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Nachträgliche Gesamtstrafenbildung II: Die Gebühren des Verteidigers, oder: Was macht das OLG?

Ich hatte vorhin den LG Cottbus, Beschl. v. 20.04.2018 – 23 KLs 24/14  – vorgestellt (dazu Nachträgliche Gesamtstrafenbildung I: Welche Gebühren verdient der Verteidiger des Erkenntnisverfahrens?). 

Ich denke, niemand ist überrascht, wenn er nun erfährt, dass der Vertreter der Staatskasse natürlich ins Rechstmittel gegangen ist und Beschwerde eingelegt hat. Alles andere wäre eine Überraschung gewesen. Aber: Das hat auch etwas Gutes. Denn nun liegt eine OLG-Entscheidung zu der Problematik vor, nämlich der OLG Brandenburg, Beschl. v. 05.07.2018 – 2 Ws 106/18. Und der sieht es genauso wie das LG Cottbus und ich. Sehr schön:

„Das Landgericht hat mit Recht die vom Pflichtverteidiger geltend gemachte Verfahrensgebühr gemäß RVG-VV Nr. 4204 für die Tätigkeit im Verfahren der nachträglichen Gesamtstrafenbildung als erstattungsfähig bewertet.

Das Verfahren der nachträglichen Gesamtstrafenbildung erfasst die Fälle, in denen die nach § 55 StGB grundsätzlich zwingend gebotene Gesamtstrafenbildung im Erkenntnisverfahren unterblieben ist (Meyer Goßner/Schmitt, 61, § 460 Rn. 1). Das Gesetz ordnet dieses Verfahren ausweislich der Stellung von § 460 StPO im 7. Buch, 1. Abschnitt, der Strafprozessordnung systematisch der „Strafvollstreckung“ zu, was es rechtfertigt, die für das Vollstreckungsverfahren geltende Vergütungsregelung heranzuziehen. Dies entspricht auch der herrschenden, in der Kommentarliteratur vertretenen Auffassung (BeckOK RVG, v. Seltmann/Knaudt, RVG VV 4204 Rn. 3; Stollenwerk in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht 2. Aufl. VV RVG Nr. 4200-4207 Rn. 11; Kremer in: Riedel/Sußbauer, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz 10. Aufl. RVG [VV 4204] Rn. 4; Burhoff StRR 2010, 93). Die vom Landgericht Bonn hierzu vertretene abweichende Auffassung, die in dem dort zu Grunde liegenden Einzelfall auch nicht entscheidungserheblich geworden ist (Beschluss vom 13. März 2017 — 29 Qs 5/17, zitiert nach juris), vermag aus den von der Strafkammer in dem angefochtenen Beschluss zutreffend dargestellten Gründen nicht zu überzeugen.“

Das macht das Argumentieren in diesen Fällen sicherlich leichter.

Und: Das OLG bestätigt inzidenter auch, dass die Pflichtverteidigerbestellung aus dem Erkenntnisverfahren für das Verfahren der nachträglichen Gesamtstrafenbildung fortgilt. Wird häufig übersehen.

Simultane Übersetzung, ja, aber: Das Honorar dafür gibt es nicht

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Freitag ist „Zahltag“ = Tag der gebührenrechtlichen Entscheidungen. Allerdings habe ich da nicht immer etwas parat, so dass man auch mal ausweichen muss. Und das tue ich heute, und zwar auf den – schon etwas älteren – OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.11.2016 – 2 Ws 200/16 -, der sich mit der Höhe des Dolmetscherhonorars befasst.

