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Welche Tagessatzhöhe beim SGB II – Empfänger?

© Gina Sanders - Fotolia.com

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Im Strafverfahren spielt bei der Verhängung einer Geldstrafe vorrangig die Anzahl de Tagessätze eine große Rolle. Die Tagessatzhöhe steht häufig erst an zweiter Stelle, hat aber natürlich Bedeutung für die „wirtschaftliche Gesamtbelastung“ des Verurteilten. Und in dem Zusammenhang ist dann die Frage nach der Höhe des Nettoeinkommens und die Frage, ob und welche Abschläge ggf. zu machen sind, von Belang. Und das ist gerade/vor allem bei Beziehern von Sozailleistungen wichtig. Mit den damit zusammenhängenden Fragen befasst sich (noch einmal) der OLG Braunschweig, Beschl. v. 26.06.2015 – 1 Ss 30/15, dem folgende amtliche Leitsätze voran gestellt sind:

Bei der Bemessung der Tagessatzhöhe ist in der Regel vom Nettoeinkommen auszugehen (Nettoeinkommensprinzip); etwaige Abweichungen vom Nettoeinkommensprinzip sind in einer einzelfallorientierten Erörterung der Gesamtbelastung eines Angeklagten (Vermögen, Verbindlichkeiten etc.) nachvollziehbar zu begründen.

Bei Empfängern von Leistungen nach dem SGB II besteht zwar Anlass, eine Herabsetzung der Tagessatzhöhe sorgsam zu prüfen. Allein der Bezug solcher Leistungen ersetzt die für eine Herabsetzung der Tagessatzhöhe erforderliche Erörterung der Gesamtbelastung indes nicht.

Zu den „Abschlägen“ führt das OLG aus:

„Dass Empfänger von Leistungen nach dem SGB II als nahe am Existenzminimum Lebende durch das Nettoeinkommensprinzip „systembedingt härter getroffen werden als Normalverdienende“ ist zwar ebenfalls zutreffend und kann durchaus Anlass sein, ein Absenken der Tagessatzhöhe sorgsam zu prüfen (OLG Braunschweig, Beschluss vom 19.05.2014, 1 Ss 18/14, juris, Rn. 9 = NdsRpfl 2014, 258; OLG Hamm, Beschluss vom 02.02.2012, III-3 RVs 4/12, juris, Rn. 18; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 40 Rn. 11 a). Der bloße Hinweis auf den Bezug von Leistungen nach dem SGB II, worin sich die Zumessungsentscheidung der Kammer hier erschöpft, ersetzt indes nicht die nach der Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 10.01.1989, 1 StR 682/88 = NStZ 1989, 178; OLG Hamm, Beschluss vom 21.11.2006, 3 Ss 356/06, juris, Rn. 4 = wistra 2007, 191) bei einem Absenken der Tagessatzhöhe gebotene Darlegung der maßgeblichen Umstände. Denn ein Abweichen vom Nettoeinkommensprinzip kann nicht allein damit begründet werden, dass ein Angeklagter ein bestimmtes Nettoeinkommen – hier als Empfänger von Leistungen nach dem SGB II ein solches von 732, – € – erhält. Erforderlich ist vielmehr eine einzelfallorientierte Erörterung der Gesamtbelastung eines Angeklagten, die die konkrete Strafe mit den (vom Nettoeinkommen verschiedenen) übrigen wirtschaftlichen Verhältnissen eines Angeklagten (Vermögen, Verbindlichkeiten etc.) in Beziehung setzt (Häger in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 40 Rn. 53 m.w.N.). Daran fehlt es.“

Vollrausch beim OLG/LG?, oder: Strafzumessung ist doch wohl schwer

© ferkelraggae - Fotolia.com

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Wegen der materiellen Fragen zum Vollrausch hatte ich ja bereits über den OLG Braunschweig, Beschl. v. 04.07.2014 – 1 Ss 36/14 – berichtet (vgl. Vollrausch), auf den ich dann noch einmal zurückkomme. Zu dem PostingBeschluss hatte es übrigens einen sehr schönen 🙂 Kommentar eines Lesers gegeben, der sich auf die Segelanweisung des OLG an das LG bezog, nämlich in der neuen Hauptverhandlung einesn Sachverständigen beizuziehen:

“[…]berufene Kammer für die Beurteilung der Schuldfähigkeit schon wegen des Cannabiskonsums einen Sachverständigen wird heranziehen müssen.[…]”
Jetzt braucht die Kammer schon einen Sachverständigen, da sie wegen des eigenen Cannabiskonsums nicht mehr zur Beweiswürdigung in der Lage ist. Justizskandal 2.0„.

