.B. zuletzt das OLG Braunschweig im OLG Braunschweig, Beschl. v. 22.04.2014, 1 Ws 48/14, auf den ich gerade passend gestoßen bin). Ist m.E. nicht richtig, aber das Lamentieren nutzt nichts und dagegen anschreiben kann man auch, es bringt nur nichts. Also kann man nur raten: Erstreckungsantrag immer stellen, wenn es um die Verbindung von Verfahren bei der Pflichtverteidigung geht. Dann ist man auf der sicheren Seite.

Und was machen wir mit dem fragenden Kollegen? Ist da alles zu spät? Nein, m.E. nicht. Er kann den Erstreckungsantrag auch noch im Vergütungsfestsetzungsverfahren stellen. Das habe ich ihm geraten. Mal sehen, was daraus wird.

Also: „Murmel“ hatte in seinem Kommentar zum Ausgangspsoting die Lösung schon gefunden. Super 🙂

Wiedereinsetzungsantrag: Zur Begründung „Butter bei die Fische“

AusrufezeichenEine an sich eindeutige (Rechts)Lage behandelt der OLG Braunschweig, Beschl. v. 08.01.2014 – 1 Ws 380/13 -, die aber in der Praxis doch immer wieder übersehen wird und die man daher immer mal wieder ins Gedächtnis rufen muss. Es geht um die Wiedereinsetzung nach einer Berufungsverwerfung gem. § 329 Abs. 1 StPO und um die an das Wiedereinsetzungsgesuch zu stellenden Anforderungen. Im Fall war der Angeklagte nicht zum Berufungshauptverhandlungstermin erschienen und hatte zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrag (nur) vorgetragen, dass er am Verhandlungstag verhandlungsunfähig erkrankt gewesen sei und zum Beleg ein Attest einer Fachärztin für Allgemeinmedizin vorgelegt, in dem ihm ohne weitere Ausführungen die Verhandlungsunfähigkeit attestiert wird. Das reicht nicht, denn:

„Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist bereits unzulässig. Zulässigkeitsvoraussetzung für ein Wiedereinsetzungsgesuch ist nach §§ 329 Abs. 3, 45 StPO unter anderem die konkrete Angabe über den Hinderungsgrund. Diesem Erfordernis genügt ein Antragsteller nur, wenn er die Umstände vorträgt, die dazu geführt haben, dass ihm die Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht zuzumuten war. Beruft sich ein Angeklagter auf eine Erkrankung, ist deren Art anzugeben sowie der Umfang der von ihr ausgehenden körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen darzulegen (KG, Beschluss vom 06.02.2007, 1 AR 152/072 Ws 99/07, juris, Rn. 4 = StraFo 2007, 244; OLG Köln, Beschluss vom 10.12.2008, 2 Ws 613/08, juris, Rn. 3; Maul in Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 45 Rn. 7). Das Attest vom 8. November 2013 genügt diesen Anforderungen nicht, weil ihm – wie die Kammer zutreffend ausgeführt hat – die Art der Erkrankung nicht zu entnehmen ist und auch Angaben zu den Auswirkungen der Erkrankung fehlen. Dass die Ärztin Verhandlungsunfähigkeit diagnostizierte, ist bedeutungslos, weil es sich dabei um einen Rechtsbegriff handelt (KG, aaO.) und dem Senat die Tatsachen fehlen, um diesen auszufüllen.

Der Revisionsentscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 20. Februar 1987 (NJW 1988, 2965 [OLG Frankfurt am Main 20.02.1987 – 1 Ss 468/86]) und der Rechtsbeschwerdeentscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 11. Mai 1998 (NJW 1999, 879), die die Generalstaatsanwaltschaft beide in ihrer Stellungnahme vom 13. Dezember 2013 zitiert, kommt für die Zulässigkeit des auf das Attest gestützten Wiedereinsetzungsgesuchs keine maßgebliche Relevanz zu. Denn bei beiden Entscheidungen ging es darum, dass dem Tatgericht ein unzureichendes Attest bereits während der Hauptverhandlung vorlag. In solchen Fällen ist das Gericht wegen seiner Aufklärungspflicht von Amts wegen gehalten, im Wege des Freibeweises durch Rückfrage beim Arzt zu ermitteln, ob Tatsachen vorliegen, die die Verhandlungsunfähigkeit rechtfertigen (OLG Köln, Beschluss vom 08.12.2009, 81 Ss 77/09, juris, Rn. 14). Im Wiedereinsetzungsverfahren trifft das Gericht demgegenüber keine Aufklärungspflicht. Die Tatsachen sind vielmehr vom Antragsteller vorzutragen (KG, Beschluss vom 02.11.2009, 3 Ws 624/09, 1 AR 1753/09, juris, Rn. 4).