Es geht um den Antrag einer Dolmetscherin in einem Strafverfahren. Sie wurde durch Verfügung des Vorsitzenden der Strafkammer zum Hauptverhandlungstermin als Dolmetscherin hinzugezogen und nahm diese Tätigkeit wahr. Sie stellte später für ihre Tätigkeit eine Vergütung von insgesamt 791,94 € in Rechnung, wobei sie den Stundensatz für simultanes Dolmetschen zugrunde gelegt hat. Nach zunächst antragsgemäßer Auszahlung der beantragten Vergütung forderte die Anweisungsbeamtin die Antragstellerin zur Rückzahlung eines Betrages in Höhe von 50,57 € auf, weil sie nicht als Simultandolmetscherin geladen worden sei und ihr insofern nur ein Stundensatz von 70 € zustehe. Hiergegen legte die Antragstellerin „Widerspruch“ ein, den die Anweisungsbeamtin der Strafkammer zur Entscheidung vorgelegt hat. Die hat den „Widerspruch“ als Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG ausgelegt und die Vergütung antragsgemäß festgesetzt. Der die damalige Hauptverhandlung leitende Strafkammervorsitzende hatte in seiner dienstlichen Stellungnahme mitgeteilt, er könne sich nicht mehr daran erinnern, ob er die Antragstellerin zum simultanen Dolmetschen aufgefordert habe. Der beisitzende Richter hat dargelegt, sich nicht daran erinnern zu können, ob die Dolmetscherin ausdrücklich angewiesen worden sei, simultan zu übersetzen. Sie habe es jedenfalls getan, weil es mit Sicherheit unterbunden worden wäre, wenn sie konsekutiv übersetzt hätte, denn in diesem Übersetzungsmodus lasse sich eine strafrechtliche Hauptverhandlung nicht sachgerecht durchführen. Das LG ist auf der Grundlage von einer konkludenten Anordnung ausgegangen, die ausreichend sei. Die (zugelassene) Beschwerde des Bezirksrevisors hatte Erfolg.

Der Leitsatz der Entscheidung

„Das erhöhte Honorar des Dolmetschers nach § 9 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 JVEG entsteht nur bei ausdrücklicher Heranziehung für simultanes Dolmetschen. Eine stillschweigende, nicht dokumentierte Auftragserteilung unter Berücksichtigung der tatsächlich praktizierten Art des Dolmetschens genügt hierfür nicht.“

Das OLG meint, dass die vom LG vertretene Auffassung, dass auch die konkludente Erteilung einer Anordnung zu simultanem Dolmetschen ausreiche, nicht der insoweit klaren gesetzlichen Regelung entspreche. Diese stelle vielmehr gerade auf eine ausdrückliche Heranziehung zum Simultandolmetschen ab. Voraussetzung hierfür sei zwar nicht, dass diese Art des Dolmetschen bereits bei der Ladung zum Termin genannt wird; insoweit genügt es, wenn der Vorsitzende dem herangezogenen Dolmetscher bei Beginn der Tätigkeit mitteile, dass simultan gedolmetscht werden solle (vgl. OLG Koblenz, Beschl. v. 07. 07.2014 – 1 Ws 301/14). Eine ausdrückliche diesbezügliche Erklärung im Vorhinein sei indes nicht verzichtbar.

Die Entscheidung hat den – auf den ersten Blick – eindeutigen – Gesetzeswortlaut für sich. M.E. ist sie aber in sich widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Es trifft zwar zu, dass, worauf das OLG hinweist, nach § 9 Abs. 3 Satz 1 2. Hs JVEG „maßgebend ist ausschließlich die bei der Heranziehung im Voraus mitgeteilte Art des Dolmetschens“. Aber das Erfordernis, das sich seiner Ansicht nach auch aus dem Willen des Gesetzgebers ergibt, gibt das OLG selbst auf, wenn es ausreichend sein lässt, wenn der Vorsitzende dem herangezogenen Dolmetscher bei Beginn der Tätigkeit mitteilt, dass simultan gedolmetscht werden soll. Das erfüllt m.E. auch nicht die Vorgaben des Gesetzgebers, wonach „die Heranziehung ausdrücklich für simultanes Dolmetschen erfolgt“ sein muss (BT-Drucksache 17/11471, S. 354). Warum man, wenn man sich an die schon nicht hält, dann nicht auch den zweiten Schritt macht, und die tatsächliche Art der Heranziehung ausreichen lässt, wenn bei der Ladung die Art der Übersetzung nicht mitgeteilt worden ist, erklärt das OLG nicht. Und warum eine konkludente Heranziehung nicht ausreichend sein soll, erschließt sich darüber hinaus nicht?