Nun, ganz so schlimm wird es (hoffentlich) nicht (gewesen) sein. Wenn man jedoch die Ausführungen des OLG zur landgerichtlichen Strafzumessung liest, hat man allerdings schon den Eindruck, dass das LG bei der Strafzumessung nicht ganz auf der insoweit erforderlichen juristischen Höhe war, – aus welchen Gründen auch immer. Denn das OLG hat gleich drei Fehler festgestellt:

„3. Dem Landgericht sind darüber hinaus weitere Rechtsfehler bei der Strafzumessung unterlaufen:

So ist die Kammer zwar gemäß § 323 a Abs. 2 StGB vom Strafrahmen des § 315 c Abs. 3 StGB (Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren) ausgegangen, sie hat aber nicht die gebotenen Feststellungen zu einer etwaigen Strafmilderung nach §§ 49 Abs.1, 21 StGB getroffen. Solche Feststellungen wären erforderlich gewesen, weil die Kammer Schuldunfähigkeit nicht ausschließen konnte und lediglich von verminderter Schuldfähigkeit ausgegangen ist (UA S. 14). Ist das Verhältnis von Vollrausch und Rauschtat ein Stufenverhältnis, das die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ rechtfertigt, dürfen einem Angeklagten keine Nachteile aus seiner Anwendung erwachsen. Die Kammer hätte deshalb die Milderung des Strafrahmens erwägen müssen (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 17.10.1991, 4 StR 465/91, juris, Rn. 7; BGH, NStZ-RR 1996, 290; BGH, Urteil vom 28.06.2000, 3 StR 156/00, juris, Rn. 14; Münchner Kommentar/Geisler, § 323 a StGB, Rn. 80).

Sodann durfte das Landgericht die Höhe der Blutalkoholkonzentration von 2,15 g Promille, die aus Sicht der Kammer ein besonderes Maß an Pflichtwidrigkeit offenbare (UA S. 15), nicht strafschärfend berücksichtigen. Das Landgericht hat damit in unzulässiger Weise den Grund der Strafbarkeit, nämlich den Rausch, strafschärfend gewertet haben (vgl. hierzu: BGHR § 46 Abs. 3 StGB Vollrausch 1).

Ein weiterer Fehler ist der Kammer unterlaufen, als sie den hohen Schaden des Pkw (ca. 9000,- €) zulasten des Angeklagten gewertet hat (UA S.6, 16). Diesen Schaden durfte die Kammer zwar als besondere Folge der Tat berücksichtigen, obgleich sich die Strafzumessung grundsätzlich an den tatbezogenen Umständen der Rauschtat zu orientieren hat (Fischer, StGB, 61. Aufl., § 323 a Rn. 22) und die Gefährdung des Täterfahrzeugs bei § 315 c StGB nicht vom Schutzbereich erfasst wird (BGHSt 27, 40; BGH, Beschluss vom 19.01.1999, 4 StR 663/98, juris, Rn. 9; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 315 c Rn. 15 c). Das Landgericht hätte den Schaden jedoch nicht – wie geschehen – auf der Grundlage einer bloßen „Einschätzung des Zeugen B.“ ermitteln dürfen, weil nicht erkennbar ist, weshalb der Zeuge (Polizeibeamter) über die erforderliche Sachkunde verfügt.“

Vollrausch

© ExQuisine - Fotolia.com

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Der OLG Braunschweig, Beschl. v. 04.07.2014 – 1 Ss 36/14 – behandelt zunächst mal „nur“ einen Vollrausch (§ 323a StGB) Problematik, zu der ich hier nur die Leitsätze des OLG einstellen will, da sich die m.E. von selbst erschließen und nichts wesentlich Neues enthalten, nämlich

1. Ein Rausch i. S. d. § 323a StGB verlangt den sicheren Nachweis, dass sich der Täter in einen Zustand versetzt hat, der ihn so beeinträchtigt, dass mindestens der Bereich verminderter Schuldfähigkeit erreicht ist.