Und: Nachbessern im Beschwerdeverfahren geht auch nicht, da der erforderliche Vortrag dann nicht mehr innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 StPO erfolgt. Also: „Butter bei die Fischer“ bei der Antragsbegründung. Nachliefern geht nicht.

Tabula rasa beim Starenkasten, oder: Eine besondere Art des Einspruchs/der Verfahrenserledigung

© lassedesignen - Fotolia.com

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Ich habe gerade unter Tabula rasa, oder: Warum klaue ich einen “Starenkasten”? über einen Betroffenen (?) berichtet, der einen Starenkasten geklaut hat. Da stoße ich auf den OLG Braunschweig, Beschl. v. . 18. 10. 2o13 – 1 Ss 6/13. Dem liegt auch eine besondere Art des Einspruchs/der Verfahrenserledigung zugrunde, die sich ein Kraftfahrzeugführer im OLG-Bezirk Braunschweig ausgesucht hat. Der hat dafür allerdings zunächst mal eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten „eingefangen“.

Der (spätere) Angeklagte  war wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung geblitzt worden und befürchtete daher ein Bußgeldverfahren und zudem die  Überprüfung der Wirksamkeit seiner polnischen Fahrerlaubnis. Deshalb hat versucht, „Tabula rasa“ zu machen und hat die Geschwindigkeitsmessanlage in Brand gesetzt, um das darin von ihm gespeicherte Bild unverwertbar zu machen. Das LG Braunschweig hat den Angeklagten deshlab wegen eines Verstoßes gegen § 306 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB verurteilt.

Das OLG Braunschweig sieht das im OLG Braunschweig, Beschl. v. . 18. 10. 2o13 – 1 Ss 6/13 – anders.

  • Es handle sich bei dem Geschehen nur um eine einfache Sachbeschädigung nach § 303 StGB. Der Tatbestand des § 306 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB sei nicht einschlägig, weil eine Geschwindigkeitsmessanlage keine technische Einrichtung sei und mit einer solchen Handlung keine Gemeingefährlichkeit verbunden ist. Für Letzteres sei  maßgebend, ob das Inbrandsetzen der Geschwindigkeitsmessanlage generell als geeignet anzusehen sei, nicht nur den Messanlageneigentümer zu schädigen, sondern auch sonstige Rechtsgüter zu beeinträchtigen. Dies sei bei der Geschwindigkeitsmessanlage nicht der Fall.
  • Auch eine Verurteilung wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung (§ 304 StGB ) konnte nach Auffassung des OLG nicht erfolgen, weil eine Geschwindigkeitsmessanlage kein Gegenstand ist, der zum öffentlichen Nutzen aufgestellt sei. Hierunter fallen nur solche Gegenstände, bei denen anzunehmen ist, dass jedermann aus ihrem Vorhandensein oder ihrem Gebrauch einen unmittelbaren Nutzen ziehen kann. Das sei bei Geschwindigkeitsmessanlagen nicht gegeben.
  • Schließlich hat das OLG auch den Tatbestand der versuchten Unterdrückung technischer Aufzeichnungen (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2, Abs. 2 StGB) verneint. Die Vereitelung des staatlichen Bußgeldanspruchs sei kein Nachteil i.S. d. dieser Vorschrift (BGH StraFo 2011, 23).

Trotz der Verurteilung nur wegen einfacher Sachbeschädigung: Das Bußgeldverfahren wäre sicherlich billiger gewesen als das Strafverfahren mit einer strafrechtlichen Verurteilung. Abgesehen davon, dass wegen der Messanlage dem Angeklagten Schadensersatzansprüche in Höhe von rund 40.000 Euro drohen.

Und: Ceterum censeo: Hier geht es zur Abstimmung Beste Jurablogs Strafrecht 2014 – wir sind dabei, die Abstimmung läuft…