Kollision Bus/Motorrad an einer Engstelle, oder: Wer haftet wie?

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Die Haftungsverteilung nach Kollisionsunfällen im Straßenverkehr ist nicht einfach. Das zeigt sich m.E. darin, dass es zu der Problematik immer wieder Entscheidungen gibt, in denen die OLG landgerichtliche Haftungsquoten abändern, wobei in meinen Augen manches auch „Geschmacksache“ ist. In den Bereicht gehört das OLG Brandenburg, Urt. v. 02.03.2017 – 12 U 18/16, das zur Haftungsverteilung bei einer Kollision zwischen einem Linienbus und einem entgegenkommenden Motorradfahrer an einer Engstelle Stellung nimmt. Das LG hatte bei der klagenden Motorradfahrerin eine Mithaftungsquote von nur 20 % gesehen und die Beklagten u.a. zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 100.000,00 € verurteilt.

Das OLG sieht es anders. Es geht allerdings ebenso wie das LG davon ausgegangen, dass sich keine der Parteien mit Erfolg auf das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG berufen kann und dass beiderseits ein Verkehrsverstoß festzustellen ist. Bei den Beklagten geht es um den Linienbus. Da stellt das OLG einen Verstoß gegen § 41 Abs. 1 StVO i.V.m. dem Vorschriftszeichen 208 fest. Bei der Motorradfahrerin geht das OLG von einem Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot gem. § 2 Abs. 2 StVO aus.

Die Haftungsquote sieht das OLG aber anders:

Eine Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge führt zu einer überwiegenden Haftung aufseiten der Beklagten, allerdings lediglich zu 60 %, und nicht, wie vom Landgericht angenommen, zu 80 %. Soweit das Landgericht dem Beklagten zu 2. eine besondere Schwere der Schuld attestiert hat mit der Begründung, er habe den Verkehrsverstoß vorsätzlich begangen, überzeugt dies in dieser Form nicht. Unabhängig davon, ob der aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht abgeleitete Vorsatzbegriff ohne weiteres auf das Zivilrecht übertragen werden kann, ist zu berücksichtigen, dass angesichts der Verkehrslage der Verkehrsverstoß nicht als besonders gravierend zu bewerten ist. Wie bereits zuvor ausgeführt, war bei Einfahren in die Engstelle eine Gefährdung der Motorradfahrer bei normaler Fahrweise und Einhaltung des Rechtsfahrgebotes kaum zu erwarten, auch wenn eine Gewissheit hierüber letztlich nicht bestand. Angesichts der Tatsache, dass an der Engstelle Pkws ohnehin ungehindert aneinander hätten vorbeifahren können und unter Berücksichtigung dessen, dass es auch dem vom Beklagten zu 2. geführten Bus ohne weiteres möglich gewesen wäre, die Engstelle ohne Verlassen der eigenen Fahrbahnhälfte zu passieren, erscheint es nicht grob verkehrswidrig, dass der Beklagte zu 2. die Situation so eingeschätzt hat, dass mit einer nachhaltigen Gefährdung des entgegenkommenden Fahrzeugverkehrs, also der Motorradgruppe, so ohne weiteres nicht zu rechnen war, so dass sein Verhalten in einem milderen Licht erscheint.