2. Es gibt keinen gesicherten medizinisch-statistischen Erfahrungssatz, der dazu berechtigt, allein wegen einer bestimmten Blutalkoholkonzentration auf eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit zu schließen. Liegt der Wert der Blutalkoholkonzentration über 2 g Promille besteht zwar Anlass, die Frage der verminderten Schuldfähigkeit zu erörtern und entsprechende Feststellungen zu treffen, jedoch bedeutet dies für sich allein noch nicht, dass eine verminderte Schuldfähigkeit tatsächlich sicher anzunehmen wäre.

3. Die sog. Maximalrechnungsmethode (maximaler Abbauwert von 0,2 g Promille je Stunde sowie einmaliger Sicherheitszuschlag von 0,2 g Promille) führt zu besonders hohen Blutalkoholkonzentrationen und darf deshalb nicht zur Anwendung kommen, wenn sich die Höhe der Blutalkoholkonzentration – wie hier bei der Feststellung des Tatbestands – zum Nachteil des Täters auswirkt.

4. Ist das Verhältnis von Vollrausch und Rauschtat ein Stufenverhältnis, das die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ rechtfertigt, dürfen einem Angeklagten keine Nachteile aus seiner Anwendung erwachsen.

So weit, so gut, da weiß das LG dann wie es nach Aufhebung durch das OLG mit dem Verfahren umgehen soll/muss, vor allem weil das OLG dann in der „Segelanweisung“ – ggf. sicherheitshalber – gleich noch eine weitere Vorgabe macht:

„Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die nunmehr zur Entscheidung berufene Kammer für die Beurteilung der Schuldfähigkeit schon wegen des Cannabiskonsums einen Sachverständigen wird heranziehen müssen. Außerdem wird sie bei der Frage der Schuldfähigkeit ein größeres Augenmerk auf psychodiagnostische Umstände legen müssen. In diesem Zusammenhang erscheint es auf der einen Seite von Bedeutung, dass der Angeklagte nach dem Feststellungen der Kammer (UA S. 5 f.) immerhin in der Lage war, das Fahrzeug von Göttingen bis Hillerse zu steuern. Auf der anderen Seite wird die Kammer aber auch das ungewöhnliche Nachtatverhalten des Angeklagten, der trotz des Unfalls in dem Wagen blieb und sich erst einmal schlafen gelegt hat (UA S. 6), in ihre Überlegungen einbeziehen müssen. Ebenso gilt dies für die Frage, ob eine fahrlässige oder aber vorsätzliche Begehungsweise anzunehmen ist, denn auch letztere erscheint, gerade wegen der kombinierten Rauschmittel, durchaus möglich.“

Also danach kann dann ja nun gar nichts mehr falsch gemacht werden, zumal das OLG auch Anmerkungen zur Strafzumessung hatte. Aber auf die komme ich noch mal gesondert zurück.

 

 

(Akten)Einsicht im Bußgeldverfahren – die Hürden in der Rechtsbeschwerde sind (zu) hoch

© M. Schuppich - Fotolia.com

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Nachdem die mit der (Akten)Einsicht im Bußgeldverfahren zusammenhängenden Fragen Rechtsprechung und Literatur – und auch dieses Blog 🙂 – lange beschäftigt haben, ist seit einiger Zeit einigermaßen Ruhe eingekehrt. Nur vereinzelt gibt es noch Entscheidungen, meist dann von den OLG, die sich mit Rechtsbeschwerdefragen befassen. So dann jetzt vor kurzem z.B. der OLG Braunschweig, Beschl. v. 12.05.2014, 1 Ss (OWi) 34/14, der – wie andere OLG auch – die Hürden hoch legt. M.E. zu hoch, aber da nutzt das Lamentieren nicht, man muss als Verteidiger die Rechtsprechung der OLG kennen und umsetzen. Hier dann die Leitsätze der Entscheidung:

„1. Wird einem Betroffenen vom Tatrichter die Einsicht in die Bedienungsanleitung eines Geschwindigkeitsmessgeräts versagt, ist im Rechtsbeschwerdeverfahren regelmäßig vorzutragen, welche Tatsachen sich aus der Bedienungsanleitung hätten ableiten lassen und welche Konsequenzen sich für die Verteidigung hieraus ergeben hätten (§ 79 Abs. 3 OWiG i. V. m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO).