Auf der anderen Seite war die Fahrweise der Klägerin insoweit unangemessen, als sie, wie bereits ausgeführt, nach dem nur sehr eingeschränkt geltenden Verbot der Einfahrt für den Gegenverkehr ohne weiteres mit einem solchen hätte rechnen müssen und deshalb ihre Fahrweise darauf hätte einrichten müssen, möglichst weit rechts zu fahren, um einerseits eine Eigengefährdung und andererseits eine Gefährdung des Gegenverkehrs auszuschließen. Ob ihre Fahrweise auf Leichtsinn beruht oder ob sie mit der Bewältigung der Rechtskurve überfordert war und möglicherweise deshalb unbeabsichtigt zu weit nach links geraten ist, kann nicht abschließend geklärt werden. So oder so bleibt aber ein nicht unerhebliches Fehlverhalten, das in der Gewichtung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge zwar hinter dem Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 2. zurückbleibt, aber doch mit 40 % zu bewerten ist. Dabei berücksichtigt der Senat auch die beiderseitigen Betriebsgefahren. Einerseits die des Busses, der aufgrund seiner Kompaktheit eben nur deshalb in die Engstelle hat einfahren sollen, wenn eine Gefährdung des Gegenverkehrs ausgeschlossen war und diejenige des Motorrades, dessen Instabilität sich in der hier maßgeblichen Unfallsituation auch durchaus ausgewirkt hat.

Und: Das OLG reduziert auch das Schmerzensgeld. Die 100.000 €, die das LG zugesprochen hatte sind ihm zu hoch. Angemessen seien nur 50.000 €.

Absehen vom Fahrverbot, oder: dünner werdende Besiedlung und Vermutung „außerorts“ reicht nicht

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Heute will ich dann mal wieder ein paar verkehrsrechtliche Entscheidungen vorstellen. Ich eröffene mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 31.05.2016 – 2 (B) 53 Ss-OWi 116/16 (57/16), also „uralt. Das OLG hat ihn aber erst vo kurzem übersandt. Es geht um das Absehen vom Fahrverbot. Das AG hatte abgesehen. Der Betroffene hatte abgesehen. Begründung: „Der Betroffene habe sich „aufgrund unzureichender Aufmerksamkeit über die geltende Höchstgeschwindigkeit an der Messstelle geirrt“. Nach seiner glaubhaften Einlassung sei er „in dieser Gegend als Ortsunkundiger unterwegs“ gewesen und habe „vermutet“, dass er sich „längst außerorts“ befunden habe. Die Geschwindigkeitsübertretung sei mit Rücksicht auf die in den Beschlussgründen näher beschriebene Örtlichkeit der Messstelle, die einen ländlichen Eindruck vermittelte und gerade bei ortsfremden Fahrzeugführern eine hohe Quote an Geschwindigkeitsverstößen provoziere, nicht als grobe Zuwiderhandlung, sondern als augenblickliches kurzzeitiges Fehlverhalten zu werten.“

Das OLG meint: Das reicht so nicht:

„Eine grobe Pflichtverletzung kann beispielsweise dann auszuschließen sein, wenn die Ordnungswidrigkeit darauf beruht, dass der Betroffene infolge einfacher Fahrlässigkeit ein die Geschwindigkeit begrenzendes Zeichen übersehen hat und keine weiteren Anhaltspunkte vorliegen, aufgrund derer sich die Geschwindigkeitsbeschränkung aufdrängen musste (BGH NJW 1997, 3252; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13. April 1999 – 2b Ss OWi 85/99, zit. nach Juris; Senat, Beschl. v. 10. November 2004 – 2 Ss-OWi 106 B/04). Eine solche Fallkonstellation liegt nicht vor, denn dem Betroffenen war nach den getroffenen Feststellungen zunächst bewusst, dass er sich innerorts befand. Wenn er sich dann nach Verlassen des Ortskerns aufgrund dünner werdender Besiedelung und weitgehend fehlender Bebauung zu der Annahme verleiten lässt, er sei bereits außerhalb der Ortslage, vermag dies einen Ausnahmefall, der ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigt, regelmäßig nicht zu begründen (vgl. BayObLG NZV 1997, 89, 90; OLG Hamm DAR 2001, 322, 323). Dies gilt umso mehr, als der Betroffene nach seiner Einlassung lediglich „vermutete“, sich „längst außerorts“ zu befinden. Auf eine solche Vermutung darf sich ein sorgfältiger und pflichtbewusster Verkehrsteilnehmer ungeachtet des Eindrucks, den die Örtlichkeit der Messstelle vermittelt, nicht verlassen. Eine grobe Pflichtverletzung ist insoweit nicht ausgeräumt, sondern liegt auf der Hand.“

„Es wurde .. meine Wäsche durchsucht. Dieses fetischistische Verhalten…“, oder: Kampf ums Recht oder strafbare Beleidigung

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Der Ausgangspunkt des Verfahrens, das mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 17.12.2106 – (2) 53 Ss 64/16 (39/16 – seinen Abschluss gefunden hat, liegt im Strafvollzug.  Der Angeklagte hat  in der JVA Luckau-Duben eine Freiheitsstrafe verbüßt. Am 23.12.2013 fand eine Durchsuchung seines Haftraums statt, die von einer Justizvollzugsbediensteten vorgenommen wurde. Diese Maßnahme nahm der Angeklagte zum Anlass, am 24. Dezember 2013 ein Schreiben an das LG Cottbus, Strafvollstreckungskammer, zu verfassen. Dieses Schreiben, mit dem der Angeklagte u.a „Strafantrag“ stellt und sich über Maßnahmen des Justizvollzugs beschwert, hat u.a. folgenden Inhalt:

„(…)“  3. Am 23. Dezember wurde meine Wohnung/Zelle durchsucht im Alleingang durch die Bedienstete Frau S. Es wurde auch meine Wäsche durchsucht, was ein Verstoß gegen den § 85 des Brandenburger Justizvollzugsgesetzes darstellt.
Dieses fetischistische Verhalten zeige ich hiermit an.“ (…)“

Und – oh Wunder – oder auch nicht: Daraus wird dann ein Strafverfahren gegen den Angeklagten mit dem Vorwurf der Beleidigung (§ 185 StGB). Das AG hat dann auch entsprechend verurteilt. Dem Angeklagten sei es nicht darum gegangen, „sich lediglich kritisch über das vermeintlich rechtswidrige dienstliche Verhalten der Justizvollzugsbeamtin zu äußern, sondern (…) ihr einen über die vermeintliche Rechtswidrigkeit der Handlung hinausgehenden sexuellen Bezug zu unterstellen, nämlich zu vermitteln, dass seine Unterwäsche als Stimulus der sexuellen Erregung und Befriedigung der Bediensteten gedient habe“. Durch die „Nutzung des Wortes ‚fetischistisch‘“ habe der Angeklagte „die private Person der Justizvollzugsbeamtin in den Vordergrund“ gestellt “und nicht deren Tätigkeit als Vollzugsbeamtin“.

Das OLG sieht es – m.E. zutreffend – anders:

2. Die Bewertung der festgestellten Äußerung als eine durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB nicht gerechtfertigte Beleidigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Bereits die Einordnung der Bezeichnung „fetischistisches Verhalten“ als tatbestandsmäßige Beleidigung erweist sich aufgrund der nur unzureichenden tatgerichtlichen Würdigung der Gesamtumstände als nicht tragfähig.

Eine nach § 185 StGB strafbare Beleidigung liegt vor, wenn eine Äußerung eine Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung enthält. Dies ist der Fall, wenn dem Betroffenen der ethische oder soziale Wert ganz oder teilweise abgesprochen und dadurch dessen grundsätzlich uneingeschränkter Achtungsanspruch verletzt oder gefährdet wird (Fischer, StGB 63. Aufl. § 185 Rdnr. 4 m. w. N.). Ob eine solche Missachtung oder Nichtachtung vorliegt, ist durch Auslegung des objektiven Sinngehalts der Aussage zu ermitteln, der unter Berücksichtigung der gesamten Begleitumstände zu ermitteln ist. Maßgebend ist dabei nicht, wie der Empfänger, sondern wie ein verständiger Dritter die Äußerung versteht (StGB, Fischer a. a. O.).