2. Sofern eine konkrete Benennung dieser Tatsachen mangels Zugriffs auf die Bedienungsanleitung nicht möglich ist, muss sich der Rechtsbeschwerdebegründung jedenfalls entnehmen lassen, welche Anstrengungen der Verteidiger bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge (= Rechtsbeschwerdebegründungsfrist) unternommen hat, um sich Einsicht in die Bedienungsanleitung zu verschaffen (Anschluss: OLG Celle, Beschluss vom 28.03.2013, 311 SsRs 9/13, zfs 2013, 412; OLG Celle, Beschluss vom 10.06.2013, 311 SsRs 98/13, zfs 2013, 652).“

Fahrspurbenutzungsverbot -ja, Geschwindigkeitsüberschreitung – nein, ggf. aber doch Fahrverbot?

© lassedesignen - Fotolia.com

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Wir kennen die Situation alle: Meist ist es eine BAB mit mehreren Fahrspuren, für die über eine Schilderbrücke unterschiedliche Geschwindigkeiten geschaltet werden können. So auch in einem OWi-Verfahren, das dann seinen Weg zum OLG Braunschweig gefunden hat. Da war bei einer dreispurigen Fahrbahn die zulässige Geschwindigkeit zur Tatzeit auf dem linken Fahrstreifen von drei Fahrstreifen durch Verkehrszeichen 274 auf 60 km/h. Über der mittleren und der rechten Fahrspur zeigte die Brücke hingegen „rote gekreuzte Schrägbalken“. Der Betroffene fuhr auf der mittleren Spur mit einer über 60 km/h liegenden Geschwindigkeit. Ergebnis: Bußgeldverfahren und Verurteilung nicht nur wegen des Verstoßes gegen das Fahrstreifenbenutzungsverbotes sondern auch wegen Geschwindigkeitsüberschreitung. Der OLG Braunschweig, Beschl. v. 27.05.2014 – 1 Ss (OWi) 26/14 – hebt wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung auf:

„Dem Betroffenen ist neben dem nach §§ 24 Abs. 1 StVG, 49 Abs.3 S. 2 StVO bußgeldbewehrten Verstoß gegen das Fahrstreifenbenutzungsverbot des § 37 Abs. 3 S. 2 StVO kein Verstoß gegen §§ 24 Abs. 1 StVG, 41 Abs. 1 StVO i. V. m. Zeichen 274 der Anlage 2 vorzuwerfen, weil auf der mittleren Fahrspur, die der Betroffene nach den Urteilsfeststellungen benutzte, keine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h angeordnet war. Das Verkehrszeichen 274 bezog sich, wie dies den VwV zu § 41 (dort Rn. 3) entspricht, ausdrücklich nur auf den linken Fahrstreifen.

Diese Bewertung des Senats beruht auf dem Analogieverbot (vgl. hierzu: Gürtler in Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 3 Rn. 6) und führt nicht zu Verfolgungslücken. Vielmehr ist der Bußgeldrahmen bei einem Verstoß gegen das Fahrstreifenbenutzungsverbot ebenfalls § 24 Abs. 2 StVG (bei fahrlässiger Begehung gemindert nach § 17 Abs. 2 OWiG) zu entnehmen, so dass die jeweiligen Betroffenen, denen ein Verstoß gegen §§ 24 Abs. 1 StVG, 49 Abs.3 S. 2 StVO, § 37 Abs. 3 S. 2 StVO vorzuwerfen ist, mindestens ebenso hart bestraft werden können wie jene, die wegen Geschwindigkeitsüberschreitung zu verurteilen sind. § 25 StVG ermöglicht zudem, allein wegen eines Verstoßes gegen §§ 24 Abs. 1 StVG, 49 Abs.3 S. 2 StVO, § 37 Abs. 3 S. 2 StVO ein Fahrverbot zu verhängen.

Die Annahme einer Geschwindigkeitsbeschränkung für den mittleren Fahrstreifen ergibt sich insbesondere auch nicht aus einem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 6. Mai 1981 (4 StR 530/79, juris). Durch diesen Beschluss ist zwar die Standspur, deren Benutzung ebenfalls regelmäßig verboten ist, der Fahrbahn zugeordnet (Rn. 9 ff.) und klargestellt worden, dass das Zeichen 274 auch auf diesem gilt (Rn. 21). Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs greift aber deshalb nicht ein, weil die Geschwindigkeitsbegrenzung durch Zeichen 274 vorliegend nur eingeschränkt, nämlich speziell für die linke Fahrspur, angeordnet wurde.“

Den (deutlichen) Hinweis wegen des Fahrverbotes wird der Verteidiger nicht gern gelesen haben. Allerdings wird das AG, wenn es denn ein Fahrverbot verhängen will, das, da es kein Regelfall ist, eingehend begründen müssen.