Das Tatgericht hat sich insoweit bereits nicht rechtsfehlerfrei mit den in Betracht zu ziehenden Deutungsmöglichkeiten der schriftlichen Erklärung auseinandergesetzt. Die nicht näher begründete Annahme, der Angeklagte habe durch die Nutzung des Wortes „fetischistisch“ die private Person der Justizvollzugsbeamten in den Vordergrund gestellt und nicht deren Tätigkeit in der Justizvollzugsanstalt, lässt die Formulierung der Äußerung im Gesamtzusammenhang der Ausführungen unberücksichtigt. Der Angeklagte hat den Sachverhalt der Durchsuchung seines Haftraums durch die Beamtin „im Alleingang“ gegenüber der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts angezeigt und hierbei beanstandet, dass dieses Vorgehen seiner Auffassung nach vorschriftswidrig gewesen sei. Er hat sich hierbei erkennbar rechtsirrig auf eine Regelung bezogen, nach der die Durchsuchung männlicher Gefangener nur von Männern vorgenommen werden darf und das Schamgefühl zu schonen ist (§ 86 Abs. 1 BbgJVollzG). Die Textfassung seines Schreibens stellt dabei nicht die Person, sondern das Verhalten in den Vordergrund („Es wurde meine Wäsche durchsucht“, „dieses (…) Verhalten“). Vor diesem Hintergrund liegt es auf der Hand, dass der Angeklagte das Attribut „fetischistisch“ nicht notwendig einer bestimmten persönlichen Haltung der Bediensteten zuschreiben, sondern eine lediglich allgemeine, verhaltensbezogene Kritik an einer derartiger Durchsuchungspraxis beanstanden wollte. Darüber hinaus greift die Reduzierung auf eine allein sexuell zu verstehende Konnotation des Begriffes „fetischistsch“, die das Amtsgericht unterstellt, zu kurz. Nach allgemeinem Sprachgebrauch kommt insoweit auch ein bloß klischeehaft formulierter Hinweis auf die Zumessung einer übermächtigen Bedeutung für bestimmte Sachen ohne weiterführenden abwertenden Sachgehalt in Betracht.

Insoweit hätte es näherer Differenzierung bei der tatgerichtlichen Beurteilung bedurft, denn bei dieser Sachlage liegt es nicht auf der Hand, dass die Äußerung ihrem objektiven Sinn die Bekundung einer Missachtung der Beamtin darstellte und dem Angeklagten dies bewusst war.

b) Jedenfalls ist die Äußerung als Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne von § 193 StGB nicht strafbar.

….Dem Angeklagten ging es ersichtlich darum, zum Ausdruck zu bringen, dass die Durchsuchung seiner Wäsche durch eine Frau eine Verletzung seiner Intimsphäre darstelle und dieses Verhalten gegen Vorschriften des Strafvollzugs verstoße. Auch wenn die rechtliche Bewertung des Angeklagten nicht zutraf, waren die erhobenen Vorwürfe aus seiner Sicht und mit seinem Kenntnisstand nicht völlig aus der Luft gegriffen. Ferner wäre die Ehrverletzung, wenn eine solche anzunehmen wäre, jedenfalls nicht als besonders gravierend zu bewerten.

Hinzu kommt, dass der Angeklagte mit seinem Schreiben an das Landgericht eine gerichtliche Auseinandersetzung anstrebte. Beteiligte an gerichtlichen Verfahren dürfen im Kampf um Rechtspositionen auch drastische Bewertungen von Vorgängen als persönliche Rechtsauffassung zum Ausdruck bringen, selbst wenn sie objektiver Beurteilung nicht standhalten (vgl. BGH NJW 1982, 2248; BayObLG NJW 2001, 1511; KG, Urt. v. 11. Januar 2010 – 1 Ss 470/09, zit. nach Juris). Ein Beteiligter muss und darf daher Kritik üben und angebliches oder tatsächliches Fehlverhalten aufzeigen dürfen, ohne sogleich befürchten zu müssen, der Strafverfolgung ausgesetzt zu sein (vgl. BayObLG NStZ-RR 2002, 40, 42). Dies gilt im besonderen Maße insoweit, als sich das Werturteil auf staatliche Einrichtungen, deren Bedienstete und deren Vorgehensweisen bezieht. Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, gehört zum Kernbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28. Juli 2014 ­– 1 BvR 482/13, zit. nach Juris).